Wassermangel: »Die Zeiten des Überangebots sind vorbei«

Frau Engelhardt, die Metropolregion Berlin-Brandenburg hat vielerorts mit sinkendem Grundwasser zu kämpfen. Lässt sich abschätzen, wie groß der Verlust ist?
Das variiert je nach Lage. Unser Forschungsschwerpunkt liegt im Südosten, etwa von der Berliner Stadtgrenze bis zum Spreewald in Brandenburg. In den letzten 20 Jahren sind dort die Grundwasserspiegel auf etwa einem Viertel der Fläche um bis zu 1,5 Meter gefallen. Insgesamt haben wir dort ein Defizit von 80 Millionen Kubikmeter Wasser. Das ist die Menge, die dem System durch das Absinken der Grundwasserspiegel inzwischen verloren gegangen ist. Dieses Defizit erhöht sich jährlich um vier Millionen Kubikmeter.
Das ist eine ganze Menge.
Die Zahl relativiert sich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Wasserversorgung in ganz Berlin jährlich 200 Millionen Kubikmeter fördert, also das 50-Fache. Trotzdem haben wir ein Defizit, und wenn weitere Konzessionen zur Förderung erteilt werden, wird es immer größer. Eigentlich sollte das Ziel einer nachhaltigen Bewirtschaftung sein, dass die Verluste nicht weiter anwachsen. Stattdessen sollte sich die Ressource besser wieder erholen.
Themenwoche »Ressource Wasser«
Kaum ein Gut betrachten wir hier zu Lande als so selbstverständlich wie sauberes Wasser. In der Themenwoche »Ressource Wasser« schaut »Spektrum.de« unter die Oberfläche, um drängende Fragen zu beantworten: Wie steht es um unser Grundwasser? Wie können wir dazu beitragen, die Reserven zu schützen? Wie sauber ist unser Trinkwasser? Und wer stellt sicher, dass wir ausreichend versorgt sind, wenn eine Katastrophe droht?
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Was sind die Ursachen für den Grundwasserverlust?
Als wir mit unserem Forschungsprojekt dort begonnen haben, dachte ich, es liege an den Wasserversorgern, die zu viel entnehmen. Es zeigte sich aber: Auch in Regionen, in denen kein großer Versorger ist, sinken die Grundwasserspiegel. Offenbar hat der Klimawandel einen stärkeren Effekt als die Wasserförderung. Das lässt sich anhand der Grundwasserneubildungsrate erklären. Sie gibt an, welche Menge an Niederschlag wirklich bis in den tiefen Untergrund gelangt. In Brandenburg ist das ohnehin wenig, rund 70 Millimeter im Jahr. Je nach Region sehen wir nun, dass die Neubildung in den letzten 40 Jahren um bis zu 16 Prozent zurückgegangen ist. Das heißt, selbst ohne Grundwasserentnahme sinkt der Spiegel ab.
»Ein Mischwald erhöht die Versickerung um rund 20 Prozent gegenüber Nadelwald«
Warum kommt weniger im Grundwasser an? Die Niederschlagsmengen gehen schließlich nicht so drastisch zurück.
Ideal für die Grundwasserneubildung ist ein typischer norddeutscher Landregen, sanft und lang anhaltend. Dann kann viel versickern. Bei Starkregen hingegen fließt das meiste oberirdisch in die Flüsse ab und ist weg. Weiterhin sehen wir, dass die Sommertemperaturen zunehmen. Ein Großteil der Niederschläge verdunstet deshalb rasch wieder. Ein zusätzliches Problem sind die vielen Nadelwälder mit einer hohen Transpiration. Sie nehmen einen großen Teil des Niederschlags auf und geben ihn über die Nadeln wieder in die Atmosphäre ab. Sie verhindern damit, dass Niederschlag überhaupt den Boden erreicht. All das führt dazu, dass weniger Wasser versickert und im Grundwasserleiter ankommt.
Wie sieht es in anderen Teilen Deutschlands aus?
Eigentlich ist der gesamte Osten Deutschlands mit dieser Entwicklung konfrontiert. Günstiger ist es, wenn Talsperren für die Wasserversorgung vorhanden sind, etwa in Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Sachsen.
