Serie: Frauen, die die Welt verbessern: Unterstützung für Forscherinnen in Afrika
Eine Brise weht vom Indischen Ozean an den Strand, zerzaust ihre Rastazöpfe und lässt die Blätter der Flipcharts flattern. Am Turtle Bay Beach von Watamu, knapp 600 Kilometer südöstlich der kenianischen Hauptstadt Nairobi, hebt Fiona Moejes ihre Stimme, um die Brandung zu übertönen: »Lasst uns über Nachhaltigkeit reden!«, ruft sie den 25 jungen Forscherinnen und Forschern zu, die vor ihr unter Palmen auf Liegestühlen sitzen, die nackten Füße im weißen Sand.
»Womit wollen wir uns heute befassen?«, fragt Moejes. »Nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nötig!«, ruft eine Frau. »Das heißt konkret?«, hakt Moejes nach. »Keine Überfischung.« Fiona Moejes nickt. Hier, an der Küste Kenias, ist sie aufgewachsen, hat ihre Liebe zum Meer entdeckt und zu allem, was darin lebt. Von ihrem Oberschenkel schlängelt sich ein Oktopus bis zum Knie, für die Ewigkeit in ihre Haut tätowiert.
Die Welt besser machen: 12 Frauen, 12 Ideen
BurdaForward ist einer von drei deutschen Empfängern eines Stipendiums für konstruktiven Journalismus. Im Rahmen des internationalen Projekts »Solutions Journalism Accelerator« setzt BurdaForward von September 2022 bis August 2023 zusammen mit der renommierten Reportage-Agentur »Zeitenspiegel« 12 Multimedia-Produktionen um, die auf den Seiten von »FOCUS Online«, »Bunte.de«, »Chip.de« und »Spektrum.de« veröffentlicht werden. Die Serie trägt den Namen »Die Welt besser machen: 12 Frauen, 12 Ideen« und stellt die Arbeit von Wissenschaftlerinnen aus dem Globalen Süden vor, die mit ihrem Team an Lösungen für große Probleme der Menschheit forschen. Es geht dabei um die ersten sechs der so genannten »Sustainable Development Goals« der UN: keine Armut, kein Hunger, gute Gesundheit und Wohlbefinden, gute Bildung, Gendergleichheit, sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen. Auf »Spektrum.de« erscheinen ausgewählte Texte in unregelmäßigen Abständen. Das Projekt wurde vom European Journalism Centre durch den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.
Fiona Moejes, 33, promovierte Meeresbiologin, erforscht unter anderem den Einfluss von Algen auf die Meeresqualität. In den vergangenen zehn Jahren reiste sie nach Irland, Deutschland und auf die Komoren nordwestlich von Madagaskar. An diesem Septembertag leitet sie die »summer school« in ihrer Heimat. Vor allem Frauen sind gekommen, junge Wissenschaftlerinnen aus Kenia, Ghana, Nigeria und Uganda. Normalerweise sitzen sie im Seminarraum eines Hotels einige Meter entfernt. Heute jedoch diskutieren sie unter freiem Himmel.
Einige von ihnen sind Stipendiatinnen des Instituts Mawazo, das Moejes seit einem Jahr leitet. »Mawazo« ist Suaheli, die Landessprache in Kenia. Übersetzt heißt das Wort »Gedanken« oder »Idee«. Moejes sagt: »Traditionell hat ›mawazo‹ einen negativen Beiklang; Männer verwenden den Ausdruck, um Frauen vermeintlich wirre Gedanken zu unterstellen.« Sie dagegen verbinde damit Einfallsreichtum und den Mut, nach Lösungen zu suchen. Zu tun gibt es genug: Hungersnöte, Krankheiten, Umweltkatastrophen töten Menschen. Geld kann helfen. Doch um es richtig einzusetzen, braucht es Experten – und Expertinnen.
Frauen zu mehr Gleichstellung verhelfen
In Afrika leben etwa 1,4 Milliarden Menschen, rund 17,5 Prozent der Weltbevölkerung. Aber auf dem Kontinent wird nicht einmal ein Prozent der globalen Forschungsliteratur publiziert. Und an den wenigen Studien sind kaum Wissenschaftlerinnen beteiligt. Agrarwissenschaft, Ingenieurwesen, Mathematik und Medizin: Männerdomänen. Eine Folge: Frauen bleiben von wichtigen wirtschaftlichen oder politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Das sei nicht nur ungerecht, sagt Moejes, die mangelnde Gleichstellung verhindere auch, dass Afrika seine intellektuellen Möglichkeiten ausschöpfe.
