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Selbstkontrolle: Zweifel am Marshmallow-Test

Generationen von Psychologen haben Vorschulkinder mit dem Marshmallow-Test traktiert. Dabei müssen die Kleinen vor einer Schale Marshmallows sitzend auf einen Erwachsenen warten und dürfen die Süßigkeiten nicht antasten, wenn sie später zur Belohnung noch mehr bekommen wollen. Wie lange sie das durchhalten, soll viel über ihr späteres Leben aussagen: über akademische Leistungen, beruflichen Erfolg, Sozialverhalten, Drogenprobleme. Das ergaben jedenfalls die Experimente des US-Psychologen Walter Mischel und seiner Kollegen zunächst in Trinidad, dann an der Stanford University. Nach­folgestudien stimmten weitgehend überein. Der Test, so meinte man, erfasst mit der Fähigkeit zum "Belohnungsaufschub" auch die allgemeine Selbstkontrolle.

Allerdings waren die Zusammenhänge zwischen Durchhaltevermögen im Kindesalter und späteren Erfolgskennzahlen ungewöhnlich hoch, und etwaige Faktoren wie das Bildungsniveau der Eltern hatte man nicht immer hinreichend berücksichtigt. Deshalb überprüfte nun ein Team um Tyler Watts von der New York University die berühmten Befunde mittels einer Stichprobe von mehr als 900 Kindern. Mit viereinhalb Jahren sollten die Teilnehmer einem Haufen ihrer Lieblingssüßigkeiten widerstehen, um dafür später mehr davon zu erhalten. Gut zehn Jahre später absolvierten sie eine Reihe kognitiver Tests, unter anderem zu Mathematik- und Sprachkompetenz. Außerdem gaben ihre Mütter Auskunft über den familiären Hintergrund, die häusliche Situation sowie über Temperament und Verhalten der Kinder.

Die Ergebnisse blieben deutlich hinter denen von Mischel und seinen Mitstreitern zurück. Die Fähigkeit der Vierjährigen, auf eine Belohnung zu warten, hing nur mäßig mit späteren Kompetenzen zusammen. Und wenn die Forscher andere Größen wie den familiären Hintergrund herausrechneten, sagte die erreichte Wartezeit nichts mehr über Leistungen und Verhalten im Alter von 15 Jahren aus. Übrig blieb nur ein Detailresultat: 23 Prozent der Kinder aus bildungsfernen Familien scheiterten daran, die ersten 20 Sekunden standhaft zu bleiben, mehr als doppelt so viele wie unter Kindern von Akademikermüttern. Im Schnitt warteten Letztere mehr als anderthalb Minuten länger.

Die Ergebnisse legten nahe, "dass man Belohnungsaufschub nicht einfach als Komponente der Selbst­kontrolle betrachten kann", so die Autoren. Der Zusammenhang mit der späteren Leistung ließe sich nur zu einem Viertel anhand der Selbstkontrolle erklären. Um die ersten 20 Sekunden durchzuhalten, benötigten die Kinder zwar eine basale Impulskontrolle, aber keine ausgeklügelten Strategien. Darüber hinaus würden kognitive Fähigkeiten mitmischen, denn wenn man diese herausrechne, verschwinde der Zusammenhang. "Übt man mit Kindern nur das Aufschieben von Belohnungen, dann dürfte das nur begrenzten Erfolg haben", folgern die Autoren.

  • Quelle
Psychol. Sci. 10.1177/0956797618761661, 2018

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