Zahlentwicklung mit gebrochenen Basen, Abzählreime und Irrgärten
Man kann natürliche Zahlen nicht nur im Dezimal- oder Dualsystem schreiben, sondern zum Beispiel auch zur Basis 5/4 oder 3/2. Das ist für manche Probleme hilfreich.
Fünf Schiffbrüchige haben auf der bekannten einsamen Insel den Tag über Kokosnüsse gesammelt und auf einen großen Haufen gelegt. Bevor es ans Aufteilen geht, wird es dunkel, und sie legen sich erst einmal schlafen. In der Nacht wacht einer von ihnen auf; da er seinen Kumpanen nicht traut, beschließt er, sich vorsichtshalber im hellen Mondlicht jetzt schon seinen Anteil zu nehmen. Er verteilt die Nüsse gleichmäßig auf fünf Haufen; eine Nuß bleibt übrig, die er wegwirft. Dann trägt er seinen Haufen beiseite, schiebt die restlichen vier zusammen und legt sich wieder hin. Bald darauf wacht der zweite auf, findet den Resthaufen vor und bedient sich wie der erste. Auch bei ihm bleibt eine Nuß übrig, die er wegwirft. Die übrigen drei tun es den beiden nach: Jeder nimmt sich ein Fünftel von dem – immer kleiner werdenden – Haufen, wobei jedesmal eine Nuß übrigbleibt (Bild 1). Kann sich diese Geschichte so zugetragen haben? Wenn ja, wie viele Kokosnüsse müßten ursprünglich gesammelt worden sein? Tatsächlich gibt es unendlich viele passende Anzahlen, und wir werden einen systematischen Weg beschreiben, sie alle zu berechnen und damit dieses Problem (und analoge) zu lösen. Interessanter als die Lösung selbst ist jedoch die Methode, die mit einer überraschenden Darstellungsmöglichkeit für natürliche Zahlen arbeitet: Als Basis verwendet man anstelle der Zehn, auf der die übliche Dezimalschreibweise beruht, oder der Zwei, mit der Computer zu arbeiten pflegen, gebrochene Zahlen, in diesem Falle 5/4. Zum Verständnis ist es hilfreich, sich von dem speziellen Beispiel zu lösen und die Geschichte in etwas allgemeinerer Form zu betrachten: r Schiffbrüchige sammeln eine Anzahl von Nüssen. Einer nach dem anderen nehme sich sodann seinen Anteil. Wir nennen die Anzahl der Nüsse, die nach der ersten Aufteilung übrigbleiben, , die nach der zweiten Aufteilung und so weiter. Die Anzahl der nach der j-ten Aufteilung verbleibenden Nüsse wird immer kleiner, je größer j wird. Vor dem j-ten Aufteilungsakt findet der Schiffbrüchige, der dann an der Reihe ist, also Nüsse vor. Die verteilt er auf r gleichgroße Teilhaufen; es bleiben Nüsse übrig (weniger als r), die er wegwirft. Von den r Teilhaufen nimmt er sich nun h Haufen. Im Beispiel war h=1, es kann aber jede Zahl zwischen 1 und r-1 sein. Die restlichen s=r-h Teilhaufen schiebt er zu dem neuen Resthaufen von Nüssen zusammen. In Formeln: oder, nach aufgelöst, Außerdem nehmen wir an, daß der Aufteilungsprozeß so lange weitergehe, wie noch Nüsse da sind. Möglicherweise nehmen sich die Schiffbrüchigen mehrmals einen Anteil. Irgendwann wird die Anzahl der Nüsse, die für den nächsten übrigbleiben, kleiner als r sein. Der (k+1)te Teilungsakt besteht dann nur noch aus Wegwerfen: und , womit der Aufteilungsprozeß beendet ist. Die Aufteilungsformeln in ihrer zweiten Form lauten für j=1, 2, 3, ... und so weiter. Setzen wir die zweite Formel in die erste ein, erhalten wir Für n2 können wir hier die dritte Formel einsetzen. Das ergibt Diesen Einsetzungsprozeß kann man fortführen, bis man bei landet. Es ergibt sich Das ist eine Darstellung von n0 durch Potenzen von r/s, in der die Koeffizienten ganze Zahlen zwischen 0 und r-1 einschließlich sind. Wenn anstelle der