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Zeitabhängige Probleme in der Geologie


Die Thermalquellen von Aachen, die einst Karl den Großen veranlaßten, dort seine Residenz zu errichten, werden aus Ressourcen gespeist, die tief in der oberen Erdkruste liegen und ihrerseits von Wasser wieder aufgefüllt werden, das aus der höher gelegenen Eifel einsickert. Der Zusammensetzung der Wässer können wir entnehmen, daß sie im Untergrund Temperaturen zwischen 120 und 130 Grad Celsius ausgesetzt waren. Alles andere – wo genau das Wasser herkommt, welchen Weg es durch den Untergrund nimmt, mit welchen Gesteinen es bei welchen Temperaturen in Kontakt gerät – ist teilweise aus den Verhältnissen an der Oberfläche extrapoliert, teilweise aus anderen Daten erschlossen und mit großen Unsicherheiten behaftet.

Diese – typische – Situation gibt numerischen Modellen in der Geologie eine wichtige, aber auch heikle Rolle. Einerseits ist das Interesse an Ergebnissen groß, denn es gibt keine alternative Erkenntnismöglichkeit. Nachzusehen, wie die Verhältnisse in 10 Kilometern Tiefe wirklich sind, würde eine milliardenteure Bohrung erfordern (Spektrum der Wissenschaft, März 1996, Seite 30), was man allenfalls unternehmen würde, wenn wirtschaftlicher Ertrag zu erwarten ist. Andererseits fehlt den Geologen dadurch häufig die Möglichkeit, ihre Annahmen und Modelle an der Realität zu überprüfen. Mehr als andere Wissenschaften ist die Geologie also auf ein enges Zusammenspiel zwischen Modellbildung und Simulation auf der Basis der erstellten Modelle angewiesen.

Es geht beispielsweise darum, die Wechselwirkung zwischen dem Temperaturfeld der Erde und Strömungsprozessen in der Erdkruste so realitätsnah wie möglich zu erfassen. Die sehr komplexe geologische Struktur mit wechselnden Gesteinstypen und deren physikalischen Eigenschaften (Bild 1) legt es nahe, Finite-Element-Verfahren einzusetzen, die in der geometrischen Anpassungsfähigkeit allen anderen überlegen sind.

Über die komplexe Struktur haben wir ein Netz für die FE-Modellierung gelegt, und zwar so, daß ein Element nie eine Grenze zwischen Gesteinstypen überschreitet. Jedes dieser Vierecke hat also einen einheitlichen Gesteinstyp mitsamt dessen physikalischen Eigenschaften.

Die Erfassung der Realität, so wie wir sie uns vorstellen, in einem abstrakten Netz ist ein erster Schritt, die prozeßorientierte Modellierung, die darauf aufbaut, das eigentliche Ziel. Gewöhnlich lassen sich diese Schritte nicht wirklich trennen. Geometrie und Prozeßmodellierung sind in einem iterativen Vorgang aufeinander abzustimmen.

In dem hier gewählten Beispiel laufen mehrere einander beeinflussende Prozesse gleichzeitig ab. Grundwasser strömt ein und erwärmt sich in größerer Tiefe, weil Wärme aus dem Erdinneren zugeführt wird. Dabei verändern sich die Eigenschaften des Wassers, in erster Linie Dichte und Viskosität, die wiederum die Strömungsgeschwindigkeit in einem porösen Medium beeinflussen. Für die Flüssigkeitsströmung gilt eine Massenbilanz (Wasser kann weder verschwinden noch aus dem Nichts entstehen), für die Temperaturausbreitung eine aus dem Energieerhaltungssatz abzuleitende Energiebilanz. Daraus und aus Zustandsgleichungen für die Dichte und andere physikalische Größen ergibt sich ein System partieller parabolischer (diffusionsartiger) Differentialgleichungen.

