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Wurmlöcher und Überlicht-Antriebe

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie läßt ein winziges hypothetisches Schlupfloch für Raumreisen mit Überlichtgeschwindigkeit. Allerdings müßte man zu diesem Zweck das lokale Gefüge der Raumzeit extrem verzerren – mit sogenannter negativer Energie.


Kann ein Raumgebiet weniger als nichts enthalten? Natürlich nicht, würden wir spontan antworten: Bestenfalls läßt sich durch Entfernen sämtlicher Materie und Strahlung ein perfektes Vakuum erzeugen. Doch die Quantenphysik übersteigt auch in diesem Fall den Alltagsverstand. Wie sich zeigt, vermag eine Raumregion tatsächlich weniger als nichts zu enthalten, indem dort die Energiedichte – die Energie pro Volumeneinheit – kleiner als null wird.

Das hat bizarre Konsequenzen. Nach der Einsteinschen Gravitationstheorie wird das geometrische Gefüge von Raum und Zeit durch die Anwesenheit von Materie und Energie auf ganz bestimmte Weise verändert. Was wir als Schwerkraft wahrnehmen, ist die Raumzeit-Krümmung, die durch normale, positive Energie oder Masse hervorgerufen wird. Doch wenn negative Energie oder Masse – sogenannte exotische Materie – die Raumzeit verzerrt, eröffnen sich theoretisch die erstaunlichsten Möglichkeiten: Wurmlöcher, die wie die Abkürzung eines verschlungenen Weges zu ansonsten weit entfernten Teilen des Universums führen; Warp-Antriebe, die durch künstliche Raumzeit-Verzerrung Raumflüge mit Überlichtgeschwindigkeit ermöglichen; Zeitmaschinen, die Reisen in die Vergangenheit erlauben. Mittels negativer Energie ließe sich sogar ein Perpetuum mobile bauen oder ein Schwarzes Loch zerstören. Das gäbe gewiß reichlich Stoff für einige Folgen der Science-fiction-Serie "Raumschiff Enterprise".

Doch für Physiker schrillen bei solchen Spekulationen sämtliche Alarmglocken. Die möglichen Paradoxien einer Zeitreise in die Vergangenheit – der Reisende könnte beispielsweise verhindern, daß sein Vater auf die Welt kommt – sind ein beliebtes Thema der Science-fiction, und die anderen Auswirkungen exotischer Materie sind nicht weniger problematisch. Sie werfen eine Frage von fundamentaler Bedeutung auf: Schränken die physikalischen Gesetze, die negative Energie zulassen, deren Verhalten überhaupt in irgendeiner Weise ein? Wie wir und andere Forscher entdeckt haben, sind der Größe und Dauer negativer Energie von der Natur sogar so enge Grenzen gesetzt, daß die Konstruktion von Wurmlöchern und Überlicht-Antrieben – manche würden sagen, leider – kaum jemals gelingen dürfte.

Zunächst einmal möchten wir klarstellen, was negative Energie nicht ist. Sie darf nicht mit Antimaterie verwechselt werden, denn deren Energie ist positiv. Wenn ein Elektron und sein Antiteilchen, ein Positron, kollidieren, entsteht durch Paarvernichtung pure positive Energie in Form von Gammastrahlung. Würden Antiteilchen aus negativer Energie bestehen, so käme bei der Paarvernichtung die Energie null heraus. Auch hat negative Energie nichts mit der Energie zu tun, die der kosmologischen Konstanten zugeordnet ist und bei der sogenannten kosmischen Inflation eine Rolle spielt (siehe "Neuer Auftrieb für ein beschleunigtes Universum" von Lawrence M. Krauss, Spektrum der Wissenschaft, 3/1999, S. 47). Die kosmologische Konstante entspricht negativem Druck, aber positiver Energie; zwar sprechen einige Autoren in diesem Zusammenhang von exotischer Materie, aber wir reservieren die Bezeichnung lieber für negative Energiedichten.

