Was kann Wissenschaft von morgen beflügeln?
Universitäten und ihre Pressestellen sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert, wenn sie künftig besser als Vermittler zwischen Forschung und Öffentlichkeit wirken wollen. Kommunikationsspezialisten nahmen ihr Metier auf einer Tagung selbstkritisch unter die Lupe.
Feiert Ihr Fachbereich Triumphe, weil ihm der Sieg über die Verwaltung gelungen ist und jetzt das neue Faxgerät installiert werden kann? Hüpfen Sie auf einem Bein, wenn Ihr Forschungsmagazin jetzt durchgehend farbig gedruckt werden darf? Kennen Sie viele, die hochwertige Arbeit bei schlechtem Honorar leisten? Dann müssen Sie an einer deutschen Hochschule arbeiten.
Die ganze Welt spricht vom Zeitalter rasanten Informationsaustauschs, von der Kommunikation als alleinigem Schlüssel zum – nicht nur finanziellen – Erfolg auf den globalen Märkten. Früher gehörte Klappern zum Handwerk, heute braucht es größeren Lärm. Doch eine wirkungsvolle Public-Relations-Strategie erfordert zunächst einmal Geld. Wie man dieses beschaffen kann, machen ausländische Universitäten vor. Englische Hochschulen zum Beispiel betreiben Büros auf dem nordamerikanischen Kontinent, um Absolventen zur finanziellen Unterstützung zu bewegen; ein Teil der Einnahmen verbleibt für neue PR-Aufgaben. Geschicktes Marketing an einer niederländischen Universität bringt Umsätze in Millionenhöhe; der Gewinn kommt vollständig der Öffentlichkeitsarbeit zugute. Und Hochschulen in Italien lagern die PR-Abteilungen als Kommunikationsgesellschaften aus, die sich zur Gänze selbst finanzieren.
In Deutschland ist das anders: Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, nimmt schon mal das Wort vom Dilettantismus in den Pressestellen in den Mund. Für ihn sind deutsche Hochschulen Republiken von Amateuren, die – kommt man ihnen zu nahe – aufschreien wie die Kapitolinischen Gänse. Auf die Fahnen der obersten Instanz der Hochschulpolitik hat er deshalb das Engagement für bewußtere Öffentlichkeitsarbeit geschrieben.
Landfried muß wissen, wovon er spricht, denn insgeheim gilt seine Liebe dem Journalismus, wie er auf der Tagung EUPRIO '98 an der Universität Heidelberg eingestand. Knapp 250 Kommunikationsexperten von europäischen Universitäten aus 23 Ländern trafen sich vergangenen September in der Stadt am Neckar, um über "The Networking University of Tomorrow" zu diskutieren. Die Liste der Referenten führte Edith Cresson an, Kommissarin der Europäischen Union (EU) für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung.
Die EU könnte die Position europäischer Hochschulen im weltweiten Wettbewerb noch besser fördern, wenn sie die Vereinigung EUPRIO (European Universities Public Relations and Information Officers Association) wieder stärker unter ihre Fittiche nähme. Die bisherige Hochschulpolitik der EU ist eingebettet in langfristige Programme; größte Bedeutung liegt heute auf dem regionalen Verbund aller Hochschulen vor den Eckpfeilern Bildung, Forschung und Weiterbildung. Das bloße Auflegen von Kooperationsprogrammen erbringt jedoch noch kein funktionierendes Netzwerk, sondern führt eher zur Schwerfälligkeit.
Landfried wies zudem darauf hin, wie schnell sich das gesellschaftliche Umfeld der Hochschulen verändere und mit ihm auch die Erwartungen, die von außen an die Universitäten herangetragen werden. Darauf müsse adäquat reagiert werden; zeitlich begrenzte und korrigierbare Zielvorgaben, von einem möglichst breiten Spektrum an Beteiligten formuliert, seien Grundvoraussetzung für einen Strukturwandel.
