Zurück in die Zukunft
Die Universität Konstanz gilt zwar noch immer als Reformuniversität, hat aber in den drei Jahrzehnten ihres Bestehens viel von ihrem Glanz verloren. Jetzt schlägt eine Strukturkommission vor, sie ein zweites Mal zu erfinden.
Um zu eruieren, wie in einem sich wandelnden Wissenschafts- und Universitätssystem auch künftig die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Universität Konstanz aufrecht erhalten werden könne, beschloß ihr Senat im Juli 1997 die Einsetzung einer Strukturkommission. Dabei ging er ziemlich ungewöhnlich vor: Eines seiner Mitglieder, der Philosoph Jürgen Mittelstraß, sollte sich selbst ein solches Gremium bilden. Seine Mitglieder wurden ohne Personaldiskussion akzeptiert. Sie sollten sich wie die Gründungskommission einer neuen Universität verstehen und "ein langfristiges Konzept für die Organisations- und Leitungsstrukturen der Universität Konstanz sowie für ihre Aufgaben in Forschung und Lehre" entwickeln.
Die Hochschule am Bodensee habe nur als eine Forschungsuniversität mit internationalem Profil eine Zukunft, meint Mittelstraß. Entsprechend international war die Kommission besetzt. Außer Mittelstraß als Vorsitzendem gehörten ihr sieben ordentliche sowie drei beratende Mitglieder an.
Die nun vorgelegten Empfehlungen befürworten eine Rückkehr in die vor mehr als dreißig Jahren entworfene Zukunft ("Modell Konstanz. Empfehlungen zur strukturellen Weiterentwicklung der Universität". Von der Strukturkommission Universität Konstanz, UVK Universitätsverlag Konstanz GmbH, 1998).
Entscheidungen von Selbstverwaltung und Regierung haben in den letzten Jahren die Universität an zentralen Stellen von der Linie des Gründungsausschusses vom Juni 1965 abgedrängt. Statt als kleine Hochschule mit nicht mehr als 3000 Studenten, die Wissenschaft als Forschung versteht und als eine Art Humboldtscher Idealuniversität von hier aus die Lehre entwickelt, zählt sie heute 7500 Studenten; Anfang der neunziger Jahre waren es sogar mehr als 10000. Statt der konzipierten Gliederung in drei Fakultäten mit Fachbereichen und ohne Institute werden heute 44 Fächer in neun Fakultäten angeboten, die in Fachgruppen gegliedert sind.
Den Grund für diese Entwicklung sieht die Strukturkommission darin, "daß sich eine wissenschaftssystematisch und wissenschaftspolitisch begründete Fakultäts- und Fachbereichsstruktur neuer Art gegen den üblichen Fachegoismus nicht durchhalten ließ". Auch die Ansätze, die Forschungsmittel projektorientiert und leistungsbezogen zu vergeben, und mit der Universitäts-Gründung eine abseits gelegene Grenzregion zu entprovinzialisieren und zu internationalisieren, sind höchst unvollkommen verwirklicht worden.
Freilich: Die Forschung an der Universität Konstanz genießt – noch – hohes Ansehen, wie sich zum Beispiel an der Drittmittelförderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und an den Sonderforschungsbereichen ersehen läßt. Die neue Strukturkommission mahnt jedoch, "daß ohne mutige Veränderungen ... die Gefahr besteht, wichtige Entwicklungschancen für die Zukunft und damit die Zukunft selbst zu verlieren".
In dem wissenschaftssystematisch begründeten neuen Ansatz spielen die von dem Wissenschaftstheoretiker Mittelstraß seit langem hervorgehobenen Grundsätze der Inter- und Transdisziplinarität eine wichtige Rolle. Lehre und Forschung sollen sich wieder auf ein spezielles, attraktives wissenschaftliches Spektrum orientieren, also das klare Profil einer begrenzten, "endlichen" Universalität herausarbeiten. Auch in Deutschland werde es künftig Universitäten mit unterschiedlicher Qualität sowie mit unterschiedlichen Profilen und Schwerpunkten geben. Daß dies heute schon weitgehend so ist, werde "in der allgemeinen Hochschulrhetorik gern verschwiegen", merkt die Denkschrift an. Die Universität Konstanz müsse sich wieder auf die Gründungsabsichten besinnen und die strukturellen Hindernisse für Inter- und Transdisziplinarität – also beispielsweise die heutigen Fakultäten – beseitigen. Dann könne sie wieder eine Vorreiterrolle für das ganze Universitätssystem spielen.