Negative Energie ist kein Phantasiegebilde; einige ihrer Effekte sind im Labor erzeugt worden. Sie entstehen infolge des Heisenbergschen Unbestimmtheitsprinzips, demzufolge die Energiedichte jedes elektrischen, magnetischen oder sonstigen Feldes zufällig fluktuieren muß. Selbst wenn die Energiedichte im Mittel null ist, also im Vakuum, fluktuiert sie. Somit kann das Quantenvakuum niemals völlig leer im klassischen Sinn sein; es ist ein brodelnder See "virtueller" Teilchen, die spontan entstehen und vergehen. In der Quantentheorie entspricht der übliche Begriff der Null-Energie dem Vakuum mit all diesen Fluktuationen. Wenn es nun irgendwie gelingt, die Schwankungen zu dämpfen, hat das Vakuum weniger Energie als normal – das heißt, weniger als Energie null.

Zum Beispiel haben Forscher im Bereich der Quantenoptik spezielle Feldzustände erzeugt, bei denen durch destruktive Quanteninterferenz die Vakuumfluktuationen unterdrückt werden. Solche Vakuumzustände mit unterdrücktem Quantenrauschen – sogenannte squeezed states, wörtlich: gequetschte Zustände – gehen mit negativer Energie einher. Genauer gesagt, dabei entstehen Gebiete mit abwechselnd positiver und negativer Energie. Die Gesamtenergie, gemittelt über den gesamten Raum, bleibt positiv; die Rauschunterdrückung des Vakuums erzeugt an einem Ort negative Energie um den Preis, daß dafür anderswo zusätzliche positive Energie entsteht. Bei einem typischen Experiment treten Laserstrahlen durch ein nichtlineares optisches Medium und erzeugen dort Paare von Lichtquanten. Diese Photonen verstärken und unterdrücken abwechselnd die Vakuumfluktuationen, wodurch Gebiete positiver beziehungsweise negativer Energie entstehen (siehe "Unterdrückung des Quantenrauschens bei Lichtwellen" von Richard E. Slusher und Bernard Yurke, Spektrum der Wissenschaft, 7/1988, S. 70).

Eine andere Methode zur Produktion negativer Energie besteht darin, einem Raum geometrische Grenzen zu setzen. Im Jahre 1948 zeigte der niederländische Physiker Hendrik B. G. Casimir, daß zwei ungeladene parallele Metallplatten die Vakuumfluktuationen so abändern, daß die Platten einander anziehen. Die Energiedichte im Zwischenraum erwies sich später rein rechnerisch als negativ. Die Platten reduzieren nämlich die Fluktuationen im Zwischenraum; dadurch entsteht negative Energie und ein negativer Druck, der die Platten zueinander zieht. Je enger der Spalt, desto negativer Energie und Druck, und desto stärker die Anziehungskraft. Der Casimir-Effekt ist kürzlich von Steve K. Lamoreaux vom Los Alamos National Laboratory sowie von Umar Mohideen von der Universität von Kalifornien in Riverside und seinem Mitarbeiter Anushree Roy gemessen worden. Außerdem sagten in den siebziger Jahren Paul C. W. Davies und Stephen A. Fulling, damals am King’s College der Universität London, voraus, daß eine bewegte Grenzfläche – etwa ein rasch verschobener Spiegel – einen Fluß negativer Energie hervorrufen könne.

Sowohl beim Casimir-Effekt wie bei rauschunterdrückten Zuständen sind nur die indirekten Effekte negativer Energie gemessen worden. Ein direkter Nachweis ist schwieriger, aber Peter G. Grove, damals am britischen Innenministerium, Adrian C. Ottewill, damals an der Universität Oxford, und einer von uns (Ford) haben 1992 vorgeschlagen, es mit Atomspins zu versuchen.

Auch in anderen Gebieten der modernen Physik taucht der Begriff der negativen Energie auf. Besonders eng ist er mit Schwarzen Löchern verbunden; diese rätselhaften Objekte erzeugen ein so starkes Schwerefeld, daß aus dem Innern ihres sogenannten Ereignishorizonts nichts zu entkommen vermag. Im Jahre 1974 stellte Stephen W. Hawking von der Universität Cambridge die berühmte These auf, daß Schwarze Löcher dennoch mit der Zeit verdampfen, indem sie Strahlung emittieren: Ein Schwarzes Loch strahlt pro Zeiteinheit eine Energiemenge ab, die umgekehrt proportional zum Quadrat seiner Masse ist. Obwohl nur Schwarze Löcher von der Größe einzelner Elementarteilchen schnell verdampfen, liefert die Verdampfungsgeschwindigkeit eine wichtige Verbindung zwischen den Gesetzen für Schwarze Löcher und den Gesetzen der Thermodynamik. Die Hawking-Strahlung erlaubt Schwarzen Löchern, in thermisches Gleichgewicht mit ihrer Umgebung zu gelangen.

Auf den ersten Blick scheint das Verdampfen zu einem Widerspruch zu führen. Der Ereignishorizont ist eine Einbahnstraße: Energie kann nur nach innen strömen. Wie vermag dann ein Schwarzes Loch Energie nach außen abzustrahlen? Da die Energie eine Erhaltungsgröße ist, muß der Erzeugung positiver Energie – von entfernten Beobachtern als Hawking-Strahlung wahrgenommen – ein Fluß negativer Energie ins Loch hinein entsprechen. In diesem Fall wird die negative Energie durch die extreme Raumzeit-Krümmung in der Nähe des Loches erzeugt, welche die Vakuumfluktuationen stört. Auf diese Weise ist negative Energie erforderlich, damit die Physik Schwarzer Löcher sich mit der Thermodynamik vereinbaren läßt.

Eine weitere stark gekrümmte Region der Raumzeit, wo negative Energie eine Rolle zu spielen scheint, ist das sogenannte Wurmloch – eine hypothetische tunnelförmige Verbindung zwischen zwei Raumzeitgebieten. Zunächst meinten die Physiker, daß Wurmlöcher nur in den allerwinzigsten Größenordnungen existieren und wie virtuelle Quantenteilchen entstehen und vergehen. Wie die Physiker Robert Fuller und John A. Wheeler Anfang der sechziger Jahre zeigten, würden größere Wurmlöcher unter ihrer eigenen Schwerkraft so rapide kollabieren, daß sogar ein Lichtstrahl nicht genügend Zeit hätte, sie zu durchqueren.

Doch Ende der achtziger Jahre kamen mehrere Forscher – insbesondere Michael S. Morris und Kip S. Thorne vom California Institute of Technology sowie Matt Visser von der Universität Washington – zu anderen Ergebnissen. Tatsächlich lassen sich im Prinzip Wurmlöcher produzieren, die groß genug für einen Menschen oder ein ganzes Raumschiff sind. Jemand könnte auf der Erde die Öffnung eines Wurmlochs betreten, innerhalb des Lochs ein kurzes Stück gehen und die andere Öffnung beispielsweise in der Andromeda-Galaxie verlassen. Der entscheidende Punkt ist, daß durchquerbare Wurmlöcher negative Energie erfordern. Weil diese einer abstoßend wirkenden Gravitation entspricht, verhindert sie den Zusammenbruch des Wurmlochs. Wenn ein Wurmloch überhaupt als durchquerbar gelten soll, muß es zumindest Lichtsignale durchlassen. Beim Eintritt in die Öffnung des Wurmloch konvergieren die Strahlen, doch damit sie am anderen Ende wieder herauskommen, müssen sie divergieren – das heißt, irgendwo dazwischen müssen sie von Konvergenz zu Divergenz übergehen (siehe Diagramm auf dieser Seite). Diese Defokussierung erfordert negative Energie. Während das anziehende Schwerefeld gewöhnlicher Materie eine Raumkrümmung erzeugt, die wie eine Sammellinse wirkt, übt negative Energie auf Licht die Wirkung einer Streulinse aus.

Überlicht-U-Bahn


Solche Verzerrungen der Raumzeit könnten außerdem einen alten Science-fiction-Traum realisieren: eine exotische Antriebsform, mit der ein Raumfahrzeug schneller als Licht zu reisen vermag. 1994 entdeckte Miguel Alcubierre Moya an der Universität von Wales in Cardiff eine Lösung der Einsteinschen Gleichungen, die dem legendären Warp-Antrieb des Raumschiffs Enterprise sehr nahekommt. Sie beschreibt eine Raumzeit-Blase, die ein Raumschiff mit beliebig hoher Geschwindigkeit relativ zu Beobachtern außerhalb der Blase transportiert. Rechnerisch betrachtet ist dafür negative Energie erforderlich.

Der Warp-Antrieb verletzt nur scheinbar die Prinzipien der speziellen Relativitätstheorie. Die Theorie besagt zwar, daß man ein Lichtsignal nicht zu überholen vermag, sofern man ihm ein faires Rennen liefert und keine Abkürzungen wählt. Doch wenn die Raumzeit deformiert ist, könnte man dem Lichtsignal ein Schnippchen schlagen, indem man einen anderen Weg nimmt. Die Kontraktion der Raumzeit vor der Blase und die Expansion dahinter erzeugen eine solche Abkürzung (siehe Bild auf Seite 40).

Allerdings hat Sergej V. Krasnikow vom astronomischen Zentrallaboratorium in Pulkowo bei Sankt Petersburg auf ein Problem von Alcubierres ursprünglichem Modell hingewiesen: Zwischen dem Innern der Blase und ihrem vorderen Rand besteht keine kausale Verbindung. Ein Raumfahrer im Innern vermag die Blase nicht zu steuern oder ein- und auszuschalten; eine äußere Instanz muß sie vor Beginn der Reise präparieren. Um dieses Problem zu umgehen, schlug Krasnikow eine "Überlicht-U-Bahn" vor: eine Röhre aus modifizierter Raumzeit – nicht zu verwechseln mit einem Wurmloch – zwischen der Erde und einem entfernten Stern. Innerhalb der Röhre ist eine Reise mit Überlichtgeschwindigkeit möglich, allerdings nur in eine Richtung. Die Raumschiffbesatzung würde zunächst auf einem normalen Hinflug mit Unterlichtgeschwindigkeit eine solche Röhre erzeugen und könnte dann schneller als Licht durch sie hindurch zurückfliegen.

Wie die Warp-Blasen erfordert auch diese interstellare U-Bahn negative Energie. Unterdessen haben Ken D. Olum von der Tufts-Universität in Massachusetts und Visser gemeinsam mit Bruce Bassett von der Universität Oxford und Stefano Liberati von der internationalen Schule für fortgeschrittene Studien in Triest gezeigt, daß jede Art von Überlicht-Antrieb den Einsatz negativer Energie voraussetzt.

Zeitreisen mittels Wurmloch?


Mittels Wurmlöchern oder Warp-Antrieben wären sogar Zeitreisen denkbar. Zeit ist relativ: Wie rasch sie vergeht, hängt von der Geschwindigkeit des Beobachters ab. Ein Mensch, der die Erde mit einem Raumschiff verläßt, das unterwegs nahezu Lichtgeschwindigkeit erreicht, ist bei der Rückkehr weniger gealtert als jemand, der auf der Erde zurückbleibt. Wenn der Reisende sogar schneller als ein Lichtstrahl unterwegs ist – indem er eine Abkürzung durch ein Wurmloch oder eine Warp-Blase nimmt –, kann er zurückkommen, bevor er abgeflogen ist. 1988 schlugen Morris, Thorn und Ulvi Yurtsever, damals am California Institute of Technology, eine Wurmloch-Zeitmaschine vor und lösten damit eine lebhafte Debatte über Zeitreisen aus. Im Jahre 1992 bewies Hawking, daß die Konstruktion einer Zeitmaschine in einem endlichen Gebiet der Raumzeit prinzipiell negative Energie erfordert.

Negative Energie ist etwas so Seltsames, daß man vermuten könnte, sie müsse physikalische Gesetze verletzen. Vor und nach der Erzeugung gleicher Beträge von negativer und positiver Energie im Vakuum ist die Gesamtenergie null – in Übereinstimmung mit dem Gesetz der Energieerhaltung. Doch es gibt viele Phänomene, bei denen die Energie erhalten bleibt und die trotzdem nie auftreten. Ein zerbrochenes Glasgefäß setzt sich nicht von selbst wieder zusammen, und Wärme fließt nicht spontan von einem kälteren zu einem wärmeren Körper. Solche Vorgänge sind durch den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verboten; er besagt, daß das Ausmaß der Unordnung eines Systems – seine Entropie – nicht von selbst abnehmen kann, das heißt, nicht ohne äußere Energiezufuhr. Darum braucht ein Kühlschrank eine Energiequelle, um Wärme aus seinem kalten Innern in die wärmere Umgebung zu pumpen.

Negative Energie droht mit dem Zweiten Hauptsatz in Konflikt zu geraten. Stellen wir uns einen exotischen Laser vor, der einen stetigen Strahl negativer Energie erzeugt. Die Energieerhaltung verlangt, daß als Nebenprodukt ein stetiger Strom positiver Energie entsteht. Man könnte nun den negativen Energiestrahl in einen fernen Winkel des Universums ableiten und die positive Energie verwenden, um nützliche Arbeit zu leisten. Diese scheinbar unerschöpfliche Energiequelle könnte ein Perpetuum mobile antreiben und damit den Zweiten Hauptsatz verletzen. Würde man den negativen Strahl auf ein Glas Wasser richten, so könnte er das Wasser kühlen, während die gewonnene positive Energie einen kleinen Motor antriebe – und man hätte einen Kühlschrank ohne äußere Energiequelle. Solche Probleme entstehen nicht durch die Existenz negativer Energie an sich, sondern durch die ungehinderte Trennung von negativer und positiver Energie.

Unbeschränkte negative Energie würde auch tiefgreifende Folgen für Schwarze Löcher nach sich ziehen. Wenn durch den Kollaps eines sterbenden Sterns ein Schwarzes Loch entsteht, bildet sich der allgemeinen Relativitätstheorie zufolge eine Singularität, das heißt ein Gebiet, in dem das Gravitationsfeld unendlich stark wird. An dieser Stelle vermag die Theorie keinerlei Vorhersagen mehr zu treffen. Dieses Versagen ist ein grundlegender Mangel der gegenwärtigen mathematischen Naturbeschreibung. Doch solange die Singularität innerhalb eines Ereignishorizonts versteckt bleibt, hält sich der Schaden in Grenzen, denn die Naturbeschreibung außerhalb des Horizonts wird nicht tangiert. Aus diesem Grund hat Roger Penrose von der Universität Oxford das Prinzip der kosmischen Zensur postuliert: Es darf keine "nackten" – nicht von einem Horizont umhüllten – Singularitäten geben.

