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500 Jahre Deutscher Bauernkrieg: Wider iren aignen herrn

Heute vor 500 Jahren schickte Landgraf Sigmund II. von Lupfen-Stühlingen seine Bauern zum Schneckensammeln. Es war der Demütigungen und Schikanen die eine zu viel. Kurz darauf griffen tausende zu den Waffen.
Oberschwäbische Bauern
Im Jahr 1525 griff die Landbevölkerung zu tausenden zu den Waffen. Die oberschwäbischen Bauern lieferten mit ihren »Zwölf Artikeln« eine Art programmatische Schrift. Die Abbildung stammt vom Titelblatt dieser Ausgabe.

Manch ein Stühlinger mochte schon lange geknurrt haben. Wegen der andauernden Schufterei im Frondienst, wegen Steuern, von denen kein Mensch je gehört hatte. Wegen Amtleuten, die im Dorf auftauchten und sich in Dinge einmischten, die von alters her Bauernsache waren. An diesem einen Tag aber, um Johanni 1524, hatte Graf Sigmund den Bogen endgültig überspannt.

»Ungefahrlich umb Johannis ward ain uffruor under der baurschaft zue Stielingen«, heißt es in der Chronik aus dem nahegelegenen Villingen, »wider iren aignen herrn«.

Ärger brach sich Bahn im Land, und Sigmund II. von Lupfen-Stühlingen war sein Ziel.

Aufgebracht seien die Bauern vor dem Schloss erschienen und hätten deutlich ihren Unmut geäußert, schreibt Zeitzeuge Heinrich Hug, der Autor der Villinger Chronik. Was hatte sie so in Rage versetzt? Auch das verzeichnet Hug: »die bauren solten in der ernd und unrüewigen zeit der grefin schneckenheüßlin samlen, das sie garn daruff winden« könne. In modernes Hochdeutsch übertragen: Die Bauern sollten auf Suche nach Schneckenhäusern gehen, damit die Gräfin etwas hat, worauf sie ihr Garn wickeln kann – und das, wohlgemerkt, während der wichtigen Zeit der Ernte.

Mit ihrem Marsch vor das Schloss, der nach heutiger Sicht wahrscheinlich auf den 23. Juni fiel, bildeten Sigmunds wütende Leibeigene vor genau 500 Jahren den Auftakt zu jenen blutigen Geschehnissen, die später als Deutscher Bauernkrieg in die Geschichte eingehen sollten. Der Landesherr selbst bekam davon zunächst wenig mit. Er nahm zu diesem Zeitpunkt die Aufgaben seines Nebenjobs als Landvogt im Elsass wahr.

Prophezeiung | 1499 sagte der Mathematiker Johannes Stöffler eine besondere Planetenkonstellation »in einem wässrigen« Sternzeichen für Februar 1524 voraus und leitete daraus politische Verwerfungen im »ganzen Erdkreis« ab. Tatsächlich zerstörten unwetterartige Niederschläge im Juni und Juli 1524 Teile der Ernte in der Region. Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung waren vermutlich die Folge.

Was die Stühlinger Bauern und ihre Nachbarn aus Bonndorf, Ewattingen und Bettmaringen wirklich zum Schloss Hohenlupfen trieb, hat seinerzeit offenbar niemand offiziell festgehalten. Vielleicht ließ diese Leerstelle den Raum für die Geschichte mit den Schneckenhäuschen. Denn dass Gräfin Clementia tatsächlich nach neuen »schneckenheüßlin« verlangte, ist nicht eindeutig nachgewiesen. Drei Quellen erwähnen den »Stühlinger Schneckenstreit«, handeln ihn aber lediglich mit wenigen Sätzen ab. Die meisten Historiker verlegen ihn darum eher ins Reich der Legenden. Möglicherweise steht die geradezu absurde Forderung des Landgrafen einfach symbolisch für dessen Willkürherrschaft. Auszuschließen ist jedoch nichts: Manche besser belegten Aufträge Sigmunds sind ähnlich ungewöhnlich.

