Polarjahr 2007/2008: "Abenteuer braucht keine Rechtfertigung"
Zwei belgische Abenteurer befinden sich gerade auf einem langen Fußmarsch durch die Arktis. Ihr Ziel: Werbung für die gefährdeten Eiswelten und Daten für die Wissenschaft. Der Südtiroler Bergsteiger und Buchautor Reinhold Messner beschreibt, was Menschen an dieser Art epischer Reisen reizt, welche Risiken sie bergen und ob bei all dem überhaupt Zeit für Forschung bleibt.
spektrumdirekt: Was macht den Reiz einer Arktisquerung zu Fuß aus?
Reinhold Messner: Die Arktisdurchquerung ist immer noch schwierig, wenn jemand mit dem Schlitten von Sibirien aus losgeht und Richtung Nordpol läuft. Es geht hier ja um einen Marsch über einen Ozean und nicht über festes Land. Diese Packeisschicht ist brüchig, und das ist alle Tage und Jahre anders. Es gibt ein paar wenige Menschen, die eine Herausforderung darin sehen, ihr Leben über das arktische Eis zu retten.
spektrumdirekt: Was haben Sie damals empfunden, als Sie mit ihrem Bruder durch die Arktis unterwegs waren?
spektrumdirekt: Welche körperlichen und psychischen Gefahren lauern auf diesem Weg?
Messner: Wenn jemand derartige Herausforderungen gelernt hat, werden die Sorgen und Ängste abfallen, sobald man losgeht. Dann ist es psychisch nicht mehr so schwierig, weil sie Tag für Tag in diesem Chaos aus sich verschiebenden Eismassen sind.
spektrumdirekt: Wenn etwas passiert, welche Chancen bestehen auf Rettung – etwa bei einem Eiseinbruch?
Messner: Wenn einer im Eis einbricht, geht es ihm für kurze Zeit besser, denn im Wasser ist es wärmer als an der Luft. Aber wenn er wieder herauskommt, ist er ein einziger Eispanzer, was nicht ohne ist. Ich habe das selbst erlebt, als einer meiner Brüder einbrach. Dann gilt es, diesen Menschen wieder aufzutauen. Wenn die Belgier aber mit russischen Logistikern, die diese Expedition ja überhaupt vorbereiten müssen, über Satellit vernetzt sind, dann kann man sie sofort holen. Inzwischen ist die Technologie so weit, dass man auch am Nordpol nicht mehr völlig abgeschnitten ist. Vor Jahrzehnten war das natürlich noch ganz anders, da durfte man keinen Fehler machen.
spektrumdirekt: Ein Ziel ist es, Daten zu sammeln, die die Gefährdung der Arktis beschreiben. Geht dies überhaupt? Hat man dafür Zeit?
Messner: Trotz all dieser guten Vorsätze, der Wissenschaft zu dienen, bin ich bei einem Abenteuer sehr skeptisch. Denn wenn man kein Fachmann ist, kann man kaum etwas beitragen – gerade in der Arktis, wo die Russen schon sehr aktiv waren. Wir müssen die wissenschaftliche Arbeit den Fachleuten überlassen und dürfen auch dazu stehen, dass wir einfach ein Abenteuer machen wollen.
spektrumdirekt: Als Zweites möchten die beiden Belgier auf die Gefährdung der Arktis durch den Klimawandel aufmerksam machen. Lässt sich dies mit dem Abenteuer in Einklang bringen?
Messner: Nein, ich habe auch bei einer Südpol-Expedition solche Sprüche geklopft. Heute würde ich das relativieren. Natürlich kann man Aufmerksamkeit auf die Arktis lenken, aber dazu muss man nicht unbedingt hinfahren, denn dies ist mit weiteren Schäden verbunden. Allein die nötigen Hubschrauberflüge sind nicht positiv für das Weltklima. Aber ich will das nicht kritisieren, ich habe kein Recht dazu. Doch ich möchte, dass dies in Relation gesetzt wird. Sie sollen gerne da hinfliegen und losgehen – dann sind sie auch relativ sauber unterwegs.
