Abschlussbericht des Klimarats: Sicher ist, so wird das nichts
Zuerst die gute Nachricht: Noch ist nichts verloren. Technisch und physikalisch wäre es immer noch möglich, die Pariser Klimaziele einzuhalten und damit der Menschheit eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Und das, obwohl der Klimawandel schneller voranschreitet als gedacht. Die vielen schlechten Nachrichten in der neuesten Veröffentlichung des Weltklimarats lassen sich ebenfalls auf eine einfache Formel bringen: So wird das nichts. So, wie die Weltgemeinschaft gerade ihrer existenziellen Krise begegnet, kann der Klimawandel nicht auf ein erträgliches Niveau begrenzt werden.
Das geht aus der am 20. März 2023 veröffentlichten Zusammenfassung des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) hervor. Weder die bisherigen Verminderungen des Treibhausgasausstoßes noch die von den Staaten der Erde zum letzten Klimagipfel zugesagten künftigen Reduzierungen sind auch nur annähernd ausreichend, um eine katastrophale Erderwärmung von weit mehr als 1,5 Grad abzuwenden. Mit einem Weiter-so steuert die Erde auf einem Drei-Grad-Kurs ihrer Zukunft entgegen, vielleicht werden es sogar mehr. Nur wenn die Treibhausgasemissionen schneller und viel drastischer zurückgehen, die Finanzmittel zur Anpassung an die bereits unvermeidlichen Folgen der Erderwärmung vervielfacht werden und sich die Gesellschaften tief greifend zu mehr Nachhaltigkeit wandelten, sind katastrophale Entwicklungen für die Menschheit abzuwenden. Das ist das Fazit des Weltklimarats.
Eine Woche haben die Delegierten im schweizerischen Interlaken beraten. Am Sonntagabend dann verabschiedeten sie den so genannten Synthesebericht, der die wichtigsten Erkenntnisse aller drei Arbeitsgruppen des IPPCC zusammenfasst. Zusammen mit den drei seit 2018 vorgelegten Arbeitsgruppenberichten sowie drei Sonderberichten bildet das Bündel den nunmehr kompletten 6. Sachstandsbericht. Zum letzten Mal in diesem Jahrzehnt spiegelt ein solches Mammutwerk das aktuelle Wissen der Forschung zum Klimawandel, und zu seinen Folgen und welche Möglichkeiten zur Minderung und Anpassung es gibt.
Sowohl der Synthesebericht wie auch seine Kurzfassung für politische Entscheidungsträger mussten von den Vertreterinnen und Vertretern der 195 Mitgliedsregierungen der UN-Klimarahmenkonvention gebilligt werden. Zwar wurden dazu keine über die bereits existierenden Berichte hinausgehenden Erkenntnisse berücksichtigt. Das macht die Dokumente gleichwohl nicht weniger brisant. Denn es ist eine hochpolitische Entscheidung, welche Inhalte aus den 10 000 Seiten umfassenden Einzelreports in die Synthese einfließen. Insbesondere die daraus noch weiter destillierte 36-seitige Zusammenfassung, die sich speziell an Politikerinnen und Politiker richtet, ist brisant.
Politisch brisante Zusammenfassung
Dass an dem vorangegangenen Wochenende hinter verschlossenen Türen um jedes Wort gerungen wurde, lässt sich an den mehr als 6000 Kommentaren ablesen, die Regierungsvertreter zu Protokoll gaben. Aber auch daran, dass die Sitzung trotz Nachtschichten um volle zwei Tage gegenüber der ursprünglichen Planung überzogen wurde. Zwar haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in inhaltlichen Fragen stets das letzte Wort, wie der IPCC immer wieder betont. Das bedeute aber nicht, dass es keine politische Einflussnahme gebe, sagt ein langjähriges Mitglied der UN-Organisation, das lieber anonym bleiben möchte. »Würden die Berichte ohne Kompromisse allein die Sicht der Wissenschaft spiegeln, wären sie an einigen Stellen deutlich schärfer formuliert.«
Dennoch lässt das Resultat an Klarheit wenig zu wünschen übrig. So werfen die Wissenschaftler der Politik durch die Blume vor, auch in den mitentscheidenden letzten Jahren versagt zu haben. »2018 wies der IPCC auf das beispiellose Ausmaß der Herausforderung hin, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen – fünf Jahre später ist diese Herausforderung auf Grund des anhaltenden Anstiegs der Treibhausgasemissionen noch größer geworden«, rügt der Bericht. 2019 entsprachen die menschengemachten Treibhausgasemissionen fast 60 Gigatonnen CO2-Äquivalenten – ein Zuwachs von 54 Prozent gegenüber 1990.
Übersetzt heißt das: In der Praxis rückt das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens in weite Ferne. Oder diplomatisch ins Positive gewendet: »Dieser Synthesebericht unterstreicht die Dringlichkeit ehrgeizigerer Maßnahmen und zeigt, dass wir noch immer eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft für alle sichern können, wenn wir jetzt handeln.« So formuliert es der IPCC-Chef Hoesung Lee. Aber der Bericht selbst wird deutlicher: Was die Staaten bisher zugesagt hätten an Reduktionszielen, reiche dafür nicht aus und mache sogar die Begrenzung auf zwei Grad schwierig. Selbst im günstigsten Szenario mit sehr niedrigen Treibhausgasemissionen werde die 1,5-Grad-Marke wahrscheinlich schon in naher Zukunft erreicht.
»Jede weitere Erwärmung führt zu einer raschen Eskalation der Gefahren«6. Sachstandsbericht des Weltklimarats
Konkret prognostizieren die Autoren und Autorinnen des Berichts für das Ende dieses Jahrhunderts einen Anstieg der globalen Jahresdurchschnittstemperatur von 1,4 Grad bei sehr niedrigen Emissionen über 2,7 Grad bei mittleren und bis 4,4 Grad für ein Szenario mit sehr hohem Treibhausgasausstoß. »Wir müssen anfangen, uns ernsthaft mit der Welt jenseits von 1,5 Grad zu beschäftigen«, sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der im Kernautorenteam am Synthesebericht mitgearbeitet hat. »Im Jahr 2030 wird es für jedes Jahr eine Wahrscheinlichkeit von 40 bis 60 Prozent geben, dass wir 1,5 Grad überschreiten«, fasst Gerhard Krinner von der Université Grenoble Alpes die Ergebnisse des Sachstandsberichts zusammen, an dem auch er mitgearbeitet hat.
Klimawandel ist noch zerstörerischer als gedacht
Diese Botschaft ist auch deshalb dramatisch, weil der Weltklimarat die Folgen des Klimawandels als weitaus gravierender einschätzt als noch in seinen früheren Berichten. »Für jedes beliebige künftige Erwärmungsniveau – auch für das 1,5-Grad-Szenario – sind viele klimabezogene Risiken höher als im 5. Sachstandsbericht bewertet, und die prognostizierten langfristigen Auswirkungen sind bis zu einem Vielfachen höher als die derzeit beobachteten«, heißt es. »Jede weitere Erwärmung führt zu einer raschen Eskalation der Gefahren«, warnt der IPCC mit Blick auf immer häufigere Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen und Stürme.
Man muss dazu nur aus dem Fenster schauen oder Nachrichten lesen: Das Jahr 2023 startete hier zu Lande schon extrem mit einem Temperaturrekord im Januar. Die fünf wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland lagen in den letzten zehn Jahren. Auch beispiellose Desaster wie die Hochwasserkatastrophe an der Ahr sind durch die Klimaerwärmung wahrscheinlicher geworden. Hinzu kommt, dass sich Landgebiete wie Deutschland etwa doppelt so rasch erwärmen wie der globale Mittelwert, sagt der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf im Interview.
Im Südosten Afrikas wütete wochenlang der Tropensturm »Freddy«, der nach Angaben der Weltwetterorganisation der wohl langanhaltendste Zyklon seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ist. »Freddy« akkumulierte eine Energie, die der einer vollen nordatlantischen Hurrikansaison entspricht. »In jeder Region sterben Menschen an den Folgen extremer Hitze. Es wird erwartet, dass die klimabedingte Ernährungs- und Wasserversorgungsunsicherheit mit der Erwärmung zunehmen wird«, warnt der Bericht. »Viele der beobachteten Klimaveränderungen sind seit Tausenden, wenn nicht Hunderttausenden von Jahren beispiellos«, hieß es schon mit Blick auf solche Extreme im Bericht der Arbeitsgruppe I.
Trotz dieser Feststellungen bemüht sich der IPCC, die Anstrengungen für mehr Klimaschutz nicht durch allzu viel Pessimismus zu untergraben. Man verringere damit ja nicht nur Verluste und Schäden für Natur und Menschen, sagt IPCC-Chef Lee, sondern schaffe auch davon unabhängige Vorteile für Gesundheit und Gesellschaft. Den IPCC-Bericht möchte er deshalb sogar als einen Bericht der Hoffnung verstanden wissen.
Die 1,5-Grad-Marke zu überschreiten, bedeute außerdem »nicht das Ende der Welt«, betont auch Koautor Krinner. Sein Kollege Oliver Geden warnt ebenfalls davor, angesichts dieser Erwartung in Passivität zu verfallen. Auch Entwicklungsorganisationen wenden sich gegen die offenbar verbreitete Auffassung, nach Überschreitung der 1,5-Grad-Marke sei alles verloren. »Jedes Zehntelgrad macht für das Leben von Millionen Menschen einen Unterschied«, sagt Anika Schröder vom katholischen Hilfswerk Misereor.
Es trifft vor allem Menschen in Entwicklungsländern
Wie sehr Klimaschutz und Anpassung auch eine Frage der globalen Gerechtigkeit ist, zeigt der IPCC-Befund: Entwicklungsländer haben am wenigsten zum Klimawandel beigetragen, sind von seinen Folgen aber am härtesten betroffen. Zugleich können sie am wenigsten in kostspielige Anpassungsmaßnahmen investieren. Mehr als 90 Prozent der mehr als zwei Millionen Menschen, die in der Folge von Naturkatastrophen in den letzten 50 Jahren umgekommen sind, starben in Entwicklungsländern.
Um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, müssen nach Überzeugung des IPCC alle Register gezogen werden, denn die Einsparnotwendigkeiten sind riesig. Bis 2030 müssen die globalen Emissionen um 48 Prozent, bis 2040 um 80 Prozent und bis 2050 um 99 Prozent gegenüber dem Wert von 2019 reduziert werden, will man die Pariser Klimaziele noch erreichen.
Die Mittel dazu sind bekannt: erneuerbare Energien ausbauen, in technologische Lösungen investieren, den politischen Willen aufbringen – und genügend Geld, um die ärmeren Länder zu unterstützen. Das seien die Schlüsselelemente einer Lösung. So deutlich wie nie zuvor betont der Weltklimarat aber auch die Bedeutung des Naturschutzes: »Klima, Ökosysteme und Gesellschaft sind miteinander verbunden.« Deutlich wird vor irreversiblen Schäden durch das Erreichen ökologischer Kipppunkte gewarnt. Einige Ökosysteme könnten einen Zustand erreichen, ab dem ihre weitere Entwicklung nicht mehr umkehrbar ist: duch die die Auswirkungen schmelzender Gletscher auf den Wasserhaushalt etwa oder die Methanfreisetzung durch das Auftauen des Permafrosts im hohen Norden.
Wie aussichtslos es ist, die Klimaziele erreichen zu wollen, ohne dabei gleichzeitig auch die Ökosysteme zu schützen, untermauert der Sachstandsbericht mit Daten. 54 Prozent des vom Menschen verursachten Treibhausgasausstoßes werden nach Berechnungen der Fachleute von natürlichen Ökosystemen an Land und im Meer absorbiert. Durch die anhaltende Entwaldung, Trockenlegung von Mooren und Umwandlungen von Graslandschaften in monotone Agrarwüsten verlieren die Lebensräume die Fähigkeit, Treibhausgase abzubauen und zu speichern. Zugleich lässt sich mit ihrem Schutz das Artensterben stoppen.
