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30 Jahre Eisenhypothese: Eisen für eine neue Eiszeit

1990 veröffentlichte der Ozeanograf John Martin eine bahnbrechende Idee: Da mehr Eisen in die Ozeane gelangt war, habe sich die Erde in der jüngsten Eiszeit stark abgekühlt. Klimaforscher waren inspiriert.
Blauer Eisberg in der Antarktis

Diesen Monat vor 30 Jahren schlug John Martin eine Lösung für eines der größten Rätsel des Klimasystems der Erde vor: Wie wurde fast ein Drittel des Kohlendioxids in der Atmosphäre in den Ozean gezogen, als der Planet in die jüngste Eiszeit eintrat, dann für Zehntausende von Jahren gespeichert und wieder freigesetzt, als die Eisschilde schmolzen?

Entdeckt wurden diese großen natürlichen Schwankungen des atmosphärischen CO2-Gehalts im Jahr 1987. Und zwar durch eine Analyse von uralten Luftblasen, die in den ersten langen Eiskernen aus dem antarktischen Eisschild eingeschlossen waren. Martin erkannte, dass Eisen ein wesentlicher Faktor war, der den Oberflächenozean während der Eiszeit verändert hatte. Seine bahnbrechende Eisenhypothese, die im Magazin »Paleoceanography« veröffentlicht wurde, beschrieb einen Rückkopplungsmechanismus, der klimatische Veränderungen mit der Eisenversorgung, der Fruchtbarkeit der Ozeane und der Kohlenstoffspeicherung in der Tiefsee verbindet.

200 Gigatonnen sind eine Menge Kohlenstoff, die regelmäßig aus der Atmosphäre entnommen und in die Atmosphäre abgegeben wird. In den 1980er Jahren hatten eine Hand voll Modelle gezeigt, dass eine Erhöhung der Biomasseproduktion in den polaren Ozeanregionen der effektivste Prozess ist, um so viel atmosphärischen Kohlenstoff zu entfernen. Fotosynthetische Organismen im Oberflächenozean wandeln CO2 aus der Atmosphäre in Biomasse um, die anschließend von anderen Organismen wieder zu CO2 abgebaut und in die Atmosphäre zurückgeführt wird. Ein Teil der Biomasse sinkt jedoch in die Tiefsee, die somit als großes Reservoir für gelösten CO2 dient. Dieser Mechanismus der CO2-Entfernung wird als biologische Pumpe bezeichnet.

Die These: Starke Winde transportierten eisenhaltigen Staub

Biomasse zu produzieren, erfordert jedoch nicht nur CO2, sondern auch andere Nährstoffe, um Lipide, Proteine und Enzyme zu bilden. Die Forscher hatten Mühe, herauszufinden, wie der Anteil von Schlüsselnährstoffen wie Nitraten oder Phosphaten im Ozean während der Eiszeit gestiegen sein könnte, um eine stärkere biologische Pumpe zu betreiben.

Martin argumentierte, dass Eisen ein weiterer Nährstoff sei, der die biologische Pumpe drosselt. Er schlug vor, das moderne Meeresökosystem des Südlichen Ozeans um die Antarktis herum sei eisenarm und habe daher relativ wenig Biomasse, obwohl es reichlich Nitrate und Phosphate enthält. Aber während der Eiszeit könnten starke Winde über kalte, spärlich bewachsene Kontinente große Mengen an eisenhaltigem Staub in diesen Ozean transportiert haben (siehe Abbildung). Martin sagte, dass dieser Staub die Meeresökosysteme hätte befruchten und die biologische Pumpe stärken können, so dass mehr Kohlenstoff in die Tiefsee transportiert und die atmosphärischen CO2-Werte gesenkt werden konnten.