Aber wenn man schon darauf hinweisen will, dass die Arktis brüchig ist und das Packeis abnimmt, dann soll man tatsächlich nur die ökologische Seite sehen und am besten zuhause bleiben. Denn wir wissen bereits um die Gefährdung der Arktis und des Packeises:
spektrumdirekt: Eine letzte Frage: Planen Sie demnächst auch wieder eine derartige Expedition?
Messner: Zum Nordpol werde ich nicht mehr gehen. Mein Projekt aus den neunziger Jahren haben zwei junge Norweger in die Tat umgesetzt und wiederholen möchte ich mich nicht. Und von Sibirien über den Nordpol nach Kanada zu laufen ist sehr hart und schwierig, das tue ich mir in meinem Alter nicht mehr an. 2008 möchte ich das Inlandeis des Hielo Continental Sur in Patagonien durchqueren – eine Mischung aus Eis-Querung und großer Bergtour. Und dann habe ich noch die vage Idee, das Franz-Josefs-Land im arktischen Eismeer zu durchqueren, was 1874 bereits gelang und jetzt wieder einem jungen Österreicher. Aber das sind keine Grenztouren mehr, auch die Nordpolreise ist mittlerweile nicht mehr die Grenze des Machbaren. Diese müssen junge Menschen heute woanders suchen.
Reinhold Messner: Die Arktisdurchquerung ist immer noch schwierig, wenn jemand mit dem Schlitten von Sibirien aus losgeht und Richtung Nordpol läuft. Es geht hier ja um einen Marsch über einen Ozean und nicht über festes Land. Diese Packeisschicht ist brüchig, und das ist alle Tage und Jahre anders. Es gibt ein paar wenige Menschen, die eine Herausforderung darin sehen, ihr Leben über das arktische Eis zu retten.
spektrumdirekt: Was haben Sie damals empfunden, als Sie mit ihrem Bruder durch die Arktis unterwegs waren?
Messner: Sie können in diese Welt hineinschauen, die Sie nie begreifen würden, wenn Sie sonst nur die Zeitung lesen – etwa dass sich das Klima ändert und das Packeis dünner wird. Oder warum die großen Forscher, die im 18. und 19. Jahrhundert Richtung Nordpol aufbrachen, so oft stecken geblieben sind. Es ist wirklich eine sehr starkes Gefühl, diese Welt selbst Tag für Tag zu erleben, dem Packeis oder den Eisbären dort oben ausgeliefert zu sein.
spektrumdirekt: Welche körperlichen und psychischen Gefahren lauern auf diesem Weg?
Messner: Wenn jemand derartige Herausforderungen gelernt hat, werden die Sorgen und Ängste abfallen, sobald man losgeht. Dann ist es psychisch nicht mehr so schwierig, weil sie Tag für Tag in diesem Chaos aus sich verschiebenden Eismassen sind.
"Sie können in diese Welt hineinschauen, die Sie nie begreifen würden, wenn Sie sonst nur die Zeitung lesen"
Taucht allerdings nachts ein Eisbär auf, kann dies schon zu Schreckensmomenten führen. Man sieht nichts und muss sich erst orientieren, bevor er mit einem Warnschuss vertrieben werden kann. Das ganze Unterfangen ist aber körperlich schwierig, anstrengend, kalt und ungemütlich. Und natürlich ist es nicht ganz ohne Gefahren, denn das Eis ist ständig in Bewegung. spektrumdirekt: Wenn etwas passiert, welche Chancen bestehen auf Rettung – etwa bei einem Eiseinbruch?
Messner: Wenn einer im Eis einbricht, geht es ihm für kurze Zeit besser, denn im Wasser ist es wärmer als an der Luft. Aber wenn er wieder herauskommt, ist er ein einziger Eispanzer, was nicht ohne ist. Ich habe das selbst erlebt, als einer meiner Brüder einbrach. Dann gilt es, diesen Menschen wieder aufzutauen. Wenn die Belgier aber mit russischen Logistikern, die diese Expedition ja überhaupt vorbereiten müssen, über Satellit vernetzt sind, dann kann man sie sofort holen. Inzwischen ist die Technologie so weit, dass man auch am Nordpol nicht mehr völlig abgeschnitten ist. Vor Jahrzehnten war das natürlich noch ganz anders, da durfte man keinen Fehler machen.
spektrumdirekt: Ein Ziel ist es, Daten zu sammeln, die die Gefährdung der Arktis beschreiben. Geht dies überhaupt? Hat man dafür Zeit?
