Biolandwirtschaft: Welche Strategie die Welt ernähren kann
Das Problem vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Schon heute ist die Landwirtschaft ein wichtiger Treiber für die großen Probleme einer wachsenden Menschheit auf einer Erde, deren Oberfläche gleich bleibt: Weltweit trägt das Wirtschaften der Bauern und Viehzüchter mehr als 40 Prozent zum Klimawandel bei.
Heutige Agrarwirtschaft überdüngt Böden, Gewässer und im Bereich der Küsten auch die Meere mit Stickstoff sowie Phosphor und lässt obendrein auch noch die Artenvielfalt schwinden. Gleichzeitig wächst die Menschheit weiter, jedes Jahr steigt die Weltbevölkerung nach Schätzungen der Vereinten Nationen UNO derzeit um 78 Millionen Köpfe.
Für jeden zusätzlichen Menschen auf dem Globus aber braucht man ein weiteres Fleckchen Land, auf dem Lebensmittel für ihn wachsen. Diese Fläche fehlt einerseits der Natur und der Artenvielfalt und belastet anderseits den Rest der Welt mit Überdüngung. Alternativ müssten die Bauern und Viehzüchter dieser Welt aus ihren bereits heute bearbeiteten Äckern und Grünländern entsprechend mehr Nahrungsmittel herausholen, um jedes Jahr 78 Millionen Menschen zusätzlich satt zu bekommen. Ohne dabei die Umwelt zusätzlich zu belasten. Noch besser wäre es, wenn sie höhere Erträge erreichen und dabei die Natur sogar entlasten könnten.
Mit solchen kaum lösbar scheinenden Fragen beschäftigte sich der Welternährungsgipfel (UN Food System Summit), den die UNO für September 2021 einberufen hatte. In die Wissenschaftsgruppe zur Vorbereitung dieses Gipfels hat UNO-Generalsekretär António Guterres den Agrarwissenschaftler Urs Niggli geholt, der von 1990 bis 2020 das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) im schweizerischen Frick geleitet und an die Weltspitze dieser Disziplin geführt hat. Der Schweizer Agrarwissenschaftler wiederum skizziert in seinem 2021 erschienenen Buch »Alle satt?« Wege zur Lösung des Dilemmas aus wachsender Weltbevölkerung und hoher Umweltbelastung durch die Landwirtschaft.
Biolandwirtschaft allein reicht nicht
Nach drei Jahrzehnten Forschung, in denen das FiBL unter seiner Leitung wesentliche wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet und die Biolandwirtschaft damit entscheidend vorangebracht hat, könnte man eigentlich erwarten, dass Urs Niggli ohne zu zögern ebendiese Anbauweise als Lösung für die Ernährungsprobleme der Menschheit nennt. Doch die Antwort des Forschers ist erheblich komplizierter – und zeigt, dass der Biolandbau allein die Menschheit im Jahr 2050 gar nicht satt machen kann.
Das wiederum wundert Bruno Streit kaum, der an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main die Zusammenhänge zwischen Bevölkerungsdruck und Artenvielfalt untersucht: »Schließlich lebten nach Schätzungen der UNO im Mai 2020 erstmals mehr als 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde, im Jahre 2050 dürften es bereits 9,7 Milliarden sein«, erklärt der Schweizer Biodiversitätsforscher. Fast zwei Milliarden Menschen mehr auf dem Globus aber bedeuten, dass der ohnehin schon riesige Druck auf die Natur noch einmal kräftig zunehmen wird.
Die besten Voraussetzungen für eine Verringerung dieses Drucks hat die Biolandwirtschaft. Den Beweis für diese Behauptung liefert ein seit 1980 laufendes agrarwissenschaftliches Experiment auf dem genossenschaftlichen Biobetrieb Birsmattehof in Oberwil im Schweizer Kanton Basel-Landschaft: Dort werden seither zwei Bio-Anbausysteme mit konventioneller Landwirtschaft und dem integrierten Landbau verglichen, der herkömmlich arbeitet, ökologische Belange allerdings besser berücksichtigt.