Für Gleichungen dieser Art existiert kein äquivalentes Variationsproblem. Also muß man nach dem Verfahren von Galerkin (vergleiche den Beitrag von Rolf Rannacher und Erwin Stein) eine zu minimierende Größe einführen, die als Maß für den Approximationsfehler dient. Bei der Wahl dieser Größe hat man gewisse Freiheiten, die man allerdings auch nutzen muß, da das ursprüngliche Galerkin-Verfahren im Falle nichtlinear gekoppelter Prozesse nicht immer befriedigende Ergebnisse liefert. Und zwar bestimmt man durch sogenannte Gewichtsfunktionen, an welcher Stelle des Rechengebietes man einen Fehler wichtig oder weniger wichtig nimmt und auf welchen Typ Fehler es einem besonders ankommt. Typische Gewichtsfunktionen sind zum Beispiel die linearen finiten Elemente selbst mit dem Wert 1 in einem ausgewählten Diskretisierungspunkt, 0 in allen anderen und linearer Interpolation dazwischen. Andere Beispiele sind Funktionen, die konstant 1 sind auf einem Elementarbereich und 0 sonst, oder solche, die in einem Diskretisierungspunkt unendlich groß und überall sonst null sind. Mit ihnen lassen sich auch Finite-Volumen- und Finite-Differenzen-Verfahren formal als Verallgemeinerungen des Galerkin-Verfahrens auffassen. Man spricht vom Verfahren der gewichteten Residuen.

Für diese spezielle Aufgabenstellung gibt es nur wenige kommerziell verfügbare Programme und unter diesen wiederum nur wenige, die eine Kombination von parabolischen und hyperbolischen (wellenausbreitungs-typischen) Komponenten handhaben können. Das ist aber eine Anforderung des hier gestellten geologischen Problems. Hinzu kommt, daß Temperatur und Druck über viele Größenordnungen variieren, was insbesondere die Eigenschaften der Porenflüssigkeit beeinflußt. Unser Mitarbeiter Olaf Kahle hat sich insbesondere mit den temperatur- und druckabhängigen Eigenschaften der Gesteine und der Poreninhalte beschäftigt und die Grundlagen einer entsprechenden Programmbibliothek erarbeitet. Sein Kollege Jörn Springer hat ein Programm-Modul erstellt, das aus diesen Daten ein Modell errechnet, welches wiederum in das kommerziell verfügbare Programm ANSYS eingegeben wird. Dieses erledigt sowohl die recht komplizierte und für den Erfolg entscheidende Konstruktion des FE-Netzes als auch die graphische Darstellung der Ergebnisse (Bild 1).

In der Realität dauert es Hunderte bis Tausende von Jahren, bis das Wasser aus der Eifel in der Thermalquelle zutage tritt. Deshalb darf man gewisse eigentlich zeitabhängige Terme als konstant ansehen und damit das numerische Modell vereinfachen. Schwieriger wird die Situation, wenn es sich um relativ kurzzeitige Prozesse handelt.

Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn man poröse Gesteine im tieferen Untergrund zur Gewinnung thermischer Energie nutzen will. Dazu müßte man zum Beispiel aus einer mehrere Kilometer tiefen Bohrung heißes Wasser aus den Poren des Gesteins fördern und es in abgekühltem Zustand durch drei weitere Löcher wieder verpressen. Die gewonnene Wärmeenergie wird dem Tiefengestein entzogen; der Aufwand für die Erschließung lohnt nur, wenn der Wärmeverlust über eine hinreichend lange Zeit durch Konvektion oder Diffusion aus dem umgebenden Gestein ausgeglichen wird.

Es geht zwar immer noch um Jahrzehnte, aber nun darf man die Zeitabhängigkeiten nicht mehr vernachlässigen. Denn man will zum Beispiel wissen, ob eine solche Erdwärmequelle über die geplante Nutzungsdauer von 120 Jahren ergiebig bleibt und ob es günstiger ist, die Bohrungen gleichzeitig oder im Abstand von jeweils 40 Jahren nacheinander zu betreiben.

Wir haben entsprechende Berechnungen mit dem kommerziell verfügbaren FE-Programm FEFLOW durchgeführt (Bild 2). Der Gesamtertrag an Wärme unterscheidet sich in den beiden Modellen nur wenig. Also ist es wegen des Zinsgewinns weitaus günstiger, die Bohrungen nacheinander niederzubringen. Dasselbe Modell kann auch dazu dienen, den optimalen Standort der Bohrlöcher zu ermitteln.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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