Griechenland: Ältestes mykenisches Schrifttäfelchen in Müllgrube entdeckt
Was vielleicht zum Ärger eines mykenischen Palastbeamten vor zirka 3400 Jahren zu Bruch ging, wandelte sich zum Glücksfall für die Archäologen. Zwischen unzähligen Tonscherben einer Abfallgrube stießen sie auf das Bruchstück eines Täfelchens, das sie in einiges Staunen versetzte: Auf beiden Seiten waren Zeichen der mykenischen Linear B-Schrift zu erkennen, deren bisher älteste Beispiele ungefähr 150 Jahre später entstanden waren.
Karin Schlott
Praktika tis en Athenais Archaiologikis Hetairias April 2011 (im Druck)
"Nach so vielen Jahren des Grabens ist diese Entdeckung die größte Überraschung", betont Michael Cosmopoulos (University of Missouri – St. Louis), der die Grabungen nahe dem griechischen Dorf Iklaina im Südwestzipfel der Peloponnes leitet. Hier, ganz in der Nähe des einstigen mykenischen Palasts von Pylos, in dem laut Homer König Nestor geherrscht haben soll, entdeckten er und sein Team das handtellergroße Fragment. Es ist dem Zufall zu verdanken, dass das Täfelchen aus Lehm erhalten blieb: Es wanderte auf den Müll und wurde samt dem Abfall verbrannt. Die mykenischen Schreiber dokumentierten auf solchen Schriftträgern zumeist die wirtschaftlichen Vorgänge im Palast, bewahrten sie aber nur für ein Jahr auf und schmissen die ungebrannten Notizen dann weg.
Der Text auf dem Bruchstück gibt leider nicht mehr viel über den Inhalt preis: Auf der einen Seite ist ein Verb erhalten, das so viel wie "herstellen" bedeutet, auf der anderen sind männliche Eigennamen neben Zahlen aufgelistet – vielleicht eine Art Grundstücksliste? Bisher fanden Archäologen Linear B-Tafeln aber nur in mykenischen Palastzentren wie Mykene, Theben, Tiryns oder Pylos. Cosmopoulos spricht daher die vorsichtige Vermutung aus, dass sich in Iklaina vielleicht eine Bezirkshauptstadt des Königreichs Pylos befunden hatte. Nach Homer zählten neun Städte zu Nestors Herrschaftsgebiet. Eine davon trägt den Namen Aipy – in späteren Linear B-Texten heißt Iklaina: a-pu. Dass Iklaina vielleicht wirklich ein bedeutender Ort gewesen war, darauf deuten Mauern aus riesigen Steinblöcken, bunte Wandmalereien und die fortschrittliche Kanalisation hin. "Dies ist einer der seltenen Fälle, wo Archäologie, antike Texte und griechischer Mythos übereinstimmen", fasst Cosmopoulos begeistert zusammen.
Karin Schlott
Praktika tis en Athenais Archaiologikis Hetairias April 2011 (im Druck)
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