Wie "grün" ist Biomasse?
Wie lassen sich Strom und Wärme erzeugen, ohne künftige Generationen durch bleibende Umweltschäden zu belasten? Auf welche Weise sollen beispielsweise Industrieländer ihren Energiehunger stillen, ohne dabei die Länder der Dritten Welt zu benachteiligen? Solche und andere Fragen verbergen sich im Leitbild nachhaltigen Wirtschaftens, das versucht, ökologische Forderungen, ökonomische Notwendigkeiten und soziale Gerechtigkeit in Einklang zu bringen.
Eine schwierige Aufgabe, denn die drei Bereiche schaffen oft genug konkurrierende und geradezu unvereinbare Ziele. Tatsächlich gelang es der Wissenschaft bislang nicht, Verfahren und Methoden zu entwickeln, um konkrete Nachhaltigkeitsziele zu entwerfen, die allen Aspekten ausreichend Rechnung tragen. Deshalb bietet sich ein eher pragmatisches Vorgehen an: Für einen konkreten Problemfall werden die drei Dimensionen separat bearbeitet und erst dann verknüpft. Dabei ist es sinnvoll, mit der Analyse und Bewertung ökologischer Aspekte zu beginnen, denn ohne den Erhalt der natürlichen Ressourcen ist weder ein langfristiges Wirtschaften noch der Bestand sozialer Systeme denkbar.
Dieses Vorgehen wollen wir an einem fiktiven Beispiel verdeutlichen. Eine Wohnsiedlung wird errichtet, und die Gemeinde erwägt, zur Wärmeversorgung ein Heizwerk mit einer thermischen Leistung von fünf Megawatt, davon rund drei auf Biomassebasis, zu bauen. Als Brennstoff dient Triticale, eine Kreuzung zwischen Weizen und Roggen. Das Energiegetreide wird in der näheren Umgebung des Heizwerks angebaut, geerntet, bei einem Wassergehalt von rund 15 Prozent zu Ballen verpresst, auf dem landwirtschaftlichen Betrieb zwischengelagert und dann zum Heizwerk transportiert. Auf den ersten Blick ein umweltbewusstes Ansinnen. Doch wie ökologisch ist es wirklich?
Zur Klärung ermitteln wir zunächst die Wirkungen, die Anbau, Transport und Verbrennung der Energiepflanzen haben. Dann ist zu prüfen, ob diese Effekte Ökosysteme übermäßig belasten. Dafür nur zwei Beispiele: Düngung trägt Nitrat in Boden und Grundwasser ein, überdies müsste auch die Produktion des Düngers selbst hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt werden. Neben solchen "stofflichen Freisetzungen" schlägt auch die Verdichtung des Ackerbodens durch Traktoren und Erntemaschinen zu Buche; letztlich macht sie eine weitere maschinelle Bearbeitung zur erneuten Lockerung erforderlich, dabei wird Treibstoff verbraucht, dessen Produktionszyklus ebenfalls betrachtet werden müsste.
Testmoleküle für Umweltverträglichkeit
Wir beschränken uns auf einen kleinen Teilaspekt, um das weitere Vorgehen zur Abschätzung ökologischer Nachhaltigkeitsaspekte zu verdeutlichen: die Emission von Ammoniak (NH3) und Stickstoffoxiden (NOx). Diese entstehen zu rund 65 Prozent beim Verbrennen von Triticale. Weitere 20 Prozent der Schadstoffe entstammen mineralischen Düngern, die restlichen 15 Prozent gelangen bei deren Produktion, dem Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen und infolge des Transports zum Heizwerk in die Luft.
Die Stickstoff-Verbindungen werden in der Atmosphäre – beispielsweise von Winden – bis 500 Meter hoch getragen, wo mittlere Windgeschwindigkeiten von fünf Metern pro Sekunde herrschen können. Dort halten sie beziehungsweise ihre Reaktionsprodukte sich rund drei Tage lang auf, dann hat sich der Großteil wieder am Boden abgelagert. Innerhalb dieser Zeitspanne können die Luftschadstoffe gut tausend Kilometer weit reisen.
Neben anderen Ökosystemen schaden Stickstoff-Verbindungen auch dem Wald, beispielsweise indem sie Nährstoffungleichgewichte hervorrufen und zur Versauerung der Waldböden beitragen. Allerdings treten derartige Schäden erst dann auf, wenn die Einträge in das Waldökosystem einen Schwellenwert von etwa 5 bis 15 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr überschreiten. Ob das im konkreten Fall geschehen kann, hängt davon ab, welche Stickstoffquellen außer dem Heizwerk auf das betrachtete Waldökosystem einwirken, da auch Haushalte, Industrie und Verkehr Luftschadstoffe freisetzen (im Allgemeinen schaden sie dem Wald deutlich mehr als die Biomasse-Nutzung). Um den Beitrag des Heizwerkes beurteilen zu können, wird den Emissionsquellen wie "Industrie" oder "Verkehr" ein bestimmter Anteil an der erlaubten Belastung des Waldes zugestanden. Da das Heizwerk Wärme für ein Wohngebiet liefert, zählt es zu dem Sektor "Haushalte"; sein Schadenskontingent richtet sich nach der gelieferten Nutzenergie. Liegt der Anteil an der tatsäch-lichen Belastung darüber, muss der Schadstoffausstoß des Biomasse-Heizwerks verringert werden. Liegt erdarunter, ist zumindest hinsichtlich der stickstoffhaltigen EmissionenNachhaltigkeit gegeben.
Rechnet man das Beispiel mit für deutsche Verhältnisse repräsentativen Zahlen durch, erweist sich die Wärmeversorgung mit Triticale aber nicht als umweltverträglich. Dies liegt unter anderem daran, dass stickstoffhaltige Emissionen in Deutschland die Waldökosysteme bereits übermäßig belasten. Triticale enthält überdies vergleichsweise viel Stickstoff, der bei der Verbrennung freigesetzt wird. Nachhaltiges Wirtschaften aus ökologischer Sicht erfordert deshalb zusätzliche Maßnahmen, beispielsweise die Vermeidung eines unnötigen Düngereinsatzes und vor allem die Abgasreinigung im Heizwerk etwa durch geeignete Katalysatoren.
Wir haben bewusst ein Beispiel gewählt, das Pro-bleme der energetischen Biomassenutzung aufzeigt. Es gibt durchaus noch weitere Aspekte, die aus ökologischer Sicht zu erörtern sind. Beim Energiepflanzenanbau entweichen auch Treibhausgase wie Lachgas (N2O) und Methan (CH4), beim Verbrennen von Biomasse entsteht – wie auch beim Verfeuern fossiler Energieträger – Schwefeldioxid (SO2). Die ökologischen Vor- und Nachteile variieren aber sehr stark je nach Energieträger, Art des Landbaus und jeweiligen Standort. So setzt Holz deutlich weniger SO2 frei als fossile Brennstoffe – und weniger NOx als Triticale.
In der Summe deuten bisherige Analysen darauf hin, dass die energetische Nutzung von Biomasse aus ökologischer Sicht im Vergleich zu fossilen Brennstoffen oft positiver zu beurteilen ist. Dann müssen die ökonomischen und sozialen Zielvorgaben betrachtet werden, um wirklich umfassende Aussagen zur Nachhaltigkeit zu treffen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2000, Seite 93
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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