Schiffsarchäologie: Wrack im Tank
Fast zwanzig Jahre verbrachte das Wrack einer mittelalterlichen Kogge aus dem Jahr 1380 im Konservierungstank. Jetzt endlich scheint das Schiff vor dem Verfall bewahrt.
Dickbauchige Segelschiffe trotzten im Mittelalter den Stürmen von Nord- und Ostsee – die Koggen. Sie waren die "Jumbos" ihrer Zeit: handwerkliche Meisterwerke auf der einen, Massengutfrachter der Hanse auf der anderen Seite. Und doch blieb von ihnen nicht viel mehr als bildliche Darstellungen und Erwähnungen in Urkunden und anderen Texten. Bis im Oktober 1962 beim Baggern in der Weser unterhalb der Bremer Altstadt ein hölzernes Wrack zu Tage kam. Ein Glücksfall: Sedimente hatten den Rumpf bedeckt und sein Holz großteils über Jahrhunderte geschützt – vor Strömungen und Verrottung.
Dieser erste Fund einer mittelalterlichen Kogge zeigte nicht nur den Archäologen, wie der einst wirtschaftlich so erfolgreiche Schiffstyp gebaut war, wie viel er zu laden vermochte und wie eine Kogge segelte. Das Wrack zu konservieren erforderte auch neue technische Verfahren, die noch anderen Projekten zugute kamen. Heute gilt als sicher: Die Behandlung ist gelungen, das wertvolle Schiff wird die nächsten Jahrhunderte überstehen.
Spannend war schon die Bergung des Wracks: Sie musste zügig vonstatten gehen, denn die Bagger sollten weiterarbeiten und die Tideströmung zerrte am Schiff; zudem drohte der Winter mit Stürmen und Eisgang. Nach und nach bargen der Kunsthistoriker Siegfried Fliedner vom Bremer Landesmuseum und seine Mitarbeiter Balken und Planken und legten sie in mit Wasser gefüllte Wannen, um sie vor Austrocknung und Zerfall zu schützen. Nach der eigentlichen Bergung war das Team noch drei Sommer lang im Einsatz, zuletzt barg es kleinere Schiffsteile und Werkzeuge mit einer Tauchglocke.
Das Land Bremen brachte seinen größten archäologischen Schatz in das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven; man hatte dort eigens eine Halle errichtet, um dem einstigen Hansestolz ein angemessenes Zuhause zu geben und ihn der Forschung, aber auch der Bevölkerung zugänglich zu machen. Zehn Jahre nach der Entdeckung des Wracks konnten so die Behälter mit ihrem mittelalterlichen Puzzle nach Bremerhaven umziehen.
Auch wenn der Schlick den Sauerstoff vom Holz fernhielt, sodass Mikroorganismen keine günstigen Bedingungen vorfanden, waren die Artefakte doch mehr oder weniger stark angegriffen. Das sieht man solchen Funden nicht unbedingt an, denn Wasser füllte die Hohlräume in den teilweise zerstörten Holzzellen. Wenn es verdunstet, geht diese Stütze verloren. Zudem zerrt die Oberflächenspannung des Wassers an den verbliebenen Strukturen, bis sie schließlich einstürzen. Wer das verhindern will, muss deshalb künstliche Stützmittel einbringen.
Die Kogge-Experten steckten in einer Zwickmühle: Mit welchem Mittel man die Planken auch behandeln würde, sie verlören die für den Zusammenbau unerlässliche Biegsamkeit. Würde das Schiff stattdessen vor der Konservierung rekonstruiert, drohte das trocknende Holz zu schrumpfen und zu reißen. Der Ausweg aus diesem Dilemma: eine Rekonstruktion in künstlichem Nebel.
Sieben Jahre lang setzten Schiffbaumeister Werner Lahn und seine Mitarbeiter die mehr als 2000 Puzzleteile unter erschwerten Bedingungen zusammen: Vor dem Arbeitsbeginn und in den Pausen sorgten rund fünfzig Sprühköpfe dafür, dass die Luftfeuchtigkeit nie unter 96 Prozent sank. Nach und nach entstand ein Schiff von fast 24 Metern Länge und maximal sieben Metern Höhe. Die Schiffsarchäologen jubelten, denn nun ließ sich die Konstruktion einer Kogge genauer untersuchen. Ihr Boden war flach, also für das Befahren der Küstengewässer geeignet. Eine Datierung mittels Dendrochronologie ergab: Die Bäume, aus denen Kiel, Steven und Querbalken gebeilt worden waren, hatte man im Herbst 1378 im Weserbergland geschlagen. Das Schiff trug vermutlich einen Mast und war wohl mit einem Steuer-ruder in der Mitte des Hecks ausgerüstet.
