Tecnaro: Wissenschaft in Unternehmen: Spritzbares Holz: die Kunststoff-Alternative
Die Gründer der Eisenacher Tecnaro GmbH, Jürgen Pfitzer und Helmut Nägele, bringen Holz in jede gewünschte Form. Möglich macht dies ein von ihnen am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Pfinztal bei Karlsruhe entwickelter thermoplastischer Werkstoff auf der Basis nachwachsender Rohstoffe. Ihr "Arboform" (nach lateinisch arbor, Baum) besteht zu rund siebzig Prozent aus Naturfasern wie Flachs, Hanf, Sisal oder Baumwolle. Den großen Rest stellt Lignin, nach der Zellulose das häufigste natürliche Polymer; im Baumstamm dient es als Gerüstsubstanz für die Zellulosefasern. Pro Jahr fallen weltweit etwa fünfzig Millionen Tonnen davon als Abfallprodukt der Zellstoffindustrie an und werden gemeinhin verbrannt. Doch dafür ist es zu schade, wie Wissenschaftler im In- und Ausland erkannt haben (vergleiche Spektrum der Wissenschaft 7/1999, S. 90): Lignin eignet sich als Matrix für umweltfreundliche Faserverbundwerkstoffe.
Der am ICT entwickelte Werkstoff verfügt über ähnliche mechanische und thermische Eigenschaften wie natürlich gewachsenes Holz, besitzt aber gleichzeitig die eines thermoplastischen Kunststoffs: Beim Erhitzen wird Arboform weich. Das gelieferte Lignin wird in mehreren Prozessschritten aufbereitet, getrocknet und anschließend mit zerkleinerten Naturfasern und "geheimen" Additiven zu einem Granulat verarbeitet. Auf herkömmlichen Spritzgussmaschinen lässt dieses sich wie ein petrochemisch hergestellter Thermoplast – beispielsweise Polyethylen oder Polypropylen – zu Formteilen, Profilen oder Platten verarbeiten: Bei einer Temperatur von 110 bis 170 Grad Celsius und einem Druck von 1000 Bar wird es flüssig und kann anschließend innerhalb weniger Sekunden in ein Formwerkzeug gespritzt werden (siehe Spektrum der Wissenschaft 5/2001, S. 88). Auf diese Weise fertigt das Unternehmen serienmäßig beispielsweise holzfarbene Armbanduhrengehäuse im Auftrag der Pforzheimer Lacher Uhrenfabrik. Auch bunte Formteile sind möglich. Dazu werden vor dem Vergießen synthetische Farben oder Naturfarben aus Blaukraut, Roter Bete, Safran oder Paprika zugegeben.
Aus Pflanzen hergestellte Kunststoffe verbrauchen in der Gesamtökobilanz bei ihrer Gewinnung oft mehr Erdöl als herkömmliche Kunststoffe. Die Firmengründer sind deshalb sehr stolz auf das anders lautende Ergebnis einer Studie des Instituts für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde der Universität Stuttgart: Arboform verbraucht bei seiner Herstellung vergleichsweise wenig Energie, ist biologisch abbaubar und – bei der Verbrennung wird nur so viel Kohlendioxid frei, wie die Pflanze zuvor beim Wachstum aufgenommen hat. Erfreulich: "Trotz" seiner ökologischen Vorteile kostet Arboform – auf eine spezielle Anwendung bezogen – nicht mehr als ein herkömmlicher Kunststoff.
Der Holzwerkstoff soll nicht nur für den Spritzguss typische Kunststoffe wie Polyamid oder Polykarbonat verdrängen, sondern auch Schichtpressholz. In der Baubranche beispielsweise besteht die Unterkonstruktion von Parkettböden aus diesem Werkstoff, der oftmals mit giftigen Leimen wie Phenolharz gebunden wird. Ein weiterer Nachteil ist, dass sich ein nicht sauber verlegter Boden verziehen kann. Arboform hingegen muss nicht geleimt werden, ist in alle Raumrichtungen gleichermaßen belastbar, nimmt kaum Feuchtigkeit auf und bleibt formstabil.
Vorteile nicht nur in der Baubranche: Im Automobil-Innenraum soll der umweltverträgliche Werkstoff künftig mit Edelholz furniert werden, denn herkömmliche Kunststoff-Träger dehnen sich bei Temperaturen von minus 30 bis plus 90 Grad Celsius zehnmal stärker aus als Holz, was Risse verursachen oder die Edelholzfurniere absprengen kann; Probleme, die bei einem Arboform-Träger mit Holzcharakter nicht auftreten.
Eine viel versprechende Branche ist auch die Musikindustrie. Nach wie vor gelten Holzinstrumente als qualitativ wertvoll. Da sich Arboform präziser als der Naturstoff verarbeiten lässt, noch dazu in Großserie, erhält man vergleichsweise kostengünstige Instrumente mit einer angenehmen Holzakustik, wobei gleich konstruierte Instrumente identisch klingen sollten.
Ein weiterer Markt für den ökologischen Werkstoff sind Spielwaren. Vor kurzem hat die Landesgewerbeanstalt Bayern Babyspielzeug aus Arboform untersucht und herausgefunden, dass die Werte gefährlicher Substanzen unterhalb der Nachweisgrenze liegen, da auf giftige Leime verzichtet wurde.
Das Unternehmen im Profil
Die Tecnaro GmbH wurde im Juli 1998 aus dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Pfinztal bei Karlsruhe ausgegründet. Im Mai 2000 verlegten die beiden Gründungsmitglieder Helmut Nägele und Jürgen Pfitzer den Standort nach Eisenach (Thüringen), um staatliche Förderprogramme für die neuen Bundesländer in Anspruch nehmen zu können. Die beiden beschäftigen acht Angestellte und drei Diplomanden. Noch heute arbeitet Tecnaro eng mit dem Fraunhofer ICT zusammen. Die derzeitige Produktionskapazität beträgt jährlich rund 300 Tonnen Arboform-Granulat. Da Arboform in den unterschiedlichsten Branchen eingesetzt werden kann, ist zu erwarten, dass die produzierte Jahresmenge rasch steigen wird.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2001, Seite 80
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben