Linguistik: 8 faszinierende Dinge, die wir 2024 über Sprache gelernt haben
Seit Zehntausenden, wenn nicht Hunderttausenden von Jahren sprechen die Menschen irgendeine Form von Sprache. Dennoch machen Sprachwissenschaftler, Psychologen und Historiker ständig neue Entdeckungen über die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren. Linguisten verfolgen die neuen Begriffe, die wir für unser modernes Leben erfinden, während Archäologen nach der verlorenen Geschichte vergangener Sprachen suchen und Neurowissenschaftler neue Technologien testen, die es uns ermöglichen könnten, die Sprache ganz zu umgehen und direkt über unser Gehirn zu kommunizieren. Von den ältesten Alphabeten bis hin zu Gedankenlese-Implantaten – hier sind einige der coolsten Dinge, die wir im Jahr 2024 über Sprache gelernt haben.
Der »Autsch«-Faktor
Wie sagt man »aua« in den Sprachen der Welt? Wenn Sie eine beliebige Sprache auswählen, stehen die Chancen gut, dass dieses schmerzauslösende Wort den Vokal »a« oder eine Kombination mit anderen Vokalen wie »ow« oder »ei« enthält. Forscher entdeckten diese versteckte Gemeinsamkeit, indem sie Schmerzwörter in 131 Sprachen untersuchten. Sie vermuten, dass der Trend von unwillkürlichen Lauten herrühren könnte, die Menschen machen, um Schmerz auszudrücken – und die ebenfalls eher diesen »a«-Vokal enthalten.
Die Welt um uns herum prägt oft die Laute unserer Sprache, obwohl viele dieser Auswirkungen subtil sind. So gibt es zum Beispiel den klassischen Bouba-Kiki-Effekt, bei dem Menschen einen runden Gegenstand eher als »Bouba« und einen stacheligen als »Kiki« bezeichnen. Außerdem haben Forscher vor kurzem nachgewiesen, dass Menschen auf der ganzen Welt den trillernden »R«-Laut eher mit Rauheit und den »L«-Laut eher mit Glätte assoziieren.
Das Überleben des Stärkeren
Wie alle Tiere entwickeln sich auch die Menschen im Laufe der Zeit weiter -so wie die Sprachen, die wir sprechen. Aber warum überleben manche Wörter Jahrtausende, während andere innerhalb weniger Generationen aussterben? Um das herauszufinden, haben Forschende ein riesiges »Telefonspiel« mit Tausenden von Englisch Sprechenden inszeniert. Die Teilnehmenden lasen Geschichten vor und schrieben sie dann für andere Teilnehmende um, und die Forschenden suchten nach Mustern in den Wörtern, die überlebten oder verloren gingen.
Die Forschenden fanden heraus, dass Wörter, die in einem frühen Alter erworben wurden, wie »Hand« oder »Onkel«, einen evolutionären Vorteil haben und eher überleben werden. Konkretere Substantive schnitten besser ab – »Hund« überlebte länger als »Tier«, das länger überlebte als »Organismus« –, ebenso wie emotional aufregende Wörter. Dies deutet darauf hin, dass die Sprache im Laufe der Zeit effizienter wird, was aber nicht bedeutet, dass sie auf Babysprache reduziert wird. »Ja, wir verlagern uns auf einfache Sprache, aber dann greifen wir auch zu komplexer Sprache, die wir brauchen«, sagt Studienmitautor Fritz Breithaupt von der Indiana University Bloomington.
Das Alphabet neu schreiben
Das erste Alphabet, aus dem sich die lateinischen Buchstaben entwickelten, die Sie jetzt lesen, könnte Jahrhunderte älter sein als bisher angenommen. Forschende entdeckten in einem Grab in Syrien einen fingergroßen Tonzylinder, bei dem es sich ihrer Meinung nach um einen Geschenkanhänger handeln könnte. Das Artefakt wurde auf das Jahr 2400 v. Chr. datiert und liegt damit fünfhundert Jahre vor und Hunderte von Kilometern entfernt von der Zeit, in der das erste Alphabet, das Proto-Sinaitische, entstanden sein soll.
Auf dem Schildchen steht jedoch ein Wort im Proto-Sinaitischen: »silanu«, was ein Name sein könnte. Die Buchstaben des Proto-Sinaitischen wurden aus den ägyptischen Hieroglyphen übernommen, deren Symbole ganze Wörter und Silben anstelle einzelner Laute darstellten. Diese Entdeckung »verändert die gesamte Darstellung der Einführung des Alphabets«, sagt Glenn Schwartz, Archäologe an der Johns Hopkins University, der das Artefakt entdeckt hat.
Gehirnlesende Implantate
Noch vor fünf Jahren klang die Idee eines Geräts, das Gedanken in Sprache umwandeln kann, wie Science-Fiction. Doch heute ist sie Realität. Casey Harrell, ein Mann um die 40, der an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) leidet, konnte wieder mit seiner Familie, einschließlich seiner kleinen Tochter, sprechen, nachdem ihm eine Reihe von Elektroden in sein Gehirn implantiert worden war. Das Programm wählt nur in drei Prozent der Fälle das falsche Wort aus.
