Anosognosie: Krank? Ich doch nicht!
"Harpaste, meiner Frau schwachsinnige Sklavin, ist als ererbte Last in meinem Hause geblieben. Diese hörte plötzlich auf zu sehen. Einen unglaublichen, aber wahren Sachverhalt erzähle ich dir: Sie weiß nicht, dass sie blind ist; immer wieder bittet sie den Aufseher, sie gehen zu lassen. Sie sagt, das Haus sei finster." Das schreibt der römische Philosoph Seneca (etwa 1-65 n. Chr.) in seinen Briefen an Lucilius. Vermutlich handelte es sich dabei um die erste uns erhaltene Beschreibung einer Störung, die sich im Unwissen darüber manifestiert, von einer Krankheit betroffen zu sein – in diesem Fall von Blindheit.
Heute bezeichnen Mediziner das Phänomen als Anosognosie. Der Begriff vereint die griechischen Wörter "nosos" (Krankheit) und "gnosis" (Erkenntnis) mit der Verneinungspartikel "a" – zu Deutsch: "Mangel an Krankheitseinsicht". Er wurde von Joseph Babinski (1857-1932) geprägt, einem französischen Neurologen polnischer Herkunft, der Anfang des 20. Jahrhunderts einige klinische Fälle untersuchte, die das gleiche Symptom zeigten wie Harpaste ...
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