Bei speziellen Typen elektromagnetisch geladener oder rotierender Schwarzer Löcher – sogenannten extremen Schwarzen Löchern – könnte im Prinzip schon ein kleiner Zuwachs an Ladung oder Drehimpuls oder ein Verlust an Masse den Horizont zerstören und das Loch in eine nackte Singularität verwandeln. Versuche, diesen Löchern mittels gewöhnlicher Materie Ladung oder Drehmoment zuzuführen, sind anscheinend aus mehreren Gründen zum Scheitern verurteilt. Statt dessen könnte man eine Massenverringerung herbeiführen, indem man einen Strahl negativer Energie ins Loch lenkt, ohne dessen Ladung oder Drehimpuls zu verändern, und dadurch die kosmische Zensur unterlaufen. Ein solcher Strahl ließe sich beispielsweise mit einem bewegten Spiegel erzeugen. Im Prinzip wäre nur ein winziger Betrag negativer Energie nötig, um den Zustand eines extremen Schwarzen Lochs dramatisch zu verändern. Auf diese Weise könnte negative Energie am ehesten makroskopische Wirkungen erzielen.

Obwohl die Quantentheorie die Existenz negativer Energie zuläßt, schränkt sie zugleich deren Größe und Dauer stark ein. Diese Beschränkungen – sogenannte Quantenungleichungen – wurden erstmals 1978 von einem von uns (Ford) formuliert und sind seither von uns und anderen Forschern – unter anderem Éanna E. Flanagan von der Cornell-Universität, Michael J. Pfenning von der Tufts-Universität, Christopher J. Fewster und Simon P. Eveson von der Universität von York sowie Edward Teo von der Universität Singapur – bewiesen und verfeinert worden.

Die Ungleichungen ähneln in gewisser Weise den Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen. Sie besagen, daß ein Strahl negativer Energie nicht beliebig lange beliebig intensiv zu sein vermag. Die zulässige negative Energie ist umso größer, je kleiner ihre zeitliche oder räumliche Ausdehnung ist. Ein intensiver Puls negativer Energie vermag nur kurz anzudauern; ein schwacher Puls kann länger dauern. Außerdem muß auf einen negativen Energiepuls ein größerer Puls positiver Energie folgen (siehe Diagramm unten). Je größer die negative Energie, desto näher muß ihr positives Gegenstück liegen. Diese Einschränkungen gelten unabhängig davon, wie die negative Energie im einzelnen produziert wird. Man kann sie sich als Energiedarlehen vorstellen: Wie Schulden negatives Geld sind, daß zurückgezahlt werden muß, so ist negative Energie ein Energiedefizit.

Beim Casimir-Effekt kann die negative Energiedichte zwischen den Platten unbegrenzt fortbestehen, doch große Dichten erfordern einen sehr geringen Plattenabstand: Die Größe der negativen Energiedichte ist umgekehrt proportional zur vierten Potenz des Plattenabstands. Genau so, wie ein Puls mit stark negativer Energie zeitlich begrenzt ist, muß auch eine stark negative Casimir-Energiedichte zwischen eng benachbarten Platten eingesperrt werden. Gemäß den Quantenungleichungen läßt sich die Energiedichte im Spalt nur vorübergehend negativer machen als der Casimir-Wert. Je tiefer man die Energiedichte unter den Casimir-Wert abzusenken sucht, desto kürzer läßt dieser Zustand sich aufrechterhalten.

Angewandt auf Wurmlöcher und Warp-Antriebe besagen die Quantenungleichungen, daß solche Gebilde normalerweise submikroskopisch klein sein müssen; bei makroskopischen Gebilden müßte die negative Energie auf unvorstellbar schmale Streifen beschränkt sein. Wie wir 1996 zeigten, hätte ein submikroskopisches Wurmloch in seinem schlauchförmigen Mittelteil, dem "Schlund", nur rund 10–32 Meter Durchmesser. Das ist nicht viel mehr als die sogenannte Plancksche Länge, mit 10–35 Metern die kleinste quantenphysikalisch sinnvolle Distanz überhaupt. Zwar ist es im Prinzip möglich, makroskopische Wurmlöcher zu modellieren – aber nur um den Preis, daß die negative Energie auf ein extrem dünnes Band um den Schlund eingeschränkt bleibt. Zum Beispiel erfordert in einem unserer Modelle ein Schlundradius von 1 Meter ein negatives Energieband, das nur 10–21 Meter dick ist – ein Millionstel des Proton-Durchmessers. Visser schätzt die für ein Wurmloch dieser Größe erforderliche negative Energie auf einen Betrag, welcher der von 10 Milliarden Sternen in einem Jahr erzeugten Gesamtenergie gleichkommt.