Neue Kommunikationstechnologien helfen da mit: Es entstehen virtuelle Veranstaltungen und Seminare, selbst ganze Hochschulen, die ihre "Kunden" erst dann kennenlernen, wenn sie zur Prüfung anreisen. Eine solche Ausbildungsbeziehung läuft anders als gewohnt, der "Besuch" über das Internet wird selbstverständlich. Hier weht ein Hauch von morgen, wie es im Tagungsthema anklang. Wenn Bildungspolitik für moderne Menschen geplant wird, ist es nur recht und billig, die neuesten und besten Mittel einzusetzen. Daß die Hochschulen dies tun, muß an ihrer Öffentlichkeitsarbeit erkennbar sein – denn sie sind verpflichtet, der sie finanzierenden Gesellschaft Rechenschaft abzulegen –, und auch an der Bilanz zum Jahresende, falls sie ganz oder teilweise privatwirtschaftlich organisiert sind.
Landfried liebt den drastisch-plastischen Vergleich. Vor den Investitionen in die Zukunft käme ihm die deutsche Hochschullandschaft manchmal vor wie eine Herde Strauße, die gerne die Köpfe in den Sand steckten. Sie würden allerdings vergessen, daß empfindliche Teile dann erst recht im Freien blieben. Und so forderte er wenn nicht den Ruck, so doch wenigstens den Tritt hin zu mehr Markt und Wettbewerb.
Der Unternehmer Friedrich Reutner, der durch stringentes Management eine alteingesessene Mannheimer Firma vor dem Konkurs bewahrte, erläuterte, daß Hochschulen in einem teuren und unbeweglichen Administrationskorsett gefangen seien. Er schlug nach dem Vorbild des sogenannten schlanken Staats eine ebenso reduzierte Universität vor. Verkrustete Strukturen würden den Informationsfluß und die Kommunikation behindern und somit den gesamten Forschungs- und Lehrbetrieb lähmen. Solange ein Professor die Anschaffung der Grundausstattung von Beamten genehmigen lassen müsse, solange Gremien nur um ihrer eigenen Berechtigung willen zusammenträten und solange die Hochschulen das ihnen zugeteilte Geld nicht nach Bedarf ausgeben dürften, könne sich in der Bildungswelt nichts zum Besseren wenden.
Reutner begrüßte die neuen Möglichkeiten der Hochschulen in Baden-Württemberg, andere Formen des Managements zu erproben, und schlug vor, größere Entscheidungskompetenzen einzuräumen, indem finanzielle Mittel, die über einen Sockelbetrag hinausgehen und nicht durch Zieldeckungsbeiträge kontrolliert werden, selbst erwirtschaftet werden müssen. Ein Gratifikationssystem mit Prämien etwa in Form eines Forschungsaufenthalts hielt er für erforderlich und auch für realisierbar. Mit Landfried war er einig, daß die mit Hilfe des staatlichen Grundbetrags garantierte Freiheit von Forschung und Lehre den Unterschied zu einem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen ausmache. Privatuniversitäten verdienten ihren Namen nicht, denn die jetzt entstehenden stellten lediglich Trainingslager in engen Disziplinen dar. Von Universalität, von über Lehre hinausgehender Forschung könne gar keine Rede sein. Die Zukunft gehöre der großen Einheit mit dezentralem Management und geschulter Motivation aller Beteiligter. Entscheidungen könnten zudem schneller getroffen werden, wenn Gesetze und Verordnungen angepaßt würden.
