Landwirtschaft der Zukunft: Ackerbau und Viehzucht im Hochhaus
»Wir leben in der Vertikalen. Warum sollten wir dann nicht auch Landwirtschaft in der Senkrechten betreiben können?« Dickson Despommier hält es durchaus für möglich, dass sich die Farmen der Zukunft eher in die Höhe statt in die Fläche ausdehnen werden. Der emeritierte Professor für Gesundheitswesen und Mikrobiologie von der Columbia University in New York gilt als einer der prominentesten Verfechter des so genannten »Vertical Farming«. Dieses Konzept sieht vor, Gemüse, Obst und Fleisch künftig verstärkt an und in Gebäuden direkt in der Stadt zu produzieren. Das sei ein möglicher Weg, um die wachsende Weltbevölkerung auf nachhaltige Weise mit gesunden Lebensmitteln direkt aus der Region zu versorgen, betonen Befürworter. Doch wie realistisch sind solche Ideen?
Verführerisch klingen sie zweifellos. Schließlich gibt es Anlass genug, sich über die Landwirtschaft der Zukunft Gedanken zu machen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen lebten Mitte 2017 schon fast 7,6 Milliarden Menschen auf der Erde. In Zukunft soll sich das Bevölkerungswachstum zwar verlangsamen, trotzdem sagen die UN-Berechnungen für das Jahr 2050 fast 9,8 Milliarden Erdenbürger voraus. Und nur noch eine Minderheit davon wird den Prognosen zufolge auf dem Land zu Hause sein: Lebten im Jahr 1950 gerade einmal 30 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, waren es 2018 schon 55 Prozent. Bis 2050 soll der Anteil auf 68 Prozent steigen.
Wie aber sollen all diese Menschen satt werden? Nur durch einen effizienteren Anbau und Fortschritte in der Züchtung lasse sich das nicht gewährleisten, argumentieren die Anhänger der vertikalen Landwirtschaft. Zumal nach Berechnungen US-amerikanischer Forscher jedes Jahr rund zehn Millionen Hektar Acker durch Bodenerosion verloren gehen. Und weiterhin Wälder abzuholzen, um neue Anbauflächen zu gewinnen, ist ökologisch und aus Klimaschutzgründen kaum zu verantworten.
Anbau in der Stadt spart auch Transportkosten
Doch nicht nur mit Flächen müsste die Landwirtschaft der Zukunft sparsamer umgehen, sondern auch mit anderen Ressourcen wie etwa Wasser und Energie. Für all diese Herausforderungen könne die Landwirtschaft in der Senkrechten interessante Lösungen anbieten, betonen ihre Befürworter. Wenn man Nahrung künftig direkt in der Stadt produziere, könne man den Kunden beispielsweise nicht nur frischere Produkte anbieten, sondern auch Energie und Kosten für den Transport sparen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie sich das theoretisch realisieren ließe. Am einfachsten klingt die Idee, die Dächer von städtischen Gebäuden als Anbaufläche für Gemüse und Kräuter zu nutzen. In Gewächshäusern oder auf Freilandbeeten könnten dort zum Beispiel Paprika und Tomaten, Karotten, Bohnen und Kohl heranwachsen. Der Stadtplaner Kheir Al-Kodmany von der University of Illinois in Chicago hält das für einen durchaus viel versprechenden Ansatz für eine neue städtische Landwirtschaft. Zumal Dächer, auf denen es grünt und blüht, auch noch andere positive Effekte haben. So wirken sie wie eine Art natürliche Klimaanlagen und können dadurch den Energieverbrauch eines Gebäudes um bis zu 30 Prozent senken.
Allerdings sieht Kheir Al-Kodmany auch Probleme, die noch nicht gelöst sind. So eignet sich keineswegs jedes städtische Dach als Gemüsegarten. Zum einen muss das Gebäude das zusätzliche Gewicht von Gewächshäusern und Erde auch tragen können, zum anderen braucht man zur Pflege und zum Ernten der Pflanzen einen geeigneten Zugang zum Dach. Das alles kann Umbauten nötig machen und den Preis in die Höhe treiben. So musste die Dachfarm »Local Garden« im kanadischen Vancouver im Jahr 2012 aus wirtschaftlichen Gründen schließen. In New York dagegen gibt es inzwischen schon einige solcher Anlagen, die erfolgreich arbeiten. Eine der größten davon ist die Brooklyn Grange Rooftop Farm, die auf zwei Gebäuden eine breite Palette von Biogemüse und Honig produziert. Die Pflanzen wachsen dabei in einer leichten Spezialerde, um das Dach nicht zu sehr zu belasten.