Kosmisches Blitzen und Quantenzins


Für größere Wurmlöcher sieht die Situation nicht viel besser aus. In dem erwähnten Modell ist die maximal zulässige Dicke des negativen Energiebands proportional zur Kubikwurzel des Schlundradius. Selbst wenn er auf ein Lichtjahr vergrößert wird, muß die negative Energie noch immer auf ein Gebiet beschränkt werden, das kleiner ist als ein Proton-Radius, und die erforderliche Gesamtenergie wächst linear mit der Schlundweite.

Anscheinend stehen Wurmloch-Ingenieure vor fast unüberwindlichen Problemen. Sie müssen eine Methode finden, große Mengen negativer Energie in extrem schmale Raumgebiete zu sperren. In manchen kosmologischen Theorien tauchen zwar sogenannte kosmische Strings auf; aber diese hypothetischen Gebilde, bei denen sehr hohe Energiedichten in langen dünnen Fäden konzentriert sind, enthalten offenbar stets nur positive Energien.

Warp-Antriebe sind sogar noch rigoroser eingeschränkt, wie Pfenning und Allen Everett von der Tufts-Universität in Zusammenarbeit mit uns gezeigt haben. In Alcubierres Modell darf die Wand einer Warp-Blase, die sich mit zehnfacher Lichtgeschwindigkeit bewegt, nur 10–32 Meter dick sein. Eine Blase mit 200 Metern Durchmesser, in der ein Raumschiff Platz hätte, würde eine negative Energiemenge benötigen, die dem Zehnmilliardenfachen der Masse des bekannten Universums entspräche. Ähnliche Beschränkungen gelten für Krasnikows Überlicht-U-Bahn. Kürzlich hat Chris Van Den Broeck von der Katholischen Universität Leuwen (Belgien) eine Variante von Alcubierres Modell konstruiert; sein Modell braucht viel weniger negative Energie, steckt dafür aber das Raumschiff in eine Flasche aus gekrümmter Raumzeit, deren Hals nur 10–32 Meter weit ist – gewiß keine leichte Aufgabe. Diesen Resultaten zufolge erscheint es ziemlich unwahrscheinlich, daß Wurmlöcher und Warp-Antriebe mittels quantenphysikalisch gewonnener negativer Energie konstruiert werden können.

Die Quantenungleichungen verhindern Verletzungen des Zweiten Hauptsatzes. Versucht man, ein heißes Objekt mit einem Puls negativer Energie zu kühlen, so folgt sofort ein größerer positiver Energiepuls, der das Objekt wieder erwärmt. Ein schwacher negativer Puls könnte zwar länger von seinem positiven Gegenstück getrennt bleiben, aber seine Wirkung wäre nicht von gewöhnlichen thermischen Fluktuationen zu unterscheiden. Auch alle Versuche, negative Energie von positiver zu trennen und separat einzufangen, sind offenbar zum Scheitern verurteilt. Angenommen, man verwendet dafür einen Behälter mit beweglicher Klappe: Durch Schließen der Klappe sucht man einen Puls negativer Energie einzufangen, bevor der kompensierende positive Puls ankommt. Doch das Schließen der Klappe erzeugt selbst einen Energiefluß, der sich mit der negativen Energie, die eingefangen werden soll, wieder aufhebt (siehe Bildfolge oben).

Wir konnten zeigen, daß auch für Verletzungen der kosmischen Zensur ähnliche Einschränkungen gelten. Ein Puls negativer Energie, der in ein elektromagnetisch geladenes Schwarzes Loch gelenkt wird, vermag zwar für einen Augenblick den Horizont zu zerstören und die darin verborgene Singularität freizulegen. Doch dem Puls folgt unweigerlich sein positiver Begleiter und verwandelt die nackte Singularität in ein Schwarzes Loch zurück. Diesen Vorgang haben wir kosmisches Blitzen getauft.

