Wie nahe ist ein HIV-Impfstoff?
Eine Immunisierung, die lediglich die Bildung von Antikörpern anregt, dürfte vor dem AIDS-Erreger nicht ausreichend schützen. Eine volle Aktivierung des Abwehrsystems ist aber alles andere als einfach.
Kein Virus ist besser erforscht als das AIDS auslösende Human-Immunschwächevirus HIV. Gleichwohl bleibt die Entwicklung eines vor ihm schützenden Impfstoffs eine große Herausforderung. Zum Teil liegt dies daran, daß die natürliche Immunantwort den Erreger nicht ausmerzt, wie es sonst bei den meisten akuten viralen Infektionen geschieht. Welche Art von Abwehraktivitäten ein wirklich wirksamer Impfstoff im einzelnen auslösen müßte, läßt sich deshalb schwer bestimmen.
Äußerste Vorsicht ist mit den sonst üblichen Präparationen geboten, also mit abgetöteten oder lebenden, aber abgeschwächten Viruspartikeln. Wären irgendwelche doch noch pathogen (krankmachend), so hätten sie verheerende Folgen. Man muß deshalb nach anderen Wegen suchen, Menschen gegen HIV zu immunisieren.
Impfstoffe sensibilisieren das Immunsystem gezielt gegen einen Erreger; bei einem späteren Kontakt wird er sofort erkannt und bekämpft. Im Falle von HIV sollten sie das Abwehrsystem in die Lage versetzen, beispielsweise ins Blut gelangte Viruspartikel zu eliminieren und jegliche befallene Zelle schnellstens zu vernichten. Die meisten Vakzine aktivieren den sogenannten humoralen Arm des Immunsystems (nach lateinisch humor, Flüssigkeit); sie regen zur Bildung von schützenden Antikörpern an, die im Blut und in der Lymphe zirkulieren. Diese Moleküle heften sich an bestimmte als fremd erkannte Erregerstrukturen, also an Antigene. Dadurch können sie beispielsweise freie Viruspartikel im Blut besetzen und als zu zerstörendes Objekt markieren.
Bei den als fremd erkannten Strukturen handelt es sich oft um Oberflächenproteine. Ob nun als Bestandteil eines eindringenden Virus oder eines Impfstoffs – körperfremde Antigene aktivieren zwei Sorten weißer Blutkörperchen: zum einen sogenannte B-Lymphocyten, die sich dann vermehren, ausreifen und Antikörper produzieren, zum anderen T-Lymphocyten mit spezifischer Helferfunktion (Bild 1, obere Sequenz). Diese Helferzellen veranlassen einige der B-Zellen, die Produktion stark zu steigern, andere hingegen, sich zu B-Gedächtniszellen umzuwandeln. Dieser langlebige Zelltypus schüttet nicht sofort Antikörpermoleküle aus, sondern erst nach einem späteren Kontakt mit dem gleichen Antigen, aber dann um so stärker. (All diese Vorgänge verlaufen sehr gezielt, nur die wenigen Abwehrzellen, die aufgrund eines zufällig passenden Rezeptors ein ganz bestimmtes Antigen erkennen, werden überhaupt aktiviert und zur Vermehrung angeregt). Nach einer erfolgreichen Impfung beispielsweise werden Antikörper gegen die eingesetzten Antigene langfristig in geringer Menge weiterproduziert. Mit ihnen und den Gedächtniszellen in der Hinterhand vermag der Organismus bei einer Konfrontation mit dem pathogenen Virus in kürzester Zeit eine starke Abwehr zu mobilisieren. Man spricht von humoraler oder antikörpervermittelter Immunität.
Bislang wurde noch keiner der üblichen Impfstoffe eigens so konzipiert, daß er den anderen Arm des Immunsystems stimuliert und eine sogenannte zelluläre oder zellvermittelte Immunität erzeugt. Gerade daran arbeiten aber viele Forscher im Falle des AIDS-Erregers; denn die HIV-Antikörper, die von bisher getesteten Impfstoffen induziert werden, neutralisieren in erster Linie schon länger im Labor gehaltene Stämme des Erregers, verleihen aber keine Immunität gegen die verbreiteten, frisch aus Patienten isolierten Primärstämme.