Bodenloser Anbau braucht auch keine Erde
Es gibt allerdings auch die Möglichkeit, auf Erde ganz zu verzichten. In Innenräumen kann man die Pflanzen direkt in einer wässrigen Lösung heranziehen, die alle wichtigen Nährstoffe enthält. Diese als Hydroponik bekannte Methode wird heute bereits in Gewächshäusern angewendet, um unter genau kontrollierten Bedingungen Gemüse-, Zier- und Arzneipflanzen heranzuziehen. Eine Variante davon ist die Aeroponik, bei der die Nährlösung mit Hilfe von Hochdruckdüsen oder Sprinklern vernebelt und als eine Art Dampf an die Wurzeln gebracht wird. Diese wachsen dadurch schneller als die grünen Pflanzenteile, so dass man das Verfahren vor allem zur Bewurzelung von Stecklingen verwendet.
Beide Methoden brauchen weniger Wasser und weniger Platz als der herkömmliche Anbau in der Erde. Man kann die Pflanzen auf diese Weise in Boxen oder auf großen Tabletts kultivieren, die sich in mehreren Etagen übereinanderstapeln lassen. Da sie mit Hilfe von LEDs oft künstlich beleuchtet werden, kann man solche Pflanztürme in beliebigen Innenräumen errichten, etwa in Lagerhallen oder Kellern. Es gibt verschiedene Unternehmen rund um die Welt, die diese Form der vertikalen Landwirtschaft schon praktizieren. Die Firma Aerofarms in Newark im US-Bundesstaat New Jersey setzt zum Beispiel schon seit 2004 auf Aeroponik, um verschiedene Kräuter und Gemüsesorten zu züchten. Die größte dieser Farmen ist in einem ehemaligen Stahlwerk angesiedelt, zwei weitere nutzen die Räume eines früheren Nachtclubs und einer Paintball-Arena.
Dort stapeln sich die von LEDs beleuchteten Pflanztabletts neun Meter hoch in großen Hallen. Spezielle Sensoren überwachen das Wachstum der Pflanzen, damit die Bedingungen möglichst optimal gestaltet werden können. Nach Angaben der Firma liefert jeder Quadratmeter Anbaufläche dadurch einen um 390 Prozent höheren Ertrag als ein konventioneller Anbau auf dem Acker. Und dank eines ausgeklügelten Recyclings braucht man dazu auch noch 95 Prozent weniger Wasser. So könne man die Bevölkerung mit umweltfreundlich produzierten und frischen Produkten direkt aus der Nachbarschaft versorgen, wirbt das Unternehmen, das seine Aktivitäten künftig auch auf andere Regionen in den USA und weltweit ausdehnen will.
»Mit Hilfe moderner Gewächshaustechnologien wie Hydroponik und Aeroponik könnte eine vertikale Farm theoretisch Fisch, Geflügel, Obst und Gemüse produzieren«
Dickson Despommier
Auch Dickson Despommier plädiert mit ähnlichen Argumenten für die Indoor-Landwirtschaft. Einer ihrer größten Vorteile bestehe darin, dass sie dank optimierter Wachstumsbedingungen auf der gleichen Fläche viel mehr Ertrag liefere. Bei Erdbeeren zum Beispiel könne man in den Spezialgewächshäusern bis zu 30-mal mehr ernten als unter freiem Himmel. Das könne im Idealfall den Druck von den Landschaften der Erde nehmen: Man gewinne ehemalige Ackerflächen zurück, die man wieder in Wald oder andere ökologisch wertvolle Lebensräume verwandeln und so in den Dienst des Natur- und Klimaschutzes stellen könne.
Zudem bräuchten die Hightech-Anlagen kaum Wasser und Pestizide und könnten auch bei schlechten Bodenverhältnissen überall auf der Welt betrieben werden. Sie seien unabhängig von den Jahreszeiten und weniger anfällig für Wetterkapriolen wie Dürren und Überschwemmungen. »Mit Hilfe moderner Gewächshaustechnologien wie Hydroponik und Aeroponik könnte eine vertikale Farm theoretisch Fisch, Geflügel, Obst und Gemüse produzieren«, schreibt der Wissenschaftler in seinem 2010 erschienen Buch »The Vertical Farm: Feeding the World in the 21st Century«.