Angebaut werden jeweils Winterweizen, Wintergerste, Soja, Kartoffeln, ein Feldgemüse und eine Gras-Klee-Mischung als Viehfutter. Bereits nach zwei Jahrzehnten fanden die Wissenschaftler in den Böden der Bio-Parzellen 40 bis 80 Prozent mehr Regenwürmer, die sich auch noch besser als ihre Artgenossen auf den konventionellen Felder vermehrten. Zusammen mit Bakterien und Pilzen bauen diese Würmer Ernterückstände sowie auf den Feldern ausgebrachten Mist und Kompost ab und stellen dabei die enthaltenen Nährstoffe den Wurzeln der Nutzpflanzen zur Verfügung. Und da sich in einem 100 mal 100 Meter großen Bioacker satte 40 Tonnen solcher Organismen tummeln, liefert der Bioboden den Pflanzen viel bessere Bedingungen als der konventionelle Boden, in dem auf der gleichen Fläche nur Organismen mit einem Gesamtgewicht von 27 Tonnen leben.
Mehr Artenvielfalt durch Bio
Auch über der Erde sind die Biobauern auf dem Birsmattehof klar im Vorteil. Leben doch über ihrer Krume im Vergleich mit konventionell beackerten Böden 175 bis 220 Prozent mehr Tiere aus den für die Landwirtschaft nützlichen Gruppen wie Laufkäfer, Kurzflügler und Spinnen. Schließlich vernichten im herkömmlichen Landbau Spritzmittel immer wieder unzählige dieser winzigen Tierchen. Andererseits werten der organische Dünger und das auf den Biofeldern ebenfalls wachsende Unkraut diesen Lebensraum auf. Letzteres bietet oft genug auch noch einen schützenden Unterschlupf. Obendrein macht das reiche Krabbel-Leben auf den Bioäckern mehr Vögel satt und verbessert so nicht nur die Artenvielfalt dieser Flugkünstler, sondern ebenso die vieler anderer Arten.
»Um die bis dahin um voraussichtlich 1,9 Milliarden Menschen gewachsene Weltbevölkerung zu ernähren, müssten die Ackerflächen um 37 Prozent vergrößert werden«Urs Niggli
Als Verena Seufert und Navin Ramankutty von der University of British Columbia im kanadischen Vancouver in der Zeitschrift »Science Advances« 2017 fast alle vorhandenen Studien dazu auswerteten, konnten sie das Ergebnis aus der Schweiz für Europa, Asien und Nordamerika bestätigen. Im Hinblick auf die Biodiversität, die Qualität von Boden und Wasser sowie auf den Nährwert der geernteten Pflanzen schnitt die Biolandwirtschaft meist deutlich besser ab. Ökologisch sind die Biobauern also tatsächlich erheblich überlegen.
Diesen Riesenvorteil erkaufen sie jedoch mit einem großen Handikap: »Die Erträge auf den Biohöfen sind durchschnittlich 20 bis 25 Prozent niedriger als bei konventionellen Bauern«, fasst Urs Niggli zusammen. Und das macht eine weltweite Nur-Biolandwirtschaft im Jahr 2050 zu einem sehr abschreckenden Szenario: »Um die bis dahin um voraussichtlich 1,9 Milliarden Menschen gewachsene Weltbevölkerung zu ernähren, müssten die Ackerflächen um 37 Prozent vergrößert werden«, berichtet Niggli weiter. Das wäre verheerend für die Natur, weil so riesige Flächen verschiedener natürlicher Lebensräume vernichtet und dadurch wohl auch die Artenvielfalt weiter dezimiert würde.
