Transplantationsmedizin: Wege aus dem Organmangel
Spenderorgane sind oft die letzte Rettung, aber leider rar. Innovative chirurgische Methoden und Änderungen der rechtlichen Grundlage können inzwischen mehr Patienten zu einem zweiten Leben verhelfen.
Erfolg schafft oft eigene Probleme. Auf kaum einem anderen Feld der Medizin wurden binnen weniger Jahrzehnte so weit reichende Fortschritte erzielt wie bei der Transplantation lebenswichtiger Organe. Noch Anfang der 1960er Jahre durfte kaum jemand auf langfristige Rettung hoffen, wenn beispielsweise beide Nieren versagten. Erst im April 1962 gelang dem Team von Joseph E. Murray am Brigham and Women’s Hospital in Boston ein Durchbruch: Es verpflanzte die Niere eines Toten erfolgreich einem nicht verwandten Empfänger, indem es die Abstoßung durch ein Medikament unterdrückte. Mittlerweile ist die Nierentransplantation weltweit eine Standardtherapie und hat hunderttausende Patienten von der Dialysemaschine befreit.
Zwar verpflanzten noch im selben Jahrzehnt Chirurgen erstmals eine Leber und ein Herz, doch blieb dieser operative Ersatz noch bis in die 1980er Jahre im experimentellen Stadium, war also kaum eine Option für Patienten. Auch dies hat sich grundlegend geändert. Ähnliches gilt für Lunge und Bauchspeicheldrüse.
Die Zahlen sprechen für sich: Allein in Deutschland sind in all den Jahren bis Ende 2001 insgesamt 62452 Organe transplantiert worden, darunter 44080 Nieren, 8479 Lebern und 7076 Herzen. Die meisten Empfänger können ein weitgehend normales Leben führen. Bis auf die Lungen funktionieren in Deutschland nach fünf Jahren weiterhin rund zwei Drittel der Organe, wenn sie von toten Spendern stammten und erstmals übertragen wurden. Diese Erfolge sind die Früchte intensiver Forschung, insbesondere zu den Vorgängen im Immunsystem. Ein enormer Gewinn war die Entwicklung von Medikamenten, die das Abstoßen des fremden Gewebes gezielter und wirksamer verhindern.
Mit immer besseren Überlebenschancen erweiterte sich der Kreis der in Frage kommenden Patienten zusehends – und gerade das hat den Mangel an Spenderorganen noch verschärft. Zum Beispiel sterben allein in den USA jährlich rund 3000 Menschen, während sie auf ein Transplantat warten; an die 100000 Patienten erleben nicht einmal ihre Aufnahme in eine Warteliste. Jährlich werden dort zwar vier Prozent mehr Nieren verpflanzt – die ohnehin lange Warteliste hierfür wächst aber weit schneller: um etwa elf Prozent. Eine weitere Verschärfung ist abzusehen.
Solche Diskrepanzen – wenn auch nicht gleichen Ausmaßes – bestehen praktisch bei allen Organen. Europäischen Ländern ergeht es kaum anders, selbst bei internationaler Kooperation. Schon 1967 wurde "Eurotransplant" ins Leben gerufen. Die gemeinnützige Stiftung mit Sitz im niederländischen Leiden vermittelt und koordiniert heute den Organaustausch zwischen Belgien, Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und Slowenien. Beteiligt sind Transplantationszentren, Laboratorien für Gewebetypisierung und Krankenhäuser mit Intensivstationen. Trotzdem konnten in diesen Ländern im Jahre 2000 nur 5212 "Leichenorgane" eingepflanzt werden, während 14237 Patienten auf der Warteliste standen. Speziell in Deutschland hat sich die Situation in den letzten Jahren teils etwas entspannt, teils weiter verschärft, wie die Übersicht der Deutschen Stiftung Organtransplantation für 2001 zeigt, die sowohl die Organe von hirntoten wie auch die von lebenden Spendern berücksichtigt. Kritisch ist es insbesondere bei Niere und Leber:
- Mit 2346 wurde zwar eine Rekordzahl von Nieren verpflanzt. Doch die Zahl der gemeldeten Anwärter, die gesund genug für eine Operation blieben, hat sich gegenüber dem Vorjahr nur geringfügig auf 9547 verringert, weil anteilig mehr Patienten mit Nierenversagen in die Warteliste aufgenommen wurden.
