Interview: Zwischen Tradition und Moderne
Sterne und Weltraum: Herr Steinmetz, 100 Jahre Astronomie auf dem Babelsberg – das ist ein stolzes Alter. Herzlichen Glückwunsch!
Matthias Steinmetz: Danke.
Wie fing alles an?
Der Anlass war ein Thema, das auch heute aktuell ist: Schwindende Dunkelheit und Lichtverschmutzung, und andere Probleme, die eine Großstadt mit sich bringt, und die der beobachtenden Astronomie abträglich sind. Die Sternwarte stand zuvor im Zentrum Berlins, nahe des heutigen Checkpoint Charlie. Dann ergab sich die Möglichkeit, auf den Babelsberg, der damals noch nicht zu Potsdam gehörte, umzuziehen. Das jährt sich im August dieses Jahres zum hundertsten Mal. In den 1920er und 1930er Jahren war die Babelsberger Sternwarte das am besten ausgestattete Observatorium, sagt man, zumindest in Europa. Der 1,2-Meter-Spiegel war das zweitgrößte Teleskop der Welt. Das ist schon ein Anlass, dieses Jubiläum zu begehen. – Noch dazu sitzen wir hier in einer besonderen Umgebung: Die Sternwarte gehört inzwischen, wie der Schlosspark Babelsberg auch, zum Weltkulturerbe »Preußische Schlösser und Gärten« der UNESCO.
Gab es aus der Astronomie bekannte Persönlichkeiten, die dort geforscht haben?
Da war zunächst Karl Hermann Struve – einer von den vielen Struves in der Astronomie – und dann Paul Guthnick, der bekannt ist für das Fotometer: Er verwendete zum ersten Mal den lichtelektrischen Effekt für Messungen in der Astrophysik. So bereitete er die ersten Wege hin zu dem, was wir heute mit CCD-Kameras machen. Gerade, wenn man hellere Sterne betrachtet, verwendet man aber zum Teil nach wie vor noch einen klassischen Photomultiplier. Das war sicherlich eines der Highlights.
Gibt es aus dieser Zeit noch Gebiete, auf denen man traditionell stark vertreten war?
Das war eigentlich die gesamte beobachtende Astronomie. Und es bot sich in Potsdam ein interessantes Spannungsfeld: Da gab es einerseits auf dem Babelsberg die traditionelle Astronomie, deren Aufgabe es war, Kataloge und Sternkarten zu erstellen sowie Zeitmessungen vorzunehmen, und andererseits die neue Astrophysik auf dem Potsdamer Telegrafenberg. Das war eine Konkurrenzsituation, aber auch eine gegenseitige Befruchtung. Erwin Finlay-Freundlich etwa war zuerst in Babelsberg und kam dann auf den Telegrafenberg am Einsteinturm, um die Relativitätstheorie experimentell zu belegen.
Wie gestaltete sich der Übergang zu den aktuell vertretenen Forschungsgebieten in der Kosmologie?
Schwierig war die Zeit zwischen 1949 und 1989. Während der DDR war man von der Internationalität weitgehend abgekoppelt. Aber es war trotzdem oder gerade deshalb eine Aufbauleistung: Die extragalaktische Astrophysik und Kosmologie, einer der beiden Forschungsbereiche am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, war im Wesentlichen eine der Entwicklungen der Nachkriegszeit. Dieses Gebiet war dort sehr stark vertreten, stärker als in der alten Bundesrepublik. Dies führte schließlich zur Weiterführung des Instituts nach der Wende 1989: Im Jahr 1991 gab es eine Bewertung durch den Wissenschaftsrat. Dabei waren die Themen extragalaktische Astrophysik und Kosmologie von der Sternwarte Babelsberg und die Magnetohydrodynamik auf dem Telegrafenberg ausschlaggebend. Denn es gab dort Kompetenzen, die in der alten Bundesrepublik nicht vorhanden waren. Das sind die beiden Hauptbereiche, die zu einem Institut zusammengeführt wurden und die heutigen Forschungsschwerpunkte bilden.
Möchten Sie noch etwas näher auf die Teilgebiete der extragalaktischen Astrophysik eingehen?