Harrell, der an einer klinischen Studie des Konsortiums BrainGate teilnimmt, ist nicht der erste, der versucht, über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle (brain-computer interface, BIC) zu kommunizieren, aber der große Erfolg seines Falles könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Technologie für einen breiteren Einsatz bereit ist. »Dies ist ein Meilenstein auf dem Gebiet der Sprach-BCI«, sagt Christian Herff, Computational Neuroscientist an der Universität Maastricht in den Niederlanden. »Es hat ein Qualitätsniveau erreicht, das nun tatsächlich für Patienten von Nutzen ist.«
Vom Gehirn gelieferte Untertitel
Für Menschen mit Synästhesie können Buchstaben Farben haben, Farben können Gerüche haben, und Gerüche können Töne haben. Synästhesie – so nennt man diese sinnesübergreifenden Verbindungen – ist keine Störung, sondern einfach eine andere Art, die Welt wahrzunehmen, bei der sich die Sinne überkreuzen und verflechten können.
Die Redakteurin von Scientific American, Emily Makowski, leidet an einer seltenen und faszinierenden Form der Synästhesie. Wenn sie Wörter hört oder denkt, erscheinen sie vor ihr wie geistige Untertitel – diese Erfahrung wird Ticker-Tape-Synästhesie genannt. »Ich verbringe meine Tage umgeben von Tausenden von geschriebenen Wörtern, und manchmal habe ich das Gefühl, dass es kein Entrinnen gibt«, schrieb sie in einem Artikel für das Magazin in diesem Jahr. Erst kürzlich entdeckte sie, dass die meisten Menschen die Welt nicht auf diese Weise erleben. Auch Wissenschaftler fangen gerade erst an, das Tickertaping zu erforschen, aber erste Studien deuten darauf hin, dass es von einer Hyperkonnektivität zwischen den Gehirnbereichen für Sprache und für das Sehen herrühren könnte.
Vorteil von Handschrift
Forscher wissen, dass wir uns Dinge besser merken, wenn wir sie mit der Hand notieren, anstatt sie auf einem Computer abzutippen. Aber warum? Frühere Studien legten einen Grund nahe: Menschen, die schnell tippen können, schreiben einfach die in einer Vorlesung oder Sitzung gesprochenen Worte ab, anstatt den zusätzlichen, mühsamen Schritt zu machen, sie in Echtzeit zusammenzufassen. Dieser zusätzliche Schritt ist oft erforderlich, wenn man etwas mit der Hand schreibt, und er könnte dem Gedächtnis helfen.
Aber das Schreiben mit der Hand könnte auch an sich vorteilhaft sein, da es offenbar mehr miteinander verbundene Teile des Gehirns anspricht, wie Forscher jetzt herausgefunden haben. »Wenn man tippt, wird jeder Buchstabe durch dieselbe einfache Bewegung der Finger erzeugt, während man beim Schreiben mit der Hand sofort spürt, dass das Körpergefühl beim Erzeugen von A ein völlig anderes ist als beim Erzeugen von B«, sagt Studienmitautorin Audrey van der Meer von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie.
Das Jahr des »Brain Rot« (Hirnfäule)
Dies war das Jahr des »Brain Rot«, so die Herausgeber des Oxford English Dictionary, die den Gen Z-Slang 2024 zum Wort des Jahres kürten.
»Brain Rot« ist laut Oxford die »vermeintliche Verschlechterung des geistigen oder intellektuellen Zustands einer Person«, die durch den »übermäßigen Konsum« von trivialen Inhalten im Internet entsteht. Die Verwendung des Begriffs stieg im Vergleich zum Vorjahr um 230 Prozent an. Wie andere Trendbegriffe für Online-Phänomene ist er sowohl ein Scherz als auch eine ernsthafte Kritik an einer Social-Media-Landschaft, in der »Schlamm-Inhalte« von Plattformen gepusht werden.
Der Begriff wurde aber auch schon vor mehr als 150 Jahren verwendet, um ein ähnliches Unbehagen auszudrücken. 1854 schrieb Henry David Thoreau in Walden über sein Unbehagen gegenüber der seiner Meinung nach zu starken Vereinfachung von Ideen. »Während England sich bemüht, die Kartoffelfäule zu heilen«, schrieb Thoreau, »wird man sich nicht bemühen, die Hirnfäule zu heilen, die so viel weiter verbreitet und fatal ist?«
Linguistische Regenbögen
In der englischen Sprache werden die unendlichen Farben des Regenbogens in der Regel in 11 grundlegende Farbkategorien eingeteilt, z. B. Grün oder Orange. Die Tsimane-Sprache in Bolivien hingegen hat nur drei vereinbarte Farbkategorien: rötlich, weißlich und schwärzlich. Doch die bilinguale Bevölkerung scheint den Regenbogen der Sprache neu zu gestalten, wie jüngste Forschungen gezeigt haben.
Zweisprachig Sprechende von Tsimane und Spanisch leihen sich die Konzepte von Grün, Blau und anderen Farben aus dem Spanischen. Interessanterweise entlehnen sie aber nicht die spanischen Wörter selbst, wie z. B. azul für blau. Sie verwenden weniger spezifische Farbwörter aus dem Tsimane – Wörter, die andere Tsimane-Sprechende austauschbar sowohl für grüne als auch für blaue Farbtöne verwenden – und grenzen ihre Definitionen so ein, dass sie dem spanischen azul und verde entsprechen. Die Hauptautorin der Studie, Saima Malik-Moraleda von der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology, sagt, die Studie zeige, dass das Erlernen einer anderen Sprache »die eigenen Konzepte in der Muttersprache verändern kann«.
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