Zuständig für eine zellvermittelte Immunität ist eine weitere Sorte aktivierbarer weißer Blutkörperchen: die cytotoxischen T-Lymphocyten. Sie spüren virusinfizierte Zellen im Blutstrom und im Gewebe auf und eliminieren sie. Einige dieser T-Killerzellen werden ebenfalls zu Gedächtniszellen, die bei erneutem Auftreten des Erregers sofort in Aktion treten. Anders als Antikörpermoleküle erkennen sie nicht ihn direkt, sondern die von ihm befallenen Körperzellen. Wie schon bei den B-Zellen spielen auch bei ihrer Aktivierung Signale der Helferzellen eine bedeutende Rolle (Bild 1, untere Sequenz). Auf lange Sicht ist wohl die beste Wirkung von HIV-Vakzinen zu erwarten, die gleichzeitig den humoralen und den zellulären Arm des Immunsystems anregen, also die Bildung von Antikörpern auslösen und cytotoxische T-Zellen aktivieren.
Zur gezielten Entwicklung eines HIV-Impfstoffs, der beides optimal vermag, mangelt es noch an ausreichenden Kenntnissen über grundlegende Arbeitsweisen des Immunsystems. Solange die Wissenschaftler nicht gelernt haben, wie sich der Körper spezifisch zur Produktion und zum Erhalt von Gedächtniszellen und T-Killerzellen anregen läßt, bleiben sie bis zu einem gewissen Grad auf Versuch und Irrtum angewiesen, stets in der Hoffnung, auf einen wirksamen Ansatz zu stoßen (siehe nebenstehende Tabelle).
Im Kampf gegen Virus-Erkrankungen wie Kinderlähmung, Masern oder Grippe haben sich Vakzine bewährt, die humorale Immunität verleihen. Der gleiche Ansatz wird mit verschiedenen experimentellen Impfstoffen gegen den AIDS-Erreger verfolgt. Am ausgiebigsten getestet sind gegenwärtig solche, die einen Bestandteil des viralen Hüllproteins enthalten. Dem Erreger dient das Molekül, mit dem seine gesamte Oberfläche bestückt ist, als eine Art Schlüssel für den Eintritt in menschliche Zellen. Wenn Antikörper gewissermaßen den Bart des Schlüssels besetzen, sollte das Virus nicht mehr an seine Zielzellen andocken und sie befallen können.
Das Hüllprotein, ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von rund 160000 (abgekürzt gp160), setzt sich genaugenommen aus zwei Einheiten zusammen: gp120 und gp41. Die größere und äußere der beiden, mit vielen Zuckerseitenketten bestückt, dockt an bestimmte Rezeptormoleküle auf der Oberfläche von T-Lymphocyten an. Die kleinere, innere Einheit hingegen verankert die größere in der Virusmembran.
Antikörper in Aktion
Sowohl gp120 als auch das vollständige Hüllprotein hat man schon vor einiger Zeit als mögliche Impfstoffe an menschlichen Freiwilligen getestet. Tatsächlich induzierten sie Antikörper, was die Hoffnung erweckte, man hätte die Basis für eine wirksame HIV-Vakzine gefunden. Zudem konnten die Abwehrmoleküle Viruspartikel im Reagenzglas wirkungsvoll neutralisieren; eine Infektion kultivierter menschlicher Lymphocyten wurde unterbunden. Leider funktionierte dies nur, wenn die im Zellkulturtest verwendeten HIV-Stämme den Laborstämmen glichen, deren Moleküle Basis des Impfstoffs gewesen waren; gegen direkt aus infizierten Personen isolierte Stämme – Primärstämme also – erwiesen sich die Antikörper als praktisch wirkungslos (Bild 2).
Warum versagten sie? Das Hüllprotein der an Laborbedingungen angepaßten Viren ist offenbar etwas weniger kompakt gefaltet. Denkbar wäre deshalb, daß die erzeugten Antikörper sich gegen Stellen des Moleküls richten, die ihnen an Viren aus Patienten normalerweise nicht zugänglich sind – vermutlich weil die engere Faltung sie verbirgt.
