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Abschuss von Turteltauben: »Die Jagd zu erlauben, ist falsch und unlogisch«

Italien hat die Jagd auf Turteltauben freigegeben. Nur der legendäre Mafiajäger Sergio De Caprio hatte als Umweltminister Kalabriens dagegen gestimmt. Warum er um die Tiere fürchtet, erzählt er im Interview.
Die Turteltaube »Streptopelia turtur« gehört zu den bedrohten Arten und steht in Deutschland unter Schutz.

Die Turteltaube ist eine der am stärksten bedrohten Vogelarten Europas. Ihre Bestände nehmen von Jahr zu Jahr ab, und zwar schneller, als bei jeder anderen Art. In Italien jedoch soll die Jagd auf Millionen Streptopelia turtur künftig erlaubt sein. Das hat die Regierung beschlossen. Als Einziger lange dagegen: Kalabriens Politiker Sergio De Caprio, auch bekannt als »Capitano Ultimo«. Im Interview berichtet De Caprio, warum er die Proteste von Vogelschützern unterstützt und gegen die Jagd auf Turteltauben gestimmt hat. Auch erzählt er von der Macht der Jagdlobby und berichtet, welche Prioritäten er als Umweltminister setzt.

»RiffReporter«: Warum haben Sie als einziger Politiker gegen die Freigabe der Jagd auf Turteltauben gestimmt?

Sergio De Caprio: Die Turteltaube ist als gefährdet eingestuft. Und dennoch wollten die Vertreter aller anderen Regionen diese Vogelart noch vor der offiziellen Eröffnung der Jagdsaison im Herbst zum Abschuss freigeben, damit Jäger einen großen Teil der durchziehenden Tauben jagen dürfen. Das heißt im Klartext: Statt der Art zu helfen, sie zu schützen, wollten sie die Situation noch weiter verschärfen.

Ich habe gesagt: »Wir müssen etwas machen, das in die Richtung des Schutzes der Art geht und nicht das Gegenteil. Deswegen stimme ich nicht mit euch überein.« Aber ich war allein, und ich bin allein geblieben. Alle anderen waren dafür, die Jagd Anfang September für drei Tage zu erlauben. Das setzt die Turteltaube nach meiner Überzeugung einer weiteren Bedrohung aus. Und deshalb ist es falsch und auch unlogisch. Das ist kein ideologisches Thema, hier geht es um Logik und um Gemeinschaftssinn.

Sergio De Caprio | In Italien ist Sergio De Caprio unter seinem Kampfnamen »Capitano Ultimo« bekannt. In seinem Heimatland ist er eine Legende. Sein Leben wurde sogar in einer Serie verfilmt. Denn der 60-Jährige war es, der 1993 als Leiter einer Spezialeinheit der Carabinieri Cosa-Nostra-Chef Toto Riina aufspürte und ihn festnahm. Später wechselte De Caprio an die Spitze einer Spezialeinheit zur Bekämpfung von Umweltstraftaten. Seit 2020 ist er als parteiunabhängiger Politiker Umweltminister der Region Kalabrien.

Ihr Nein war de facto ein Veto gegen die Jagd auf die Turteltaube in ganz Italien. Denn im Rat der Regionen gilt das Einstimmigkeitsprinzip. War Ihnen klar, dass Sie damit einen riesigen Sturm der Entrüstung bei der Jagdlobby auslösen würden?

Nein, ich habe gar nicht an die Jäger gedacht. Ich war der Annahme, ich würde mit staatlichen Vertretern reden: mit Politikern, wie ich selbst einer bin, die selbstverständlich das Gemeinwohl schützen müssen und nicht einer bestimmten Klientel oder Lobby dienen. Deshalb war meine Überraschung groß, als ich merkte, mit welcher Vehemenz sich einige für die Jagd auf die Turteltaube stark machten. Schließlich haben wir noch ganz andere Probleme, die wir angehen müssen – die Corona-Pandemie, die Arbeitslosigkeit und vieles mehr, das unsere ganze Aufmerksamkeit braucht. Jetzt müssen wir uns dafür einsetzen, dass sich so etwas in Zukunft nicht wiederholt.