gebrochenen Basis r/s die Zehn stehen würde, wäre die letzte Formel nichts weiter als die Dezimaldarstellung der natürlichen Zahl n0 mit den Ziffern (von links nach rechts gelesen). Daß man die Basis 10 durch irgendeine natürliche Zahl g größer als 1 ersetzen kann, wird heute schon in der Grundschule vermittelt. Aus den obigen Überlegungen ergibt sich nun, daß ganz entsprechende Darstellungen auch existieren, wenn die Basis ein Bruch r/s größer als 1 ist. Wenn r und s teilerfremd sind – der Bruch also gekürzt ist –, was wir im folgenden voraussetzen wollen, ist die (r/s)-Darstellung eindeutig: Zu einer natürlichen Zahl n0 gibt es genau eine darstellende Ziffernfolge , so daß die obige Gleichung erfüllt ist. Wir schreiben das in der Form wobei wir die Angabe der Basis (r/s) auch weglassen, wenn keine Verwechslung zu befürchten ist. Man findet die (r/s)-Darstellung, indem man ein verallgemeinertes Schiffbrüchigen-Problem durchspielt (Kasten auf dieser Seite). Die Zwischenzahlen und so weiter spielen in den späteren Überlegungen eine entscheidende Rolle. Sie sind sämtlich durch s teilbar, denn der aus Nüssen bestehende j-te Resthaufen entsteht ja, indem s gleichgroße Haufen zusammengeschoben werden. Die (r/s)-Darstellung von ist gleich der Darstellung von n0 ohne die letzten j Ziffern: denn das ist genau die Folge der Reste, die sich bei weiterer Aufteilung des j-ten Haufens ergeben.
Ein Zählwerk im (5/4)-System
Wie zählt man in Systemen mit gebrochenen Basen, zum Beispiel zur Basis 5/4? Zunächst wie gewohnt: 1, 2, 3, 4 – aber die Ziffer 5 existiert nicht in diesem System. Im System zur Basis 5 wäre die Fünf als zu schreiben, im (5/4)-System dagegen hat sie die Darstellung . Es geht weiter mit 41, 42, 43, 44; dann folgt 430, die Darstellung der Zehn. Das ist weniger verwirrend, als es zunächst aussieht. Man kann sich sogar einen Kilometerzähler ausdenken, der zurückgelegte Wege im (r/s)-System anzeigt (Bild 2). Ein gewöhnlicher Kilometerzähler hat für jede Dezimalstelle ein Rädchen, auf dessen Umfang die Ziffern 0 bis 9 angebracht sind. Gezählt wird, indem das äußerste rechte (Einer-) Rädchen jeweils um eine Einheit weitergedreht wird. Wenn irgendein Rädchen über die Neun hinaus wieder auf null gestellt wird, bewegt eine Mechanik das linke Nachbarrädchen um eine Einheit weiter; das ist der Zehnerübertrag. Wenn der Zähler zum Beispiel auf 999 steht, löst der nächste Schritt des Einerrädchens eine Kette von Übertrags-Aktionen in den höheren Rädchen aus, und das Gerät zeigt 1000 an. Ein Kilometerzähler zur Basis 5 würde entsprechend die Ziffern 0 bis 4 auf seinen Rädchen tragen und beim Übergang von 4 auf 0 das nächsthöhere Rädchen um eins weiterbewegen (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Mai 1990, Seite 12). Gleiches gilt für einen Zähler zur Basis 5/4; nur wird dort das nächsthöhere Rädchen nicht um eine, sondern um vier Einheiten bewegt. Denn indem ein Rädchen von 4 auf 0 bewegt wird, obgleich es eigentlich 5 anzeigen müßte, zeigt der Zähler fünf Einheiten dieser Stelle zuwenig an. Dem entspricht aber nicht eine Einheit der nächsthöheren Stelle, wie beim Zähler zur Basis 5 – es sind eben vier. Allgemein wären die Rädchen eines Kilometerzählers zur Basis (r/s) mit den Ziffern von 0 bis r-1 beschriftet und würden beim Übertrag ihren jeweils linken Nachbarn um s Schritte weiterbewegen. Mit Ausnahme des Einerrädchens durchlaufen alle Rädchen des (5/4)-Zählers die Ziffern von 0 bis 