Am besten ließe sich kosmisches Blitzen beobachten, wenn es gelänge, den zeitlichen Abstand zwischen negativer und positiver Energie – und damit die Dauer der nackten Singularität – möglichst zu verlängern. Aber dann müßte aufgrund der Quantenungleichungen die Größe des negativen Energiepulses sehr gering sein. Die durch den negativen Energiepuls verursachte Massenänderung des Schwarzen Lochs würde von den normalen Quantenfluktuationen der Masse überlagert, die eine natürliche Folge des Unbestimmtheitsprinzips sind. Letztlich wird die Ansicht der nackten Singularität so verwischt, daß ein entfernter Beobachter nicht zweifelsfrei festzustellen vermag, ob die kosmische Zensur verletzt wurde.

Kürzlich haben wir sowie Frans Pretorius von der Universität von Victoria, Fewster und Teo gezeigt, daß die Quantenungleichungen die negative Energie sogar noch stärker einschränken. Der positive Puls, der notwendigerweise dem negativen nachfolgt, gleicht seinen Vorgänger nicht nur aus, sondern überkompensiert ihn sogar. Der Überschuß wächst mit dem Zeitintervall zwischen den Pulsen. Somit können negativer und positiver Puls einander nie exakt ausgleichen. Die positive Energie muß stets überwiegen.

Dieser Effekt ist als Quantenzins bekannt. Interpretiert man negative Energie als Energiedarlehen, so muß das Darlehen mit Zinsen zurückgezahlt werden. Je länger die Darlehensdauer oder je größer die Darlehensmenge, desto größer der Zinsbetrag. Außerdem gilt: Je größer das Darlehen, desto kleiner die maximal zulässige Darlehensdauer. Die Natur ist ein unerbittlicher Bankier und fordert Schulden stets zurück – Quantenschulden sogar mit Zinsaufschlag.

Der Begriff der negativen Energie tangiert mehrere Bereiche der Physik: Gravitation, Quantentheorie, Thermodynamik. Die enge Verknüpfung so unterschiedlicher Teile der Physik verdeutlicht den streng logischen Aufbau der Naturgesetze. Einerseits scheint negative Energie erforderlich zu sein, um die Physik Schwarzer Löcher mit der Thermodynamik zu versöhnen. Andererseits verhindert die Quantenphysik die ungehemmte Produktion negativer Energie – und somit eine Verletzung des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Ob diese Beschränkungen zugleich Eigenschaften einer tiefer liegenden Vereinigung von Quanten- und Gravitationstheorie sind, muß sich erst herausstellen.

Literaturhinweise


Gekrümmter Raum und verbogene Zeit. Einsteins Vermächtnis. Von Kip S. Thorne. Droemer Knaur, München 1994.

Lorentzian Wormholes: From Einstein to Hawking. Von Matt Visser. American Institute of Physics Press, 1996.

Quantum Field Theory Constrains Traversable Wormhole Geometry. Von L. H. Ford und T. A. Roman in: Physical Review D, Bd. 53, S. 5496 – 5507 (1996).

The Unphysical Nature of Warp Drive. Von M. J. Pfenning und L. H. Ford in: Classical and Quantum Gravity, Bd. 14, S. 1743 – 1751 (1997).

Paradox Lost. Von Paul Davies in: New Scientist, Bd. 157, Heft 2126, S. 26 (21. März 1998).

Time Machines: Time Travel in Physics, Metaphysics, and Science Fiction. Zweite Auflage. Von P. J. Nahin. AIP Press, Springer Verlag, 1999.

The Quantum Interest Conjecture. Von L. H. Ford und T. A. Roman in: Physical Review D, Bd. 60, Artikel Nr. 104018, 8 Seiten (1999).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 36
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