Experten von der Universität Hamburg, aus Stockholm und Kopenhagen glaubten, Polyethylenglykol (PEG) sei prinzipiell das Konservierungsmittel der Wahl, ein farbloses und wasserlösliches Kunstwachs, chemisch beständig, preiswert und einfach zu handhaben; es dient auch zur Stabilisierung von frischem Holz etwa bei Furnieren. Die Überlegung war: Legt man wassergesättigtes archäologisches Holz in eine PEG-Lösung, so sollte das Mittel in das Holz hineinwandern und dabei einen Teil des Wassers ersetzen. Beim Trocknen würde sich das Wachs schließlich in und auf den Zellwänden abscheiden, erstarren und die geschwächte Struktur somit stärken.
Allerdings gibt es nicht nur eine Art von Polyethylenglykol, sondern mehrere, die sich hinsichtlich der Molekülgröße unterscheiden. Und es waren nicht alle Hölzer und Holzbereiche gleich stark vom mikrobiellen Abbau angegriffen. Die obigen Überlegungen dürften wohl besonders auf hochmolekulares PEG 3000 oder 4000 zutreffen, da es bei Raumtemperatur fest wird (die Zahl gibt jeweils das Molekulargewicht an, das auf Grund unterschiedlicher Molekülgrößen differiert). Doch würde es auch in noch wenig angegriffenes Holz eindringen? Bei niedermolekularem PEG 200 oder 400 stand das nicht in Frage, doch schien das kaum geeignet, da es flüssig bleibt und zudem Wasser aufnimmt – damit getränkte Hölzer würden vermutlich nie richtig trocken.
Und dann war da noch ein Problem: Wie sollte man ein so großes Schiff über-haupt mit dem Konservierungsmittel behandeln? Die Konservatoren in Stockholm besprühten zu dieser Zeit das Wrack der Vasa mit einer Lösung aus hochmolekularem PEG; 175 Sprühköpfe waren außen um den Rumpf und 192 im Schiff installiert. Aber würden sie wirklich alle Ecken und Winkel erfassen? Die Hamburger Wissenschaftler schlugen vor, die Kogge zunächst in PEG 1000 zu tauchen, einem Polyethylenglykol mit mittelgroßen Molekülen, das nicht zu hygroskopisch ist. Als Tränkdauer veranschlagten sie – dreißig Jahre.
Die größte Wanne der Welt
Also wurde 1981 ein Konservierungstank um das rekonstruierte Schiff herum gebaut, der größte der Welt. 800 Kubikmeter Wasser liefen in das Becken, dann kam nach und nach PEG dazu. Der Etat reichte lediglich für vierzig Tonnen pro Jahr, das entsprach einer Erhöhung der Konzentration des Bades um jeweils fünf Prozent. Eine 60-prozentige Lösung war das Ziel.
Als der Konservator des Museums, Per Hoffmann, Probestücke auswertete, gab er Alarm, denn es war viel zu wenig Wachs eingedrungen! In Versuchsreihen erkundete er an verschieden stark abgebauten archäologischen Eichenhölzern die Wirkung verschiedener PEG-Varianten. Die Ergebnisse waren eindeutig und eigentlich absehbar: Stark abgebautes Material lässt sich am besten mit hochmolekularem, fest werdendem PEG 3000 stabilisieren. Für weitgehend intaktes Holz eignen sich die Sorten 200 oder 400. Mittlere Molekulargewichte wie das bislang vorgesehene erwiesen sich hingegen in beiden Fällen als unbrauchbar.
Nun wurde ein Zwei-Stufen-Tränkverfahren konzipiert: Erst PEG 200, dann PEG 3000. Das würde aber fast doppelt so viel Konservierungsmittel verbrauchen, und das zweite Bad müsste über Jahre beheizt werden, um das Wachs flüssig zu halten. Doch die für die Finanzierung zuständigen Gremien ließen sich überzeugen.
Zweimal im Jahr brachte ein Lastzug 20 Tonnen flüssiges PEG 200, 15 Jahre lang. Die Museumsbesucher konnten das Prozedere von einer Galerie aus durch große Fenster im Becken beobachten. Scheinwerfer hingen im Wasser, und die Besucher erkannten in einem grünen, geheimnisvollen Dämmerlicht dunkle Balken und Teile der Bordwand.
