Wie Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter einschlug
Das aufregendste astronomische Schauspiel des Jahrhunderts, die Salve von Einschlägen der Trümmer des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf dem größten Planeten des Sonnensystems, lieferte außer spektakulären Bildern auch solche Mengen an wissenschaftlichen Daten, daß die Auswertung nach einem Jahr noch lange nicht abgeschlossen ist.
Wie an vielen Abenden befanden wir uns auch am 22. Mai 1993 in unserer engen Klause unter der Kuppel des kleinen Schmidt-Teleskops am Mount-Palomar-Observatori-um in Kalifornien, eingezwängt zwischen Papieren, Büchern und einem Laptop-Computer. Carolyn kauerte über ihrem Stereomikroskop, mit dem sie nun schon seit mehr als zehn Jahren Himmelsaufnahmen nach Asteroiden und Kometen durchsucht – seit sie ihren Mann Eugene bei der Fahndung nach den kleinen Wanderern am Firmament unterstützt.
Eugene Shoemaker hat einen Großteil seiner Karriere der Untersuchung solcher Objekte gewidmet. Schon in den fünfziger Jahren wies er nach, daß der Einschlag eines kleinen Asteroiden in Nordamerika die gewaltige Pockennarbe in der Wüste östlich von Flagstaff (Arizona) erzeugt hat. Später untersuchte er Krater auf dem Erdmond und den Trabanten der äußeren Planeten sowie die Überreste alter Einschläge im australischen Busch. Neuerdings beteiligt sich das Ehepaar auch an der systematischen Suche nach Asteroiden, die vielleicht die Erde treffen könnten.
Der dritte im Bunde, David H. Levy, überprüfte an jenem Abend als erstes die elektronische Post auf seinem Computer, um zu sehen, ob irgendwelche neu entdeckten Kometen oder Asteroiden in die Beobachtungsliste aufzunehmen seien. Tagsüber Autor und Dozent, hat er nachts als Amateurastronom schon insgesamt 21 Kometen aufgespürt, acht davon mit einem 50-Zentimeter-Teleskop in seinem Hinterhof. Seit wir drei uns 1989 zusammentaten, entdeckten wir 13 Kometen.
Trotz dieser beträchtlichen gemeinsamen Erfahrung wurden wir – wie der Rest der wissenschaftlichen Welt – vom Inhalt einer der elektronischen Nachrichten an diesem Abend völlig überrascht. Es war die Ankündigung des Central Bureau for Astronomical Telegrams der Internationalen Astronomischen Vereinigung, einer Art wissenschaftlicher Nachrichtenagentur für Astronomen, daß ein Komet, den wir zwei Monate zuvor ausgemacht hatten, im Juli 1994 auf dem Planeten Jupiter einschlagen sollte. Nachdem Eugene ein ganzes Berufsleben lang Einschlagkrater und die sie erzeugenden Objekte untersucht hatte, war er begeistert von der Aussicht, nun selbst eine Kollision von Himmelskörpern miterleben zu können.
Historische Meteoriten-Einschläge
Wer jemals den Mond – und sei es nur mit einem kleinen Teleskop – betrachtet hat weiß, daß seine Oberfläche mit Einschlagskratern übersät ist. Außerdem bildete sich der Erdtrabant wahrscheinlich selbst aus den Überresten einer gewaltigen Kollision. In der Frühzeit unseres Planeten könnte ein Körper von der Größe des Mars die Erde getroffen, sie teilweise aufgeschmolzen und eine Fontäne von Gesteinsmaterial in eine Umlaufbahn geschleudert haben, wo es sich dann wieder sammelte und verfestigte (siehe "Ursprung und Entwicklung des Mondes", von G. Jeffrey Taylor, Spektrum der Wissenschaft, September 1994, Seite 58).
Tektonisch stabil sowie ohne Luft und Wasser, behält der Mond sein zernarbtes Aussehen für immer bei. Dagegen glätten Erosion und die Ablagerung von Sedimenten unablässig die Oberfläche der Erde, die deshalb weitaus weniger Krater aufweist, obwohl sie viel häufiger von kosmischen Geschossen getroffen wurde als ihr Trabant. So schlugen, als sich unser Planet vor 4,6 bis 3,9 Milliarden Jahren bildete, immer wieder Kometen ein, die Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff mitführten – grundlegende chemische Elemente für die Entwicklung des Lebens.