Außer Zweifel steht jedenfalls, dass es vor 500 Jahren im Süden des Schwarzwalds zur Revolte kam. Ein umfangreicher Beschwerdekatalog mit 62 Forderungen, der allerdings aus dem April des Folgejahrs stammt, gibt Einblick in die Gemütsverfassung der Bauern. Ein Thema dominiert die darin geforderten Reformen: Es müsse endgültig und für alle verbindlich definiert werden, welche Rechte und Pflichten für die Untertanen gälten und welche für die Herrscher.

»Der Angriff der Landgrafen von Stühlingen auf die Rechte der Bauern erfolgte auf breiter Front«Horst Buszello

Machtstreben auf Kosten des Bauernstands

Ausgangs des Mittelalters begannen einflussreiche Territorialherren wie Landgraf Sigmund die Machtbalance im Reich zu verschieben – auf Kosten des niederen Adels, vor allem aber auf Kosten des Bauernstands. Mit immer höheren Steuern und Abgaben finanzierten die Abhängigen das Machtstreben ihrer Herren, zugleich verloren sie ihre angestammte Autonomie. »Das tradierte Gefüge von Herr und Bauer beziehungsweise bäuerlicher Gemeinde: Gebot und Gehorsam, Rechte und Pflichten, Einkünfte und Abgaben wurde einseitig zugunsten der Herrschaft verschoben«, schreibt der Historiker Horst Buszello im Überblickswerk »Der Bauernkrieg«.

Nichts anderes geschah am Rand des Schwarzwalds: »Der Angriff der Landgrafen von Stühlingen auf die Rechte der Bauern erfolgte auf breiter Front«, schreibt Buszello.

Das schlägt einem aus dem Forderungskatalog der Stühlinger förmlich entgegen. Ein Artikel richtet sich gegen das Ausufern der Frondienste. Viele davon hatte Sigmund überhaupt erst eingeführt: die teure Aufzucht der herrschaftlichen Jagdhunde etwa, das Sammeln von Morcheln oder Berberitzen. Zugleich beklagen sie sich über zu hohe Abgaben, für die sie keine Begründung kennen würden. Mit findigen neuen Vorschriften leite der Landgraf Gelder in seine Tasche um, die zuvor die Bauern kassiert hatten, mit Hilfe des Salzhandels zum Beispiel, den er nahezu monopolisierte.

Die meisten Artikel beschäftigten sich jedoch mit den Einschnitten in die Gemeindeautonomie sowie mit der Willkür, die nach Auffassung der Bauern in der Rechtsprechung Einzug gehalten hatte: Fälle, die seit jeher vor der bäuerlichen Gerichtsbarkeit verhandelt worden waren, schlügen der Graf oder seine Amtsleute nun nach Gutdünken dem Landgericht zu, insbesondere wenn sie auf das Urteil Einfluss zu nehmen gedächten. Wo das nicht ging, würden sie die Dorfrichter mit Klagen und Verhaftungen einschüchtern, »so sie nit nach gefallen der amptleut urteilen«.

Und immer wieder geht es ums Geld: Anscheinend langten die Lupfener zu, wo es etwas zu holen gab. Sie würden den Besitz eines zu Tode Verurteilten reklamieren ohne Rücksicht auf die Hinterbliebenen, alle Bußgelder flössen in den Säckel des Landgrafen, ebenso wie die gesamte Beute eines Diebstahls – sogar dann, wenn er Bestohlene sich das Diebesgut selbst zurückgeholt hatte.

All das müsse aufhören, forderten die Stühlinger. Und noch eines forderten sie nun, gut ein Jahr nach dem »Schneckenstreit«: ein Ende der Leibeigenschaft.

In den zehn Monaten zwischen dem ersten Auflodern ihrer Unzufriedenheit und der Veröffentlichung ihrer Forderungen war viel geschehen im Land. Mit ihrem Katalog an Forderungen standen sie inzwischen keineswegs mehr allein da. Fast zeitgleich hatten oberschwäbische Bauern mit ihren pointierter formulierten »Zwölf Artikeln« Ähnliches gefordert. Da standen die Bauern allerdings längst unter Waffen. Das in Memmingen erschienene Pamphlet wurde zu einer programmatischen Schrift für den gesamten Bauernkrieg. Darin geht es um dieselben Großthemen des Konflikts: Frondienste, Abgaben, Jagd und Fischerei sowie Gerichtsbarkeit.

Aufstände und Reformation

Die seit Jahrzehnten schwelende Unzufriedenheit im Land hatten die Lupfener zu spüren bekommen, als von Bauernkrieg noch nicht die Rede war. Die Gefolgsleute der Habsburger wurden regelmäßig in teure Regionalkonflikte wie den Waldshuterkrieg von 1468 oder den Schweizerkrieg (Schwabenkrieg) 1499 hineingezogen, aus denen sie selten als Sieger hervorgingen. Schlimmer noch aus Sicht des Adels: Ihre Leibeigenen konnten an zahlreichen Aufständen ablesen, dass die Machtverhältnisse keineswegs in Stein gemeißelt waren. Wagemut konnte sich lohnen. Beispielsweise hatten sich sowohl die Freibauern des benachbarten Hauenstein als auch die Stadt Waldshut immer wieder den feudalen Platzhirschen vom Kloster Sankt Blasien widersetzt. Während der Bundschuh-Bewegung zwischen 1493 und 1517 hatten aufständische Bauern vom Elsass ausgehend ein Ende der Leibeigenschaft gefordert und so die Landesherren im Südwesten Deutschlands unter Druck gesetzt. Und im Jahr 1514 hatte das vor allem aus wütenden und von Missernten gebeutelten Bürgern bestehende Bündnis »Armer Konrad« das Herzogtum Württemberg angezündet.

Potenzial für eine Lawine barg auch das Wirken eines Mannes aus dem Norden: Martin Luther. Seine Reformation hatte für alle gut sichtbar ein etabliertes System in den Grundfesten erschüttert. Vermittels des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli gelangte das lutherische Gedankengut nach Süddeutschland, wo es der Waldshuter Pfarrer Balthasar Hubmaier von der Kanzel verbreitete. Die Stadt, einen Tagesmarsch von Stühlingen entfernt, entwickelte sich zu einem Zentrum der Reformation in Süddeutschland – und damit zu einem Hort des Widerstands für die altgläubigen habsburgischen Landesherren.

Zwar hatte die jeweilige Obrigkeit all diese Aufstände gewaltsam niedergeschlagen, der dabei aufgekeimte revolutionäre Gedanke blieb jedoch lebendig. Offen ist, ob die Stühlinger Revolte auf Grund ihrer zunächst eher gemäßigten Forderungen wirklich am Anfang einer neuen Bewegung steht oder doch eher am Ende dieser Reihe spätmittelalterlicher Bauernaufstände. So oder so: Sie brachte den Stein ins Rollen.

Mit dürftigen Angeboten versuchten zwei Räte des obersten Landesherrn, des Erzherzogs und späteren Kaisers Ferdinand von Österreich, die Stühlinger abzuspeisen. Bemerkenswert an dieser ersten Verhandlungsrunde ist, was die herrschaftlichen Akten über die Gegenseite verraten. »Die österreichischen Räte bezeichneten die aufständische Partei als ›Landschaft‹, schreibt Hiroto Oka in seiner Abhandlung über den Bauernkrieg in der Landgrafschaft Stühlingen. »Der Stühlinger Widerstand wurde jetzt nicht mehr von einzelnen Bauern, sondern von den Untertanen aller Gemeinden (getragen), die sowohl den Grafen von Lupfen als auch anderen Herren gehörten.« Eine solche Einheit hatte es vorher nicht gegeben.

Wahrscheinlich aber ahnten die Stühlinger und ihre Mitstreiter schon auf dem Rückmarsch in ihre Heimatgemeinden, dass die Sache nicht ohne Blutvergießen ausgehen würde.

Tatsächlich werden binnen zweier Jahre gut 70 000 Menschen im Deutschen Bauernkrieg ums Leben kommen. Auf diese Zahl kommen Fachleute heute nach groben Schätzungen der Opfer auf beiden Seiten. In den Schlachten gegen trainierte Söldner waren die Aufständischen fast immer chancenlos. Häufig siegreich gingen sie dagegen aus den Scharmützeln hervor, die sie gegen Burgenbesatzungen, Dörfer und kleinere Städte fochten. Solche Erfolge waren teuer erkauft: In den Augen vieler Zeitgenossen wandelten sie sich von Kämpfern für die gute Sache zu zügellosen und raubgierigen Mordbrennern.