- Die Zahl der Lebertransplantationen lag mit 757 etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Aber seit 1994 steigt die Zahl der neuen angemeldeten Patienten steil an, während die der Spenderorgane stagniert.
Dem Organmangel könnten theoretisch Organe von Tieren abhelfen, deren Gewebemerkmale durch Genmanipulation menschenähnlicher gemacht werden; denn normalerweise provoziert artfremdes Gewebe besonders heftige Abstoßungsreaktionen. Erste genmanipulierte Schweine existieren zwar bereits. Mit der Behandlung von Patienten durch solche "Xenotransplantate" ist aber in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.
Als direktester Weg zu mehr Spenderorganen werden geeignete gesetzliche Maßnahmen angesehen. Nach Umfragen befürworten es in Deutschland mehr als die Hälfte der Menschen, mit ihren Organen nach dem Tod andere Menschen zu retten. Die wenigsten halten dies aber schriftlich fest. Um die Entnahme von Geweben und Organen auch unter bestimmten anderen Voraussetzungen zu erlauben, haben inzwischen etliche Länder einschlägige Gesetze erlassen. Diese basieren im Prinzip entweder auf einem "angenommenen Einverständnis" oder auf einer "erweiterten Zustimmung".
Stützt sich das Gesetz auf das erste Konzept, dann dürfen einem Menschen im Falle seines Hirntodes Organe und Gewebe entnommen werden – sofern er dem Eingriff nicht zu Lebzeiten bei einem Referenzzentrum ausdrücklich widersprochen hat (deshalb auch der Begriff Widerspruchslösung). Die Ärzte müssen nicht einmal unbedingt die Angehörigen von dem Vorhaben in Kenntnis setzen. Die Anzahl der hinterlegten Widersprüche scheint bei dieser Regelung im Allgemeinen relativ gering zu sein.
Bessere Gesetze – bessere Spenderbilanz?
Beim zweiten Konzept muss der Verstorbene zu Lebzeiten eine Organspende schriftlich befürwortet oder abgelehnt haben, ansonsten können die nächsten Angehörigen, wenn nichts Mündliches vorliegt, in seinem Sinne entscheiden. Diese verweigern in der psychisch belastenden Situation eines Todesfalles eher ihre eigene Zustimmung, wenn sie den mutmaßlichen Willen nicht kennen. In der Bundesrepublik hatten 2001 nur 0,5 Prozent der hirntoten potenziellen Spender eine schriftliche Ablehnung und 17,8 Prozent eine mündliche hinterlassen.
Gibt es so etwas wie das bessere Konzept? Betrachtet man in Europa und Nordamerika die sechs Länder mit dem höchsten Prozentsatz an Organspenden von Hirntoten, dann gehen vier bei ihren Regelungen von einem "angenommenen Einverständnis" aus. Auf diesem Konzept basierte auch der erste Gesetzentwurf in der Bundesrepublik, der aber 1978 wegen Bedenken des Bundesrates scheiterte. In der DDR galt bis 1990 auf Grund einer Regierungsverordnung ebenfalls ein Widerspruchsmodus. Nach der Wiedervereinigung war Deutschland über Jahre einer der letzten europäischen Staaten ohne eigenständige Regelung der Transplantationen. Schließlich entschieden sich Bundestag und Bundesrat mit breiter Mehrheit für eine "erweiterte Zustimmung". Diese Lösung trat am 1. Dezember 1997 in Kraft. Seither ist die Quote der Organspenden in den neuen Bundesländern deutlich gestiegen, nicht aber in den alten. In Italien gilt nach einem Gesetz von 1999 nur eine vorläufige Regelung: Liegt keine Erklärung der betreffenden Person vor, können ihre Angehörigen einer Organentnahme widersprechen.