Die Daten, die die Eisenhypothese inspirierten |

a. Messungen von Luftblasen, die in Bohrkernen aus dem antarktischen Eisschild eingeschlossen sind, zeigen, dass die atmosphärischen Kohlendioxidwerte während der kältesten Phasen (siehe schattierte Bereiche) signifikant niedriger waren als in der Neuzeit.

b. Die Eisbohrkerne zeigen auch, dass Wind in den kältesten Perioden mehr eisenhaltigen Staub in den Südlichen Ozean transportiert hat als in wärmeren Zeiten.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatten Studien gerade erst Belege für eine hohe Staubabgabe während der Gletscherperioden aus Untersuchungen von tiefen antarktischen Eiskernen geliefert. Aber es gab keine verlässlichen Messungen von gelöstem Eisen im Südlichen Ozean, die bestätigen konnten, dass seine Oberflächengewässer in der heutigen Zeit eisenhungrig sind, oder Daten, die den Vorschlag stützen, dass die Zufuhr von eisenreichem Staub die Produktivität der Ozeane beeinflussen würde. Es war jedoch klar, dass große Gebiete des Weltozeans viel geringere Mengen an Biomasse aufweisen, als auf Grund der Konzentrationen von wichtigen Nährstoffen wie Nitraten und Phosphaten zu erwarten wäre. Viele Forscher argumentierten jedoch, dass dies auf die natürliche Überweidung der Algen durch Pflanzenfresser zurückzuführen sei.

Die Idee, dass das moderne Algenwachstum durch die Verfügbarkeit von Eisen begrenzt ist, war in den 1930er Jahren tatsächlich vorgeschlagen, aber von Ozeanografen – die in den Gewässern um ihre Eisenschiffe reichlich Eisen in Seewasserproben gemessen hatten – fälschlicherweise außer Acht gelassen worden. Martin war einer der ersten Ozeanografen, der akribische Verfahren einführte, um die Kontamination von Proben zu vermeiden und um festzustellen, dass die Eisenkonzentrationen im Nordpazifik extrem niedrig waren, sicherlich niedrig genug, um die Biomasseproduktion zu begrenzen.

Trotz der anfänglichen Skepsis gegenüber der Eisenhypothese wurden zwischen 1993 und 2005 zwölf separate Experimente durchgeführt, bei denen etwa 300 bis 3000 Kilogramm gelöstes Eisen in kleine Gebiete des Südlichen Ozeans, des äquatorialen Pazifiks und des Nordpazifiks injiziert wurden. Die Biomasse der Algen nahm überall dort zu, wo Eisen hinzugefügt wurde, da die biologische Produktion stark stieg.

Ozeanmodelle sollten die Eisenhypothese zusätzlich bestätigen

Leider starb Martin nur wenige Monate vor dem ersten dieser Experimente und wurde weder Zeuge der Bestätigung seiner Hypothese noch der international koordinierten Kampagne zur Messung der Eisengeochemie in den Weltmeeren – die die Eisenbegrenzung belegte und die komplizierten Strategien aufzeigte, die Meeresökosysteme einsetzen, um Eisen zu gewinnen und wiederzuverwerten.

Geowissenschaftler versuchten auch, die Eisenhypothese rechnerisch mit einfachen Ozeanmodellen zu testen. Sie benutzten die Veränderungen in der Staubakkumulationsrate, die in den Eiskernen aufgezeichnet wurde, als Input, um Veränderungen in der Eisenzufuhr zum Südlichen Ozean zu simulieren, und Daten aus den experimentellen Eisendüngungen, um zu berechnen, wie dieses Eisen das Algenwachstum und die biologische Pumpe beeinflussen könnte. Solche Modelle könnten den Zeitpunkt und die Größenordnung von etwa der Hälfte der beobachteten Abnahme der atmosphärischen CO2-Konzentration während der Eiszeiten nachvollziehen. Die Eisendüngung ist daher eindeutig ein wichtiger Prozess, der atmosphärische Veränderungen verursacht, aber vielleicht nicht der einzige.