Solche Kollisionen haben aber auch Leben vernichtet. Zum Beispiel bohrte sich vor 65 Millionen Jahren ein Objekt, das nur wenig größer als der Halleysche Komet war, an der heutigen Küste der mexikanischen Halbinsel Yukatán in die Erdkruste. Dabei schuf es einen Krater von 170 Kilometern Durchmesser und verstreute das Auswurfmaterial weltweit.
Größere Trümmerteilchen verglühten beim Rücksturz wie Meteore am Himmel und heizten die Atmosphäre stellenweise auf mehrere 100 Grad Celsius auf. Dadurch brachen rund um den Erdball verheerende Brände aus. Zugleich blockierte der hoch in die Luft geschleuderte Staub zusammen mit dem Brandruß die Sonnenstrahlen. So folgte den Feuerstürmen undurchdringliche Finsternis. Die resultierende monatelange globale Abkühlung wich schließlich einem Treibhauseffekt durch das Kohlendioxid, das beim Einschlag aus Kalksedimenten freigesetzt worden war. Für Jahrhunderte wurde dadurch die gesamte Erdatmosphäre aufgeheizt. Viele Tierarten – darunter insbesondere die Dinosaurier – überlebten dieses Inferno an der Wende von der Kreidezeit zum Tertiär nicht.
Materiebrocken aus dem Weltraum können die Erde also tiefgreifend beeinflussen. Wie mehrere andere Forschungsgruppen versuchten wir deshalb abzuschätzen, wie häufig interplanetare Körper mit den Planeten und ihren Satelliten kollidieren. Nach den Ergebnissen dieser Berechnungen konnten wir allerdings nicht erwarten, jemals selbst Zeugen eines solchen kolossalen Einschlags zu werden.
"Ein zerquetschter Komet"
Als wir in der dunklen und bald schon stürmischen Nacht des 23. März 1993 unser übliches Beobachtungsprogramm durchführten, waren wir auf nichts Besonderes gefaßt, schon gar nicht auf die wohl spektakulärste Entdeckung unseres Lebens. Als Gastwissenschaftler war damals auch Philippe Bendjoya von der Universität Nizza zugegen. Wir verwendeten das kleinste der vier regelmäßig genutzten Teleskope des Palomar-Observatoriums. Mit einem Spiegeldurchmesser von 65 Zentimetern und einer 45 Zentimeter breiten Korrekturlinse ist es speziell für die Beobachtung ausgedehnter Himmelsareale geeignet.
Ein Wolkenschleier überzog langsam den Himmel, und obwohl er ihn nicht völlig verdeckte, wußten wir, daß schwächere Sterne, Asteroiden und vielleicht auftauchende Kometen auf unseren Aufnahmen kaum noch zu sehen sein würden. Deshalb entschlossen wir uns, nur noch einige Filme zu verbrauchen, von denen wir vermuteten, daß sie unter Lichteinfall gelitten hatten.
Eines unserer Standard-Beobachtungsfelder, in dem sich der Jupiter befand, war noch wolkenfrei. Bis es sich zuzog, konnten wir drei Aufnahmen machen, eine mit dem Planeten und zwei von angrenzenden Gebieten. Später in der Nacht erlaubte eine kurze Wolkenlücke einen zweiten Blick auf das Jupiter-Feld.
Zwei Tage danach suchte Carolyn auf diesen Bildern mit ihrem Stereomikroskop nach der räumlichen Tiefenwirkung, die einen Asteroiden oder Kometen wegen seiner winzigen Positionsänderungen aus dem Sternenhintergrund hervortreten läßt. Plötzlich richtete sie sich auf und verkündete: "Ich weiß nicht, was es ist, aber es sieht aus wie ein zerquetschter Komet."
Ein typischer Komet hat einen Kern von mehreren Kilometern Durchmesser, der aus Eis, mehr oder weniger feinkörnigem Gesteinsmaterial und organischen Stoffen besteht. Sobald er sich der Sonne nähert, sublimiert das Eis und setzt den enthaltenen Staub frei. Dieser bildet einen Halo, der das Sonnenlicht streut und deshalb leuchtet: Die Koma erscheint. Unter dem Strahlungsdruck der Sonne und von den Teilchen des Sonnenwindes wird die Staubhülle zu einem Schweif auseinandergezogen. Anstelle einer einzelnen Koma zeigte unser neues Objekt jedoch eine balkenförmige Ansammlung von Halos, deren überlappende Schweife nach Norden wiesen (Bild 1 links). Am merkwürdigsten war, daß der Balken an beiden Enden eine Art Ausläufer in Form einer hauchdünnen hellen Linie trug.
