Interview: "Wie viel Störung darf es sein?"
Herr Professor Wittchen, wozu braucht die Welt eigentlich ein Diagnosesystem, das genau festschreibt, wann jemand an einer bestimmten psychischen Störung leidet? Sehen die Ärzte und Psychologen nicht auch so, wer an einer Depression leidet oder an krankhaften Ängsten?
Viele klinische Praktiker hassen es in der Tat, wenn sie gezwungen sind, Regeln zu befolgen, und begründen müssen, warum sie eine Diagnose vergeben oder nicht. Manche klagen, das müsse alles einfacher werden, wir bräuchten weniger Diagnosen und eigentlich sollte man das aus dem Kopf machen können, sonst reiche die Zeit nicht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Diagnostik psychischer Störungen vor der Einführung genauer Kriterien mit der dritten Version des DSM im Jahr 1980 schlicht eine Katastrophe war: unzuverlässig, widersprüchlich, fehlerhaft und ohne Übereinstimmung unter den forschend und klinisch arbeitenden Fachleuten.
Wie sah das in der Praxis aus?
Diagnosen wurden von unterschiedlichen Expertengruppen je nach Lehrmeinung und Schule als "psychiatrische Kunst" ganz unterschiedlich gehandhabt – verbindliche Regeln fehlten ...
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