Internationale Vergleiche allein auf der Basis gesetzlicher Regelung sind allerdings mit Vorsicht zu interpretieren, wenn man die "beste" Lösung ermitteln will. So hält Spanien – ein Land, das die Entnahme erlaubt, solange der Verstorbene nicht zu Lebzeiten widersprochen hatte – zwar die Spitzenposition bei Organspenden. Gängige Praxis ist dort aber das eigentlich strengere Prinzip, dass entweder der Spender sich vorab dazu bereit erklärt hatte oder seine Angehörigen zugestimmt haben.
Wie sieht es im Bereich von Eurotransplant aus? Bezogen auf die jeweilige Einwohnerzahl wurden in Österreich und Belgien wesentlich mehr Nieren, Herzen und Lebern gespendet und transplantiert als in der Bundesrepublik und den Niederlanden. Selbst innerstaatlich, also unter genau gleichen gesetzlichen Bedingungen, können starke Unterschiede bestehen. Mecklenburg-Vorpommern verzeichnete im Jahre 2001 mehr als 25 Organspenden pro Million Einwohner, Nordrhein-Westfalen nur rund neun.
Wer eine neue Niere braucht, ist nun nicht unbedingt auf den Tod eines passenden Spenders angewiesen. Ein gesunder Mensch kann eine seiner beiden Nieren spenden; denn die verbliebene reicht aus. Die so genannte Lebendspende ist in Deutschland aber nur zwischen nahen Angehörigen erlaubt. Darunter fallen beispielsweise auch Verlobte.
Bei Blutsverwandten bestehen einige Chancen, dass Gewebemerkmale gut übereinstimmen. Bei eineiigen Zwillingen sind diese sogar identisch. Tatsächlich fand die erste langfristig erfolgreiche Verpflanzung einer Niere zwischen eineiigen Zwillingen schon 1954 in Boston statt. Ausgeführt hatte sie ebenfalls das Team um Murray. Inzwischen trägt die Lebendspende dieses Organs wesentlich zur Erfolgsbilanz bei. In Deutschland stieg ihr Anteil an allen Nierentransplantationen von weniger als drei Prozent noch Anfang der 1990er Jahre auf durchschnittlich rund 16 Prozent in den vergangenen drei Jahren. Die Niere eines lebenden Spenders bringt kurz- wie langfristig bessere Ergebnisse. Eine aktuelle US-amerikanische Analyse von fast 94000 Fällen ergab, dass nach einem Jahr 93,9 Prozent solcher Transplantate ihre Funktion erfüllten, aber nur 87,7 Prozent der aus Hirntoten. Die Halbwertszeit, nach der die Hälfte der eingepflanzten Nieren noch arbeiten, betrug bei den Lebendspenden 21,6 Jahre gegenüber nur 13,8 bei den anderen. Nach einer westeuropäischen Studie, bei der 27683 Nierentransplantationen in Deutschland ausgewertet wurden, lag nach fünf Jahren die Funktionsrate der Lebendspenden bei 80 und die der Leichenorgane bei 66 Prozent.
Allerdings bestehen immer noch gewisse Risiken für den Spender: wie bei jeder Operation, aber auch, weil seine verbliebene Niere später einmal versagen könnte. Die operationsbedingten Erkrankungen liegen hier bei 1 bis 1,3 Prozent; weniger als 0,03 Prozent der Spender sterben im Zusammenhang mit dem Eingriff, wenn sie ordnungsgemäß ausgewählt werden. Um die kurzfristigen Risiken weiter zu verringern und den Spender zu schonen, entnehmen Chirurgen die Niere neuerdings manchmal schon mittels so genannter minimal invasiver Techniken. Der Spender erleidet dadurch weniger Schmerzen und kann durchschnittlich schon nach 2,7 Tagen das Krankenhaus verlassen, bei offenem Eingriff erst nach 5,7 Tagen. Bei diesem Vergleich funktionierten nach einem Jahr von den endoskopisch entnommenen Nieren noch 97 Prozent, von den konventionell gewonnenen Lebendspenden 98 Prozent.
