Wie man aus einer Maus einen Elefanten macht
Die Maus ist das Labortier schlechthin, unentbehrlich für die biomedizinische Forschung – und künftig vielleicht auch für den Erhalt der genetischen Vielfalt gefährdeter Säugerarten.
Wildbiologen, die im Naturschutz tätig sind, sehen sich immer wieder einmal gezwungen, ein tödlich verletztes oder erkranktes Exemplar einer bedrohten Art abzuschießen. Noch schmerzlicher ist es, wenn gesunde Tiere getötet werden müssen, weil ihre Population für den begrenzten Lebensraum zu groß geworden ist. Aus diesem Grund wurden beispielsweise kürzlich im Krüger-Nationalpark und in anderen Gegenden Afrikas ganze Herden überwiegend weiblicher Elefanten abgeschossen.
Um trotzdem die genetische Vielfalt gefährdeter Arten zu erhalten, besteht schon länger die Idee, eine Kryo-bank einzurichten, in der man die Ei- und Samenzellen von getöteten Tieren bei -196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff aufbewahrt. Ihr Erbgut soll analysiert und bei Bedarf wieder in die Population eingeführt werden.
So naheliegend die Idee ist, stößt ihre praktische Umsetzung jedoch auf Schwierigkeiten. Zwar läßt sich bei toten Männchen manchmal beispielsweise aus den Samenleitern noch Sperma isolieren und kryokonservieren. Für Eizellen weiblicher Tiere hat sich diese Maßnahme jedoch als derart schwierig und zeitraubend erwiesen, daß sie im Freiland nicht praktika-bel ist.
Einen grotesk anmutenden Ausweg hat nun eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern erprobt, darunter John K. Critser, Direktor des Kryobiologischen Forschungsinstituts der Universität von Indiana in Indianapolis. Das Team verpflanzte komplettes kryokonserviertes Eierstockgewebe von drei im Krüger-Nationalpark abgeschossenen Elefantenweibchen in sechs Mäuse – in der Hoffnung, daß sich auch im Nagetierkörper Dickhäuter-Eizellen entwickeln (Animal Reproduction Science, Bd. 53, S. 265-275, 1998). Im Prinzip könnte man zwar direkt aus dem aufgetauten Gewebe Eizellen isolieren, im Reagenzglas nachreifen lassen und besamen. Die nötigen Kulturbedingungen sind allerdings für gefährdete Arten schlecht erforscht.
Die Mäuseweibchen gehörten einem immunschwachen Stamm an, der fremdes Gewebe praktisch nicht abstößt. Nach Entfernen ihrer Eierstöcke wurde ihnen ein nur ein Millimeter großes Blöckchen des aufgetauten Elefantengewebes eingesetzt. Es vermochte sie soweit mit Geschlechtshormonen zu versorgen, daß sie auch weiterhin einen regelmäßigen Brunftzyklus zeigten. Nach zwei Monaten hatten sich in dem artfremden Eierstockgewebe sogenannte Bläschenfollikel entwickelt; in einem Fall war sogar eine Eizelle (Oocyte) entstanden, die allerdings nur mäßige Qualität besaß.
Zugegebenermaßen stehen diese Untersuchungen noch ganz am Anfang. Außerdem muß ein Embryo, der sich mit etwas Glück nach einer Reagenzglas-Befruchtung entwickelt, von einer hormonell vorbehandelten "Leihmutter" ausgetragen werden – und eine Elefantenkuh ist nicht gerade handlich. Die Grundidee jedoch, Eierstockgewebe gefährdeter Arten in einer Kryobank zu deponieren, ließe sich nach bisherigen Erkenntnissen sofort in die Tat umsetzen. Critser zufolge sollte sich das erarbeitete Verfahren zur Kryokonservierung auf alle Säugerarten außer den eierlegenden anwenden lassen.
Daß immunschwache Mäusestämme auch fremde Spermazellen produzieren können, hat ein Team um Ralph Brinster an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia schon vor drei Jahren bewiesen (Nature, Bd. 381, S. 418-421). Die Forscher implantierten frisch gewonnene Vorläuferzellen für Rattenspermien in die Hoden der Mäuse. Nun verkündete Nikolas Sofikitis von der Tottori-Universität in Jonago (Japan), ihm sei dasselbe mit Sperma-Vorläuferzellen unfruchtbarer Männer gelungen. Dazu bedurfte es allerdings eines besonderen Tricks. Um den letzten Rest von Abwehrreaktionen bei den Empfängertieren – Ratten und Mäusen – auszumerzen, injizierte Sofikitis zusätzlich spezielle Zellen aus der im Auge der Nager enthaltenen Flüssigkeit. Sie geben ein Signalprotein ab, den sogenannten Fas-Liganden, der Immunzellen Selbstmord begehen läßt.
Sofikitis beabsichtigt, mit seinem Verfahren unfruchtbaren Männern zu Nachwuchs zu verhelfen, indem er Eizellen der Partnerin im Reagenzglas mit den in den Nagern produzierten Spermien befruchtet. Andere Wissenschaftler halten das allerdings für voreilig, solange nicht bestehende Sicherheitsbedenken ausgeräumt sind. Unproblematisch scheint dagegen ei-ne andere Anwendung: Tiere, die menschliche Samenzellen produzieren, könnten die Entwicklung einer "Pille für den Mann" beschleunigen helfen, welche die Reifung von Spermien unterbinden soll.
Falls das Verfahren außer mit frischen auch mit kryokonservierten Samen-Vorläuferzellen funktioniert, bietet es eine weitere Möglichkeit zum Erhalt der genetischen Vielfalt gefährdeter Säugerarten in Zuchtprogrammen. Dennoch wirken derartige Bemühungen alles in allem eher wie ein Akt der Verzweiflung – zum Überleben einer Tierart gehört schließlich mehr als nur die Produktion von Nachkommen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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