Der seltsamen Entdeckung mußte mit besseren Teleskopen nachgegangen werden. Deshalb setzten wir uns mit James V. Scotti an der Universität von Arizona in Verbindung, der diese Nacht am Spacewatch-Teleskop auf dem Gipfel des Kitt Peak verbrachte. Er war gleich bereit, hochaufgelöste Videobilder des Objekts zu machen. Verblüfft schilderte er uns den Anblick am Telephon: "Ich erkenne mindestens fünf getrennte Kometenkerne nebeneinander, aber dazwischen befindet sich weiteres Kometenmaterial. Ich vermute, daß es noch mehr Kometenkerne gibt, die ich erst sehen werde, wenn der Himmel aufklart."
Wir schickten unverzüglich einen Bericht über diesen bizarren Himmelskörper an Brian G. Marsden, Direktor des Central Bureau for Astronomical Telegrams am Harvard-Smithsonian-Zentrum für Astrophysik in Cambridge (Massachusetts), und Scotti ließ seine Beobachtungen folgen. Am nächsten Tag gab Marsdens Büro die Entdeckung bekannt. Die Beschreibung des Objekts war so ungewöhnlich, daß Astronomen auf der ganzen Welt es sofort ins Visier nahmen. Jane Luu an der Stanford-Universität in Kalifornien und David Jewitt an der Universität von Hawaii in Manoa erhielten mit dem 2,2-Meter-Reflektor an Jewitts Institut eine hervorragende Aufnahme. Auf ihr identifizierten sie später 21 Kometenkerne, die nach ihren eigenen Worten "wie Perlen auf einer Schnur" aufgereiht waren.
Gemäß einer Tradition, die bis in die Tage des französischen Kometenjägers Charles Messier (1730 bis 1817) zurückreicht, wurde der Schweifstern nach seinen Entdeckern benannt. Da er der neunte in der Reihe der von uns gefundenen Kometen auf kurzperiodischen Umlaufbahnen um die Sonne war, erhielt er den formalen Namen "periodischer Komet Shoemaker-Levy 9", im folgenden als S-L 9 abgekürzt.
Rendezvous mit Folgen
Bis Mitte April 1993 hatten Marsden, Syuichi Nakano in Japan und Donald K. Yeomans vom Jet-Propulsion-Laboratorium (JPL) in Pasadena (Kalifornien) festgestellt, daß das ungewöhnliche Objekt gar nicht mehr (direkt) die Sonne, sondern den Jupiter umrundete. Zudem fanden sie heraus, warum es aus einer Vielzahl von Fragmenten bestand.
Demnach hatte sich S-L 9 am 7. Juli 1992, etwa acht Monate vor seiner Entdeckung, Jupiters Wolkendecke auf lediglich 20000 Kilometer angenähert. Als er in einer Haarnadelkurve um den Riesenplaneten schwang, wurden die dem anziehenden Massezentrum zugewandten Bereiche stärker abgelenkt als die weiter entfernten. Diese Gezeitenkraft zerrte zwar nur äußerst sanft an S-L 9; dennoch zerriß er. Das ließ darauf schließen, daß der Komet eine lose Ansammlung von Fragmenten gewesen war, zusammengehalten nur durch ihre schwache Gravitationswirkung aufeinander.
Obwohl Astronomen schon bei früheren Kometen berechnet hatten, daß sie kurzzeitig den Jupiter umrundet haben mußten, war S-L 9 der erste, den man direkt in einer Planeten-Umlaufbahn beobachten konnte. Genaugenommen hatte Jupiter sogar nicht nur einen, sondern gleich 21 winzige neue Monde.
Doch ergaben weitere Berechnungen bereits einen Monat später, daß er sie nicht lange behalten würde: Wie sich herausstellte, befanden sich die Kometenfragmente auf direktem Kollisionskurs mit Jupiter.