Paradebeispiel für eine solche »naturbasierte« Lösung im Kampf gegen die Doppelkrise aus Artensterben und Klimawandel ist die Wiedervernässung von Mooren, dem effektivsten Kohlenstoffspeicher unter den Landökosystemen. Moore bedecken nur drei Prozent der Landfläche auf dem Planeten, binden aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen, die siebenmal so viel Platz einnehmen. Zugleich sind sie Hotspots der Artenvielfalt – nicht weniger als 40 Prozent aller weltweit vorkommenden Arten leben in Feuchtgebieten. Die Rechnung gilt aber auch andersherum: Werden Moore entwässert, wird Kohlenstoff freigesetzt. Die Moore wandeln sich vom gigantischen Speicher der Treibhausgase in einen riesigen Emittenten. Weil das massenhaft geschehen ist und weiter passiert, sind trockengelegte Moore heute für vier Prozent aller menschengemachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die weltweite Entwässerung von Mooren verursacht damit deutlich mehr Emissionen als der globale Flugverkehr.
»Naturbasierte« Lösungen sind doppelt wirksam
»Wiedervernässte Moore führen idealerweise zu mehr Hochwasserschutz, schützen die Biodiversität und sind Kohlenstoffsenken«, sagt Matthias Garschhagen, der im Team der Kernautoren am Synthesebericht mitgearbeitet hat. »Wir müssen verschiedene Krisen und verschiedene Probleme wie Biodiversitätskrise, Armutskrise, Klimaschutz stärker zusammendenken, statt sie gegeneinander auszuspielen.«
Der Weltklimarat hält deshalb einen besseren Schutz der verbliebenen Ökosysteme für unverzichtbar. Zum ersten Mal nimmt er in seinem Synthesebericht die Forderung auf, 30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche unter Naturschutz zu stellen. Er stützt damit auch das Hauptergebnis der Weltnaturkonferenz, bei der sich die Staaten der Erde im Dezember 2022 in Montreal verpflichtet haben, bis 2030 jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche unter Schutz zu stellen.
Um die unvermeidlichen Klimafolgen bewältigen zu können, plädiert der IPCC für eine Beschleunigung des Umbaus zu einer klimaresilienten Welt. »Elektrifizierung, Gehen, Radfahren und öffentliche Verkehrsmittel verbessern die Luftqualität, die Gesundheit, die Beschäftigungsmöglichkeiten und sorgen für mehr Gerechtigkeit«, heißt es im Report. Nicht handeln ist teurer als handeln, lautet eine Kernbotschaft – lokal und weltweit. Allein die Einsparungen der Gesundheitssysteme durch eine bessere Luftqualität würden die Kosten für die Verringerung von Emissionen ausgleichen.
Für Deutschland haben Experten gerade die Kosten des Nichthandelns berechnet. In ihrem Gutachten im Auftrag der Ministerien für Umwelt und für Klimaschutz kommen sie zu dem Schluss, dass sich klimabedingte Schäden wie Ernteausfälle, zerstörte Gebäude oder internationale Lieferengpässe bis zur Mitte des Jahrhunderts bei ungebremst fortschreitendem Klimawandel auf bis zu 900 Milliarden Euro summieren könnten. Gelinge es dagegen, den CO2-Ausstoß rasch deutlich zu reduzieren, könnten die Folgekosten unterhalb von 300 Milliarden begrenzt werden.
»Wir haben es leider in den letzten Jahren verpennt«, fasst Berichtsautor Garschhagen die Kernbotschaft des Syntheseberichts in einem Pressegespräch des Science Media Center zusammen. »Gleichzeitig haben wir es noch in der Hand, das Allerschlimmste abzuwenden – aber dieses Fenster schließt sich rapide.« Die nächsten Jahre seien nun entscheidend. »Das muss endlich verstanden und in konkretes Handeln überführt werden, wir müssen mutig vorangehen.«
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