4 in der umgekehrten Reihenfolge: Ein Rädchen, das ursprünglich auf 0 stand, wird beim Übertrag vom rechten Nachbarrädchen auf 4 gestellt. Beim nächsten Übertrag springt es 4 Einheiten weiter; dann steht es auf 3 (und hat seinen linken Nachbarn bewegt, weil es die Null überschritten hat). Die nächsten Überträge setzen es nacheinander auf 2, 1 und 0. Wie bei einem normalen Kilometerzähler tritt auch bei einem (r/s)-Zähler jede beliebige Kombination von Endziffern irgendwann einmal auf, ja sogar beliebig oft – allerdings nicht in der gewohnten Reihenfolge. Um das Prinzip zu verstehen, genügt es, die Situation für die letzten drei Ziffern eines (5/4)-Zählers durchzuspielen. Das ist für unsere ursprüngliche Geschichte mit den Schiffbrüchigen von Bedeutung. Es ging um einen Aufteilungsprozeß mit r=5, h=1, also s=r-h=4 und , denn es blieb fünfmal hintereinander genau eine Nuß übrig. Die gesuchten passenden Kokosnußanzahlen sind also die natürlichen Zahlen , deren (5/4)-Dar-stellung auf fünf Einsen endet: Die obigen Überlegungen haben gezeigt, daß es unendlich viele solcher Zahlen gibt. Wie aber kann man sie ausrechnen? Das ist im allgemeinen recht kompliziert und soll hier nicht durchgeführt werden. Für unser spezielles Problem gibt es glücklicherweise eine einfache Lösung. Ausgehend von einem Zählerstand ...11111 eines (5/4)-Zählers zähle man weiter: Nach vier Schritten gibt es einen großen Ruck - wie bei einem gewöhnlichen Kilometerzähler bei einem Stand ...99999 –, und der nächste Zählerstand ist ...00000. Ist also eine natürliche Zahl mit , so ist eine Zahl, deren Darstellung auf fünf Nullen endet, die also bei den ersten fünf Aufteilungsprozessen den Rest 0 läßt. Das ist genau dann der Fall, wenn durch teilbar, also ein Vielfaches von 3125 ist. Die passenden Kokosnußanzahlen sind somit die um 4 verminderten Vielfachen von 3125. Die kleinste dieser Zahlen ist 3121; sie hat im (5/4)-System die Darstellung 432103134003434321021011111. Der hier beschriebene Lösungsweg ist nicht auf die speziellen Vorgaben r=5 für die Anzahl der Schiffbrüchigen und für die Anzahlen der jeweils wegzuwerfenden Nüsse beschränkt.
Abzählreime
Um auszuwählen, wer im nächsten Spiel die Hauptrolle haben soll, stellen sich Kinder zu einem großen Kreis auf. Eines zählt mit einem Abzählreim der Wort- oder Silbenzahl r aus. Jedes Kind, das vom letzten Wort getroffen wird, muß aus dem Kreis treten und wird bei der weiteren Auszählung nicht mehr berücksichtigt. Welches Kind – nennen wir es das Schlußkind – wird am Ende übrigbleiben? In der Fachliteratur ist das Problem unter dem Namen "Josephus-Problem" bekannt, nach einer blutrünstigen Legende aus der Zeit des Judenaufstands gegen die Römer um 70 nach Christus: Ein Häuflein Eingeschlossener vereinbarte, den sicheren Tod durch den Feind vor Augen, eine Art kollektiven Selbstmord; einer nach dem anderen sollte durch die Hand seines Nachbarn sterben. In welcher Reihenfolge dies geschehen sollte, wurde durch Auszählen bestimmt. Dem jüdischen Historiker Flavius Josephus (37 bis um 100) gelang es jedoch, sich so im Kreis zu plazieren, daß er als letzter übrigblieb und überlebte. Für den Fall r=2 liegt der Schlüssel zur Lösung in der Darstellung von n0 (der anfänglichen Anzahl der Kinder) zur Basis 2. Man stelle die erste Ziffer 1 in der Dualdarstellung von an die letzte Stelle; das Ergebnis ist die Dualdarstellung der Position des Schlußkindes (Bild 3 links; vergleiche "Kopf oder Zahl?" von Martin Gardner). Man könnte nun vermuten, daß etwa bei einem dreisilbigen Abzählreim die Entwicklung der Zahl nach Dreierpotenzen analoge Dienste leistet. Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn bei jedem Abzählen nicht ein Kind ausscheidet, sondern nur eines von drei Kindern übrigbleibt. Im allgemeinen gilt: Wenn auf r abgezählt wird, und zwar so, daß bei jedem Abzählen h Kinder ausscheiden und demnach s=r-h Kinder übrigbleiben, dann ist die Zahldarstellung zur (im allgemeinen gebrochenen) Basis r/s die geeignete. In der Tat kann man bis zu einem gewissen Grade die Kinder mit den Kokosnüssen des vorigen Problems identifizieren. (Ich bin über das Josephus-Problem überhaupt auf die Zahldarstellungen mit gebrochenen Basen gestoßen.) Den Haufen entsprechen gewisse Teilmengen der Kinder: Man fasse in Gedanken alle Kinder, die von derselben Silbe des Abzählreims getroffen werden, zu einer Riege zusammen. Die h Riegen der Kinder, die aus dem Kreis treten müssen, entsprechen den h beiseitegeschafften Nußhaufen. Wenn also am Anfang n0 Kinder im Kreis stehen und die (r/s)-Darstellung von n0 lautet, dann wäre die Anzahl der Kinder, die nach einer ersten Auszählrunde noch im Kreis verbleiben, . Nun werden aber bei den Schiffbrüchigen die nach der ersten Aufteilung übrigbleibenden Nüsse kurzerhand weggeworfen, während die in diesem Sinne überzähligen Kinder vorerst im Kreis bleiben. Bei der in Bild 3 Mitte dargestellten Auszählrunde ist die Analogie nur deshalb vollkommen, weil ein Vielfaches von 4 ist und weder Nüsse noch Kinder weggeworfen werden müssen. Um auch für eine ähnliche Analogie zu erzwingen, müssen wir erreichen, daß in jedem Fall nach einer mit Kindern beginnenden Auszählrunde noch genau Kinder im Kreis verbleiben. Wir definieren zu diesem Zweck den – bislang noch nicht eindeutig festgelegten – Begriff der Auszählrunde entsprechend: Eine mit Kindern beginnende Auszählrunde gilt genau dann als beendet, wenn noch Kinder im Kreis stehen. Der Zählbeginn für die folgende Runde wird dann im allgemeinen nicht mehr, wie in Bild 3 Mitte, mit dem ursprünglichen Zählbeginn übereinstimmen. Es kann sogar sein, daß das Kind, mit dem die Zählung begann, selbst ausscheiden muß (Bild 3 rechts). Es geht dann so weiter wie bei den Kokosnüssen: Nach der zweiten Auszählrunde sind noch Kinder im Kreis, dann und so weiter, bis nur noch weniger als r Kinder übrig sind. Unter diesen wenigen Kindern ist das Schlußkind durch Fortführen des Abzählens leicht zu finden. Die Frage war aber, an welcher Stelle das Schlußkind im ursprünglichen Kreis stand. Offensichtlich müssen wir die Kinder, im Gegensatz zu den Nüssen, numerieren. Das Kind, bei dem die erste Auszählrunde beginnt, erhält die Nummer 1; die Numerierung schreitet dann in Zählrichtung fort. Vor jeder neuen Auszählrunde sind die im Kreis verbliebenen Kinder neu durchzunumerieren: Die Nummer 1 geht an das Kind, das schon in der letzten Runde diese Nummer trug, wenn es nicht ausgeschieden ist. Ansonsten tritt sein Vorgänger, das Kind mit der bisher höchsten Nummer, an seine Stelle. Im Verlauf des Prozesses erhalten also die im Kreis verbleibenden Kinder immer wieder neue Nummern. Allgemein stehen nach der j-ten Auszählrunde noch Kinder im Kreis, wobei die j-te Zwischenzahl zu ist. Das beschreibt die Situation aber noch nicht vollständig; wir müssen außerdem wissen, an welcher Stelle (in der neuesten Numerierung) der Auszählprozeß für die (j+1)-te