Diese Neuigkeit versetzte Astronomen und Planetenphysiker in helle Aufregung. Sofort begannen sie über die Begleiterscheinungen des Aufpralls zu spekulieren. Würden die Einschläge ein gigantisches kosmisches Feuerwerk bieten oder einfach verpuffen?
H. Jay Melosh an der Universität von Arizona in Tucson vertrat die eine Extremposition, wonach die Kerne so tief in die Jupiteratmosphäre eindrängen, bevor sie explosionsartig verglühten, daß sie praktisch spurlos verschluckt würden. Dagegen waren Thomas J. Ahrens und Toshiko Takata vom California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena, Kevin Zahnle vom Ames-Forschungszentrum der US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA in Moffett Field (Kalifornien) und Mordecai-Marc Mac Low von der Universität Chicago übereinstimmend der Meinung, daß jeder Kern ein gewaltiges Loch in Jupiters Gashülle reißen würde, durch das – wenn er schließlich explodierte – ein spektakulärer Feuerball in den Weltraum entwiche. David A. Crawford und Mark B. Boslough von den Sandia-Nationallaboratorien in Albuquerque (Neu-Mexiko) schließlich glaubten, heißes Gas – vorwiegend aus dem oberen Teil des Lochs – würde in Form einer riesigen Fontäne ausbrechen.
Aber selbst wenn die Voraussagen eines kosmischen Schauspiels richtig wären, bekämen die Erdbewohner überhaupt etwas davon zu Gesicht? Die Antwort hing vom genauen Einschlagsort des Kometen ab. Die ersten Berechnungen dämpften hochgesteckte Erwartungen. Danach sollten die Trümmer weit auf Jupiters unsichtbarer Nachtseite auftreffen; erst nach mehr als einer Stunde brächte der Planet bei seiner Rotation nach Osten den Einschlagsort ins Blickfeld erdgebundener Teleskope. Es war, als hätte die Natur das größte astronomische Spektakel des Jahrhunderts auf den Spielplan gesetzt und unser Sitzplatz befände sich ausgerechnet hinter einem Pfeiler!
Bis tief in den Herbst 1993 mußten wir uns mit dieser betrüblichen Aussicht zufriedengeben. Jupiter und die Sonne standen am Himmel zu nahe beieinander, als daß weitere Beobachtungen von S-L 9 möglich gewesen wären. Doch Anfang Dezember, als der Gasriese kurz vor der Dämmerung aufging, bestimmte Scotti die Positionen der Kometenfragmente neu. Das Ergebnis ließ die Herzen der Astronomen wieder höher schlagen: Der Komet würde viel näher an Jupiters erdzugewandter Seite auftreffen als zunächst vermutet.
Die Welt im Erwartungsfieber
Während das große Ereignis im Sommer 1994 näher rückte, setzte sich die Überzeugung durch, daß es soviele Beobachtungen mit sovielen Teleskopen wie möglich verdienen würde. Glücklicherweise hatte es sich früh genug angekündigt und den Astronomen volle 14 Monate Zeit gelassen, ihre Beobachtungen zu planen und zu koordinieren.
Angeführt wurde die Liste der bedeutenden Teleskope, welche das Bombardement verfolgen sollten, vom Hubble-Weltraum-Observatorium, dessen kurz zuvor korrigierte Optik die Kometenkerne bereits erstaunlich deutlich eingefangen hatte (Bild 2 links). Für eine von Harold A. Weaver vom Space Telescope Science Institute in Baltimore (Maryland) geleitete Arbeitsgruppe würde Hubbles Weitfeld-Planetenkamera den Kometen bei seinem Anflug auf Jupiter beobachten. Das Team von Heidi B. Hammel vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge machte mit dem Hubble-Teleskop am Tag vor dem ersten Einschlag detaillierte Aufnahmen des ganzen Planeten – zum Vergleich mit Jupiters Aussehen nach dem Bombardement. Das erdumkreisende Instrument sollte zudem spektroskopische Signaturen von Elementen und Gasen festhalten, die während der Explosionen freigesetzt würden – oder was davon noch zu sehen wäre, nachdem sich die Einschlagstellen ins irdische Blickfeld gedreht hatten.
Immerhin gab es auch einen Späher mit freier Sicht auf den Ort des Geschehens: die Raumsonde Galileo, unterwegs zum geplanten Rendezvous mit Jupiter. Die für ihren Betrieb verantwortlichen Wissenschaftler am JPL programmierten die Geräte an Bord darauf, Daten von mehreren Einschlägen aufzuzeichnen und zur Erde zu funken.