Futuristische Farmen gibt es bisher nur am Computer
Das entscheidende Wort in diesem Satz ist allerdings »theoretisch«. Denn vertikale Großfarmen in gläsernen Wolkenkratzern, in denen die verschiedensten Ackerfrüchte wachsen, Kühe muhen und Schweine grunzen, gibt es bisher nur im Computer. Und viele dieser Entwürfe muten ziemlich futuristisch an. Zusammen mit dem Architekten Eric Ellingsen vom Illinois Institute of Technology hat Dickson Despommier zum Beispiel eine 30-stöckige gläserne Pyramidenfarm entworfen, die eine breite Palette von Obst- und Gemüsesorten, aber auch Fisch und Geflügel produzieren und so jährlich etwa 50 000 Menschen ernähren soll. Durch ein ausgeklügeltes Recyclingsystem soll sie nur zehn Prozent des Wassers von normalen Landwirtschaftsbetrieben verbrauchen und nur fünf Prozent der Fläche beanspruchen.
Ähnlich ambitionierte Ideen gibt es auch von der schwedischen Firma Plantagon. Zum Beispiel den so genannten »Plantscraper«, einen zwölfstöckigen Wolkenkratzer mit halbmondförmigem Grundriss. An dessen südlicher Fassade befindet sich eine Indoor-Farm, die jedes Jahr zwischen 300 und 500 Tonnen Blattgemüse, vor allem den mit dem Chinakohl verwandten Pak Choi produzieren soll. Außer den Anbauräumen sieht der Gebäudeplan auch noch Büros und einen Markt vor. Neben dem »Plantscraper« hat die Firma auch kugelförmige Pflanzenfarmen und spezielle Gewächshäuser für Fassaden geplant.
Deutlich bodenständiger wirken die Entwürfe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen. Dabei arbeiten die dortigen Forscher an einem besonders ehrgeizigen Ziel. Im Projekt EDEN (Evolution & Design of Environmentally closed Nutrition-sources) entwickeln sie Gewächshäuser, die zum Beispiel auf dem Mond oder Mars aufgebaut werden könnten, um Astronauten mit frischem Obst und Gemüse zu versorgen. Sie haben aber auch überlegt, wie man solche Systeme auf der Erde nutzen kann – etwa in Städten oder klimatisch ungünstigen Gebieten.
Gemüse in der Antarktis
Dabei herausgekommen ist die so genannte »Vertical Farm 2.0«, die Ingenieure des DLR zusammen mit internationalen Partnern entworfen haben. Das Gebäude sieht aus wie ein kompakter Quader mit einer Grundfläche von 74 mal 35 Metern. In der untersten Etage sind Logistik, Verwaltung und Kühlräume untergebracht, darüber folgen vier weitere Etagen, in denen die Pflanzen angebaut werden sollen. Jedes dieser Stockwerke ist etwa sechs Meter hoch und bietet damit Platz für große Regale, in denen die gewünschten Pflanzen versorgt mit Nährstoffen und LED-Licht auf mehreren Ebenen wachsen können. Für Blattgemüse wie Salat gibt es auf einer solchen Etage 5000 Quadratmeter Anbaufläche. Höher wachsende Pflanzen wie Tomaten, Paprika oder Gurken lassen sich immerhin auf 1700 Quadratmetern züchten. Insgesamt soll jedes dieser Stockwerke pro Jahr fast 630 000 Kilogramm Salat oder mehr als 95 000 Kilogramm Tomaten liefern können.
Wie man die Lichtverhältnisse, die Bewässerung und die Anordnung der Pflanzen optimal gestalten kann, tüfteln die Forscher im Labor aus. Und einen Praxistest unter harten klimatischen Bedingungen hat eines ihrer Modellgewächshäuser auch schon hinter sich. Im Januar 2018 haben DLR-Mitarbeiter es in der Nähe der deutschen Antarktisstation Neumayer III aufgebaut, die vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) betrieben wird.