Gegen die Wand
Doch selbst ein »Weiter so« droht den Globus zu überfordern. Sollten die durchschnittlichen Erträge in Zukunft ähnlich stark wie in den vergangenen 60 Jahren steigen, müssten die Bauern nach einer Kalkulation der Welternährungsorganisation FAO 200 Millionen Hektar zusätzliches Ackerland umpflügen. Das entspricht rund der Hälfte der Fläche der gesamten Europäischen Union. Dazu kämen noch einmal 400 Millionen Hektar Grünflächen. Man müsste demnach irgendwo auf der Erde eine Fläche von der Größe der gesamten EU zwischen dem Norden Skandinaviens und Sizilien, zwischen Portugal und Bulgarien zusätzlich zu Weideland für die Viehherden machen, um die Versorgung der 1,9 Milliarden bis 2050 dazukommenden Menschen zu sichern.
Sollte sich die Menschheit nichts Besseres einfallen lassen, kämen insgesamt also sechs Millionen Quadratkilometer Acker- und Grünland und damit zwei Drittel der Fläche der USA zu den heutigen Agrarflächen und deren negative Folgen für Natur und Umwelt dazu. Und das in einer Situation, in der bereits die bisherige Landwirtschaft den Globus an seine Grenzen bringt und die Biodiversität nicht nur in der Welt der Insekten kräftig schwinden lässt.
Der heute übliche Mix aus viel konventioneller und wenig Biolandwirtschaft – selbst in den wohlhabendsten Ländern Europa bewirtschaften Ökobauern allenfalls 10 bis 20 Prozent der Agrarflächen – dürfte es daher bei Weitem nicht schaffen, die Menschheit im Jahr 2050 satt zu bekommen. Und allein packen es die Biobauern schon gar nicht. Auf die drängende Frage, wie man denn sonst die Weltbevölkerung ernähren könnte, kommen von Umwelt- und Naturschutzorganisationen und den Verbänden des Biolandbaus daher oft eher ausweichende Antworten, die sich grob vereinfachend mit »weniger Fleisch essen und weniger Nahrungsmittel verschwenden« zusammenfassen lassen.
Dabei konzentriert sich die Diskussion in Mitteleuropa meist auf den ersten Punkt, für den es tatsächlich sehr stichhaltige Argumente gibt: »Auf einem Hektar ernten Bauern rund doppelt so viele Proteine in Form von Erbsen, Bohnen, Linsen, Lupinen oder anderen Hülsenfrüchten, als sie über den Umweg Tierfutter und Kuhmagen in Form von Milch, Quark, Jogurt und Käse erhalten«, erklärt Urs Niggli. Und schaut man nur auf den Fleischkonsum, öffnet die Schere sich noch viel weiter: »Hülsenfrüchte liefern auf der gleichen Fläche sogar 20-mal mehr Proteine.«
»Mehr Vegetarier und Veganer wären natürlich begrüßenswert, Käse und Quark wird es aber auch in Zukunft noch reichlich geben«Urs Niggli
Allerdings zeigt diese erschreckend magere Bilanz von Schweineschnitzeln, Rindersteaks oder Lammkeulen nur einen Teil der Fakten. Gilt sie doch nur für Tiere, die mit Kraftfutter gemästet werden. Zwar werden weltweit auf rund 3,9 Millionen Quadratkilometern und damit auf einer Fläche, die beinahe so groß ist wie die der 27 Länder der Europäischen Union, Futtergetreide, Silomais und anderes Tierfutter angebaut. Das sind allerdings nur acht Prozent der landwirtschaftlichen Flächen auf dem Globus, während 68 Prozent Dauergrünland sind. Dort weiden dann Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen, deren Verdauungssystem Gräser sehr gut verarbeitet, die weder für Menschen noch für Schweine und Hühner verwertbar sind. Die Rinder auf den Weiden in Norddeutschland, in der argentinischen Pampa oder in der Sahelzone Afrikas konkurrieren also nicht mit uns Menschen um Nahrung.