Runde beginnt. Die Berechnung dieser Zählbeginne ist nicht leicht, weil der Auszählprozeß wegen der überzähligen Kinder seinen Beginn überrunden kann und dann unübersichtlich wird, weil er auf Lücken trifft, welche bereits ausgeschiedene Kinder hinterlassen haben (Bild 3 rechts). Es gibt aber eine Formel, mit deren Hilfe man den Zählbeginn nach der (j+1)-ten Runde aus dem nach der j-ten Runde ausrechnen kann. Für den Fall eines dreisilbigen Abzählreims (r=3, s=2), auf den wir uns für das Weitere beschränken, lautet sie (ohne Herleitung, weil das den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde): Dabei stehen die spitzen Klammern für Runden nach oben: ist die kleinste ganze Zahl, die größer oder gleich x ist; ist die j-te Ziffer in der hier zu betrachtenden (3/2)-Darstellung von und damit zugleich die letzte Ziffer der j-ten Zwischenzahl . Es ergibt sich , in Übereinstimmung mit der Formel. Bild 4 zeigt ein Beispiel. Unter Verwendung der Formel errechnet sich die folgende Tabelle für zu gegebenen Werten von und : aj 0 1 2 zj 1 1 2 4 2 2 3 4 3 2 4 5 4 3 4 6 5 4 5 6 6 4 6 7 7 5 6 8 8 6 7 8 Wenn man sich an die Verabredung hält, daß der erste Zählbeginn stets ist, kommen – wie die Tabelle zeigt – überhaupt nur Zählbeginne zwischen 1 und 8 vor (im allgemeinen Falle zwischen 1 und ), was die Angelegenheit erfreulich übersichtlich macht. Durch die Anzahl der noch im Kreis befindlichen Kinder und den Zählbeginn für die folgende Runde (in der neuesten Numerierung) ist die Situation nach der j-ten Auszählrunde nunmehr vollständig charakterisiert; wir bezeichnen sie mit . Der Auszählungsprozeß liefert eine Folge solcher Situationen die sich allein anhand der (3/2)-Darstellung von berechnen lassen: Die sind die Zwischenzahlen dieser Darstellung, und die ergeben sich aus der Formel oder der Tabelle. Es gilt stets , weil das Numerierungsverfahren so definiert ist. Anstelle der Tabelle kann man das Diagramm D verwenden, das im wesentlichen dieselbe Information enthält (Bild 5). Den Zählbeginnen entsprechen rote Kreise (die sogenannten Knoten) und den Koeffizienten Pfeile oder auch Wegstücke, welche die Knoten gemäß der Tabelle miteinander verbinden. Die (3/2)-Darstellung von bestimmt über die zj einen Weg im Diagramm D: der die Zählbeginne zu den Zwischenzahlen und damit die obige Situationsfolge liefert. Wir berechnen nun diese Folge bis zu einer gewissen Situation , bei der zwar so klein ist, daß wir die Nummer des Schlußkindes in der aktuellen Numerierung durch Auszählen leicht feststellen können, aber nicht kleiner als , weil sonst unsere Formel nicht mehr gilt. Es genügt, wenn größer oder gleich 8 ist. Anstelle von interessiert uns aber die Nummer des Schlußkindes im ursprünglichen Kreis. Die Berechnung von aus ist tatsächlich der schwierigste Teil. Ist allgemein die Nummer des Schlußkindes in der nach der j-ten Auszählrunde aktuellen Numerierung, so gilt die Rekursionsformel Dabei stehen die eckigen Klammern für das Runden nach unten: [z] ist die größte ganze Zahl, die kleiner oder gleich z ist. Mit Hilfe der Formel berechnen wir in umgekehrter Reihenfolge wie bei den Zählbeginnen aus zunächst , daraus und so weiter bis (Kasten auf Seite 13). Wieder muß größer oder gleich 8 sein, weil nur dann die obige Rekursionsformel gültig ist. Wenn das mit hinreichend kleinem nicht zu erreichen ist, führen wir am Anfang einige Auszählschritte durch und beginnen neu mit der dann entstandenen Situation.
