Zoologie: Aktiv im Leben
Bei der Kür des skurrilsten aller Säugetiere erreichen Faultiere dank einiger bizarrer Details mit Leichtigkeit einen der vorderen Plätze. Und dabei wird der merkwürdige Baumwipfelbewohner auch noch unterschätzt, wie ein Vogelkundlerteam enthüllt.
Der beliebteste Reiseführer für Rucksackreisende hat für besonders gestresste Traveller in Südamerika den ultimativen Entspannungstipp, um zwischen Anden-Trecking und Dschungeltrip einmal wirklich runter zu kommen: Faultier-Watching in der Großstadt. Ort des Nichtgeschehens wäre die Plaza Mayor der bolivianischen Tieflandmetropole Santa Cruz – dort hängen semi-wildlebende Faultiere in den Bäumen über Bänken, auf denen sich, stünden sie in Europa, Tauben fütternde Rentner einfinden würden. Faultier-Watching ist wunderbar ereignisarm: Die Tiere hängen fast immer einfach so herum, ganz gelegentlich verschieben sie sich auch zentimeterweise mühsam in eine noch bequemere Stellung. Und tun dann erstmal nichts, zur Erholung.
Die vielleicht beste Beschreibung des Faultierverhaltens gelang dem offenbar sehr geduldig beobachtenden und zudem biologisch versierten Romanautor Yann Martel. Er streift dabei unter anderem die Einordnung der Faultiere in eine real existierende, allgemeingültige zoologische Sinnesaktivierbarkeitsskala, die von 2 (ungewöhnliche Stumpfheit gegenüber allen weltlichen Dingen) bis 10 (hektische Über-Überreizbarkeit) reicht [1]. Der optische, akustische, geschmackliche und haptische Sinn der Faultiere liegt demnach bei 2, der Geruchssinn bei 3.
Soweit die biologisch-literarische Zusammenfassung, die jeder, der einmal das Erlebnis Faultier-Watching in Bolivien oder dem nächsten Zoo ernsthaft angestrengt hat, für realistisch halten wird. Und genau damit einen Fehler macht, wie nun Ergebnisse zeigen, die Niels Rattenborg und seine Kollegen zusammengetragen haben. Denn Faultiere, so die Quintessenz der Erkenntnis des Teams, sind im richtigen Leben ganz anders [2].
Rattenborg arbeitet am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen, was zunächst die Frage aufwirft, warum sich Vogelkundler mit schmutzig-pelzigen südamerikanischen Säugetieren beschäftigen. Tatsächlich arbeitet Rattenborgs Team aber im Schlaflabor und untersucht darin eine der Kernkompetenzen der trägen Baumkronen-Müßiggänger. Nun wollten die Wissenschaftler die ewig schläfrigen Tiere mit Tieren vergleichen, die aus Gewohnheit oder mangels Gelegenheit sehr selten Schlaf suchen oder finden – etwa den Vögeln während der Zugzeit.
Daten für derlei Vergleichsstudien zu sammeln, war bislang vor allem ein technisches Problem; man löste es, indem man die interessierenden Spezies einfing, sie an Geräte anschloss, die den Wachheitszustand penibel maßen – wie etwa einem Elektroenzephalografen –, und sie dann unter Laborbedingungen ihrer Müdigkeit überließ. Faultiere, so enthüllten derartige EEG-Studien, ratzen in Gefangenschaft dann knapp 16 der 24 Stunden eines Tages.
Die Forscher um Rattenborg benutzten nun aber einen neuartigen mobilen Miniaturrekorder und statteten drei wildlebende Dreizehenfaultier-Weibchen damit und mit einer EEG-Sensorenkappe aus – zudem erhielten die Tiere noch Bewegungs- und Beschleunigungsmelder und wurden dann wieder in die Freiheit des Waldes entlassen, wo ihre Aktionen über einen Zeitraum von mehreren Tagen telemetrisch verfolgt wurden. Viel tat sich dabei erwartungsgemäß nicht – die Daten der Schlafsensoren aber ließen die Forscher aufhorchen. Ihnen zufolge schliefen die Tiere in der Wipfelregion des Waldes nur durchschnittlich 9,63 Stunden pro Tag, deutlich weniger als vermutet.
Die Differenz erklären die Wissenschaftler sich zum einen damit, dass sie selbst nur erwachsene Tiere untersucht hatten – die früheren Schlaflabortests hatten auch jüngere Tiere beinhaltet, die womöglich per se höhere Schlafbedürfnisse befriedigen müssen. Ganz generell aber sei denkbar, dass Tiere in freier Wildbahn eben doch mit anderen Anforderungen kämpfen müssen, als an friedliche Gefangenschaft gewöhnte. Selbst Faultiere brauchen bestimmt ein wenig aktive Zeit, um gelegentlich Futter zu suchen oder vielleicht drohenden Gefahren auszuweichen.
Blieben am Ende nur noch zwei Fragen: Wie erkennen die Tiere überhaupt rechtzeitig eine sich nähernde Gefahr? Und wie wollen sie ihr dann entkommen? Gut, dass Faultiere die Meister der Tarnung sind – in ihrem feuchten Fell tummeln sich Algen, die dem Tier eine schmucke tarnenden Grünschattierung verleihen, der von den massig im Fell herumwuselnden Kleinstlebewesen zudem noch etwas verunscharft wird. Um unentdeckt zu bleiben, muss das Tier dann wohl nur noch das tun, was es wirklich gut kann: unbeweglich rumhängen – egal, ob es dabei schläft oder wacht.