Wir haben eine Art Leitbild für die Extragalaktik: Wir betrachten Galaxien nah und fern, angefangen bei unserer eigenen Galaxis, der Milchstraße, und der Lokalen Gruppe und der Umgebung, wo sich Galaxien noch in Einzelsterne auflösen und analysieren lassen. In der klassischen Extragalaktik geht es dann bis hin zu hohen Rotverschiebungen – man sieht zwar noch einzelne Objekte, doch die lassen sich nicht mehr in Einzelsterne auflösen. Und dann gehen wir bis hin zur Kosmologie. Das heißt, wir betrachten Strukturen, in denen eine Galaxie schließlich zum Punktteilchen wird und nur noch das großräumige Dichte- und Geschwindigkeitsfeld markiert.
Was ist ihr persönliches Steckenpferd?
Besonders am Herzen liegt mir die Milchstraße und die lokale Gruppe. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie man aus den Eigenschaften der Sterne in unserer Milchstraße und ihrer Kinematik Rückschlüsse darauf ziehen kann, wie sich unsere Milchstraße gebildet hat. Das läuft heutzutage unter dem Schlagwort Near-Field-Cosmology oder galaktische Archäologie. Wir versuchen zu verstehen, wie sich Galaxien bilden, indem man sich einzelne Galaxien ganz genau ansieht. Dabei schauen wir uns die Orbits der Sterne an und ihre chemische Zusammensetzung. Daran können wir ablesen, wie sich die Milchstraße oder eine andere Galaxie chemisch und kinematisch entwickelt hat, und wie diese Entwicklung in das kosmologische Standardmodell passt.
In welche Kooperationsprojekte ist das AIP auf diesem Gebiet eingebunden?
Für die Milchstraße ist das RAVE, das Radial Velocity Experiment, zur Messung der Radialgeschwindigkeiten, Elementhäufigkeiten und stellaren Parameter von etwa einer halben Million Sternen in Sonnenumgebung. Das ist nach wie vor die größte spektroskopische Durchmusterung unserer Milchstraße. Momentan sind wir an der Datenauswertung. Anhand unserer Spektren und der fotometrischen Daten im Infraroten aus dem 2MASS-Katalog, des Two Micron All Sky Surveys, können wir letztlich die Entfernung abschätzen. Das ist nützlich für die galaktische Strukturuntersuchung. – Das führt dann weiter zur Weltraummission Gaia. Der Wellenlängenbereich und das Auflösungsvermögen der beiden Durchmusterungen sind ziemlich ähnlich. Von Gaia werden hoffentlich Anfang 2014 die Daten fließen.
Mit welchen Teleskopen beobachten Sie bei RAVE?
Mit dem ehemals britischen Schmidt-Teleskop in Australien; dadurch haben wir ein extrem großes Gesichtsfeld, 36 Quadratgrad. In den letzten zehn Jahren haben wir den Südhimmel abgescannt, um Spektren zu bekommen. Diese Arbeiten sollen mit einem neuen Projekt weitergeführt werden. Wir sind derzeit mit der Europäischen Südsternwarte, der ESO, in Verhandlung für 4MOST. Das soll als 4-Meter Multi-Object Spectroscopic Telecope auf dem Paranal installiert werden. Wir planen, sobald 2019 die Imaging-Kampagnen abgeschlossen sind, dort mit 4MOST für Objekte, die mit Gaia beobachtet wurden, spektroskopische Untersuchungen durchzuführen.
Entwickeln Sie an Ihrem Institut auch den Spektrografen?
Die Instrumente werden zum Teil hier gebaut oder entwickelt. 4MOST wird vom AIP aus koordiniert: Das ist ein großes Konsortium unter Beteiligung von Holland, Frankreich, England, Schweden und Deutschland.
Gibt es auch Beobachtungsprojekte zur Extragalaktik, an denen das AIP beteiligt ist?