Irrgärten
Das Diagramm D (Bild 5), bisher nur Nebenprodukt der Beschäftigung mit dem Problem der Abzählreime, hat für sich selbst genommen einige bemerkenswerte Eigenschaften. Das gilt insbesondere dann, wenn man es so abändert, daß auch unendlich lange Wege in ihm möglich sind. Wege in D bestehen ja nur aus endlich vielen Wegstücken, denn der Auszählprozeß, über den sie definiert sind, ist stets nach endlich vielen Schritten beendet. Kehrt man jedoch alle Pfeilrichtungen um (das entstehende Diagramm heißt "das zu D duale Diagramm" und wird mit D' bezeichnet), sind Wege mit unendlich vielen Wegstücken möglich. Einem Weg im dualen Diagramm entspricht eine Aneinanderreihung von Situationen in der umgekehrten Reihenfolge. Während im Diagramm D einem Wegstück eine Auszählrunde entspricht, ist es in D' deren Umkehrung, die eine Einfügerunde heißen möge: Die in der zugehörigen Auszählrunde ausgeschiedenen Kinder treten wieder in den Kreis, das letzte zuerst. Die interessanteste Eigenschaft des dualen Diagramms betrifft die Wege aus Einfügerunden, bei denen das Kind mit der Nummer 1 stets dasselbe bleibt. Wir beschränken uns deshalb im folgenden auf Auszählrunden, in denen Kind 1 nicht ausscheidet. Wann ist das der Fall? In der (j+1)-ten Auszählungsrunde trifft die letzte Silbe des Abzählreims nacheinander alle Kinder, deren Nummern sich von um ein Vielfaches von 3 unterscheiden: und so weiter; da Kind 1 unmittelbar auf das Kind mit der Nummer nj folgt, scheidet es genau dann aus, wenn sich um ein Vielfaches von 3 von unterscheidet oder, was dasselbe ist, durch 3 teilbar ist. In dieser Bedingung kann man durch ersetzen, denn wie aus den Aufteilungsformeln in ihrer ersten Form hervorgeht, unterscheiden sich und immer nur um ein Vielfaches von 3. Es sind also diejenigen Auszählungsrunden auszuschließen, bei denen die Zahl durch 3 teilbar ist. Diese entsprechen aber gerade den gestrichelten Wegstücken in D. Interessant ist somit das Diagramm, das aus D durch Weglassen der gestrichelten Wegstücke und Umkehren der Pfeilrichtungen entsteht. In diesem sind die Knoten 1 und 8 Endstationen: Von ihnen führt kein Weg in das restliche Diagramm zurück. Wir lassen deshalb auch diese Knoten sowie die zu ihnen gehörigen Wegstücke 0 und 2 weg und sehen die zu ihnen hinführenden Wegstücke 1 als Ausgänge an. So entsteht das Diagramm E (Bild 6). Begleiten wir nun einen Wanderer im Diagramm E. Je nach dem aktuellen Wert z des Zählbeginns steht er auf dem Knoten mit der entsprechenden Nummer. Ein von diesem Knoten wegführendes Wegstück ist genau dann erlaubt, wenn es eine entsprechende Einfügerunde gibt. Das hängt aber nicht nur von z, sondern von der gesamten Situation (n,z) ab (n war die aktuelle Kinderzahl). Der Wanderer führt gleichsam eine Plastikkarte mit einer Codezahl n mit, die ihm manche Türen öffnet, andere aber nicht. Die Codezahlen sind als Zwischenzahlen zu (3/2)-Darstellungen, wie bei deren Einführung erwähnt, alle durch s=2 teilbar, also gerade. Für den Wanderer auf z mit der Codezahl n öffnet sich das nach z' führende Wegstück a genau dann, wenn es eine natürliche Zahl n' gibt, so daß die Situation (n,z) aus (n',z') durch eine Auszählrunde, somit (n',z') aus (n,z) durch die dazugehörige Einfügerunde entsteht. Nach Konstruktion von D ist das genau dann der Fall, wenn die (3/2)-Darstellung von n' auf a endet und n die erste Zwischenzahl zu n' ist: (das ist die Aufteilungsformel in ihrer zweiten Form mit ). Die neue Codezahl n', die der Wanderer bei seinem Eintreffen auf z' erhält, muß nach Obigem wieder gerade sein. Das liefert die Wegeregel in E: Für einen Wanderer auf z mit der Codezahl n ist ein von z ausgehendes Wegstück