Neue in Entwicklung befindliche Impfstoffe basieren deshalb auf Hüllproteinen verschiedener Primärisolate. Man hofft, daß die Präparationen das Molekül dann in der gleichen Konformation wie in HIV-infizierten Patienten enthalten. Unter Umständen funktioniert aber auch dieser Ansatz nicht. Möglicherweise sind die Hüllproteine aus solchen Isolaten zu kompakt und weitgehend auch noch durch einen regelrechten Schleier von Zuckerseitenketten verdeckt. Selbst wenn viele verschiedene noch unstimulierte B-Zellen existierten, die jeweils andere Teilstrukturen des Impfstoff-Moleküls als fremd erkennen könnten, kämen vielleicht nur relativ wenige mit "ihrem" jeweiligen Antigen wirklich in Kontakt, so daß letztlich auch nur eine relativ kleine Auswahl von Antikörpern entstünde (eine B-Zelle vermag nur jeweils einen bestimmten Antikörper zu produzieren). Ein solches Ergebnis wäre ganz im Einklang mit dem Befund, daß HIV-infizierte Personen im allgemeinen nur ein begrenztes Repertoire an Antikörpern produzieren, die spezifisch mit der Oberfläche des Erregers reagieren.
Beim Andockmanöver an eine Zelle verändert das Hüllprotein ein wenig seine Gestalt. Ein Impfstoff, der ein Abbild von gp120 im Moment der Anheftung wäre, würde wohl am ehesten Antikörpermoleküle induzieren, die HIV am Befall von Zellen hindern könnten.
Eine gewisse Hoffnung, von der man sich bei der Konzipierung eines effektiven Impfstoffs leiten lassen kann, bieten vielleicht sogenannte Langzeitüberlebende. Ihr Organismus hält das Virus im Schach, so daß sie nun schon seit vielen Jahren immer noch bei guter Gesundheit sind. Einige von ihnen erzeugen – allerdings in ganz geringen Mengen – Antikörper, die im Zellkulturtest Primärstämme von HIV zu neutralisieren vermochten, sogar die von vielen verschiedenen Patienten. Die Induktion solcher Moleküle wäre eine Voraussetzung für einen breit wirksamen AIDS-Impfstoff. Leider sind selbst diese Antikörper wohl nicht die wahre Lösung: Sie müßten dem Zellkulturtest zufolge in unerwartet hohen Konzentrationen im Organismus vorhanden sein, um HIV effektiv am Entern von Zellen zu hindern.
Reine Proteinpräparationen sind möglicherweise ohnehin nicht der beste Weg, die Bildung von Antikörpern anzuregen: Isoliertes gp120 nimmt anscheinend keine exakt definierte Konformation ein, und gp160 verklumpt zu unwirksamen Aggregaten. Man verfolgt derzeit zwei Ansätze, das Hüllprotein in einer naturgetreueren Form zu präsentieren. Komplette, aber abgetötete Viruspartikel, unfähig zur Vermehrung, sind der eine. Würde ihr Protein trotz der nötigen harten Prozeduren dem natürlichen Vorbild näher kommen, wäre das Angriffsziel besser definiert. Die davon am stärksten stimulierten B-Lymphocyten dürften einen besser neutralisierenden Antikörper produzieren – und auch größere Mengen.
Ein Tot-Impfstoff bedarf allerdings einer strengen Inaktivierungsprozedur; jegliche überlebenden Viren oder auch nur intakte Stränge ihrer Erbsubstanz wären eine Gefahr. Eine harte Prozedur macht die Präparation jedoch weniger wirksam, da sich dabei das nicht besonders fest gebundene gp120 von der Virenhülle ablösen kann. Viele Forscher haben deshalb diesen Ansatz aufgegeben, obwohl das Problem der Stabilität von gp120 durchaus lösbar sein mag.
Die Hüllproteine lassen sich dem Immunsystem auch mit Pseudovirionen als Trägern darbieten (siehe Tabelle auf Seite 39). Diese künstlichen Gebilde gleichen Viruspartikeln, bestehen aber aus leeren Lipidhüllen; sie lassen sich mit geeigneten Proteinen, etwa gp160-Molekülen, bestücken. Ohne irgendwelches genetisches Material, das eine Zelle infizieren könnte, sind sie gesundheitlich unbedenklicher als inaktivierte Viren, leider aber nur sehr schwer in einer stabilen Form herstellbar. Forscher hoffen jedoch, in Kürze haltbarere Versionen testreif für klinische Versuche der Phase I zu haben. In diesem ersten Schritt wird an Menschen geprüft, ob nicht irgendwelche schädlichen Wirkungen auftreten.