»Jagd ist ein Spiel, das den Tieren das Leben nimmt. Aber bei der Mafia geht es um eine Organisation, die den Völkern die Demokratie raubt«
Sergio De Caprio, italienischer Umweltminister

In einer weiteren Sitzung gab dann aber auch Kalabrien den Widerstand auf – mit dem Ergebnis, dass die Jagd auf Turteltauben nun doch freigegeben ist. Wie kam es zu dieser Kehrtwende Kalabriens? Wurde Druck auf Sie ausgeübt?

Es gab keinen Druck auf mich. Aber es gab großen Unmut, weil man auf jeden Fall die Geschlossenheit unter den Regionen wahren wollte. Das Thema wurde dann einfach auf eine höhere Ebene gehoben. Die Regionalpräsidenten haben übernommen und allesamt schriftlich bestätigt, dass für sie die Einigkeit unter den Regionen Priorität hat. Unabhängig vom Thema sei Geschlossenheit das Allerwichtigste. Es war eine grundsätzliche politische Entscheidung. Die Turteltaube spielte dann keine Rolle mehr.

Streptopelia turtur – eine gefährdete Art

Die Turteltaube wird von der Internationalen Naturschutzunion IUCN deshalb als weltweit gefährdet eingestuft. Ihr Bestand in Europa ist in den vergangenen 15 Jahren um fast die Hälfte eingebrochen, in einigen Ländern und Regionen liegt der Rückgang bei mehr als 90 Prozent, so auch in Teilen Deutschlands. Laut der Europäischen Vogelschutzrichtlinie ist die Turteltaube streng geschützt. Trotzdem wird sie auf dem Zug massiv bejagt – oft illegal, in manchen Ländern sogar legal.

Vogelschutzorganisationen wie das Komitee gegen den Vogelmord haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Gefährdung der Turteltaube und anderer Zugvögel durch die Jagd hingewiesen. Gegen mehrere Länder gab es Umweltbeschwerden bei der Europäischen Kommission, darunter Italien und Frankreich.

Im Herbst des Jahres 2020 hatte der französische Verfassungsgerichtshof nach einem öffentlichen Aufschrei in letzter Minute die von Präsident Emmanuel Macron freigegebene Jagd auf mehr als 17 000 der bedrohten Vögel gestoppt.

Im Jahr 2021 jedoch hat die italienische Regierung verkündet, im Herbst den Abschuss von insgesamt 7,5 Millionen Turteltauben erlauben zu wollen. Das sind mehr Streptopelia turtur, als in der gesamten Europäischen Union leben. Der EU-Bestand wird auf 2,9 bis 5,6 Millionen Brutpaare geschätzt. Das italienische Umweltministerium hatte eine vierjährige Schonzeit vorgeschlagen. Doch die Vertreter der Regionen gaben bei einem Regierungstreffen in Rom dem Druck der Jagdlobby nach. Sie beschlossen, dass jeder der 500 000 italienischen Jäger zwischen dem 1. und dem 19. September 2021 bis zu 15 Turteltauben töten darf.

Und was denken Sie darüber?

Ich bin damit nicht einverstanden, aber ich muss das akzeptieren. Ich habe meine Position zu Protokoll gegeben. In gewisser Weise kann ich die Logik hinter dem Streben nach Geschlossenheit der Regionen verstehen. Ebenso gut verstehe ich aber auch die Bedeutung von konsequentem Vorgehen beim Tier- und Umweltschutz. Letztendlich können die Regionalpräsidenten solche Entscheidungen treffen. Da kann ich dann nichts mehr machen. Es ist einfach ein anderes Niveau in der Hierarchie, zu dem ich nicht gehöre.

Sie sind berühmt, seit Sie Toto Riina in Handschellen abgeführt haben. Was ist schwieriger: den Boss der Bosse festzunehmen oder gegen die Jagdlobby standhaft zu bleiben?