RAVE und 4MOST sind für die Milchstraße. Wenn man zu den Galaxien geht, ist das große Projekt – mit das erste Instrumentierungsprojekt, welches das neue AIP seit der Wiedervereinigung hatte – das Potsdam Multi-Aperture Spectrophotometer PMAS. Das ist ein integraler Feldspektrograf für das 3,5-Meter-Teleskop auf dem Calar Alto, der dort seit 2002 in Betrieb ist. Damit führen wir zur Zeit den Califa-Survey durch. Dabei nehmen wir für 600 Galaxien jeweils ein Array mit Spektren von 500 Bildpunkten auf. So können wir jede der Galaxien räumlich auflösen und ihre Kinematik analysieren. Ab nächstem Frühjahr steht mit MUSE ein neuer integraler Feldspektrograf bei noch besserer Auflösung am Very Large Telesope der ESO am Paranal zur Verfügung. Auch daran ist das AIP maßgeblich beteiligt, das Konsortium dazu wird aber vom Centre de Recherche Astrophysique de Lyon aus geleitet.
Und für die Kosmologie ... ?
Da gibt es das Dark-Energy-Experiment, mit dem Hobby-Eberly- Teleskop in Texas. Damit wird ein zehn Gigaparsec tiefer Kubus des Alls systematisch durchkämmt. Wir untersuchen, wie und ob sich auf diesen Skalen die Dunkle Energie verändert oder ob sie eine Konstante ist.
Erstellen Sie auf diesem Gebiet auch Computersimulationen?
Von der Theorieseite gehen wir den umgekehrten Weg: Da untersuchen wir, wie sich Strukturen auf großen Skalen bewegen, wie sich das Gas im hoch rotverschobenen Universum kondensiert und es zur Lyman-Alpha-Emission kommt. Wenn wir hinunter auf die Ebene von einzelnen Galaxien gehen, versuchen wir, in einer kosmologischen Simulation Umgebungen nachzubauen, die der unserer lokalen Gruppe ähneln. Ähneln heißt hier, dass die Gesamtmasse der Simulation mit der der lokalen Gruppe übereinstimmt. Dabei finden wir drei dominante Galaxien im richtigen Abstand zueinander – die Milchstraße, die Andromeda-Galaxie und M33. Auch die weitere Umgebung – die supergalaktische Ebene und Galaxienhaufen wie Coma und Virgo – stimmt mit dem beobachteten Universum überein. Wir berechnen also am Computer detaillierte kosmologische Milchstraßenmodelle, die wir mit den Daten der Surveys vergleichen können.
Nun etwas persönlicher: Wie sind Sie zur Astrophysik gekommen? War das ein Kindheitswunsch, oder kam das erst später?
Das war schon früh. Meine erste unmittelbare Begegnung mit der Astronomie war allerdings anscheinend wenig beeindruckend für mich. Das war nicht die Mondlandung selbst, bei Apollo 11 war ich nämlich gerade erst drei Jahre alt. Aber bei einer der späteren Apollo-Missionen – es muss Apollo 12 oder 14 gewesen wesen sein – saßen wir mit der gesamten Familie vor dem Fernseher und haben Mondlandung geguckt – und ich bin dabei eingeschlafen. Der Weg direkt in die Astronomie kam dann über Sachbücher. Außerdem stellte sich heraus, dass ein Onkel von mir auf dem Speicher ein kleines Teleskop hatte liegen lassen. Das habe ich dann dankbar angenommen. Und als ich im Gymnasium Physik als Leistungskurs genommen habe, war klar, dass es in die Richtung Physik oder Astrophysik gehen sollte.
Auf welchem Gebiet haben Sie dann promoviert? War das auch schon Extragalaktik?
In meiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching ging es bereits um Galaxienentstehung. Da habe ich numerische Simulationen von Spiralen und elliptischen Galaxien erstellt.
Sind Sie dann auch ins Ausland gegangen?
Für die Doktorarbeit hatte ich die Otto-Hahn-Medaille bekommen. Diese Auszeichnung hatte damals die angenehme Nebeneigenschaft, dass man ein Jahr im Ausland an den Platz seiner Wahl gehen konnte. Inzwischen ist das finanziell nicht mehr ganz so attraktiv wie damals. Es war gewissermaßen eine Beurlaubung unter vollen Bezügen inklusive Auslandszulagen. Zudem war der Dollar noch in seinem historischen Tief, so war es doppelt interessant. Da bin ich für ein Jahr nach Berkeley gegangen. Und kaum, dass ich dort war, bekam ich ein Angebot aus Tucson, dem Steward Observatory für eine Professur. Dort forschte ich fünf Jahre, bis ich den Ruf für eine der beiden Direktorstellen am AIP erhielt.
Das Gespräch führte Felicitas Mokler.

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