Rekrutierung von Killerzellen
Oberflächenproteine oder auch komplette Viruspartikel können zwar den humoralen Arm des Immunsystems stimulieren, aber nur schlecht den zellulären. Zur Erzeugung aktivierter T-Killerzellen sind deshalb andere Impfstrategien erforderlich. Diese Lymphocyten erkennen eine infizierte Zelle an kurzen Bruchstücken fremden Proteins, die außen auf der Zellmembran erscheinen. HIV-infizierte Immunzellen stellen ja neben ihren eigenen Proteinen auch virale her – neben solchen für Vermehrung und Zusammenbau der Partikel auch die für die Hülle. Von frisch produzierten Eiweißstoffen werden immer wieder einige enzymatisch in kurze Teilstücke zerlegt; spezielle zangenartige Moleküle befördern diese Peptide zur Zellmembran und präsentieren sie dann auf der Außenseite.
Zur Stimulation einer zellulären Immunantwort muß ein HIV-Impfstoff ausgewählte Zellen dazu bringen können, ein oder mehrere Virusproteine zu synthetisieren und dann Teilstücke davon auf ihrer Außenseite zu präsentieren. So würde eine Immunreaktion gegen alle Zellen aufgebaut, die solche viralen Peptide präsentieren, auch später gegen tatsächlich infizierte.
Nach diesem Prinzip funktioniert, wie sich herausgestellt hat, der von der Schluckimpfung bekannte Lebend-Impfstoff gegen Kinderlähmung. Die verwendeten Poliovirusstämme waren im Labor durch mehrere genetische Mutationen so weit abgeschwächt worden, daß sie normalerweise die Krankheit nicht mehr hervorrufen konnten. Bei HIV ließ sich jedoch bislang keine Mutation finden, die den Erreger in einen völlig sicheren Impfstoff verwandelt hätte.
Andere Methoden, Zellen zur Produktion und Präsentation von HIV-Proteinen zu zwingen, sind aber bereits in Entwicklung. Eine ist die Konstruktion eines Lebendvektor-Vakzins. Hierfür nutzt man ein ungefährliches anderes Virus als Vehikel – als Vektor – für bestimmte ihm künstlich eingebaute HIV-Gene. Wenn dieses Körperzellen befällt, werden die entsprechenden HIV-Proteine hergestellt, enzymatisch zerlegt zur Zellmembran transportiert und patroullierenden cytotoxischen T-Lymphocyten präsentiert. Jene T-Killerzellen, die auf den antigenen Stimulus ansprechen, sollten sich vermehren und eine Art Eingreiftruppe für später abstellen, die jede eventuell von HIV infizierte Zelle zerstört.
Am weitesten fortgeschritten ist die Erprobung eines Lebendvektor-Impfstoffs, der auf dem für Menschen nichtpathogenen Kanarienpockenvirus basiert (Bild 3). Wie das eigentliche Pockenvirus dringt auch es in menschliche Zellen ein; neue virale Partikel entstehen aber nicht. Man hat diesem Trägervirus verschiedene HIV-Gene eingebaut: für das komplette Hüllprotein, für gp120 allein sowie für einige innere Eiweißstoffe wie das Kernprotein Gag und die Protease (ein Enzym). Die auf dieser Basis konstruierten Vakzine haben sich bei Tests an Menschen bislang als gesundheitlich sicher erwiesen, allerdings nur eine mäßig starke zelluläre Immunantwort ausgelöst. Um eine heftigere Reaktion zu erhalten, versuchen Forscher neuerdings Viren zu konstruieren, die im Zellinneren entweder größere Mengen oder eine breitere Auswahl an HIV-Proteinen entstehen lassen. Mit mehreren Impfungen hintereinander wäre dann vielleicht eine große Anzahl aktivierter cytotoxischer T-Zellen im Körper zu erzeugen und über längere Zeit ein immunologisches Gedächtnis zu erhalten.
Ein weiterer verfolgter Ansatz sind Peptid-Impfstoffe aus jenen Bruchstücken viraler Proteine, die als Antigen cytotoxische T-Lymphocyten aktivieren. Allerdings bringen Peptide allein keine starke zelluläre oder antikörpervermittelte Immunantwort im Menschen zustande. Möglicherweise werden sie schon vor Erreichen ihrer Zielzellen abgebaut, vielleicht aber auch einfach nur unzureichend von diesen präsentiert. Abhilfe bringt eventuell die Entwicklung besserer Adjuvantien: Zusatzstoffe, welche die Immunreaktion gegen den eigentlichen Impfstoff verstärken.