DLR-Mitarbeiter Paul Zabel hat ein ganzes Jahr dort verbracht, um am südlichen Ende der Welt Gemüse, Salate und Kräuter zu züchten. Die Ausbeute konnte sich sehen lassen. Insgesamt hat das Antarktisgewächshaus in einem Jahr auf einer Anbaufläche von etwa 13 Quadratmetern 67 Kilogramm Gurken, 46 Kilogramm Tomaten, 19 Kilogramm Kohlrabi, 8 Kilogramm Radieschen, 15 Kilogramm Kräuter und 117 Kilogramm Salat geliefert. Vor allem für die Überwinterercrew, die den langen Polarwinter isoliert von der Außenwelt in der Station verbrachte, war die frische Kost eine willkommene Bereicherung des Speiseplans. In den nächsten Jahren wollen DLR, AWI und andere Partner das Gewächshaus weiterentwickeln und auch den Anbau anspruchsvollerer Pflanzen wie etwa Erdbeeren vorantreiben.
Tomaten und Fische ergänzen sich gut
Die Produktion der Indoor-Farmen muss sich allerdings nicht nur auf vegetarische Kost beschränken. Schweine oder Rinder leben zwar bisher nur in der Fantasie von Architekten in gläsernen Hochhäusern mit Freiluftbalkons. In der Praxis bewährt hat sich aber schon ein Aquaponik genanntes Verfahren, das Pflanzenbau und Fischzucht kombiniert. Wenn man Fische in einer Aquakultur hält, muss man jeden Tag zwischen 5 und 15 Prozent des Wassers austauschen. Denn sonst reichert sich darin zu viel Nitrat an, das aus den Stoffwechselprodukten der Fische entsteht. »Das entnommene nährstoffreiche Wasser müsste man normalerweise über die Kläranlage entsorgen, was in Berlin immerhin 2,50 Euro pro Kubikmeter kostet«, erklärt Werner Kloas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. »Wir verwenden es stattdessen als Flüssigdünger.«
»Tomatenfisch« nennen er und seine Kollegen ihr Konzept, bei dem Süßwasserfische und Tomaten in einem Gewächshaus gemeinsam gezüchtet werden. Da beide zum Beispiel in Sachen pH-Wert etwas unterschiedliche Ansprüche haben, wachsen sie in getrennten Kreisläufen heran, die allerdings über ein Einwegventil verbunden sind. Das Wasser aus den Fischbecken wird dabei zunächst mit Hilfe von Lamellenfiltern von Feststoffen befreit. Anschließend wandelt ein mit Bakterien besetzter Biofilter das von den Fischen ausgeschiedene Stoffwechselprodukt Ammonium in Nitrat um, das ein sehr guter Nährstofflieferant für Tomaten ist.
Bei Bedarf fließt das Fischwasser dann über ein Einwegventil zum Düngervorratsbehälter der Pflanzen und wird dort mit noch fehlenden Nährstoffen sowie dem pH-Wert optimal an die Bedürfnisse der Tomaten angepasst. Auch das von den Fischen ausgeatmete Kohlendioxid können die Pflanzen verwerten, um mittels Fotosynthese Energie zu gewinnen und im Gegenzug Sauerstoff zu produzieren. Der Wasserdampf, den sie aus ihren Spaltöffnungen abgeben, kommt im Gegenzug wieder den Fischen zugute: Er wird durch ein Kühlsystem kondensiert und erneut in den Fischkreislauf eingespeist. So entsteht ein nahezu geschlossenes System, das nur sehr wenig Wasser verbraucht und in dem Ressourcen wie Nährstoffe, Wasser, Wärme und Strom doppelt genutzt werden können.
600 Kilogramm Fisch aus acht Kubikmeter Tank
Auch mit den Erträgen sind die Forscher schon recht zufrieden. In etwa einem dreiviertel Jahr lieferten die zirka acht Kubikmeter fassenden Fischtanks üppige 600 Kilogramm der zu den afrikanischen Buntbarschen gehörenden Tilapien. Gleichzeitig brachten die Tomaten einen Ertrag von etwa neun Kilogramm pro Pflanze und damit insgesamt rund 1000 Kilogramm Früchte. Durch weiteres Tüfteln an den Bedingungen konnten die Forscher sogar noch höhere Erträge von bis zu 3000 Kilogramm erzielen, die durchaus mit denen von allein auf Tomatenanbau spezialisierten Hydroponik-Gewächshäusern mithalten konnten. Auch die Inhaltsstoffe der Früchte, etwa ihr Gehalt an Farbstoffen wie Lycopin und Betacarotin unterschied sich zwischen beiden Anbauformen nicht.