Die neue Denkschrift baut auf einer kritischen Analyse des deutschen Universitätssystems sowie der Geschichte und Gegenwart der Universität Konstanz auf. Leitsätze mit dem Anspruch, "eine künftige Universität" zu skizzieren, münden in konkrete strukturelle und einige fachspezifische Empfehlungen. Insbesondere eine größere Eigenverantwortung und ein professionelles Management mit möglichst wenig Entscheidungsebenen werden angemahnt.
Der Universitätspräsident solle wie ein Vorstandsvorsitzender die Hochschule leiten, zusammen mit den Dekanen als Vizepräsidenten und dem Kanzler. Ein extern zu besetzender Universitätsrat habe vor allem strategische und kontrollierende Aufgaben. Dem Senat falle eine beratende Rolle zu. Die künftig wieder nur drei Fakultäten sollen nach dem Vorbild der Max-Planck-Gesellschaft "Sektionen" genannt werden: je eine für Mathematik und Naturwissenschaften, für Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie für Philosophie und Kulturwissenschaften. Die Erziehungswissenschaften, die in Konstanz einst eine bedeutende Rolle spielten, sollen wegfallen.
Einige Besonderheiten sollen beibehalten und weiterentwickelt werden, etwa das Prinzip, Dienstleistungen in der und für die Universität in zentralen Einrichtungen zusammenzuführen: Universitätsbibliothek, Rechenzentrum und zentrale wissenschaftliche Werkstätten. Das Sprachlehrinstitut soll sein Angebot erheblich erweitern.
Deutlicher als bisher soll zwischen grundständigem Studium einerseits und Graduiertenausbildung vor allem in einer International Graduate School andererseits unterschieden werden. Frühe Selbständigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses, Qualitätssicherung (Evaluierung) auf allen Ebenen sowie die Anerkennung von Dienstleistung gegenüber der Gesellschaft als universitäre Aufgabe sind weitere Reformpunkte. Die von Anfang an vorhandenen inter- beziehungsweise transdisziplinär orientierten Zentren – von den Fachbereichen getrennte organisatorische Sonderformen einer kooperativen Forschung – sollen gestärkt, in die Graduiertenausbildung einbezogen und mit einem neuen Centre for Advanced Study verbunden werden.
Dieses Wissenschaftszentrum ist als neuer Kristallisationspunkt für grenzüberschreitende Forschungsaktivitäten im deutsch-schweizerisch-österreichischen Raum gedacht. Anders als in anderen derartigen Einrichtungen sollen in Konstanz neben den Geistes- und Sozialwissenschaften auch die Naturwissenschaften in die fach- und disziplinenübergreifenden Forschungsschwerpunkte mit einbezogen werden. Zwischen den Mitgliedern des Wissenschaftszentrums, den Wissenschaftlern und Studierenden der Universität muß "ein hohes Maß an Kommunikation" gewährleistet sein. Das Centre for Advanced Study soll seine Forschungsaktivitäten komplementär zu denen der drei Sektionen und der Konstanzer Zentren anlegen, aber es soll dabei organisatorisch selbständig agieren.
Die International Graduate School, insbesondere aber das Wissenschaftszentrum könnten, sollten sie realisiert werden, eine grenzüberschreitende regionale Bedeutung erlangen. Im gesamten süddeutschen Raum sowie in den angrenzenden Ländern Schweiz und Österreich gibt es keine solche Einrichtung.
Ein Wissenschaftszentrum diene Mittelstraß zufolge nicht nur der Stärkung des Profils, sondern sei als das eigentliche Medium des Zusammenwirkens mit anderen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen der Region zu verstehen. Diese umfaßt zum Beispiel die Universität, die Pädagogische Hochschule und die Fachhochschule für Technik in St. Gallen, die Universität und die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich sowie den Kanton Thurgau, der direkt an Konstanz grenzt und keine wissenschaftlichen Einrichtungen hat. Im Osten der Region kommen Vorarlberg mit Bregenz sowie Liechtenstein für eine Kooperation in Frage.
Die Strukturkommission drängt darauf, daß ihre Empfehlungen als ein in sich geschlossenes Konzept behandelt werden, das in einer klaren Folge von Einzelschritten von der Universitätsleitung mit Unterstützung der einzelnen Organe verwirklicht werden soll.
Sie sieht es zwar in erster Linie als ein Modell für Konstanz an, aber die Kommission hat in ihrer Arbeit und bei ihren Empfehlungen darauf geachtet, daß es auch in anderen kleinen und mittleren Universitäten realisiert werden kann.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1999, Seite 109
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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