Umweltkatastrophen: 48 000 Badewannen Schlamm pro Stunde
Am 29. Mai 2006 ereignete sich auf der indonesischen Insel Java eine verheerende Katastrophe: Der Schlammvulkan Lusi verschlang zwölf Dörfer und vernichtete die Lebensgrundlage zehntausender Menschen. Schuld daran könnte eine Erdölbohrung sein. Doch die indonesische Regierung wiegelt ab.
Ajis und seine Gattin Muslikah leben mit vier erwachsenen Kindern in einem zehn Quadratmeter großen Bretterschlag auf dem Marktplatz des Dörfchens Porong. Ajis weiß genau, wie lange schon: "Seit einem Jahr und zwei Monaten." Damals versank mit dem Haus und der Schreinerwerkstatt von Ajis die Lebensgrundlage, die Zukunft der Familie in heißen, schweflig stinkenden Schlamm. Dieser stammt aus 3000 Metern Tiefe aus einem Schlammvulkan in Ostjava im Distrikt Sidoarjo, zwanzig Kilometer von Indonesiens zweitgrößter Stadt Surabaya entfernt.
Ein Kick in 2834 Metern Tiefe
Lapindas Brantas gehört zum Firmenimperium von Aburizal Bakrie – laut Forbes mit fünf Milliarden US-Dollar der reichste Mann Indonesiens und derzeitiger Sozialminister des Landes. Der einflussreiche Mann soll Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono mit großzügigen Wahlkampfspenden unterstützt haben. Der Unternehmer könnte für die Lusi-Katastrophe verantwortlich sein, um deren Folgen er sich als Sozialminister zu kümmern hätte.
Eine Fortsetzung der Bohrung war nun nicht mehr möglich. Experten werfen Lapindo vor, auf die übliche Ummantelung des Bohrers verzichtet und durch diesen eklatanten Fehler den Kick verursacht zu haben.
Eintritt zur Katastrophe
Lapindo lehnt jede Verantwortung ab und verweist stattdessen auf wissenschaftliche Gutachten, die in einem Erdbeben zwei Tage vor der Lusi-Katastrophe im knapp 300 Kilometer entfernten Yogyakarta mit mehr als 6000 Toten die Ursache sehen. Manchen Verfechtern der Erdbebentheorie aber wird in indonesischen Medien vorgeworfen, sie hätten sich von Lapindo kaufen lassen. Davies hält gar nichts von der Erdbebenthese: "Das Beben von Yogyakarta war wahrscheinlich zu schwach und zu weit entfernt."
Mein erster Eindruck: ein flacher, weiter See, der ruhig, grau und bleiern daliegt. Das Schreckliche gelangt erst peu à peu ins Bewusstsein, als ein bizarr aussehende Etwas, das einige Meter entfernt aus der Brühe ragt, als Dachgiebel erkennbar wird. Dahinter ein zweiter. Rechts lugen ein paar kahle Wände wie kariöse Zahnstummel aus dem Wasser. Etwas weiter ist in dem Morast eine Moschee versunken, von der nur noch das Dach zu sehen ist. Das ist alles, was der Schlamm von dem Dorf Kelurahan Siring übrig ließ.
Ein weiteres Problem stellt das Gas dar, das an mindestens achtzig Stellen aus der Erde austritt. Man sieht es nicht, man riecht es nicht – aber es ist hoch giftig und leicht brennbar. So wie die gut fünf Meter hohe Gas-Wasser-Fontäne, die in einem Dorf zwischen mittlerweile verlassenen Häusern emporschießt. "Die hat vorgestern gebrannt", erzählt Win, einer der wenigen Bürgerrechtler, die sich um die Nöte der Lusi-Opfer kümmern. "Sie mussten die Flughafenfeuerwehr aus Surabaya holen. Die hiesige Feuerwehr war nicht in der Lage, den Brand zu löschen."
Wer zahlt?
Ajis und die anderen 680 Familien in dem Lager fordern, statt für Miete sollten die Mittel für den Kauf von Land und den Bau neuer Dörfer verwendet wenden, damit sie wieder leben und arbeiten können, wie sie es gewohnt sind.
Damit sieht es schlecht aus.