Tierhaltung ist nicht gleich Tierhaltung
Nur rülpsen Kühe jede Menge Methan aus, das einen kräftigen Teil zum menschengemachten Klimawandel beiträgt. Sollte man also auf den Savannen der Sahelzone, den Pampas Südamerikas und auf anderen Grasländern lieber Hülsenfrüchte anbauen, statt dort Rinder weiden zu lassen? »Für den Klimaschutz wäre das alles andere als eine gute Idee«, meint Urs Niggli. Schließlich speichert das Grünland relativ große Mengen Kohlenstoff, die bei einer solchen Umwandlung in Ackerflächen als Treibhausgase freigesetzt würden.
Dadurch würden aber viel mehr Klimagase emittiert, als Methan aus Rindermägen entweicht. Als trauriges Beispiel verweist Niggli auf Indonesien: »Dort wurden 100 000 Quadratkilometer Moorgebiete trockengelegt und in Palmölplantagen umgewandelt, die mehr Kohlenstoff als Klimagas freisetzen, als die gesamte Europäische Union emittiert.« Ähnliches passierte, als in Argentinien und Brasilien riesige, als Rinderweiden hervorragend geeignete Savannenflächen in Sojafelder umgewandelt wurden.
Werden solche etablierte Ökosysteme wie die Grasebenen Südamerikas für die Landwirtschaft völlig umgekrempelt, verstärkt sich obendrein häufig die Erosion massiv: Schon nach relativ kurzer Zeit werden die Flächen unfruchtbar. Tatsächlich gehen bereits heute jährlich weltweit zehn Millionen Hektar Ackerfläche durch Erosion verloren – das entspricht beinahe der gesamten Ackerfläche Deutschlands von zwölf Millionen Hektar. »Ein sehr großer Teil des heutigen Grünlandes eignet sich daher entweder gar nicht für den Ackerbau oder würde nur sehr schlechte Felder geben«, erklärt Urs Niggli. Käse, Jogurt, Quark, Milch und Rindfleisch schneiden im Vergleich mit Hülsenfrüchten also vergleichsweise gut ab. Zumindest wenn die Wiederkäuer das fressen, für was ihr Verdauungssystem optimiert ist: Gras.
Moderne Biobetriebe füttern ihre Rinder daher bereits heute mit jungem und altem Gras, und ihre Kühe geben ganz ohne Kraftfutter trotzdem reichlich Milch. Nur wenn die Kälber geboren sind und die Mutterkühe viel Milch für den Nachwuchs produzieren, erhalten sie zusätzlich Kraftfutter, das aber aus Abfällen besteht, die für die menschliche Ernährung wenig taugen: Das können zum Beispiel die Kleie genannten Rückstände aus der Getreideproduktion sein, in der die Schalen und der Keimling landen. Oder die Trester genannten festen Rückstände, die beim Herstellen von Säften nach dem Auspressen von Äpfeln, Weintrauben oder Tomaten übrig bleiben.
Das Schwein, die Umweltsau
Solche Reste eignen sich natürlich auch als Futter für Schweine und andere Tiere, die keine Wiederkäuer sind und daher Gras nicht verwerten können. Allerdings reichen solche Abfälle keinesfalls, um die riesigen Bestände von Schweinen, Hühnern und anderem Geflügel zu ernähren, die heute in den Ställen stehen. Um die wachsende Menschheit gut zu ernähren, sollte der Trend folglich durchaus zu erheblich weniger Schweineschnitzel und Hühnerbrust gehen, während Milchprodukte und Rindfleisch weiterhin hoch im Kurs stehen dürften. »Mehr Vegetarier und Veganer wären natürlich begrüßenswert, Käse und Quark wird es aber auch in Zukunft noch reichlich geben«, sagt Urs Niggli.
Die Entwicklung beim Fleischkonsum könnte in Zukunft also in die Richtung gehen, die im Nahen Osten die arabisch-jüdische Welt schon seit Jahrhunderten prägt: »Gerade in der historischen Region Kanaan ist vermutlich als Folge eines starken Bevölkerungsanstiegs und schwindender Waldressourcen bereits seit der Bronzezeit das Halten von Schweinen und der Genuss ihres Fleisches tabuisiert worden«, erklärt Bruno Streit von der Frankfurter Universität. Da Lebensmittel im Wüstengürtel der Erde seit jeher ein knappes Gut waren, verbannte man eben die Konkurrenz von der Speisekarte. Jedenfalls wird in der Ökologie und Ökonomie heute mit dieser Theorie gern das Schweine-Tabu der Region erklärt.