Es geht hier um zwei ganz unterschiedliche Sachen. Auf der einen Seite geht es um ein zugegebenermaßen blutiges und grausames Spiel, auf der anderen Seite aber um einen Kampf gegen die Menschheit. In beiden Fällen geht es schon um den Tod, das ja. Jagd ist ein Spiel, das den Tieren das Leben nimmt. Aber bei der Mafia geht es um eine Organisation, die den Völkern die Demokratie raubt.

Welches Verhältnis zu Vögeln haben Sie persönlich?

Ich hege Liebe und Respekt für alle Lebewesen. Für Pflanzen, Insekten, Vögel, Pferde, Hunde Schlangen. Für alles, was Gott geschaffen hat.

Was sind Ihre Prioritäten als Umweltminister, und wohin wollen Sie Kalabrien entwickeln?

Ich bemühe mich um eine ökologische Transformation Kalabriens. Ich will das mit den Menschen zusammen machen, Elemente der partizipativen Demokratie sind wichtig, um Prozesse in Gang zu setzen. Die Gemeinden in Kalabrien sollen mehr grüne Energien nutzen – wir bekommen jetzt auch Mittel aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds. Ich setze vor allem auf Solarenergie ohne zusätzlichen Landverbrauch. Wir müssen unsere Flüsse und die Küste schützen, und wir müssen das Müllproblem durch Mülltrennung angehen.

Das klingt sehr ambitioniert …

Kalabrien soll eine Region werden, in der Kultur- und Naturtourismus Hauptwirtschaftsfaktoren werden. Wir bauen Radwege, um Küste und Berge zu verbinden. Wir rechnen auch sehr mit den Deutschen. Es waren übrigens deutsche Vogelschützer, die in den 1990er Jahren als Erste nach Kalabrien kamen, um an der Straße von Messina für den Schutz der Wespenbussarde zu kämpfen. Es wäre schön, wenn die Deutschen jetzt unseren Weg zu einem nachhaltigen Ökotourismus durch Besuche unterstützen würden.

»Die Natur spielt in der Politik keine sehr wichtige Rolle, und ich kämpfe oft auf einsamem Posten«

Sie sprechen die Bedeutung Kalabriens für den Vogelzug an. Wie beurteilen Sie die Fortschritte in den vergangenen Jahren gegen den illegalen Vogelfang und die Jagd in ihrer Region?

Die Wilderei gegen die Bussarde ist mittlerweile zu einem seltenen Phänomen geworden. Man merkt schon einen deutlichen Unterschied zu früher. Aber ich bin erst ein Jahr als Minister hier, das ist eine kurze Zeit, um die Entwicklung zu beurteilen. Sicher hat auch die Pandemie, die damit verbundenen Beschränkungen und Kontrollen dazu beigetragen, dass Wilderer weniger Chancen hatten, den Tieren nachzustellen. Aber ich muss ebenso einräumen: Es gibt nicht so viele Kontrollen, wie wünschenswert wären. Das liegt natürlich daran, dass es zu wenig Geld und zu wenig Personal gibt. Die Natur spielt in der Politik keine sehr wichtige Rolle, und ich kämpfe oft auf einsamem Posten.

Sie leben seit vielen Jahren unter Polizeischutz. Wie fühlt man sich damit und befürchten Sie, dass die Mafia irgendwann einen Anschlag auf Sie verüben wird?

Ich kämpfe seit jeher und ich schütze mich ebenso lange. Ich werde immer von meiner Eskorte begleitet. Sie wissen wahrscheinlich, dass mir der Schutz vor drei Jahren entzogen werden sollte. Ich musste vor Gericht gehen und der Gerichtshof hat mir Recht gegeben. Ich habe jetzt wieder meine Sicherheitsleute. Die Sache ist typisch. Die Unterschätzung der Mafia hat auch zu Entscheidungen geführt wie der Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung für Mafiosi. Die Bosse der Mafia, die mich umbringen wollten, sind immer noch aktiv. Aber egal: Ich kämpfe weiter für das Volk. Mit den Waffen, die mir zur Verfügung stehen.

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