Ein verhältnismäßig neuer Ansatz zur Immunisierung ist die Injektion von "nackter" DNA für HIV-Proteine – also ohne eine künstliche Schutzhülle aus speziellen Eiweiß- oder Fettstoffen (siehe "Gentherapie: nicht-virale Strategien", Spektrum der Wissenschaft, November 1997, Seite 50). Früher glaubte man, freies genetisches Material würde zu schnell abgebaut und könne deshalb keinen effektiven Impfstoff abgeben. In Wirklichkeit jedoch gelangt es bis in die Zellen und kann dort auch die Produktion der auf ihm codierten Proteine einleiten. In mehreren Studien an Mäusen sowie Affen hat man mit solchen DNA-Vakzinen cytotoxische T-Lymphocyten aktivieren können, die HIV-Proteine erkennen. In einigen, aber nicht in allen Experimenten waren die Tiere anschließend vor einer Infektion mit dem eigentlichen Virus gefeit. In weiteren Studien an Tier und Mensch wird dieser Ansatz derzeit auf seine Sicherheit und Wirksamkeit geprüft.
Die derzeit besten und am weitesten gediehenen Immunisierungsstrategien verbinden Elemente, die nacheinander die beiden Arme des Immunsystems stimulieren (unterer Teil der Tabelle auf Seite 39). Beispielsweise könnte eine Person zunächst mit einem Kanarienpockenvirus geimpft werden, das ein Gen für das HIV-Hüllprotein enthält, um zelluläre Immunität zu erzielen. Einige Monate später bekäme sie dann – als verstärkende Zweitimpfung – reines gp120 injiziert, das die Produktion von Antikörpern und somit die humorale Antwort induziert. Wie erste Versuche an Menschen ergeben haben, entwickelt sich tatsächlich eine gewisse zelluläre und humorale Immunität; die gebildeten Antikörper richteten sich allerdings wieder nur gegen laboradaptierte HIV-Stämme, und die Antwort der cytotoxischen T-Zellen fiel auch nicht sonderlich stark aus. Die nächste Generation dieser Kombination wird als Startimpfung modifizierte Kanarienpockenviren mit einer größeren Anzahl an HIV-Genen aufweisen, so daß mehr virales Protein entsteht, und als Zweitimpfung dann unter Umständen gp120 aus Primärstämmen. Solche Impfstoffe werden zur Zeit hergestellt und stehen wahrscheinlich demnächst für Tests am Menschen zur Verfügung.
Viele Forscher sind auch weiterhin dabei, einen abgeschwächten Lebend-Impfstoff zu entwickeln. Da er am ehesten dem infektiösen Erreger entspricht, sollte er theoretisch sowohl eine zell- als auch eine antikörpervermittelte Immunität induzieren können – und vielleicht sogar noch unbekannte Schutzmechanismen. Durch systematisches Entfernen von Genen, die für die Vermehrung von HIV entscheidend sind, hofft man eine Erregervariante zu entwickeln, die eine starke Immunantwort hervorruft, aber kein AIDS auslöst.
Kürzlich hat sich eine Gruppe von Medizinern freiwillig für den ersten klinischen Versuch mit einem solchen Impfstoff zur Verfügung gestellt. Dies würde es den Forschern ermöglichen, die Immunreaktion der Probanden zu verfolgen und die Langzeitsicherheit dieses Impfstoffes zu studieren. Diese Freiwilligen schätzen den Wert des Ansatzes höher ein als ihr mögliches gesundheitliches Risiko. Ihr Vorhaben ist in der Fachwelt jedoch sehr umstritten. So sind wir und viele andere Forscher der Meinung, daß abgeschwächte HI-Viren vor einem Einsatz beim Menschen zunächst umfassender an anderen Primaten untersucht werden sollten.
Getestet hat man an Makaken und anderen Affen bereits Lebend-Impfstoffe auf der Basis abgeschwächter Affen-Immunschwäche-Viren (kurz SIV, englisch simian immunodeficiency virus). Infiziert man Tieraffen mit pathogenen Stämmen dieses engen Verwandten von HIV, so entwickelt sich bei ihnen in der Folge ein AIDS-artiges Krankheitsbild. An diesem Tiermodell lassen sich abgeschwächte Lebend-Vakzine auf ihre Sicherheit testen und darauf, ob sie Schutz vor einer anschließenden gezielten Infektion mit pathogenen Stämmen von SIV verleihen.