Fähnrich und Trommler | Der Kupferstich von Hans Sebald Beham (um 1500-1550) ist eine der wenigen zeitgenössischen Abbildungen kämpfender Bauern. Die Namen der beiden, Acker Kunz und Klaus Wutzer, weisen sie als Angehörige der Landbevölkerung aus.

Ein Exlandsknecht führt die Stühlinger an

In Stühlingen wusste man von alldem noch nichts. Man bestimmte den charismatischen und rhetorisch begabten ehemaligen Landsknecht Hans Müller aus dem Weiler Bulgenbach zum Anführer. Er sollte ihrem Fähnlein – also einer Art Regiment – von etwa 600 Mann vorstehen. Unter einem rot-weiß-schwarzen Banner zog ihr Trupp Ende Juli in Waldshut ein und verbündete sich dort wahrscheinlich mit schon länger revolutionär gesinnten Bürgern. Mit der Farbwahl ihrer Fahne demonstrierten sie vermutlich, dass sie sich nicht gegen die österreichische Oberherrschaft wandten, sondern ausschließlich gegen ihren Landesherren Sigmund.

Anfang September trafen sich die Kontrahenten erneut zu Verhandlungen, diesmal in Schaffhausen. Selbst ihr sehr dezentes Entgegenkommen wollten sich die Vertreter des Adels noch mit einer Unterwerfungsgeste vergolden lassen: Barfuß, unbewaffnet und auf Knien sollten die Bauern ihr Fehlverhalten eingestehen und ihr Fähnlein übergeben. Die von den Bauern gesandten Vertreter hatten diesem Verfahren sogar zugestimmt – als sie aber die Vertragsinhalte ihren Anhängern zur Ratifikation vorlegten, reagierten diese entrüstet. Die verlangte Demütigung sei auf keinen Fall hinnehmbar. Der Vertrag war vom Tisch.

Das Feuer wird zum Flächenbrand

Spätestens mit den gescheiterten Verhandlungen in Schaffhausen waren die aufsässigen Bauern über die Landgrafschaft Stühlingen hinaus zum heißen Thema geworden. Dass sie ihren Herren die Stirn boten, sich weigerten, einfach so ihren Protest abzublasen und wieder an die Arbeit zurückzukehren, ließ auch Bauern in benachbarten Regionen aufhorchen. Die radikalen Kräfte um den Exlandsknecht Hans Müller warben aktiv für ihre Sache, zogen durchs Land und verlasen ihre Forderungen, um weitere Anhänger zu gewinnen. Mitunter setzten sie Gemeinden unter Druck, sich ihnen anzuschließen. Mitte Oktober war ihr Trupp auf etwa 3500 Männer angewachsen.

Nun hatte sich das Stühlinger Feuer endgültig zum Flächenbrand ausgewachsen. Bei der Kirchweih in Hilzingen am Fuß des Hohentwiel verschworen sich 800 Bauern zu einer Eidgenossenschaft und gewannen Herzog Ulrich von Württemberg für ihre Sache. Noch zehn Jahre zuvor hatte er den »Armen Konrad« brutal niedergeschlagen, nun plante er die Rückeroberung seines Reichs von den Habsburgern. Die Rebellen kamen ihm da gerade recht.

Zumal die Bauern ohnehin nie als einheitliche Gruppe mit gemeinsamer Zielvorstellung agierten. Gemäßigte Vertreter ihres Stands sannen auf eine Einigung mit den Landesherren und die Rückkehr in ein ruhiges Leben. Die Radikalen aber wollten mehr: Sie dürsteten nach echter Veränderung. Viele setzten auf die Reformation, glaubten, mit ihr die Macht der Kirche brechen zu können und am besten den Adel gleich mit hinwegzufegen. Das war denn auch einem Martin Luther zu viel des Guten. Es dauerte nicht lange, bis er sich 1525 mit einer Schrift gegen die Bauern stellte.