Alte Organe für Alte
Nicht jedes Organ – ob nun vor oder nach dem Tod bereitgestellt – taugt zur Transplantation. Insgesamt werden, salopp gesagt, die Spenderorgane immer älter. Transplantationsmediziner haben aber Vorbehalte, wenn der Spender älter als fünfzig Jahre ist. Tatsächlich sind die Nieren dann häufiger vorgeschädigt und weniger leistungsfähig. Nach der Verpflanzung kommt es – wie auch bei jüngeren Spendernieren, die länger als 24 Stunden gekühlt gelagert wurden – in etwa jedem zweiten Fall zu einer "Anurie": Der Harn beginnt nicht gleich zu fließen. Solche Transplantate arbeiten mittel- oder langfristig betrachtet in der Regel schlechter. Nieren von betagten Spendern oder von Personen, die unter Bluthochdruck oder Diabetes leiden, neigen überdies zur "Proteinurie": Im Urin tauchen dabei vorwiegend niedermolekulare Eiweißstoffe auf, die normaler-weise zurückgehalten werden. Außerdem wird funktionelles Gewebe häufiger durch Bindegewebe ersetzt. Fachleute sprechen von einer Fibrose.
Darum verwenden viele Transplantationszentren Organe von Risikospendern lieber nicht. Eurotransplant startete jedoch 1999 ein Seniorenprogramm, bei dem Patienten über 65 Jahren Nieren von Hirntoten derselben Altersgruppe bekommen sollen ("Old for Old"). Nach zehn solchen Operationen an der Universität Düsseldorf nahmen die Transplantate zwar häufiger als sonst ihre Funktion verspätet auf: Die Empfänger waren für durchschnittlich elf Tage auf eine Blutwäsche angewiesen und mussten auch länger als üblich im Krankenhaus bleiben. Aber in neun Fällen arbeitete die neue Niere schließlich zufrieden stellend.
Einige Kliniken bestimmen bei Nieren von hirntoten Spendern, die über sechzig Jahre alt sind, vor der Entnahme den Grad der Glomerulosklerose, der narbigen Umwandlung des funktionellen Gewebes. Als geeignet gilt eine Niere für ein Einzeltransplantat nur, wenn nicht mehr als 15 Prozent ihrer Nierenkörperchen betroffen sind. Sechs Monate nach der Transplantation funktionierten 95 Prozent der danach ausgewählten Organe trotz anfangs erhöhter Anurie-Rate gut. Allerdings enthält das Blut mancher dieser Empfänger mehr Kreatinin als im Falle eines optimalen Transplantats. Dieses Stoffwechselprodukt der Muskeln geht ins Blut über und muss über die Nieren ausgeschieden werden. Ein erhöhter Blutwert deutet auf eine eingeschränkte Filtrationswirkung hin. Möglicherweise hält ein solches Organ weniger lange durch als ein fittes.
Ein Missverhältnis zwischen der Menge an aktiven Einheiten der Nieren und dem tatsächlichen Blutreinigungsbedarf des Körpers schädigt die Nieren letzten Endes irreversibel. Das weiß man aus Tierexperimenten. Solche Folgen einer Überlastung sollten sich aber verhüten lassen, indem man die potenzielle Filtrationsleistung von vornherein erhöht, also einem Empfänger nicht nur eine der suboptimalen Nieren eines hirntoten Spenders einpflanzt, sondern beide zugleich. Die auf diese Weise erhöhte Gesamtzahl von aktiven Einheiten dürfte einen fortschreitenden Funktionsverlust durch Überlastung verhindern oder zumindest verzögern, wenn weniger als je zwanzig Prozent des Gewebes beider Nieren inaktiv sind. Das müsste natürlich mit ausreichender Verlässlichkeit durch Gewebeuntersuchungen vor der Transplantation sichergestellt werden.