Die Menschen in Sidoarjo nennen den Schlammvulkan Lusi, eine Wortschöpfung aus den dem indonesischen Wort "Lumpur" und Sidoarjo. Seit dem 29. Mai 2006 quellen täglich schätzungsweise 176 000 Kubikmeter Schlamm pro Tag in unmittelbarer Nähe des Bohrlochs Banjar Panji 1 (BPJ-1) der Öl- und Gasfirma Lapindo Brantas aus der Erde. Das ist genug, um stündlich 48 000 Badewannen zu füllen. 800 Hektar Land sind bereits von den Schlammmassen bedeckt. Zwölf Dörfer hat Lusi verschlungen, mehr als 10 000 Familien haben ihre Häuser, ihre Reisfelder, ihre Werkstätten, ihre Lebensgrundlage verloren. Zerstört hat Lusi 25 Leder- und Textilfabriken, die größten Arbeitgeber der Region, aber auch Straßen, eine Eisenbahnlinie sowie eine wichtige Stromversorgungslinie für die dicht besiedelte Region.
Ein Kick in 2834 Metern Tiefe
Lapindas Brantas gehört zum Firmenimperium von Aburizal Bakrie – laut Forbes mit fünf Milliarden US-Dollar der reichste Mann Indonesiens und derzeitiger Sozialminister des Landes. Der einflussreiche Mann soll Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono mit großzügigen Wahlkampfspenden unterstützt haben. Der Unternehmer könnte für die Lusi-Katastrophe verantwortlich sein, um deren Folgen er sich als Sozialminister zu kümmern hätte.
Irgendetwas lief an diesem Tag im Mai 2006 in BPJ-1 schief. Einige behaupten, die Bohrung von Lapindo zur Erschließung eines reichen Gasfeldes sei unsachgemäß und stümperhaft durchgeführt worden. Das Unternehmen bohrte Anfang März 2006 in der Nähe von Sidoarjo eine neue Gasquelle an. Man war davon ausgegangen, in 2591 Metern Tiefe auf eine Kalksteinschicht zu stoßen. Dies war jedoch nicht der Fall. Stattdessen kam es in 2834 Metern Tiefe zu einem "Kick" – einem unkontrollierten Einbruch von Flüssigkeit in das Bohrloch.
Eine Fortsetzung der Bohrung war nun nicht mehr möglich. Experten werfen Lapindo vor, auf die übliche Ummantelung des Bohrers verzichtet und durch diesen eklatanten Fehler den Kick verursacht zu haben.
"Ich bin sicher, dass die Bohrung an Banjar Panji 1 den Schlammvulkan ausgelöst hat"
(Richard Davies)
Zudem hätten die Ölleute zu spät auf das drohende Desaster reagiert. "Sie haben den Kick erst nach einigen Stunden bemerkt", meint Richard Davies von der britischen Universität Durham. Für den Geowissenschaftler, der bereits zwei Studien über den Schlammvulkan veröffentlicht hat, steht der Schuldige fest: "Ich bin zu 98 Prozent sicher, dass die Bohrung an Banjar Panji 1 den Schlammvulkan ausgelöst hat. Ich habe Druckdaten, die zeigen, dass der Druck eine kritischen Höhe erreicht hat." (Richard Davies)
Eintritt zur Katastrophe
Lapindo lehnt jede Verantwortung ab und verweist stattdessen auf wissenschaftliche Gutachten, die in einem Erdbeben zwei Tage vor der Lusi-Katastrophe im knapp 300 Kilometer entfernten Yogyakarta mit mehr als 6000 Toten die Ursache sehen. Manchen Verfechtern der Erdbebentheorie aber wird in indonesischen Medien vorgeworfen, sie hätten sich von Lapindo kaufen lassen. Davies hält gar nichts von der Erdbebenthese: "Das Beben von Yogyakarta war wahrscheinlich zu schwach und zu weit entfernt."
Der Schlammvulkan zieht Neugierige an. Tausende kommen jeden Tag, um die Katastrophe mit eigenen Augen zu sehen. Der Weg hinauf zum dem provisorischen Damm um den Schlammsee führt über einen mehr als wackeligen Holzsteg. Einheimische verlangen 5000 Rupien "Eintritt". Oben auf dem Damm bieten fliegende Händler Getränke und Snacks an. Andere haben DVDs mit Videos und Fotos von der Katastrophe im Angebot oder verlangen für indonesische Verhältnisse Unsummen für eine Fahrt mit dem Moped zum zweiten Damm – nahe des Zentrums von Lusi, der ohne Unterbrechung heiße, grau-weiße Qualmwolken ausstößt.