a genau dann erlaubt, wenn n'=(3/2)n+a gerade ist. Neue Codezahl wird n'. Man kann E als einen Irrgarten ansehen, in dem der Wanderer mit seiner sich immer wieder ändernden Codezahl längs erlaubter Wegstücke von Knoten zu Knoten gelangt. Anders als bei den üblichen Irrgärten geht es hier aber darum, möglichst lange in E zu bleiben; ich habe ihn den Garten Eden genannt. Im Hinblick auf dieses Ziel sind die Knoten von unterschiedlicher Natur. Die Knoten 3 und 6 sind unkritisch, denn von ihnen geht bei jeder Codezahl genau ein erlaubtes Wegstück aus. Dasselbe gilt für die Knoten 4 und 5, falls (3/2)n ungerade, also nach der Wegeregel nur das Wegstück 1 erlaubt ist. Ist jedoch (3/2)n gerade, so bieten sich zwei erlaubte Wegstücke – mit den Kennzahlen 0 und 2 – an. Gelangt man schließlich mit ungeradem (3/2)n auf einen der Ausgangsknoten 2 und 7, so muß man den Garten auf dem entsprechenden Ausgangswegstück 1 verlassen. Die bemerkenswerteste Eigenschaft des Gartens Eden ist nun, daß es für einen Wanderer, der mit einer beliebigen (geraden) Codezahl auf einem der Entscheidungsknoten 4 und 5 steht, genau einen erlaubten Weg gibt, der niemals aus E hinausführt. Jedesmal, wenn der Wanderer mit geradem (3/2)n auf einen dieser Knoten gelangt, steht er am Scheideweg: Die richtige Entscheidung führt ihn weiter zum nächsten Entscheidungsknoten, die falsche zwingt ihn über kurz oder lang, den Garten Eden zu verlassen. Dem, der stets das Richtige tut, winkt gewissermaßen die ewige Seligkeit. Aber so einfach ist es nicht, sich stets richtig zu entscheiden. Wer diese Situation spielerisch austesten will – mit beliebig vielen Chancen für einen Neuanfang –, kann eine Programmdiskette mit dem Spiel zum Garten Eden beim Verlag beziehen (siehe Anzeige auf Seite 63). Es gibt übrigens Regeln für die ewige Seligkeit. Aber damit es nicht zu einfach ist, werden sie hier nicht mitgeteilt. Wer interessiert ist, kann sie bei der Redaktion anfordern. Der Irrgarten zu den Abzählreimen der Länge 3 ist übrigens nur der einfachste aus einer Serie von Irrgärten, die zu Abzählreimen einer festen Länge r beziehungsweise zu Zahldarstellungen zur Basis r/(r-1) gehören. Für größere Werte von r werden sie aber sehr schnell unübersichtlich. So besteht der Irrgarten für r=4 bereits aus 24 Knoten, in die jeweils drei Wegstücke hineinlaufen. Dazu gibt es noch eine Fülle ungelöster Fragen. Zum Beispiel ist der hier vorgestellte Garten Eden punktsymmetrisch zu dem – nicht zu E gehörenden – Punkt S; genauer: Das Diagramm E geht in sich selbst über, wenn man es um 180 Grad um den Punkt S dreht und die Nummern k an den Pfeilen durch 2-k sowie die Nummern m in den Knoten durch 9-m ersetzt (Bild 6). Diese Symmetrie tritt analog bei allen Irrgärten der Serie auf, aber es fehlt mir eine inhaltliche, das heißt auf der Konstruktion der Irrgärten beruhende Erklärung dafür. Insbesondere ist interessant, daß diese Symmetrie sich nicht an dem ursprünglicheren Objekt, dem Diagramm D, einstellt, sondern erst, wenn man aus D die gestrichelten Wegstücke wegläßt.
Literaturhinweise
- Der Zauberer-Kongreß in Chicago, in: Kopf oder Zahl? Von Martin Gardner. Spektrum der Wissenschaft, Weinheim 1978.
– Die gefesselte Zeit. Spiele, Spaß und Strategien. Von Rüdiger Thiele. Urania, Leipzig 1984.
– Das Josephus-Problem. Von Helmut Siemon in: Praxis Mathematik, Band 27, Heft 4, Seiten 200 bis 212, 1985.
– Das Problem der Abzählreime und Zahlentwicklungen mit gebrochenen Basen. Von Klaus Burde in: Journal of Number Theory, Band 26, Heft 2, Seiten 192 bis 209, 1987.
–
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1994, Seite 10
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