Zwei Alte sind so gut wie eine Junge
Einwenden ließe sich allerdings, dass die Einpflanzung zweier Nieren das Operationsrisiko des Empfängers erhöht, da der Eingriff naturgemäß länger dauert. Auch das Risiko, dass sein Körper das Transplantat abstößt, ist möglicherweise erhöht, weil das Immunsystem mit mehr fremdem Gewebe konfrontiert ist als bei einer Einzelniere.
Die nachträgliche Auswertung klinischer Studien unter diesem Aspekt brachte jedoch beruhigende Ergebnisse: Der aufwendigere Eingriff erwies sich als ausreichend sicher, und die Nierenwerte waren nach sechs Monaten gleich gut wie bei den Empfängern eines einzelnen voll funktionstüchtigen Organs.
Eine neuere Studie, bei der mehrere Zentren ihre Transplantat-Empfänger überwachten, bestätigte den günstigen Eindruck. Sechs Monate nach dem Eingriff waren keine Nachteile in den Kategorien Operationskomplikationen, Nierenfunktion und Abstoßungsreaktionen festzustellen. Zu diesem Zeitpunkt glänzten die Empfänger suboptimaler Transplantat-Paare sogar mit einem niedrigeren Kreatinin-Spiegel und besseren Blutdruckwerten als die Patienten der Kontrollgruppe, die eine einzelne voll funktionstüchtige Niere erhalten hatten.
Wie weit mehr Masse mangelnde Klasse auch längerfristigwettmachen, ja ihr manchmal sogar überlegen sein kann, zeigte eine andere Untersuchung. Verglichen wurden dabei teils einzeln, teils gemeinsam überpflanzte Nieren von über 54 Jahre alten Spendern. Doppeltransplantate produzierten nicht nur schneller wieder Harn, sondern funktionierten sogar zwei Jahre nach dem Eingriff besser – und das, obwohl in dieser Patientengruppe die Gewebe von Spender und Empfänger insgesamt weniger gut zusammenpassten als bei der Gruppe mit Einzeltransplantat. Ähnliche Erfolge brachten neuerdings sogar Organe von Spendern mit einem sehr hohen Alter von bis zu 89 Jahren – sofern nicht mehr als die Hälfte der Funktionseinheiten in den Nieren geschädigt waren.
Aus all dem ist zu schließen, dass "schwache" Nieren, die normalerweise als Einzeltransplantat ungeeignet wären, bei Doppeltransplantation durchaus auch langfristig Zufriedenstellendes leisten können.
Nicht weniger Vorbehalte bestanden früher gegen ein altes Herz oder eine alte Leber. Viele Chirurgen lehnten solche Organe ab, wenn der hirntote Spender älter als sechzig Jahre war. Sie befürchteten, altersbedingte Gewebeveränderungen würden die Funktion des Transplantats nach dem Einpflanzen zu sehr beeinträchtigen.
Dieser Vorbehalt ist jedoch inzwischen kaum mehr gerechtfertigt. An vielen Transplantationszentren stellte sich heraus, dass zumindest Lebern von Spendern zwischen fünfzig und sechzig Jahren denen von jüngeren Altersgruppen durchaus ebenbürtig sind. Auch der Erfolg noch älterer Lebern kann sich sehen lassen. Stammten sie von 60 bis 74 Jahre alten Spendern, arbeiteten nach einem Jahr noch 65 Prozent – verglichen mit 71 Prozent bei allen ersttransplantierten Lebern in Westeuropa.
