Seen aus Gülle und ein bizarres Gesetz: 5 Gründe, warum Hurrikan Florence so gefährlich ist
Verliert der Hurrikan Florence an Kraft? Nur noch Kategorie 1 auf der Saffir-Simpson-Skala für atlantische Wirbelstürme ist der Zyklon, dessen Zentrum in den nächsten Stunden aus die Ostküste der Vereinigten Staaten treffen wird. Das heißt, die höchsten Windgeschwindigkeiten des Sturms, die am 10. September noch 240 Stundenkilometer erreichten, sind unter etwa 150 Stundenkilometer gefallen. Doch das heißt nicht, dass man nun Entwarnung für die US-Ostküste geben kann, denn Florence ist ist ein ungewöhnlicher Sturm. Mehrere Aspekte führen dazu, dass der Hurrikan nach wie vor eine große Gefahr darstellt.
Sehr warmes Wasser vor der Küste
Hurrikane beziehen ihre Energie aus dem warmen Ozean; die tropischen Stürme benötigen Wassertemperaturen über 27 Grad Celsius, um ihre hohen Windgeschwindigkeiten aufrechtzuerhalten. Das Meer nahe der Küste ist bis zu 30 Grad warm, teilweise mehr als ein Grad mehr als normal um diese Jahreszeit. Das bedeutet, dass Florence, während der Sturm nahe an der Küste liegt, weiter Energie tanken kann.
Die größte Gefahr des Sturms geht aber nicht von den starken Winden rund um sein Zentrum aus, sondern von den enormen Regenmengen, die er bringen kann. Über dem sehr warmen Wasser nahe der Küste nimmt Florence an seiner Ostseite viel Feuchtigkeit auf, die dann auf der Landseite des Sturmes abregnet und zusätzlich zur Sturmflut zu Überschwemmungen führt. Zusätzlich deuten Analysen darauf hin, dass Florence durch den Klimawandel etwa 50 Prozent mehr Regen mit sich führt.
Die Böden an der US-Ostküste sind nass
Bei vielen Hurrikanen ist der Regen zerstörerischer als der Wind. Wie dramatisch die Überschwemmungen durch einen Hurrikan werden können, zeigte erst 2017 der Hurrikan Harvey, der Houston unter Wasser setzte. Auch bei Florence warnen die Behörden vor großflächigen Überschwemmungen. Die Wassermassen lassen Flüsse über die Ufer treten oder strömen als Massen von Wasser und Schlamm von Hügeln und Bergen herab. Das Hinterland der US-Ostküste steigt zu den Bergen der Appalachen hin an, so dass hier nicht nur viel Feuchtigkeit abregnet, das steile Relief begünstigt auch Erdrutsche und Sturzfluten. Verschärft wird das Problem dadurch, dass es in einigen Regionen der Ostküste in den letzten Tagen und Wochen viel geregnet hat. Deshalb sind die Böden teils sehr nass, und die Grundwasserspiegel hoch. Das Regenwasser kann nicht versickern, so dass die Überschwemmungen durch Florence stärker und anhaltender sind.
Florence ist groß und langsam
Zusätzlich rechnen Fachleute mit Regen über einer ungewöhnlich großen Region, denn mit etwa 800 Kilometern Durchmesser ist Florence ein recht großer Sturm. Obwohl der Hurrikan nicht an die größten Stürme wie Sandy mit 1600 Kilometer Durchmesser heranreicht, ist Florence deutlich größer als Hugo, der die Region 1989 traf. Deswegen warnen Wetterfachleute vor schweren Überschwemmungen in fast allen Regionen der Bundesstaaten North und South Carolina – ein Gebiet, größer als Großbritannien.
Interesting comparison between the size of Hurricanes #Florence and Hugo (1989). Hugo was a devastating storm, but Florence may be even worse based on how much large it is. (Graphic by @EricHolthaus) pic.twitter.com/cYlVkTRPdT
— Hurricane Tracker App (@hurrtrackerapp) 12. September 2018
Dadurch, dass Florence sehr langsam an der Küste entlangziehen wird, kann der Sturm nicht nur länger Feuchtigkeit aus dem Meer aufs Land transportieren, er regnet sich auch über einem längeren Zeitraum über einer kleineren Fläche ab – so wie es Sturm Harvey in Houston tat. Fachleute rechnen damit, dass er mehrere Tage über den beiden Bundesstaaten bleibt. Auch das ist vermutlich ein Effekt des Klimawandels, wie eine Analyse der Klimaforschers James P. Kossin in »Nature« nahelegt. Ein weiterer Effekt des großen Durchmessers ist, dass auch die Sturmflut, die Florence vor sich herschiebt, höher wird und ein größeres Gebiet der Küste betrifft.