Afrikas Akademikerinnen fehlt es nicht an Fantasie, Fachwissen und Forschergeist. Ihnen fehlen Wege in die weltweite Wissenschaftsgemeinschaft. Workshops in Europa, Asien oder den USA? Reisen zu internationalen Konferenzen? Unbezahlbar für die meisten. Manche Nachwuchswissenschaftlerinnen kratzen Geld von ihrem eigenen Konto zusammen, um Experimente durchzuführen. Einige stehen vor der Frage: Kaufe ich Chemikalien fürs Labor oder Klamotten fürs Kind? »Selbstverständlich entscheiden sich Frauen für Letzteres«, sagt Moejes. Manchmal verwandeln sich Traditionen in Hürden, auch heute noch. Moejes weiß, wovon sie spricht.
Frauen, die Karriere machen – das birgt Konflikte
Ihr Exfreund haderte mit ihrem Doktortitel, vielleicht weil er sich der gebildeten Partnerin unterlegen fühlte. Freunde und Familie erwarteten, dass sie früh heiratet, für Nachwuchs sorgt. Karriere statt Kinder? In Kenia immer noch und auch trotz der Bemühungen von Frauen wie Moejes kein konfliktfreies Vorhaben. Nun lebt sie in einer modernen Beziehung. Ihr Ehemann, ein selbstständiger Fotograf, zog mehrmals mit ihr um, wenn der Job es erforderte. Als Chefin von Mawazo reist sie einmal monatlich nach Nairobi. In dieser Zeit kümmert sich ihr Mann um die zwei kleinen Töchter. Fiona Moejes hat ihren Weg gefunden. Nun möchte sie, dass möglichst viele Kolleginnen folgen.
Im Mawazo-Institut lernen Forscherinnen, wie sie Ergebnisse in angesehenen Fachmagazinen publizieren, aber auch, sich in politischen und wissenschaftlichen Netzwerken zu behaupten oder Fördergelder zu beantragen. Ressourcen, Kommunikation, Sichtbarkeit. Darum geht es. Mehrere tausend Euro bekommen die Stipendiatinnen, finanziert durch Sponsoren und ausländische Stiftungen. Jedes Jahr bewerben sich rund 200 junge Forscherinnen. 50 Frauen aus Ostafrika haben bislang von dem Programm profitiert – Agrarwissenschaftlerinnen, Biotechnologinnen, Chemikerinnen, Ingenieurinnen und Physikerinnen.
Mehr globale Mitbestimmung
Auf den ersten Blick sind das sehr wenige. Doch den Mawazo-Macherinnen geht es nicht um Masse. Sie glauben, dass auch einzelne Menschen viel bewirken können – wenn afrikanische Sichtweisen in globalen Gremien Gehör finden. In den kommenden Jahren möchte das Team um Fiona Moejes Frauen auf dem gesamten Kontinent helfen, über die Zukunft ihrer Länder und der Erde mitzubestimmen.
Ein Tag nach der Diskussion am Strand: Marylin Ronoh sitzt auf einem Stuhl vor dem Seminarraum. Gleich endet die Pause. Drinnen klappern schon wieder die ersten Tastaturen, doch ihre Tochter will sie noch nicht gehen lassen. 15 Monate ist sie alt, hört auf den Namen Thando, Suaheli für »Liebe«, und zerrt an Mutters bunt geblümten Kleid. »Mommy«, schreit Thando. Dabei hat sie sie gerade gestillt. Endlich biegt die Assistentin um die Ecke, nimmt ihr das kleine Mädchen ab, und kurz darauf ist Thando eingeschlafen. Ohne Kinderbetreuung könnte ihre Mutter den zweiwöchigen Lehrgang nicht besuchen.
Marylin Ronoh, 35, Mathematikerin, gehörte zu den ersten Wissenschaftlerinnen, die das Mawazo-Programm absolviert haben. 2017 war das, kurz nach Gründung des Instituts. Jetzt ist sie Mentorin und schult junge Kolleginnen. In der »summer school« lernen sie unter anderem die Programmiersprache Python, mit der sich Websites einrichten und Daten auswerten lassen.