Gute Erfahrungen haben die IGB-Forscher schon mit der kombinierten Zucht von Tomaten und afrikanischen Raubwelsen gemacht. Auch in diesem Fall kann man beides zusammen genauso effizient produzieren wie in unabhängigen Anlagen, spart dabei aber jede Menge Dünger – und damit Treibhausgasemissionen, die bei dessen Herstellung anfallen würden. An der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern ist bereits eine kommerziell wirtschaftende Anlage in Betrieb, die auf 500 Quadratmeter Fläche afrikanische Raubwelse und im Sommer 70 bis 80 Kilogramm Tomaten pro Tag liefert.
In einem neuen EU-Projekt namens Cityfood untersuchen Wissenschaftler vom IGB und anderen europäischen Institutionen derzeit, wie man solche Aquaponik-Systeme gezielt für die Nahrungsmittelproduktion in Städten einsetzen kann. Beispiele in Deutschland, Norwegen, Schweden, den USA und Brasilien sollen zeigen, was man dabei in unterschiedlichen Regionen berücksichtigen muss und wann sich das System wo rentiert.
Larven als Fischfutter
Zudem wollen sich Werner Kloas und seine Kollegen in Zukunft nicht mit der Kombination von Tomate und Fisch begnügen, sondern noch eine dritte Komponente einfügen. Im März startet das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt »Cubes Circle«, das Aquakultur und Hydroponik mit der Produktion von Insekten verbinden soll. Die als besonders robust und anspruchslos geltenden Soldatenfliegen der Art Hermetia illucens, die aus dem tropischen Afrika stammen, sollen die Pflanzenabfälle und Fischsedimente der Anlage fressen. »Wenn man die Larven dieser Insekten dann trocknet und entfettet, kann man sie zu Fischfutter verarbeiten«, sagt Werner Kloas.
Die Ernährung der Tiere gilt nämlich als einer der Knackpunkte für eine umweltfreundlichere Fischzucht. Das traditionell dafür verwendete Fischmehl ist ökologisch problematisch, weil es oft aus ohnehin schon überfischten Meeresarten gewonnen wird. Doch auch pflanzliche Alternativen haben ihre Tücken. Und zwar nicht nur im Fall von Soja, dessen Anbau viel Wasser verbraucht und vielerorts den wertvollen Regenwald verdrängt. »Auch ein Kilogramm Weizen oder Erbsen zu produzieren, verschlingt 700 bis 800 Liter Wasser«, sagt Werner Kloas. »Solche Nahrungsmittel sollten wir daher lieber selbst essen, statt sie an Fische zu verfüttern.« Zumal pflanzliche Kost für Fische nicht die optimale Kombination von Aminosäuren bietet.
Das Aminosäureprofil von Insekten passt dagegen deutlich besser zu den Ansprüchen der schwimmenden Kundschaft, zeigen die Untersuchungen der IGB-Forscher. »Bei alles fressenden Süßwasserarten wie Karpfen und Tilapien kann man das konventionelle Futter komplett durch Mehl aus Fliegenmaden ersetzen«, sagt Werner Kloas. Eine solche Umstellung wäre seiner Einschätzung nach ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Aquakultur, weil sich die Insekten ohne größere Umweltfolgen produzieren lassen. Dazu müssen die Forscher allerdings vor allem an der Steuer- und Regeltechnik ihrer Tomatenfisch-Gewächshäuser arbeiten, damit diese auch die Bedürfnisse der Fliegen erfüllen können.
Teure Höhenflüge
Herauskommen soll bei dieser Tüftelei ein Fisch-Tomaten-Insekten-Modul, das sich gut für die Lebensmittelproduktion in Städten eignet. »Theoretisch kann man diese so genannten Cubes natürlich auch übereinanderstapeln und damit in Richtung Vertical Farming gehen«, sagt Werner Kloas. Ob das sinnvoll ist, bezweifelt er allerdings. Denn bei der Nahrungsmittelproduktion in die Höhe statt in die Fläche zu streben, ist teuer. Das fängt schon bei den Gebäudekosten an. »Ein Quadratmeter Gewächshaus in der Ebene kostet etwa 200 Euro, bei einem Hochhaus kommt man leicht auf 1500 bis 2000 Euro«, berichtet der Berliner Forscher. Zudem sei die Pflege und Ernte bei vertikalen Kulturen aufwändiger, und man brauche mehr Energie für die Wasserpumpen.