Diesmal zeigten Proben, dass die Konservatoren auf dem richtigen Weg waren. Ihre Erfahrung kam anderen Projekten zugute: beispielsweise bei der Konservierung eines hundert Jahre alten Torf-Frachters, den Bauern im Teufelsmoor bei Bremen aus einem verlandeten Kanal ausgegraben hatten. Bis ihnen der alarmierte Landrat erläuterte, gegen welche Paragrafen des Denkmalschutzgesetzes sie verstießen, fuhren sie darauf mit Bier und Musik einen Fluss hinab. Offensichtlich war das Holz sehr gut erhalten, und Per Hoffmann empfahl eine Sprühbehandlung mit PEG 200. Das Straßenbauamt des Kreises Osterholz baute zu diesem Zweck ein Zelt auf, richtete darin eine Pumpe und ein System von Rasensprengern ein und besprühte das Schiff mehrere Jahre lang – eine elegante und preiswerte Methode.
Ungewöhnlich gestaltete sich die Konservierung eines Küstenseglers aus der Renaissance, den man bei Husum entdeckt hatte. Unter Federführung von Hans Joachim Kühn vom Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein wurde er in einer Zuckerlösung behandelt. Der süße Stoff kann in stark wie auch in wenig abgebautes Holz eindringen, kristallisiert beim Trocknen aus und stabilisiert so die Struktur. 100000 Kilogramm Rübenzucker von Speisequalität wurden in heißem Wasser aufgelöst, 85000 Liter dünner Sirup in einen Tank gefüllt. Zwei Jahre lang befürchtete man, dass Hefen und Bakterien trotz Mikro-biozid-Zugabe die Lösung befallen können. Heute jedoch steht der Segler im Schifffahrtsmuseum Husum.
270 Tonnen Wachs und 130 Tonnen Schrott
Und die Bremerhavener Kogge? Nach 15 Jahren wurde das erste Bad abgelassen, und zwar so langsam, dass die biologischen Klärstufen der Stadt den ungewohnten Stoff zu verdauen vermochten – sie als Sondermüll zu verbrennen, hätte eine halbe Million Euro gekostet. Für das zweite Bad mit PEG 3000 legten die Mitarbeiter des Museums 250 Meter Warmwasser-Schläuche unter dem Schiff aus und schlossen sie an die hauseigene Zentralheizung an. Insgesamt brachten 13 Tanklaster in den nächsten Jahren 270 Tonnen geschmolzenes Wachs, das bei 40 Grad Celsius flüssig blieb. Als das Konservierungsziel erreicht war, kamen Stahlarbeiter einer benachbarten Werft, um das Konservierungsbecken in 130 Tonnen Schrott zu zerlegen, ohne dass Stahlstücke oder Tropfen flüssigen Stahls auf das Schiff fielen.
Weihnachten 1999 stand die Kogge endlich frei im Museum. Eine weiße Kruste aus Polyethylenglykol bedeckte das Holz, doch nach einer behutsamen Reinigung mit Dampfstrahler, Bürsten, Schwämmen und Spateln kam sein warmer dunkelbrauner Farbton zum Vorschein.
Die Konservatoren waren zufrieden. Die Holzteile der Kogge zeigen ihre alte Oberfläche mit allen Spuren einstiger Bearbeitung, und das Schrumpfen hält sich in engen Grenzen. Freilich lassen sich Überraschungen in den nächsten Jahren nicht ganz ausschließen – wie bei der schwedischen Vasa: Im Holz eingelagerter Schwefel oxidiert zu Schwefelsäure und droht das prunkvolle Schiff von innen heraus zu zerstören.
Dieses Restrisiko schreckte internationale Gremien nicht ab, schon jetzt die konservatorischen Leistungen zu ehren. So erhielt die Kogge als "Schiff des Jahres 2001" den International Maritime Heritage Award, eine Auszeichnung des World Ship Trust für die Erforschung und Konservierung historischer Schiffe. Dem Konservator Per Hoffmann wurde der Conservation and Heritage Management Award des Archaeological Institute of America verliehen. Der Experte ist freilich längst damit beschäftigt, sein Verfahren weiterzuentwickeln und kostengünstiger zu machen. Fast zwanzig Jahre im Tank – das dürfte in unserer schnelllebigen Zeit nur noch sehr schwer durchsetzbar sein.
Literaturhinweis
Die Hanse-Kogge von 1380. Von K.-P. Kiedel und U. Schnall (Hg.). Bremerhaven 2000.