Sie zaubert Formeln und mathematische Funktionen auf das Flipchart, ihre Kolleginnen stecken die Köpfe zusammen, verfolgen, wie scheinbar endlose Zahlenkolonnen über Monitore flimmern. Was Außenstehende vielleicht ans Spezialistentum weltfremder Nerds im Elfenbeinturm erinnert, ist ein Mosaikstein auf dem Weg in ein lebenswerteres Afrika. Python ist eine Grundlage für mathematische Modelle und soll den jungen Forscherinnen dabei helfen, Informationen zu verarbeiten.
Schülerinnen und Stipendiatinnen sollen Angst vor Naturwissenschaften verlieren
Ronoh selbst arbeitet viel mit Statistiken. Sie ermutigt junge Schülerinnen, ihre Angst vor Naturwissenschaften zu verlieren. »Meine Forschung an der Universität Nairobi konzentriert sich darauf, die Übertragungsdynamik von HIV zu verstehen«, sagt Marylin Ronoh. Sie untersucht mit mathematischen Modellen die Wirkungen von Therapien, Tests und Aufklärungskampagnen auf die Ausbreitung der Immunschwächekrankheit. Früher arbeitete sie erst, wenn beide Kinder schliefen. »Nachts habe ich Förderanträge ausgefüllt, nachts habe ich recherchiert, nachts meine Doktorarbeit geschrieben.«
Knapp 600 Kilometer nordwestlich vom Seminarraum in Watamu: Im zehnten Stock eines Hochhauses in Nairobi sitzt Lilian Kong'ani am Schreibtisch eines Co-Working-Space. Von hier oben hat man einen Blick über die Hauptstadt, bis hinunter zum Riverside Drive. Von hier aus organisieren die Mawazo-Mitarbeiterinnen Workshops für junge Wissenschaftlerinnen. Lilian Kong'ani ist eine von ihnen. Gleich trifft sie die Programmdirektorin, um sich mit ihr über ihr Stipendium auszutauschen.
Lilian Kong'ani wuchs in einem Dorf nahe des Äquators auf. Alltag auf dem Land, wie ihn viele Kenianer erleben. Frauen schleppen Kanister von den Wasserstellen zu den Hütten. Frauen tragen Feuerholz aus dem Wald. Männer tragen Verantwortung. Kong'anis Mutter hatte Mühe, sie und die anderen neun Geschwister großzuziehen. Der Vater, ein Lehrer, heiratete noch zwei weitere Frauen, zeugte insgesamt 27 Kinder.
Wie es eine allein erziehende Mutter zum Doktorgrad schaffte
Es gibt bessere Startbedingungen. Aber Kong'ani war ehrgeizig, eine gute Schülerin. Schon früh störte sie, dass in ihrer Umgebung Wälder verschwinden, Flüsse verdrecken und die Luft verschmutzt. Sie wollte das verhindern, unbedingt studieren, irgendetwas mit Naturschutz. 23. September 2022: Die Uni in Nairobi verleiht Lilian Kong'ani den Doktorgrad im Fachbereich Klimawissenschaften und Umweltmanagement. Eine Premiere in ihrer Familie. 36 Jahre alt ist Kong’ani heute. Sie hat etwas länger gebraucht bis zu diesem Titel, musste sich als Alleinerziehende um ihren Sohn kümmern und zeigt damit, dass die Frauen immer noch gesellschaftliche Hürden zu überwinden haben. Ihre Dissertation schrieb sie über Klimawandel, erneuerbare Energien und die daraus resultierenden Konflikte.
Kenia will seine Treibhausgase bis 2035 um 30 Prozent verringern und Elektrizität vor allem aus Erdwärme gewinnen. In Olkaria, gut zwei Autostunden nordwestlich von Nairobi, versorgt schon heute ein Geothermiekraftwerk Menschen mit Strom. Lilian Kong'ani betont, wie wichtig solche Projekte sind. Sie sagt aber auch: »Oft werden für den Bau dieser Anlagen lokale Gemeinschaften vertrieben.« Lösen ließen sich solche Widersprüche am Verhandlungstisch, und an dem sollten mehr Frauen sitzen. »Wir dürfen uns nicht länger kleinhalten lassen.«
Von einem Leben als Heimchen am Herd ist Lilian Kong'ani meilenweit entfernt. Ihr zwölfjähriger Sprössling besucht mittlerweile ein Internat, sie ist Gast auf internationalen Konferenzen, zuletzt in China und Deutschland. »Ich will mit meiner Arbeit die Welt ein wenig verändern.«
Dieses Projekt wurde vom Europäischen Journalismus Zentrum durch den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.
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