Was ist zu tun, um die Ressource Grundwasser zu schonen und im besten Fall wieder ansteigen zu lassen?
Am einfachsten ist es, Wasser zu sparen. In Berlin und Brandenburg haben wir einen Pro-Kopf-Verbrauch von rund 120 Litern pro Tag, andere Bundesländer haben nur 90. Unsere Berechnungen zeigen: Wenn wir auf diesen Wert herunterkommen, könnten wir den Mehrbedarf abfangen, der künftig durch das Bevölkerungswachstum erwartet wird. Das Defizit wird so aber nicht behoben, wir müssen mehr tun. Dazu gehört der Waldumbau: Ein Mischwald erhöht die Versickerung um rund 20 Prozent gegenüber Nadelwald. Doch diese Maßnahme dauert sehr lange und bringt keine schnelle Abhilfe. Zusätzlich lässt sich das Wassernetz ausbauen. Das heißt, Wasserwerke, die aus hydrogeologischer Sicht ihre Produktion noch steigern können und in dünn besiedelten Gebieten liegen, beliefern über Rohrleitungen Gegenden, die bereits am Limit sind oder Zuwachs erwarten, beispielsweise große Industrieanlagen.
Klingt nicht gerade fair.
Es kommt darauf an, wie das organisiert ist. Die Wasserlieferanten sollten angemessen bezahlt und am wirtschaftlichen Aufschwung der Wasserabnehmer beteiligt werden. Zudem können die Entgelte steuernd eingesetzt werden. In Israel etwa zahlen Abnehmer höhere Preise, wenn sie viel abnehmen, das ist ein Anreiz zum Sparen. Bei uns ist das bisher nicht üblich, und beispielsweise die Landwirtschaft bezahlt einen sehr geringen Wasserpreis.
Was können wir noch von Ländern lernen, die mit Wasserstress konfrontiert sind?
In Israel und in Kalifornien, aber auch in Spanien oder Frankreich wird Grundwasser gezielt angereichert. Man verwendet dort gereinigtes Abwasser, so genanntes Klarwasser, und leitet es über Versickerungsbecken oder Brunnen in den Untergrund.
»Mit verschiedenen Technologien kann man Abwasser bis zur Trinkwasserqualität bringen«
Abwasser? Pardon, das klingt abenteuerlich. Was ist mit all den Schadstoffen, Arzneimittelrückständen und so weiter?
Die Reaktion begegnet mir hier zu Lande häufiger. Doch mit verschiedenen Technologien kann man es bis zur Trinkwasserqualität bringen. In Singapur sind die Menschen entsprechend darauf eingestellt, dass sie in trockenen Perioden solches »new water« bekommen. Die Aufbereitung ist aber sehr aufwändig und auch nicht immer im vollen Umfang nötig, denn bereits während der Passage durch den Untergrund wird Wasser gereinigt – dank der Mikroorganismen und Tonpartikel. Man muss das Ganze natürlich sehr gut und kontinuierlich überwachen.
Ist das in Deutschland erlaubt?
Nein, leider. Wir hatten einen Forschungsantrag dazu gestellt, der wurde prompt abgelehnt. Die Behörden lassen das nicht zu. Aus meiner Sicht wäre das aber sinnvoll. Andere Länder haben gute Erfahrungen damit, und bei uns verschärft sich das Wasserproblem spürbar. Wir sollten die Zeit nutzen, um die Infiltration von Klarwasser schrittweise auszuprobieren, zu lernen, zu verbessern. Zunächst in einem sehr gut überwachten Rahmen von Forschungsprojekten. Dann werden wir sehen, wo es hakt und worauf wir achten müssen. Etwas besser stehen die Chancen, Oberflächenwasser zu infiltrieren.
Sie meinen Wasser aus Flüssen oder Seen?
Genau. Jetzt im Sommer wird es natürlich dort gebraucht, um die Ökosysteme zu erhalten. Da käme keiner auf die Idee, das bisschen Flusswasser auch noch abzuzweigen. Wenn es jedoch Hochwasser gibt, vor allem im Herbst und Winter, ließe sich ein Teil in Speicherbecken lenken, um es dann zu versickern oder über Schluckbrunnen in den Untergrund zu geben.
Nun ist Flusswasser ebenso mit Schadstoffen belastet.