Seen aus Schweine-Exkrementen
Eine für Hurrikanvorbereitungen eher ungewöhnliche Frage beschäftigt derweil Landwirte und Umweltschützer: Wohin mit all der Schweinescheiße? North Carolina beherbergt eine der größten Tierhaltungsindustrien der USA, insgesamt 9 Millionen Schweine leben dort auf über 2000 Farmen. Und die produzieren jede Menge Gülle, die vor Ort in fußballfeldgroßen, offenen Gruben gelagert wird. Hunderte dieser unangenehm riechenden Teiche liegen in Florences Zugbahn, und viele von ihnen werden vermutlich durch den extremen Regen überlaufen. Die entstehende giftige Suppe überschwemmt dann die Landschaft – Fachleute fürchten, dass die Krankheitserreger sogar ins Grundwasser gelangen und so das Trinkwasser verseuchen. Studien zeigen, dass die Güllegruben schon ohne Hurrikan gesundheitsschädlich ist: In der Nachbarschaft der Schweinefarmen, gelegen in Regionen, die zu den ärmsten des Bundesstaats gehören, sterben mehr Neugeborene, Menschen haben häufiger Asthma und sogar neurologische Störungen. Ganz sicher allerdings gelangt die ausgelaufene Fäkalbrühe früher oder später in Flüsse, Seen und ins Meer.
Die USA sind schlecht auf Extremwetter vorbereitet
Jene Probleme, die sich schon beim Hurrikan Harvey in Houston offenbarten und zu enormen Flutschäden führten, zeigen sich auch in der nun von Florence betroffenen Region. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren gerade nahe der Küste deutlich gewachsen, in der Küstenregion North Carolinas zum Beispiel hat sich die Bevölkerungsdichte in den letzten 50 Jahren glatt verdoppelt. Das führt zu einem Phänomen, das man auch in Houston sah: Durch den versiegelten Boden in den Außenbezirken läuft viel mehr Wasser in die alten Stadtzentren, die oft an Flüssen liegen. Zusätzlich entstehen viele neue Gebäude in Überschwemmungsgebieten; einerseits weisen veraltete Karten oft Zonen als sicher aus, die wegen des Klimawandels und stärkerer Bodenversiegelung inzwischen überschwemmungsgefährdet sind, zum anderen bieten Steuervergünstigungen und staatliche Flutversicherungen Anreize, auch in gefährdeten Gebieten zu bauen.
Das Problem ist nicht neu: Fachleute beklagen seit geraumer Zeit, dass Gemeinden aus schweren Überschwemmungen keine Konsequenzen ziehen. So stellte eine Arbeitsgruppe um Susan L. Cupper in ihrer Analyse einer Sturzflut in South Carolina im Jahr 2015 resigniert fest: »...das katastrophale Sturzflutereignis führte nicht dazu, dass Landnutzung, Planungsrecht und Bauvorschriften überprüft oder gar geändert wurden.» Auch ein weiterer Faktor der schweren Überschwemmungen 2015 blieb unangetastet: Obwohl insgesamt 18 private Staudämme brachen, sind solche Bauwerke in dem Bundesstaat kaum reguliert, viele verwundbare Dämme wurden bis heute weder verstärkt noch überprüft.
Die bemerkenswerteste Fehlplanung in der von Florence betroffenen Region ist allerdings politisch vorgegeben: Im Jahr 2011 kam eine staatliche Kommission zu dem Schluss, dass der Meeresspiegel entlang der Küste North Carolinas bis Ende des 21. Jahrhunderts um einen Meter steigen könnte. Das Parlament reagierte prompt – und erließ auf Druck der Immobilienindustrie ein Gesetz, nach dem alle Bau- und Planungsvorschriften des Bundesstaats auf einem konstanten Meeresspiegel basieren sollten. Seit 2017 hat North Carolina einen anderen Gouverneur, der sich stärker für Klimaschutz interessiert, allerdings hat sich an den Bauvorschriften nichts geändert. Dafür steigt der Meeresspiegel um knapp einen Zentimeter pro Jahr.
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