News: AIDS beeinflusst menschliche Evolution
Vermutlich – so spekulieren Wissenschaftler – beeinflussen auch Infektionskrankheiten mit epidemischen Ausmaßen die menschliche Evolution, indem sie Gene bevorzugen, welche die Sterblichkeit vor oder während der Fortpflanzungszeit verringern. Aber es gestaltet sich schwierig, derartige Theorien zu beweisen. Bislang ist in der Fachwelt lediglich der Zusammenhang zwischen der Infektionskrankheit Malaria und dem gehäuften Auftreten der Sichelzellanämie als Beispiel für eine natürliche Selektion anerkannt. Doch wie steht es mit AIDS? Fördert die Immunschwächekrankheit im Verlauf des nächsten Jahrhunderts ebenfalls bestimmte Genotypen, während sie andere "aussortiert"?
Um diese Frage zu beantworten, stellten Montgomery Slatkin und seine Kollegen von der University of California das "Schlüsselgen" CCR5 in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Bereits seit längerer Zeit ist bekannt, dass CCR5 für einen Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen codiert, an den das HI-Virus bindet, bevor es in die Zellen eindringt. Infolge von Mutationen, die den Rezeptor verändern oder zerstören, könnte das gefürchtete Virus die Abwehrzellen vielleicht nur noch erschwert oder gar nicht mehr infizieren. Laut früheren Forschungsergebnissen weisen einige Afrikaner ein modifiziertes CCR5-Gen auf, das sie zwei bis vier Jahre eher an AIDS erkranken lässt, während andere Bewohner des Schwarzen Kontinents eine andere Mutation desselben Gens zeigen, das die Krankheitssymptome um zwei bis vier Jahre verzögert.
Anhand von Geburts- und Todesraten in Südafrika in den 80iger Jahren sowie standardepidemiologischen und populationsgenetischen Modellen simulierten die Wissenschaftler die zukünftige Entwicklung: Über einen Zeitraum von 100 Jahren wird die Häufigkeit des veränderten CCR5-Gens, das seinem Träger eine größere Resistenz gegenüber dem AIDS-Erreger verleiht, von 40 auf über 50 Prozent in der Bevölkerung ansteigen. Hingegen wird das Auftreten der Genmutation, welche die Menschen empfindlicher macht, von 20 auf 10 Prozent in der Population abnehmen.
Somit wird über einen Zeitraum von mehreren Generationen eine natürliche Selektion zugunsten der Gen-Variante stattfinden, welche die Zeit bis zum Ausbruch der Krankheit verlängert. Die Häufigkeit, mit der die Genveränderungen auftreten, verschiebt sich deshalb, weil die Infizierten mit der längeren Latenzzeit – der Zeit zwischen der Infektion und dem Ausbruch der Krankheit – 10 bis 20 Prozent mehr Nachkommen zeugen können als die Mutationsträger, die früh erkranken. Das macht in der Summe über ein zusätzliches Kind pro Person aus.
"Die natürliche Selektion im Fall von AIDS in Afrika ist vergleichbar stark wie die Auslese durch Malaria, die das Gen für Sichelzellanämie förderte. Das überraschte uns", betont Slatkin. Interessanterweise findet sich eine weitere Mutation des CCR5-Gens, genannt delta-32, bei Nordeuropäern, aber selten bei Afrikanern. Eine Person, die zwei Kopien dieses veränderten Gens besitzt, ist anscheinend völlig resistent gegenüber einer HIV-Infektion. Vermutlich – so spekuliert Slatkin – hat sich diese Variante in Nordeuropa in den letzten 700 Jahren ebenfalls infolge einer epidemischen Krankheit durchgesetzt, die einen ähnlichen selektiven Druck wie Malaria oder AIDS ausübte.
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