Daten zu finden, die belegen, dass die biologische Produktion während der Gletscherzeit höher war, war eine schwierigere Aufgabe – schließlich ist das Ökosystem während der letzten Eiszeit (vor etwa 20 000 Jahren) längst tot. Eine mögliche Lösung war die Entnahme von Kernen aus den auf dem Meeresboden aufgehäuften Sedimenten, um zu sehen, ob sich die Mineralskelette der Algen in der Eiszeit schneller angereichert hatten als in der Neuzeit. Die Ergebnisse waren jedoch aus mehreren Gründen oft nicht eindeutig: Viele Algen produzieren kein konservierbares Skelett; zahlreiche Faktoren bestimmen, welcher Anteil der biologischen Überreste auf dem Meeresboden erhalten bleibt; und der Ort der biologischen Produktion ändert sich im Lauf der Zeit, wenn die Ozeanfronten und die Meereispositionen wandern.

Sauerstoffkonzentration im Bodenwasser hat während der Eiszeit abgenommen

Glücklicherweise hatten Martin und andere einen alternativen, weltweit angelegten Test der biologischen Pumpe während der Eiszeit vorausgesehen. Wenn während der Gletscherzeit mehr Biomasse in die Tiefsee gelangen würde, würden die Tiefsee-Mikroorganismen mehr Sauerstoff verbrauchen, wodurch die Sauerstoffkonzentration in der Tiefe sinkt. Der Nachweis von Sauerstoffmangel in der Tiefsee wäre daher ein Hinweis auf eine starke biologische Pumpe.

Martin erkannte, das Vorhandensein bestimmter Mikrofossilien in den Sedimenten der Gletscherzeit bedeutet, dass die Tiefsee während der Gletscherzeit nicht völlig sauerstofffrei geworden ist. Aber obwohl diese Beweise die Schätzungen des Grades, in dem die Eisendüngung die Produktivität während der Gletscher erhöht haben könnte, grob eingeschränkt haben, ließen sie sich nicht dazu verwenden, um zu bestimmen, ob die Sauerstoffkonzentration in den Tiefen der Ozeane niedriger war als in der Neuzeit. Seitdem zeigt die Analyse der empfindlicheren geochemischen Aufzeichnungen, dass die Sauerstoffkonzentration im Bodenwasser während der Eiszeit abgenommen hat. Dies ist die bisher stärkste Bestätigung für die großräumige Akkumulation von Kohlenstoff in der Tiefsee während der Eiszeiten auf Grund einer stärkeren biologischen Pumpe.

Langsamere Vermischungsraten zwischen den tiefen und flachen Ozeanen könnten auch die biologische Pumpe während der Gletscher verstärkt haben. Die neueste Generation von Klimamodellen, in denen Ozean und Atmosphäre gekoppelt sind, kann den Beitrag der vielfältigen Prozesse testen, die zu einer Verringerung des Sauerstoffgehalts im Bodenwasser geführt haben könnten. Solche Modelle zeigen, dass die Mischungsraten nur die Hälfte der beobachteten CO2-Speicherung in der Tiefsee während der Eiszeit ausmachen können und dass die Eisendüngung des Südlichen Ozeans die Hauptursache für die beobachtete zusätzliche CO2-Speicherung ist.

Martin schloss seinen Vortrag mit der Feststellung, dass die Verfügbarkeit von Eisen »anscheinend eine Rolle« bei der Stärkung der biologischen Pumpe während der Gletscherzyklen gespielt hat, aber das Ausmaß noch zu bestimmen sei. 30 Jahre später zeigen die Beweise überzeugend, dass die Eisendüngung des Südlichen Ozeans tatsächlich ein Hauptakteur in diesem globalen Klima-Feedback war.

Der Artikel ist im Original »30 years of the iron hypothesis of ice ages« in »Nature« erschienen und für die deutsche Fassung von der Redaktion angepasst worden.

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