Achtsamkeit: »Es fehlt die Demut«
Herr Professor Joiner, Achtsamkeit halten die meisten für eine feine Sache. Sie soll helfen, Stress abzubauen sowie aufmerksamer und zufriedener zu sein. Was kritisieren Sie daran?
Es geht mir vor allem um drei Dinge: Erstens knüpfen heute viele Menschen stark übertriebene Erwartungen an diesen Begriff. Natürlich hat Achtsamkeit in ihrer ursprünglichen Form eine Menge für sich. Daraus ist inzwischen aber eine regelrechte Industrie geworden – man findet Achtsamkeitsangebote, wo man nur hinsieht: Achtsamkeit für Autofahrer, Achtsamkeit für Schwangere, achtsam kochen, achtsam kommunizieren, achtsam gärtnern … Das hat mit der Sache selbst oft nichts mehr zu tun. Zweitens scheint mir gerade das Überangebot die eigentliche, authentische Idee der Achtsamkeit immer mehr zu verdrängen, ja zu pervertieren. Es geht dabei nicht um das eigene Ego, nicht um ständige Beschäftigung mit sich selbst und die Konzentration auf das eigene Denken und Fühlen. Das Gegenteil ist der Fall. Und drittens dürfen wir bei aller Euphorie über die positiven Effekte nicht vergessen, dass die Achtsamkeitspraxis bei manchen Menschen auch kontraproduktiv sein kann. Zirka fünf Prozent derjenigen, die an Achtsamkeits-Retreats teilnehmen, zeigen danach mehr Unbehagen als zuvor. Sie kommen mit der Fokussierung auf sich selbst nicht gut zurecht. Solche unerwünschten Nebenwirkungen wurden zu lange ignoriert ...
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