Feldforschung: Die falschen Patienten
Die Psychiatrie ist eine Wissenschaft mit langer Vergangenheit, aber kurzer Geschichte. Nicht nur ihre Heilmethoden, sondern auch die Krankheitsbilder und Diagnosen waren lange Zeit oft untauglich. David Rosenhan, ein junger Psychologe von der Stanford University in Kalifornien, arbeitete Ende der 1960er Jahre als forensischer Gutachter. Bestürzt stellte er fest, wie willkürlich viele psychiatrische Diagnosen vergeben wurden – besonders wenn es darum ging, Verdächtige einer Straftat zu überführen und für schuldfähig zu befinden. Ob die Betreffenden als schizophren, psychopathisch oder depressiv eingestuft wurden, hing in seinen Augen weitgehend vom Gutdünken des jeweiligen Psychiaters ab, nicht von objektiv überprüfbaren Kriterien.
Um seinen Verdacht zu erhärten, entschloss sich Rosenhan zu einem Experiment. Sein Bericht erschien 1973 im renommierten Fachjournal »Science« unter dem Titel »On Being Sane in Insane Places« – zu Deutsch: »Gesund sein an kranken Orten«. Acht Probanden, drei Frauen und fünf Männer (darunter auch Rosenhan selbst), gaben bei einer medizinischen Untersuchung an, sie würden Stimmen hören. Daraufhin wurden sie stationär in eine psychiatrische Abteilung eingewiesen. Unter den Pseudopatienten waren ein Student, drei ausgebildete Psychologen, ein Kinderarzt, ein Maler und eine Hausfrau. Mit falschen Identitäten ausgestattet, gaben sie sonst wahrheitsgetreue Informationen über ihr Leben und eventuelle Vorerkrankungen, um sich nicht in Widersprüche zu verstricken. Einzige Ausnahme: die angeblichen akustischen Halluzination. Bei der ersten Untersuchung erzählten alle Personen die gleiche Geschichte. Seit einiger Zeit hörten sie regelmäßig eine Stimme, die einzelne Wörter wie »leer« oder »dumpf« sage – sonst nichts. Die Auswahl der Adjektive war nicht zufällig. Sie sollten nach einer »existenziellen Krise« klingen, was nach Stand der Forschung jedoch nicht für eine psychotische Störung sprach ...
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