»Die Bodenstruktur ist für die Landwirtschaft extrem wichtig«Bruno Streit
Allein mit weniger Schweine- und Hühnerfleisch dürfte die noch immer wachsende Weltbevölkerung allerdings kaum satt zu bekommen sein. Besonders wichtig wird es daher, das vorhandene Ackerland möglichst optimal zu nutzen. Während sich die Agrarforschung dabei bislang vor allem auf offensichtliche Aspekte wie Düngen oder Schädlings- und Unkrautbekämpfung konzentriert hat, dürfte in Zukunft ein weiterer Punkt zunehmend ins Blickfeld geraten: »Die Bodenstruktur ist für die Landwirtschaft extrem wichtig«, erklärt Bruno Streit, der sich früher intensiv mit der Biodiversität der für den Boden wichtigen Hornmilben beschäftigt hat. »Die höchste Vielfalt dieser Organismen fand sich in den Böden der Biobauern«, sagt der Biodiversitätsforscher weiter.
Und genau hier liegt für den Agrarwissenschaftler Urs Niggli der Schlüssel für die Landwirtschaft der Zukunft: »Das System der Biolandwirtschaft mit vielfältigen Fruchtfolgen und der Kombination von Tierhaltung mit Ackerbau hält die Böden gesund.« Dabei wandert zum Beispiel das Stroh von Getreidefeldern in die Ställe, wird zusammen mit den Ausscheidungen der Tiere zu Mist, mit dem wiederum die Äcker gedüngt und die Böden gesund gehalten werden. Biobauern punkten auch mit Konzepten wie dem »mixed cropping«, bei dem zum Beispiel Getreide und Klee oder Hülsenfrüchte gemeinsam angebaut werden, um die Erträge zu verbessern und gleichzeitig die Böden intakt zu halten.
Ein Modell für die Zukunft
Die konventionelle Landwirtschaft verfolgt dagegen ein viel einfacheres System und setzt häufig auf drei Fruchtfolge-Glieder wie zum Beispiel Winterweizen, Mais und Zuckerrüben. Bei den Biobauern sind es dagegen oft sieben oder acht Kulturen in Folge. Warum sollte die konventionelle Landwirtschaft solche Methoden nicht übernehmen und damit ihren viel zu hohen und für die Natur sehr problematischen Einsatz von Stickstoff- und Phosphor-Mineraldüngern sowie von Pestiziden massiv reduzieren? Schließlich erreichten die Biobauern bei den Langzeitstudien auf dem Birsmattehof zwar nur 82 Prozent der Erträge ihrer konventionellen Kollegen, setzten dabei aber 96 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel ein.
Löst also vielleicht eine Kombination der jeweils besten Aspekte aus den beiden Welten des konventionellen und des Bioanbaus das Problem der Welternährung? Computermodellierungen am FiBL deuten genau darauf hin: Die Variante mit einem Anteil von 60 Prozent Biolandbau und 40 Prozent konventionell bearbeiteten Flächen brachte demnach am besten Ökosystem- und Naturschutz auf der einen und die zuverlässige Versorgung von bald zehn Milliarden Menschen mit ausreichend gesunder Nahrung auf der anderen Seite unter einen Hut. »Gleichzeitig müssten die Flächen für den Anbau von Getreide für die Tierhaltung halbiert werden und 50 Prozent weniger Lebensmittel als bisher vernichtet werden«, erklärt Urs Niggli.