Mein erster Eindruck: ein flacher, weiter See, der ruhig, grau und bleiern daliegt. Das Schreckliche gelangt erst peu à peu ins Bewusstsein, als ein bizarr aussehende Etwas, das einige Meter entfernt aus der Brühe ragt, als Dachgiebel erkennbar wird. Dahinter ein zweiter. Rechts lugen ein paar kahle Wände wie kariöse Zahnstummel aus dem Wasser. Etwas weiter ist in dem Morast eine Moschee versunken, von der nur noch das Dach zu sehen ist. Das ist alles, was der Schlamm von dem Dorf Kelurahan Siring übrig ließ.
Sämtliche Versuche, die Katastrophe einzudämmen, schlugen bislang fehl. Erst sollten versenkte Zementblöcke das Loch stopfen. Jetzt wird der 80 bis 100 Grad heiße Schlamm in den Fluss Porong gepumpt, der den Dreck in die Java-See transportieren soll. Die Fische im Porong überleben diese Maßnahme nicht. Leidtragende sind auch die vielen Krabbenfarmer in der Umgebung von Surabaya. Die Pumpen jedoch bewältigen die Schlammmassen nicht. Jetzt bereiten die Experten den direkten Abfluss des Schlamms in den Porong vor. Dem Versuch werden die drei Dörfer Besuki, Kedungcankring und Pejarakan geopfert. Weitere Menschen werden ihre Heimat verlieren.
Ein weiteres Problem stellt das Gas dar, das an mindestens achtzig Stellen aus der Erde austritt. Man sieht es nicht, man riecht es nicht – aber es ist hoch giftig und leicht brennbar. So wie die gut fünf Meter hohe Gas-Wasser-Fontäne, die in einem Dorf zwischen mittlerweile verlassenen Häusern emporschießt. "Die hat vorgestern gebrannt", erzählt Win, einer der wenigen Bürgerrechtler, die sich um die Nöte der Lusi-Opfer kümmern. "Sie mussten die Flughafenfeuerwehr aus Surabaya holen. Die hiesige Feuerwehr war nicht in der Lage, den Brand zu löschen."
Die Mehrheit der Opfer leben inzwischen in neuen Häusern. Indonesiens Regierung hat Lapindo gesetzlich verpflichtet, den Betroffenen eine bescheidene Entschädigung für den Verlust von Haus und Grundstück zu zahlen, nicht aber für die Vernichtung der wirtschaftlichen Grundlage der Familien. In ihrer Not haben viele das Angebot akzeptiert, wohnen jetzt verstreut in Dörfern und Städten zur Miete. "Sie haben auch ihre Dorfgemeinschaft verloren", meint Win und ergänzt: "Sie haben keine wirkliche Zukunft."
Wer zahlt?
Ajis und die anderen 680 Familien in dem Lager fordern, statt für Miete sollten die Mittel für den Kauf von Land und den Bau neuer Dörfer verwendet wenden, damit sie wieder leben und arbeiten können, wie sie es gewohnt sind.
"Sie haben keine Zukunft"
(Win)
"Sie waren Reisbauern, kleine Handwerker oder haben ihren Lebensunterhalt durch einen kleinen Imbissstand verdient", erläutert Win. Für die wirtschaftlichen Schäden und den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, die der Internationale Währungsfonds auf bisher 3,7 Milliarden Dollar oder ein Prozent des indonesischen Bruttosozialprodukts schätzt, muss der Steuerzahler aufkommen. (Win)
Ajis und Muslikah laden mich zum Essen ein. Mir ist es unangenehm, mich von diesen armen Menschen verköstigen zu lassen. Win beruhigt mich: "Das ist hier Tradition. Wenn jemand zu Essenszeit zu Besuch kommt, dann wird er eben eingeladen." Während wir also gelben Reis, etwas Tofu mit Chilli und ein Stück Huhn zu Mittag essen, sagt Ajis: "Ich würde mir wünschen, dass die Regierung hart durchgreift und auf der Seite des Volkes stünde."
Damit sieht es schlecht aus.
"Ich wünsche mir, dass die Regierung hart durchgreift und auf der Seite des Volkes steht"
(Ajis)
Nur wenige Tage vor meinem Besuch bei Ajis Anfang März hatte ein Parlamentsausschuss nach Anhörung von Wissenschaftlern, die ausschließlich die Erdbebentheorie vertreten, den Beschluss gefällt: Lusi hat eine rein natürliche Ursache, Lapindo trifft keine Schuld. In Indonesien stehen im kommenden Jahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an – da stößt man dem einflussreichen und mächtigen Bakrie nicht vor den Kopf. In Sidoarjo war der Sozialminister seit Lusis Ausbruch übrigens noch nie. (Ajis)
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