Auch viele der größten Teleskope auf der Erde sollten die Serie der Crashs und ihre Begleiterscheinungen möglichst lückenlos dokumentieren. Da sich die Kollisionen über mindestens sechs Tage hinziehen würden, benötigte man Beobachtungspunkte rund um den Erdball. Das altehrwürdige Fünf-Meter-Teleskop auf dem Mount Palomar und andere große Instrumente in Spanien, Chile, Hawaii und Australien sowie eine Unzahl kleinerer waren dafür vorgesehen. Das auf einem Flugzeug stationierte Kuiper Airborne Observatory der NASA sollte von Melbourne in Australien aus starten, um spektroskopische Daten zu sammeln. Außerdem überwachten Radioastronomen den Jupiter, um die Auswirkungen der Einschläge auf die Magnetosphäre des Planeten zu untersuchen.
Imke de Pater von der Universität von Kalifornien in Berkeley und ihre Kollegen planten, mit dem Keck-Teleskop des Observatoriums auf dem Gipfel des Mauna Kea auf Hawaii – mit seinem Zehn-Meter-Spiegel das größte der Welt – Infrarotbilder bei einer Wellenlänge aufzunehmen, bei der kaltes Methangas eine Absorptionsbande hat. Jupiter selbst erscheint wegen seiner methanreichen Atmosphäre in diesem Spektralbereich dunkel, so daß alles hervorstechen sollte, was sehr hoch in oder oberhalb seiner Gashülle stattfände. Sofern das Wetter es zuließ, wollten Forscher in der Antarktis mit dem South Pole Infrared Explorer Telescope (SPIREX) ähnliche Beobachtungen durchführen.
Das Schauspiel beginnt
Nach so hoffnungsvollen und aufwendigen Vorbereitungen wirkte die erste Nachricht von einem Kollisionszeichen elektrisierend: Am 16. Juli 1994 fing das Calar-Alto-Observatorium in Spanien Infrarotsignale einer zusammenbrechenden Explosionswolke auf, die vom Einschlag des ersten Fragments (Kern A) herrühren mußte. Die Entdeckung wurde von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile postwendend bestätigt.
Schnell zeigte sich, daß der Einschlag nicht nur beobachtbar, sondern geradezu spektakulär war: Die Gasfontäne schoß mehr als 3000 Kilometer über die Wolkenschicht des Planeten hinaus. Nach diesem vielversprechenden Auftakt warteten die Astronomen gespannt auf die Daten von Hubble; das Teleskop benutzte andere Filter und Detektoren als das Observatorium in Spanien und sollte von seiner Position oberhalb der störenden irdischen Lufthülle aus zudem wesentlich schärfere Bilder liefern.
Als die ersten Aufnahmen ankamen, drängte sich die gesamte Hubble-Kometengruppe um einen einzigen Videomonitor am Space Telescope Science Institute. Zuerst war nichts Besonderes zu erkennen, und in die erwartungsvollen Mienen mischte sich Enttäuschung. Aber dann erschien ein Fleck am Rande des Planeten, und jeder im Raum begann wieder durchzuatmen. Das nächste Bild zeigte, wie die Explosionswolke höher stieg und heller wurde. Während sich das Feuerwerk immer prächtiger entfaltete, brach die Gruppe in Jubel aus.
Nach diesem spannungsgeladenen ersten Tag war klar, daß sich die penible Planung auszahlen würde. Die Observatorien auf der Erde und im Weltraum agierten wie ein großes Symphonieorchester, dirigiert von Marsdens elektronischen Nachrichten. So wußte jeder Beobachter, was die anderen taten, und konnte seine Programme darauf abstimmen, um zu einem möglichst vollständigen Bild des dramatischen Geschehens beizutragen (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1994, Seite 18).
Schon die Einschlagspur von Kern A war faszinierend. Sie zeigte sich als großer Fleck von der Größe der Erde, an dem sich ein länglicher Streifen im Zentrum, ein expandierender Ring und eine eigenartige, sichelförmige äußere Wolke unterscheiden ließen. Im sichtbaren Bereich des Spektrums waren diese Gebiete dunkler als die Umgebung; im Infrarotbereich der Methan-Absorptionsbande hoben sie sich jedoch hell vom Planetenhintergrund ab.