Wie unterschiedlich die Motive waren, zeigt das Aufbegehren der Bauern des Klettgau. Der Landesherr war seinem Schutzversprechen – der fundamentalsten aller herrschaftlichen Pflichten – nicht nachgekommen, als der Bauernführer Hans Müller sie gewaltsam zur Unterstützung nötigte. Die Klettgauer hatten darum Hilfe von der Stadt Zürich erbeten, wollten demonstrativ den reformierten Glauben annehmen, was ihr Grundherr ihnen versagte. Deswegen stellten sie nun alle Frondienste ein.

Die Lage eskaliert

Überall entstanden neue Bauernhaufen, kleine paramilitärische Einheiten, die sich inzwischen grenzübergreifend durch die gesamte Region bewegten und sich später zu schlagkräftigen Einheiten zusammenschlossen. Beide Seiten versuchten, ihren Gegner einzuschüchtern, die Bauern plünderten erste Klöster. Trotzdem war es bis zu diesem Zeitpunkt zu keinen kriegerischen Handlungen gekommen. Die Aufrührer favorisierten noch gerechte Verhandlungslösungen, ihre Beschwerden landeten vor Gerichten. Die Landesherren – die meisten von ihnen hatten sich 1488 zum Schwäbischen Bund zusammengetan – schienen sich darauf einzulassen.

Aber nicht aus Einsicht in eigene Fehler. Zum einen würde auf die Richter schon Verlass sein, zum anderen brauchten sie Zeit aufzurüsten. Söldner waren Mangelware. Der Kaiser führte Krieg gegen Frankreich und die meisten verfügbaren Kräfte verteidigten gerade die norditalienische Stadt Pavia. In so einem Fall wären früher die Bauern mobilisiert worden, das kam nun gerade nicht in Frage.

Erzherzog Ferdinand und der Schwäbische Bund vereinigten ihre Streitmächte unter einem Oberkommando, das sie dem Feldherrn Georg Truchsess von Waldburg antrugen. Er hatte sich schon bei der Abwehr des »Armen Konrad« bewährt, nun sollte er die Bauern gewaltsam zur Räson bringen.

Weinsberger Bluttat | Während die Gräfin Helfenstein und ihr Sohn um Gnade bitten, werden die Adligen durch Spießrutenlaufen zu Tode gefoltert. Der Anführer der Bauern Jäcklein Rohrbach wird dafür lebendig verbrannt. Der Kupferstich stammt von Matthäus Merian dem Älteren (1593-1650).

Wie Georg, genannt der »Bauernjörg«, dabei vorzugehen gedachte, demonstrierte er im kleinen Dorf Mühlhausen im Hegau im Februar 1525. Erst drohte er den Aufständischen mit brutalen Konsequenzen, sollten sie nicht wieder an die Fronarbeit gehen. Dann ritt er selbst, um seiner Ansage Nachdruck zu verleihen, mit einigen Männern ins Dorf, traf dort aber nur auf Frauen und Kinder. Etwa 800 Rebellen hatten sich auf einer Anhöhe über der Ortschaft postiert. Von dort aus konnten sie zusehen, wie Georgs Männer das Vieh des Orts wegtrieben. Zu einer Schlacht kam es an diesem Tag nicht.

Die Kapitulationsbedingungen, die Georg den Mühlhausern fünf Tage später übermittelte, werde man »als Kriegserklärung und förmliche Eröffnung des Bauernkriegs« werten müssen, schreibt der Bauernkriegsexperte Peter Blickle in seinem Buch »Der Bauernjörg«. Einige der Mühlhauser ergaben sich, wurden inhaftiert und wegen Landfriedensbruch hart bestraft. Andere schlossen sich benachbarten Bauernhaufen an.

Danach ging es Schlag auf Schlag: Im März hinderte der »Bauernjörg« in einer Schlacht bei Stuttgart den Bauernkämpfer-in-eigener-Sache Ulrich von Württemberg daran, sein Reich zurückzuerobern. Im Heer des Württembergers waren zu diesem Zeitpunkt allerdings wohl nur wenige Bauern.