Bei sehr jungen Patienten hat man ein ganz anderes Problem. Schätzungsweise eines von 10000 Neugeborenen kommt mit einer so schweren Lebererkrankung zur Welt, dass recht bald eine Transplantation unumgänglich wird. Mehr als die Hälfte dieser kleinen Patienten steht schon mit weniger als zwei Jahren auf der Warteliste. Früher starb jedes zweite dieser Kinder, weil kein geeignetes Organ eintraf. Darum kam man auf die Idee, die Lebern erwachsener Spender zu verkleinern. Dies erwies sich als erfolgreich. Weil aber das nicht benötigte Gewebe verworfen wurde, verschob sich das Problem des Organmangels lediglich von den Kindern auf die Erwachsenen.
Ende der 1980er Jahre kamen jedoch zwei Techniken auf, die mehr Kinder mit Transplantaten zu versorgen erlaubten, ohne die Ressourcen der älteren Patienten anzugreifen. Zum einen entnahm man einem lebenden Spender, meist einem Elternteil, den linken, kleineren Leberlappen. Das löste freilich eine Debatte über das ethische Problem solch umfangreicher Leberverkleinerungen bei Gesunden aus. In Japan, wo die Transplantation von Lebern Hirntoter bis vor wenigen Jahren verboten und damit die Lebendspende die einzige Option war, starben immerhin zwei von tausend Spendern, und jeder zehnte erkrankte im Zusammenhang mit der Operation. Trotzdem wurde auch in anderen Ländern dieses Verfahren zur wesentlichen Grundlage von Lebertransplantationen bei Kindern.
In der Bundesrepublik haben Lebendspenden eines Segments mittlerweile einen Anteil von 12,5 Prozent. Die Überlebensrate der kleinen Patienten wie auch die Funktionsrate der verpflanzten Organe ist gleich oder sogar besser als bei der Verwendung von Lebern hirntoter Spender. In Deutschland wird sogar erwogen, auch erwachsene Patienten mit dem kleinen Leberlappen eines lebenden Verwandten statt mit einer kompletten "Leichenleber" zu versorgen.
Das andere Konzept, das Problem des Organmangels anzugehen, war die Verteilung der Leber eines Hirntoten auf zwei Empfänger: Den größeren rechten Lappen sollte ein Erwachsener, den kleineren linken ein Kind bekommen. Zunächst gab es technische Komplikationen, und zu viele Transplantate nahmen ihre Funktion nicht wieder auf. Mit einer veränderten Operationstechnik, bei der die Chirurgen das Organ noch im Körper des toten Spenders teilten, erzielten sie dann jedoch hervorragende Ergebnisse, wahrscheinlich weil die beiden Transplantate wesentlich kürzere Zeit nicht durchblutet wurden. Die Überlebensrate derart versorgter Kinder und auch die Funktionsrate der Transplantate sind etwa die gleichen wie bei der Verpflanzung ganzer oder in ihrer Größe reduzierter Organe. Ähnliches gilt für die erwachsenen Empfänger des jeweils rechten Leberlappens.
Aus eins mach zwei
Die Strategie, aus dem Spenderorgan eines Hirntoten zwei Transplantate zu machen, ist derzeit jedoch nur bedingt anwendbar, weil unter den potenziellen Empfängern viel weniger Kinder sind als ältere Patienten. Japanische Chirurgen untersuchen deshalb, ob es genügen könnte, auch Erwachsenen nur den kleineren Leberlappen einzupflanzen. Ein weiterer Vorschlag ist, für zwei erwachsene Empfänger das Spenderorgan nicht der Anatomie folgend, sondern in zwei möglichst gleich große Hälften zu teilen. Sollte sich diese Technik bewähren, würden sich die Leberspenden von Hirntoten quasi verdoppeln lassen.