Im Vergleich dazu wirkte der nächste Absturz einige Stunden später bescheiden. Obwohl Kern B heller geleuchtet hatte als A, erzeugte er eine sehr viel kleinere Gasfontäne, die nur mit dem Keck-Teleskop gut zu beobachten war. Vermutlich hatte B aus einem Schwarm hausgroßer Bruchstücke bestanden, die irgendwann nach dem Zerreißen des Kometen von Kern C abgebrochen waren. Ein Beobachter auf Jupiter hätte einen phantastischen Meteorschauer erlebt, doch von der Erde aus war wenig zu erkennen. Kern C und E gingen dann wieder etwa so spektakulär nieder wie A.
Ein zernarbter Planet
Besonders hochgespannt waren die Erwartungen, als sich zwei Tage später Kern G, dessen ungewöhnlich helle Koma auf eine entsprechend hohe Masse schließen ließ, der Planetenoberfläche näherte. Freilich lag in dieser Nacht der Mauna Kea in Nebel und Nieselregen, und all die großen Teleskope verharrten nutzlos unter geschlossenen Kuppeln. Doch wie durch ein Wunder teilten sich unmittelbar vor dem Einschlag die Wolken für zehn Minuten, und es gelangen doch noch einige Aufnahmen. Im infraroten Methanband zeigten sie eine Gasfontäne, die wesentlich heller leuchtete als der gesamte Planet. Der Energieausbruch war so gewaltig, daß er selbst mit den relativ kleinen Teleskopen in Australien und am Südpol gut beobachtet werden konnte. Die Hubble-Bilder zeigten eine Narbe, die noch viel größer war als bei den Kernen A, C und E.
Diese Einschlagspur enthielt wie die von A und E Ringe, die sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 450 Metern pro Sekunde von dem zentralen dunklen Fleck zu der äußeren Wolkensichel bewegten. Wie Andrew P. Ingersoll vom Caltech erkannte, waren sie damit nicht schnell genug für Schallwellen (die sich in der dichten Jupiter-Atmosphäre wesentlich rascher fortpflanzen als in der irdischen Lufthülle). Andererseits war die Ausbreitungsgeschwindigkeit für alle Einschläge gleich. Schließlich fanden Ingersoll und sein Kollege Hiroo Kanamori heraus, daß es sich um Oberflächenwellen handelte, wie auch ein ins Wasser geworfener Stein sie hervorruft.
Den größten Fleck hinterließ Kern L; auch er bestand wieder aus einem dunklen Zentralbereich und einer sichelförmigen Wolke am Rand. Wie bereits den Kernen H und K zuvor war ihm ein Schwarm von Bruchstücken vorausgeeilt, die etwas früher in die Atmosphäre eintauchten und dabei ein zunehmendes infrarotes Glimmen erzeugten. Inzwischen hatten Amateurastronomen in der ganzen Welt herausgefunden, daß die Einschlagsnarben auf Jupiter so groß und dicht waren, daß man sie auch mit kleinen Teleskopen beobachten konnte.
Das würdige Finale bildete der Aufprall von Kern W am 22. Juli (Spektrum der Wissenschaft, September 1994, Seite 18). Von ihm machte auch die Raumsonde Galileo eine Reihe beeindruckender Schnappschüsse, auf denen zunächst der aufleuchtende Meteor und dann die glühende aufsteigende Gasfontäne zu sehen sind. Die letzten Hubble-Bilder des denkwürdigen Ereignisses zeigten, wie die Explosionswolke von W direkt auf dem Fleck zusammenbrach, den Kern K einige Tage zuvor hinterlassen hatte.
Der wissenschaftliche Ertrag
Trotz der vielen Beobachtungen dieser dramatischen Woche sind wichtige Fragen immer noch nicht erschöpfend beantwortet. Wie groß waren die Fragmente von S-L 9? Handelte es sich bei den meisten um lockere Ansammlungen kleinerer Körper, oder gab es auch einzelne dicke Brocken? Wieviel Energie wurde bei den Einschlägen freigesetzt?