Trotzdem ist Werner Kloas kein Gegner der senkrechten Landwirtschaft, er bescheinigt ihr durchaus einige Vorteile. So können Pflanzen an der Fassade oder auf dem Dach für ein besseres Gebäudeklima sorgen und auch optisch punkten. Darüber hinaus sieht er einen sozialen Nutzen, den solche Farmen zum Beispiel an Schulen entfalten können. Die Schüler könnten dort einiges über Nahrungsmittel und ökologische Zusammenhänge lernen und dabei auch gleich noch frische Lebensmittel für die Schulkantine gewinnen.
»Wenn man Vertical Farming kommerziell betreiben will, wird es wegen der hohen Kosten allerdings schwierig«
Werner Kloas
»Wenn man Vertical Farming kommerziell betreiben will, wird es wegen der hohen Kosten allerdings schwierig«, meint Werner Kloas. Er hält es für unwahrscheinlich, dass Verbraucher für solche Produkte den zwei- bis dreifachen Preis bezahlen würden, damit sich die Investitionen rechnen. Deshalb sieht er die Zukunft der innerstädtischen Landwirtschaft weniger in Wolkenkratzern als in großen, einstöckigen Spezialgewächshäusern, die etwa auf Industriebrachen entstehen könnten. Das würde immer noch deutlich weniger Platz beanspruchen als herkömmlicher Ackerbau, weil die Indoor-Landwirtschaft auf der gleichen Fläche fünf- bis zehnmal mehr Biomasse produzieren kann. Und gleichzeitig wäre man in den einstöckigen Anlagen nicht komplett auf künstliche Beleuchtung angewiesen, sondern könnte das Sonnenlicht nutzen.
Auch andere Experten sehen Kosten und Energieverbrauch als Nachteile der Hochhauslandwirtschaft. Die Wissenschaftler des DLR haben zum Beispiel ausgerechnet, dass man bei ihrer »Vertical Farm 2.0« zunächst rund 36,7 Millionen Euro für Gebäude und Ausstattung investieren müsste. Der anschließende Betrieb würde dann rund 6,5 Millionen Euro pro Jahr kosten. Allein die Energiekosten würden dabei mit 2,8 Millionen Euro zu Buche schlagen, der Löwenanteil davon entfiele nach derzeitigem Stand der Technik auf die Beleuchtung mit LEDs. Damit sich das alles rechnet, müsste der in einer solchen Farm angebaute Salat für stolze 5,81 Euro pro Kilo verkauft werden und das Kilo Tomaten für 9,94 Euro. Innovationen wie leistungsfähigere LEDs könnten den Anbau künftig allerdings günstiger machen, hoffen die DLR-Mitarbeiter.
Kheir Al-Kodmany von der University of Illinois in Chicago fragt sich allerdings auch, ob die potenziellen Kunden solche Nahrungsmittel denn auch akzeptieren würden. Obwohl das Gemüse in Sachen Frische und Regionalität punkten könne, sei die Hightech-Produktion ohne Erde und Sonnenlicht in den Augen vieler Menschen eben nicht die natürliche Art der Lebensmittelgewinnung.
Global gesehen sieht der Architekt auch noch ein soziales Problem. Die wachsende Weltbevölkerung wird zwar häufig als Argument für die vertikale Landwirtschaft angeführt. Nur steigen die Bevölkerungszahlen vor allem in Entwicklungsländern. Das aber wirft für Kheir Al-Kodmany eine ganze Reihe von Fragen auf. Haben diese Länder die nötige Technik, die Expertise und das Geld, um Vertical Farming zu betreiben? Kann man es schaffen, dass die Produkte auch für die Armen erschwinglich werden? Und wie kann man sie all jenen Menschen zugänglich machen, die abseits aller glitzernden Glastürme in Slums leben? Wer das Potenzial der vertikalen Landwirtschaft einschätzen will, sollte auch darauf Antworten finden. Vielleicht kann der Mensch seine Nahrung eines Tages tatsächlich in der Senkrechten gewinnen. Die Lösung aller Ernährungsprobleme wird aber auch das nicht sein.
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