Eine Diskrepanz zwischen Verfügbarkeit und Bedarf besteht auch bei Lungen. Allein, statt zusammen mit einem Herz, wird das Organ erst neuerdings relativ oft transplantiert. In Deutschland hat sich die – nach wie vor relativ ge-ringe – Zahl solcher Eingriffe im Laufe der vergangenen zehn Jahre immerhin von 62 auf 139 mehr als verdoppelt. Verbesserte Operationstechniken, vor allem beim Anschließen der Bronchien an die eigenen Atemwege des Empfängers, ermöglichen es nun, Patienten zu versorgen, für die zuvor allenfalls ein Kombinationstransplantat in Frage gekommen wäre.
Wegen des Organmangels setzt man, falls möglich, einem Patienten nur einen fremden Lungenflügel ein und den zweiten einem anderen Empfänger. Dies geschieht beispielsweise bei einer "primären pulmonalen Hypertonie". Der Austausch reduziert diesen gefährlich hohen Druck im Lungenkreislauf dann zwar deutlich. Aber weil 85 Prozent des Blutes über den neuen, guten Lungenflügel laufen, besteht das Risiko eines unter Umständen tödlichen Ödems, einer Wasseransammlung in der Lunge. Nach einer Transplantation beider Lungenflügel verteilt sich der Blutstrom gleichmäßiger. Obwohl der Eingriff komplizierter ist, sterben nur ein Zehntel, andernfalls ein Viertel der Empfänger dabei. Die Transplantate überstehen auch häufiger das erste Jahr: zu 77 Prozent gegenüber 66 Prozent.
Der Mangel an Organen hirntoter Spender hat Chirurgen auch veranlasst, Techniken zur Transplantation einzelner Lungenlappen von lebenden Spendern zu entwickeln. Die Mehrzahl der Empfänger sind jugendliche Patienten mit schwersten Lungenschäden durch Mukoviszidose, einer Erbkrankheit. Sie erhalten beidseitig Transplantate von zwei verschiedenen Spendern, meist engen Verwandten.
In den letzten Jahren hat sich die wissenschaftliche Diskussion wie auch die Vergabe von Forschungsmitteln stark auf neuartige Strategien des Organersatzes verlagert – wie die Xenotransplantation oder die Züchtung von Geweben und Organen außerhalb des Körpers. Diese Ansätze werden jedoch in den nächsten zehn Jahren noch nicht nennenswert zur Versorgung der Patienten beitragen können.
In der Zwischenzeit bedarf es vor allem einer intensiveren öffentlichen Information und Motivation zur Organspende. Schließlich dürfen auch die klinisch bereits bewährten Optionen keinesfalls vernachlässigt werden. Dank ihrer Weiterentwicklung gelang es, in den letzten Jahren die verfügbaren Organe schon wesentlich effizienter zu nutzen. Zweifellos lassen sich jedoch noch innovative methodische Konzepte entwickeln, die Selektionskriterien für Spenderorgane und Empfänger optimieren und die chirurgischen Techniken verbessern.
Literaturhinweise
Der Organspendeprozess: Ursachen des Organmangels und mögliche Lösungsansätze. Von Stefan M. Gold, Karl-Heinz Schulz und Uwe Koch, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln 2001.
Strategies for Making More Organs Available for Transplantation. Von B. Gridelli und G. Remuzzi in: New England Journal of Medicine, Bd. 343, S. 404, 2000.
In Kürze
Organe für Transplantationen sind knapp. Gesetzliche Maßnahmen können, müssen aber nicht den Prozentsatz an Organspenden erhöhen. Es gilt also, das vorhandene "Material" auch besser auszunutzen. Neuere Studien belegen: Zwei alte Spendernieren, gemeinsam transplantiert, können manchmal so viel leisten wie eine einzige optimale Niere. Bei richtiger Auswahl brauchen sie also nicht verworfen zu werden. Ein weiteres Beispiel: Der kleinere Lappen einer Spenderleber reicht für ein Kind, der größere für einen Erwachsenen. Teilen bringt hier mehr.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2002, Seite 46
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