Die Vielzahl unterschiedlicher Effekte und die ungeheure Menge an Daten – weit mehr, als bei irgendeinem anderen Ereignis in der Geschichte der Astronomie gesammelt worden sind – lassen eine schnelle Analyse nicht zu. War es bei den wissenschaftlichen Diskussionen und Treffen vor den Einschlägen um die Koordination der Beobachtungen gegangen, so stand bei den Tagungen danach der Vergleich der Meßwerte im Mittelpunkt – zusammen mit der Frage, welche Vorstellungen am besten dazu paßten.
Den bisherigen Ergebnissen zufolge begann S-L 9 seine Odyssee wahrscheinlich im äußeren Sonnensystem, außerhalb der Umlaufbahn des Neptun. Durch eine Reihe enger Begegnungen mit Jupiter erhöhte sich seine Umlaufperiode allmählich von einer Sonnenumrundung in einigen tausend Jahren auf etwa eine pro Dekade.
Nach den letzten Bahnberechnungen von Paul W. Chodas vom Jet-Propulsion-Laboratorium flog der Komet vermutlich im Jahre 1929 so langsam an Jupiter vorbei, daß dieser ihn einfangen konnte. Die resultierende Bahn um den Planeten mit einer Periode von rund zwei Jahren war jedoch instabil und schwankte zwischen flachen Ellipsen und fast perfekten Kreisen. Im Jahre 1992, als sie wieder einmal stark elliptisch war, bog der Komet in einer so engen Schleife um Jupiter, daß er zersplitterte.
Dabei wurde sein Material zu einem langen Schwarm von teils sehr kleinen Bruchstücken auseinandergezogen. Erik I. Asphaug vom Ames-Forschungszentrum der NASA und Willy Benz von der Universität von Arizona zeigten, daß sich die Trümmer in diesem losen Strang aufgrund der gegenseitigen Anziehung zu einer Reihe kompakterer Körper zusammenballen konnten. Vermutlich steckten in einigen Kernen große zusammenhängende Teile des zerborstenen Kometen, in anderen dagegen nur Gebrösel.
Von etlichen der zunächst gebildeten Fragmente spalteten sich später erneut Teile ab. Wie es zu dieser nachträglichen Fragmentierung kam, ist nicht bekannt. Entweder barsten größere Stücke durch den Gasdruck in ihrem Inneren, oder sie wurden bei Kollisionen im Schwarm zerschlagen. Die größten Kerne in der Kette hatten vermutlich Durchmesser von ein bis zwei Kilometern. Als sie noch vor dem Abschluß eines kompletten Umlaufs auf Jupiter prallten, dürfte jeder einzelne Energien freigesetzt haben, die der Explosion Hunderttausender großer Wasserstoffbomben entsprachen.
Die großen dunklen Flecken, die auf Jupiter zurückgeblieben waren, zerliefen allmählich, verschmolzen miteinander und begannen in den folgenden Monaten langsam zu verblassen. Noch heute, wenn dieser Artikel gut ein Jahr nach der Kollision erscheint, zieht sich ein schwaches dunkles Band entlang der Linie der Einschlagspunkte, das sogar mit kleinen Teleskopen sichtbar ist.
Dunkle Wolken dieser Art wurden auf Jupiter nie zuvor beobachtet. Somit erhebt sich die Frage, wie außergewöhnlich das Ereignis war, das wir miterlebt haben. Nun hängt die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags von der Größe des interplanetaren Irrläufers ab, und wir wissen immer noch nicht, welche Masse S-L 9 hatte, bevor er auseinanderbrach. Mit einigen vernünftigen Annahmen läßt sich aber abschätzen, daß Jupiter wohl kaum öfter von einer solchen Trümmerkette getroffen wird als einmal in einigen tausend Jahren. Wir können uns also glücklich schätzen, Zeuge einer derart seltenen Kollision geworden zu sein.
Literaturhinweise
- The Quest for Comets. Von David H. Levy. Plenum Press, 1993
– Impact!: Comet Shoemaker-Levy 9 Collides with Jupiter. Sonderausgabe von "Sky & Telescope", Band 88, Heft 4, Oktober 1994.
– Comet Shoemaker-Levy 9. Spezialteil von "Science", Band 267, Seiten 1277 bis 1323; 3. März 1995.
– Impact Jupiter: The Crash of Comet Shoemaker-Levy 9. Von David H. Levy. Plenum Press (im Druck).
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1995, Seite 62
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