Glossar
Die Hanse
Im Bereich von Nord- und Ostsee kooperierten reisende Fernhändler zum gegenseitigen Schutz in einer losen Vereinigung, die sie "Hanse" nannten (altgermanisch für "Schar"). Mit der Gründung von Städten entlang der Ostseeküste im 12. und 13. Jahrhundert erwuchs daraus eine Handelsgemeinschaft, die von Norddeutschland sowie dem Baltikum aus mit Skandinavien, Frankreich, Russland, England und Flandern Handel trieb. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Privilegien der Hanse immer weniger lukrativ, und sie löste sich bis 1669 auf.
Die Kogge
Als Massengutfrachter der Hanse dienten Koggen, hochbordige und massive Schiffe mit hoher Ladekapazität. Berichte sprechen von 100 bis 120 Weinfässern mit jeweils einer Tonne Gewicht. Die Schiffe brachten Getreide, Pelze, Wachs und Holz von den Ostseeländern nach Westen; Tuche, Waffen, Hausgerät und vor allem Salz zum Einlegen von Fleisch und Fisch in die wachsenden Städte im Osten sowie Stockfisch, Heringe und Eisen von Skandinavien auf den Kontinent. Sie trugen allerdings nur einen Mast und ein Segel und als technische Neuerung seit 1170 ein Steuerruder mittig am Heck.
Meilenstein Bremer Kogge
Über die Bedeutung der Bremer Hanse-Kogge sprach "Spektrum der Wissenschaft" mit Detlev Ellmers, bis vor kurzem geschäftsführender Direktor des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven. Der Schiffsarchäologe lehrte zudem Transportgeschichte an der Hochschule Bremerhaven.
Spektrum der Wissenschaft: Fast vierzig Jahre verstrichen vom Fund der Bremer Kogge bis zum Abschluss der Konservierungsarbeiten. Ist das nicht unglaublich lang?
Ellmers: Gemessen an den Schwierigkeiten, die sich da auftaten, war das sogar ziemlich schnell. Schiffe sind nun einmal die größten frei beweglichen Gegenstände, die der Mensch je geschaffen hat. Niemand kann sich auf einen solchen Fund vorbereiten, und jedes Wrack stellt seine eigenen Anforderungen. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass viele Methoden der Schiffsarchäologie erst an diesem Fund erarbeitet werden mussten.
Spektrum: Sie haben als Geschäftsführer des Museums die Arbeiten an der Kogge über lange Zeit begleitet. Welche Bedeutung hatte das Schiff für Sie selbst?
Ellmers: Es brachte mich auf die Idee, mich auf die Schiffs-archäologie zu spezialisieren. Ich war damals der erste Archäologe dieser Art in der Bundesrepublik. Und als das neu gegründete Deutsche Schiffahrtsmuseum seinen ersten leitenden Direktor suchte, hatte ich den entscheidenden Vorteil.
Spektrum: Sogar in einem Museum haben Sie etwas quasi ausgegraben?
Ellmers: Ein bearbeitetes Stück Rentiergeweih, das im Archäologischen Landesmuseum in Schleswig aufbewahrt wird, erkannte ich 1980 als Spant eines Fellbootes. Damit sind Rentierjäger bereits vor über 10000 Jahren auf die Jagd gegangen. Es ist das älteste Boot der Welt, von dem sich etwas erhalten hat.
Spektrum: Zurück zur Kogge von 1380. Weiß man nach der Auswertung des Bremer Fundes nun alles über diesen Schiffstyp oder gibt es noch offene Fragen?
Ellmers: Die Fragen zur Bauweise, zur Schiffstechnik sind mittlerweile weitgehend geklärt. Und von der Konstruktion ausgehend lässt sich die Entwicklung des Typs Kogge bis in vorgeschichtliche Zeit zurückverfolgen. Nachbauten der Bremer Kogge lieferten uns wertvolle Hinweise, wie sich das Schiff segeln und steuern ließ.
Spektrum: Bei dem Begriff Archäologie denken viele wohl zunächst an das Ausgraben ehemaliger Siedlungen und Gräber, wenige an das Bergen von Wracks. Fehlt der Schiffsarchäologie die Öffentlichkeit?
Ellmers: Im Gegenteil, zumindest die großen Funde wie Wikingerschiffe oder unsere Kogge ziehen immer viel Aufmerksamkeit auf sich.
Spektrum: Sie verabschieden sich gerade in den Ruhestand. Welche Fragen Ihrer Zunft hätten Sie gern noch gelöst?
Ellmers: Mein Interesse galt nicht nur der Technik archäologischer Schiffe, sondern vor allem den Menschen, die sich mit ihnen aufs Wasser wagten, fischten und jagten, Handel trieben oder auf Erkundungsfahrt gingen. Sie besser zu verstehen und ihr Leben zu erforschen, wird mich auch jetzt nicht loslassen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 66
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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