Messner: Trotz all dieser guten Vorsätze, der Wissenschaft zu dienen, bin ich bei einem Abenteuer sehr skeptisch. Denn wenn man kein Fachmann ist, kann man kaum etwas beitragen – gerade in der Arktis, wo die Russen schon sehr aktiv waren. Wir müssen die wissenschaftliche Arbeit den Fachleuten überlassen und dürfen auch dazu stehen, dass wir einfach ein Abenteuer machen wollen.
"Dann gilt es, diesen Menschen wieder aufzutauen"
Und dieses ist Selbstzweck und braucht keine Rechtfertigung. Vielfach ist es aber so, dass diese Leute genau diese Rechtfertigung brauchen, um der Öffentlichkeit zu sagen 'wir tun das ja nicht für uns, wir tun das für die Wissenschaft, wir tun das für alle'. Humbug! spektrumdirekt: Als Zweites möchten die beiden Belgier auf die Gefährdung der Arktis durch den Klimawandel aufmerksam machen. Lässt sich dies mit dem Abenteuer in Einklang bringen?
Messner: Nein, ich habe auch bei einer Südpol-Expedition solche Sprüche geklopft. Heute würde ich das relativieren. Natürlich kann man Aufmerksamkeit auf die Arktis lenken, aber dazu muss man nicht unbedingt hinfahren, denn dies ist mit weiteren Schäden verbunden. Allein die nötigen Hubschrauberflüge sind nicht positiv für das Weltklima. Aber ich will das nicht kritisieren, ich habe kein Recht dazu. Doch ich möchte, dass dies in Relation gesetzt wird. Sie sollen gerne da hinfliegen und losgehen – dann sind sie auch relativ sauber unterwegs.
Aber wenn man schon darauf hinweisen will, dass die Arktis brüchig ist und das Packeis abnimmt, dann soll man tatsächlich nur die ökologische Seite sehen und am besten zuhause bleiben. Denn wir wissen bereits um die Gefährdung der Arktis und des Packeises:
"In zwanzig Jahren wird man wahrscheinlich mit einem kleinen Bötchen machen können, was die Belgier jetzt noch mit dem Schlitten versuchen"
Es hat in den letzten Jahrzehnten schon fünfzig Zentimeter an Dicke verloren hat und wird wohl überhaupt verschwinden – in zwanzig Jahren wird man wahrscheinlich mit einem kleinen Bötchen machen können, was die Belgier jetzt noch mit dem Schlitten versuchen. Wir dürfen deshalb nicht hergehen – das ist meine Kritik – und das Abenteuer rechtfertigen, indem wir ihm etwas anhängen, das nicht dazu passt wie die Ökologie. spektrumdirekt: Eine letzte Frage: Planen Sie demnächst auch wieder eine derartige Expedition?
Messner: Zum Nordpol werde ich nicht mehr gehen. Mein Projekt aus den neunziger Jahren haben zwei junge Norweger in die Tat umgesetzt und wiederholen möchte ich mich nicht. Und von Sibirien über den Nordpol nach Kanada zu laufen ist sehr hart und schwierig, das tue ich mir in meinem Alter nicht mehr an. 2008 möchte ich das Inlandeis des Hielo Continental Sur in Patagonien durchqueren – eine Mischung aus Eis-Querung und großer Bergtour. Und dann habe ich noch die vage Idee, das Franz-Josefs-Land im arktischen Eismeer zu durchqueren, was 1874 bereits gelang und jetzt wieder einem jungen Österreicher. Aber das sind keine Grenztouren mehr, auch die Nordpolreise ist mittlerweile nicht mehr die Grenze des Machbaren. Diese müssen junge Menschen heute woanders suchen.
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