Man muss genau schauen, was drin ist und wie gut das Wasser im Untergrund gereinigt wird, während es die Schichten passiert. Der Vorteil besteht darin, dass dieses Wasser zwei bis drei Jahre lang im Untergrund fließt, ehe es die Brunnen der Wasserversorger erreicht. Einerseits wird es dabei gereinigt, andererseits entsteht durch die Fließbewegung Raum für weiteres Überschusswasser – das Grundwasser kann so immer weiter aufgefüllt werden.
Wird es genügend Wasser geben, um das vorhandene Defizit im Großraum Berlin auszugleichen?
Da wäre ich vorsichtig. Wenn wir den gesamten Wasserhaushalt modellieren, also das, was an Niederschlag und über Flüsse in den Großraum Berlin gelangt und was verbraucht wird, sehen wir in der Zukunft eine angespannte Situation.
Bislang wird noch Sümpfungswasser aus der Braunkohleförderung in die Spree geleitet, doch 2038 ist mit dem Abbau Schluss. Ab dann wird der Fluss in trockenen Sommermonaten häufig deutlich weniger Wasser führen, als ökologisch und wasserwirtschaftlich verträglich ist. Unter Umständen wird die Spree in solchen Zeiten am Zufluss zu Berlin gar auf null zurückgehen und überhaupt kein Wasser mehr in die Hauptstadt befördern. Wir brauchen daher dringend ein besseres Wassermanagement, bei dem international gut etablierte Maßnahmen eingesetzt werden, um auch in Zukunft die Wassersicherheit für unsere Region zu ermöglichen.
Inzwischen wird diskutiert, Wasser aus der Elbe überzuleiten, um Engpässe entlang der Spree zu überbrücken. Was halten Sie davon?
Da bin ich skeptisch. Dafür braucht es unter anderem Pipelines, die rund eine Million Euro pro Kilometer kosten. Und das Wasser fehlt dann im unterstromigen Teil des Einzugsgebiets der Elbe, also im Norden von Brandenburg und in Sachsen-Anhalt. Diese Gebiete sind ebenfalls mit dem Klimawandel konfrontiert. Zudem ist das übergeleitete Flusswasser kein hochwertiges Grundwasser, es ersetzt das Grundwasserdefizit also nicht. Im Übrigen gab es bereits 2024 diverse Sommermonate, in denen die vorgeschlagene Überleitungsmenge gar nicht verfügbar war. Gerade in den Perioden mit Wasserstress hätte demnach auch die Überleitung kein Wasser liefern können.
»Die einzige Möglichkeit, zusätzliches, das heißt neues Süßwasser fürs Festland zu generieren, ist die Meerwasserentsalzung«
Wir müssen uns klarmachen, dass die Ressource Süßwasser begrenzt verfügbar ist und dass wir das nachhaltig nutzbare Süßwasser in manchen Regionen früher ausschöpfen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die einzige Möglichkeit, zusätzliches, das heißt neues Süßwasser fürs Festland zu generieren, ist die Meerwasserentsalzung.
Die ist sehr energieintensiv, gefährdet die Umwelt in den Küstengebieten wegen der Salzlösung und erfordert ebenfalls einen weiten Transport.
Richtig. Aus meiner Sicht müssen wir aber umdenken, denn Meerwasserentsalzung ist die einzige Maßnahme, die Süßwasser neu bereitstellen und sich aus einem fast unendlichen Reservoir bedienen kann. Die Zeiten des Überangebots an Süßwasser sind in unserer Region seit 10 bis 15 Jahren vorbei. Zu all den genannten Maßnahmen, um Abhilfe zu schaffen, gibt es Erfahrungen aus dem Ausland. Auch die Wissenschaft in Deutschland hat in Feldversuchen, Technologieentwicklung und Modellierungen umfangreich dazu gearbeitet. Es ist an der Zeit, diese Forschungsergebnisse in der Praxis zu testen und die Auswirkungen – von der Umwelt bis zu den Kosten – solide zu erfassen und Vorbehalte abzubauen. Auf dieser Grundlage können die Verantwortlichen dann entscheiden, welche Werkzeuge sie einsetzen. Viel Zeit haben wir nicht mehr.
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