»Wir sollten aufhören, über richtige und falsche Innovationen in der Landwirtschaft zu streiten«Urs Niggli
So weit die Theorie, die allerdings auch zeigt, dass die Versorgung gerade reicht, aber eben auch nicht mehr. Was fehlt, sind Reserven für unerwartete Zwischenfälle wie zum Beispiel Missernten in einige Regionen. Da die Geschichte der Menschheit zeigt, dass sich solche Probleme nicht vermeiden lassen, sollten vermutlich Innovationen die Situation verbessern und die Nahrungsmittelversorgung stabilisieren.
Eine wichtige Rolle könnte dabei die Digitalisierung spielen, bei der die Biobauern eine Vorreiterrolle übernommen haben und besonders stark auf moderne Computertechnologien setzen. So nutzen viele bereits entsprechende Apps, um ihre Produkte effizient direkt zu vermarkten und auf diese Weise auch die Kosten und Preise der deutlich teureren Bioprodukte zu stabilisieren. In naher Zukunft könnten die riesigen Traktoren und Maschinen durch viel kleinere Roboter-Einheiten ersetzt werden, die sich selbst steuern.
Solche Maschinen erkennen Unkraut an der Form der Blätter und können so Tag und Nacht jäten, den Wasserbedarf der Pflanzen auf den Feldern messen und so die Wasserversorgung optimal steuern. Neigen sich die Energiereserven dem Ende zu, fahren diese Roboter die mit Solarzellen betriebene Ladestation automatisch an und tanken grünen Strom für die nächste vollautomatische Runde. Diese kleineren Maschinen haben einen weiteren Riesenvorteil: Sie verdichten den Boden weniger und halten ihn so gesund.
Digitalisierung und Gentechnik sollen es rausreißen
Neben der Digitalisierung dürfte nach Meinung von Urs Niggli in den nächsten 10 bis 15 Jahren eine weitere Technologie die Erträge der Bauern massiv verbessern und damit die Ernährungssicherheit weiter verbessern: Die gentechnischen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 dürften die Ressentiments gegen den Einsatz der Gentechnik auch in Europa schwinden lassen. Zwar kaum bei den Biobauern, denen einerseits die Richtlinien den Einsatz der Gentechnik strikt verbieten und die andererseits das Label »frei von Gentechnik« auch zur Abgrenzung gegenüber der konventionellen Landwirtschaft benötigen.
Im herkömmlichen Ackerbau aber wird die Gentechnik schon bald Weizensorten auf den Markt bringen, die gegen Mehltau resistent sind. Obstbäume mit Widerstandskräften gegen Apfelschorf werden folgen, denn solche Resistenzen vermeiden erhebliche Ernteausfälle und verbessern so ohne chemische Keule in Form von Pflanzenschutzmitteln die Erträge auf den vorhandenen Flächen enorm. »Wir sollten aufhören, über richtige und falsche Innovationen in der Landwirtschaft zu streiten, sondern unsere Kräfte auf das Ziel bündeln, die Menschheit gesund und nachhaltig zu ernähren«, meint Urs Niggli mit Blick auf die herkömmliche Landwirtschaft.
Um diese Entwicklung auf den Weg zu bringen, setzt der Schweizer Agrarforscher auch stark auf eine Änderung der Subventionen für die Landwirtschaft: »Statt wie bisher die Einkommen zu subventionieren, müssten wir zum Beispiel Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit, Klimaziele oder artgerechte Tierhaltung fördern, die in der Marktwirtschaft keinen Preis haben«, argumentiert Urs Niggli. Nur dann lohnt sich das Mähen einer Magerwiese, auf der eine große Artenvielfalt herrscht, obwohl der Futterwert viel geringer als auf einer stark gedüngten Wiese ist.
Genau diesen Weg hat am 6. Juli 2021 die Zukunftskommission Landwirtschaft als einstimmig von Vertretern der Landwirtschafts- und Naturschutzverbände, von Agrarforschern und Naturschutzwissenschaftlern verabschiedete Empfehlung der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen. Die Landwirtschaft könnte sich also auf den Weg in die Zukunft machen.
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