Schon im April hatte sich der Bauernkrieg weit über die Main-Region hinauf bis nach Thüringen ausgedehnt, dem zweiten Zentrum des Konflikts. Dort scharten sich die Aufständischen um den revolutionär gesinnten Reformator Thomas Müntzer. Im Süden nahmen Bauernhaufen einige Ortschaften ein. Unterdessen schlug ihr Widersacher Georg von Waldburg oberschwäbischen Bauern aus dem Allgäu, vom Bodensee und aus der Region Baltringen, die sich zu einer »christlichen Vereinigung« zusammengeschlossen hatten, bei Schlachten in Leipheim und Wurzach. Dann ritt er nach Norden, um die Aufrührer zu strafen, die die Burg im württembergischen Weinsberg erobert und einen brutalen Mord an den dort ansässigen Adligen begangen hatten. Die »Bluttat von Weinsberg« brachte die kämpfenden Bauern landesweit in Verruf.

Im Mai marschierten die Haufen teils in mehr als 10 000 Mann starker Formation gegen Städte, darunter Freiburg im Breisgau und Radolfzell, mit gar keinem oder wenig nachhaltigem Erfolg. In Thüringen verlor Thomas Müntzer seinen Kopf, nachdem sein Heer bei der Schlacht von Frankenhausen ausradiert worden war. Ein ähnliches Schicksal traf einen Monat später die fränkischen Haufen, die sich zeitweise Götz von Berlichingen als Anführer genommen hatten. Dem aus Süden heranrückenden »Bauernjörg« hatten sie nichts entgegenzusetzen.

Anfang Juli wurde Hans Müller vernichtend geschlagen. Die Bauern mussten sich ergeben, alle Waffen und Fahnen aushändigen, ihrem Herrn Gehorsam schwören und versichern, dass sie sich nie wieder gegen ihn verbünden würden. Der Rädelsführer Hans Müller war zunächst auf den Hohentwiel geflüchtet, wurde wenig später aber gefasst und schließlich am 12. August 1525 in Laufenburg enthauptet. Als letzte in der Reihe aufständischer Städte ergab sich Waldshut am 5. Dezember.

Und die Stühlinger?

Für jene Stühlinger Bauern, die nicht mit den radikalen Kräften um Hans Müller gezogen waren, hatte sich die Lage zunächst etwas entspannt. Ein halbes Jahr nach dem »Schneckenstreit« starb Landgraf Sigmund, was neue Verhandlungsoptionen eröffnete. Am 10. Februar 1525, just dem Tag, an dem der »Bauernjörg« ein paar Dörfer weiter seine Show-of-Force in Mühlhausen veranstaltete, einigten sich Stühlinger mit Sigmunds Erben Georg von Lupfen darauf, den Streit vor das Reichskammergericht in Esslingen zu bringen. Zwei Monate hatten die Streitparteien Zeit, ihre Klagen aufzuschreiben, die die Stühlinger in den eingangs erwähnten 62 Artikeln zusammenfassten. In der Zwischenzeit sollten die bestehenden Regeln gelten und beide Seiten Ruhe bewahren.

Doch aus einem Schreiben an das Gericht vom 20. April 1525 geht hervor, dass die Landesherren sich an diese Abmachungen nicht gehalten hätten. Offenbar hatte es mindestens einen Zwischenfall gegeben, bei dem sogar einige Bauern zu Tode gekommen waren. Zudem waren auch die Lupfener ihrem Schutzversprechen nicht nachgekommen, als Hans Müllers radikaler Haufen die Untertanen überfallen und gezwungen hatte, sich ihm und der Reformation anzuschließen.

Nach dem Brief der Stühlinger wurden die gerichtlichen Verhandlungen unterbrochen – und vermutlich nie wieder aufgenommen. Denn die Niederlage der Bauernhaufen zog die Kapitulation auch derjenigen Region nach sich, in der alles begonnen hatte. Am 12. Juli akzeptierten sie die so genannten Huldigungsartikel vor den Landgrafen. Darin versicherten sie den Lupfenern ihren Gehorsam, durften sich nie wieder verbünden und mussten zum alten Glauben zurückkehren.

Der Sieg der Landesherren war nahezu total, tief greifend und dauerhaft. Erst drei Jahrhunderte später, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, würde man in Süddeutschland wieder gegen die Obrigkeit aufstehen.

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