Mehrere der experimentellen Impfstoffe konnten die Vermehrung eines Wildtyp-Virus bemerkenswert gut unterdrücken – wie, ist allerdings unklar. Wirksam geschützte Makaken wiesen nicht zwangsläufig einen hohen Gehalt an neutralisierenden Antikörpern oder aktivierten cytotoxischen T-Zellen in ihrem Blut auf (Bild 4). Der günstige Effekt kommt möglicherweise durch irgendeine Kombination von humoraler, Helfer- und Killerzellaktivität zustande oder durch andere Aspekte der Immunität. Was es im einzelnen ist, müssen erst weitere Forschungen zeigen. Mehr noch: Während anfängliche Studien auf hohe gesundheitliche Sicherheit der abgeschwächten Lebend-Vakzine hindeuteten, beginnen damit geimpfte Tiere bei nun längerer Beobachtung in zunehmender Zahl AIDS-artige Symptome zu entwickeln, selbst wenn man sie nie pathogenen SIV-Stämmen ausgesetzt hat. Prüfungen an einer größeren Zahl von Tieren wurden nun eingeleitet. Doch aus den bisherigen Resultaten ist bereits zu schließen, daß abgeschwächte Lebend-Impfstoffe gegen SIV wohl keine umfassende, langanhaltende Immunität vermitteln und unter Umständen sogar die Krankheit selbst auslösen. Forscher sollten deshalb äußerst vorsichtig vorgehen, ehe sie HIV-Vakzine dieses Typs am Menschen testen.
Was kann man von all den geschilderten Ansätzen überhaupt erwarten? Wenn schon das Abwehrsystem eines infizierten Menschen den AIDS-Erreger nicht auszurotten vermag, wieso sollte dann ein Impfstoff, der doch in gesunden Personen die gleichen Immunreaktionen auslöst, gegen eine echte Infektion schützen? Nun, er könnte dem Körper zu einem immunologischen "Warmstart" verhelfen – das Abwehrsystem ist dann bereits gegen HIV sensibilisiert und vermag im Ernstfall postwendend anzuspringen, statt die Verteidigung zeitaufwendig erst einmal in Gang zu bringen. Durch diesen Vorsprung könnte der Organismus vielleicht den Erreger eindämmen, was ihm sonst nicht gelänge.
Allerdings hat bislang keiner der zur Prävention gedachten Impfstoffe die klinische Prüfung der Phase III erreicht, das heißt, kein einziger ist an einer großen Anzahl Personen auf Wirksamkeit getestet. Deshalb gibt es auch noch keinen Beweis, daß eine Impfung gegen HIV überhaupt möglich ist. Hinzu kommt die große genetische Variabilität von HIV, die wohl den Nutzen aller in Entwicklung befindlichen Impfstoffe begrenzt. Denn die in verschiedenen Teilen der Welt isolierten HIV-Stämme unterscheiden sich deutlich in der Struktur ihres Hüllproteins, etwas weniger auch in der anderer Eiweißstoffe. Ob diese oder weitere, noch unerkannte Unterschiede die Entwicklung eines Impfstoffs entscheidend behindern werden bleibt abzuwarten.
Hoffnung gibt jedoch die neuere Erkenntnis, daß eine etablierte HIV-Infektion möglicherweise nie bis zum Endstadium AIDS fortschreitet, wenn es gelingt, die Viruskonzentrationen im Blut minimal zu halten. Somit könnte selbst ein nur teilweise wirksamer Impfstoff bei einer späteren Infektion von Wert sein, wenn er die Menge neu entstehender Viren begrenzt; vielleicht wären dann die Betroffenen weniger ansteckend für andere und ihre Symptome milder.
Allerdings wird in den nächsten fünf Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach noch kein im großen Maßstab einsetzbarer Impfstoff verfügbar sein. Auch wenn ein Vakzin die zelluläre Immunantwort und die Produktion von Breitband-Antikörpern zu stimulieren scheint, muß es doch erst in ausgedehnten klinischen Studien seinen Wert erweisen. Allein dies wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Deshalb werden Forscher jeden denkbaren Ansatz weiterverfolgen, der zur immunologischen Bekämpfung von HIV hilfreich sein könnte.
Literaturhinweise
HIV Vaccines ... Where Are we Going? Von C. A. Heilman und D. Baltimore in: Nature Medicine, Band 4, Heft 5, Seiten 532 bis 534, Mai 1998.
Hindernisse und Fortschritte in der Entwicklung eines Impfstoffs gegen AIDS. Von Reinhard Kurth und Stephen Norley in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier 3/97, Seiten 91 bis 94.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1998, Seite 36
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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