Warum aber sind Deutschlands Hochschulen so weit entfernt von internationalen Ansätzen in Management und Marketing? Weil sie nicht gezwungen sind, mit anderen zu konkurrieren. Das Geld fließt auch ohne Anerkennung von außen. Ein Wissenschaftler kann heute noch sagen: Ich mache gute Forschung, und die spricht für sich. Wozu also mit Mitteln der Public Relations dafür Reklame machen? Weil – wie Landfried es formulierte – es nichts nutzt, wenn die Henne auf dem großen Markt ihr Ei in die Ecke legt. Erst, wenn sie tüchtig gackert, wird einer das Ei auch kaufen. Indes: Das Gespür, mit ihrer Forschungsarbeit auf den Markt zu gehen, haben deutsche Wissenschaftler nicht; sie werden von ihrer Hochschulleitung dabei auch nicht unterstützt. Erst Zielvorgaben, die durch Entscheidungen der Politik untermauert sind, machen allen Beteiligten klar, wohin der Flug gehen muß. Hier ist dann Training angebracht, und zwar nicht allein für die Wissenschaftler, sondern auch für die Manager der Hochschulen. Netzwerke, die das gesellschaftliche Umfeld einbinden, lassen sich leichter knüpfen, wenn die Organisationsstrukturen einander ähneln. Der Mensch auf der Straße muß verstehen können, was er vom Treiben hinter den – dann hoffentlich transparenten – Mauern der akademischen Welt hat.
Beispiele funktionierender Netzwerke, die immer auch Exempel für die erforderliche Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft sind, wurden auf der Tagung vorgestellt: Ob nun die Bioregion Rhein-Neckar, eine mehr bürgerorientierte "Stiftung Wissen" im Großraum Amsterdam oder der Verbund der Forschungsabteilungen europäischer Telekommunikationsfirmen – das seien Netzwerke, die am Leben blieben, weil sie die Interessen verschiedener Gesellschaftsgruppen berücksichtigten. Einzig die vorgestellten Journalisten-Netzwerke in den USA und in Großbritannien sowie der deutsche "Informationsdienst für die Wissenschaft" (der frühere "Experten-Makler"; siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1997, Seite 106) böten den praktischen Einblick in die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Hierbei können Medienvertreter über das Internet Fragen an die Universitäten richten, die sie an geeignete Fachleute weiterleiten, und die Antworten können dann einige Zeit später der Öffentlichkeit präsentiert werden. Der entscheidende Unterschied zwischen Europa und den USA: Hier bezahlen die Journalisten für die Aufnahme ins Netz, dort die wissenschaftlichen Einrichtungen. Künftig soll die Kooperation enger werden, ein europäisches Expertennetzwerk in den Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch startet Anfang 1999.
Und daß die europäischen Kommunikationsexperten genau wissen, wie die ersten Schritte zu machen seien, demonstrierten sie, als zum Abschluß der Tagung die Frage nach dem Marktwert wissenschaftlicher Information gestellt wurde. Dies geschah nach Art antiker Disputation: Zwei Kontrahenten näherten sich der These serious science doesn't sell.
Läßt sich seriöse Wissenschaft wirklich nicht unter die Leute bringen? Frank Albrighton von der Universität Birmingham verfocht eine klare Linie: Wissenschaft sei langweilig, weil Wissenschaftler langweilig seien. Und deshalb ließe sich Wissenschaft nicht verkaufen. Sie bediene eine stets gleiche Klientel, Interesse von außerhalb der akademischen Welt sei nicht zu erwarten. John Izbicki von der Londoner Zeitung "The Independent" verwies hingegen auf Wissenschaftliches im alltäglichen Erleben. Die Möglichkeiten, Witz und Genie zu kombinieren, seien in der wissenschaftlichen Berichterstattung so groß, wie es unser aller Leben biete. Somit genügte ein kleiner Zweifel, die genannte These zu widerlegen.
Moderator Ray Footman von der Universität Edinburgh konnte nicht umhin, auf den Berufszweck der Public-Relations-Manager im Saal hinzuweisen, bevor er das Publikum zur Abstimmung bat. Wenngleich Albrighton noch einwandte, das sei ja so, als wolle man Gänse zum Nutzen des Weihnachtsfestes befragen, stimmten zwei Drittel der Anwesenden der These von der Unverkäuflichkeit von Wissenschaft in den modernen Medien zu. Eine größere Breitenwirkung und ein fruchtbarer Dialog zwischen Universitäten, Politik und Gesellschaft könnten jedoch entstehen, wenn man sich die Aufgabe der Medien zunutze mache, das Publikum zu unterhalten. Bis es so weit ist, wird unser Hochschulsystem aber wohl noch manche Feder lassen müssen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1998, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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