Die vielleicht beste Beschreibung des Faultierverhaltens gelang dem offenbar sehr geduldig beobachtenden und zudem biologisch versierten Romanautor Yann Martel. Er streift dabei unter anderem die Einordnung der Faultiere in eine real existierende, allgemeingültige zoologische Sinnesaktivierbarkeitsskala, die von 2 (ungewöhnliche Stumpfheit gegenüber allen weltlichen Dingen) bis 10 (hektische Über-Überreizbarkeit) reicht [1]. Der optische, akustische, geschmackliche und haptische Sinn der Faultiere liegt demnach bei 2, der Geruchssinn bei 3.
Stoße man auf ein schlafendes Faultier, so Martel, dann könne man es mit zwei, drei Schubsern durchaus wecken, wonach das Tier sich erst einmal verschlafen in alle Richtungen umschauen würde, abgesehen von der, aus welcher der Stoß kam. Warum es sich überhaupt umblickt, bleibe allerdings unklar, da es ohnehin alles nur sehr verschwommen sehen kann. Bezüglich des Gehörs sei ein Faultier weniger taub, als an Geräuschen desinteressiert – ein Gewehrschuss neben dem Tier erregt kaum Reaktionen. Auch mit dem etwas besser entwickelte Geruchssinn der Tiere sei kaum zu prahlen: Er diene womöglich dazu, tote, abgestorbene Äste beim Klettern zu erkennen und zu meiden – leider aber fallen nach Beobachtungen des berühmten Neuroverhaltensforschers Theodore Bullock, einem bereits verstorbenen Emeritus der University of California in San Diego, Faultiere "häufig" aus dem Geäst, weil unter ihnen ein abgestorbener Ast bricht.
Soweit die biologisch-literarische Zusammenfassung, die jeder, der einmal das Erlebnis Faultier-Watching in Bolivien oder dem nächsten Zoo ernsthaft angestrengt hat, für realistisch halten wird. Und genau damit einen Fehler macht, wie nun Ergebnisse zeigen, die Niels Rattenborg und seine Kollegen zusammengetragen haben. Denn Faultiere, so die Quintessenz der Erkenntnis des Teams, sind im richtigen Leben ganz anders [2].
Rattenborg arbeitet am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen, was zunächst die Frage aufwirft, warum sich Vogelkundler mit schmutzig-pelzigen südamerikanischen Säugetieren beschäftigen. Tatsächlich arbeitet Rattenborgs Team aber im Schlaflabor und untersucht darin eine der Kernkompetenzen der trägen Baumkronen-Müßiggänger. Nun wollten die Wissenschaftler die ewig schläfrigen Tiere mit Tieren vergleichen, die aus Gewohnheit oder mangels Gelegenheit sehr selten Schlaf suchen oder finden – etwa den Vögeln während der Zugzeit.
Daten für derlei Vergleichsstudien zu sammeln, war bislang vor allem ein technisches Problem; man löste es, indem man die interessierenden Spezies einfing, sie an Geräte anschloss, die den Wachheitszustand penibel maßen – wie etwa einem Elektroenzephalografen –, und sie dann unter Laborbedingungen ihrer Müdigkeit überließ. Faultiere, so enthüllten derartige EEG-Studien, ratzen in Gefangenschaft dann knapp 16 der 24 Stunden eines Tages.
Die Forscher um Rattenborg benutzten nun aber einen neuartigen mobilen Miniaturrekorder und statteten drei wildlebende Dreizehenfaultier-Weibchen damit und mit einer EEG-Sensorenkappe aus – zudem erhielten die Tiere noch Bewegungs- und Beschleunigungsmelder und wurden dann wieder in die Freiheit des Waldes entlassen, wo ihre Aktionen über einen Zeitraum von mehreren Tagen telemetrisch verfolgt wurden. Viel tat sich dabei erwartungsgemäß nicht – die Daten der Schlafsensoren aber ließen die Forscher aufhorchen. Ihnen zufolge schliefen die Tiere in der Wipfelregion des Waldes nur durchschnittlich 9,63 Stunden pro Tag, deutlich weniger als vermutet.
Die Differenz erklären die Wissenschaftler sich zum einen damit, dass sie selbst nur erwachsene Tiere untersucht hatten – die früheren Schlaflabortests hatten auch jüngere Tiere beinhaltet, die womöglich per se höhere Schlafbedürfnisse befriedigen müssen. Ganz generell aber sei denkbar, dass Tiere in freier Wildbahn eben doch mit anderen Anforderungen kämpfen müssen, als an friedliche Gefangenschaft gewöhnte. Selbst Faultiere brauchen bestimmt ein wenig aktive Zeit, um gelegentlich Futter zu suchen oder vielleicht drohenden Gefahren auszuweichen.
Blieben am Ende nur noch zwei Fragen: Wie erkennen die Tiere überhaupt rechtzeitig eine sich nähernde Gefahr? Und wie wollen sie ihr dann entkommen? Gut, dass Faultiere die Meister der Tarnung sind – in ihrem feuchten Fell tummeln sich Algen, die dem Tier eine schmucke tarnenden Grünschattierung verleihen, der von den massig im Fell herumwuselnden Kleinstlebewesen zudem noch etwas verunscharft wird. Um unentdeckt zu bleiben, muss das Tier dann wohl nur noch das tun, was es wirklich gut kann: unbeweglich rumhängen – egal, ob es dabei schläft oder wacht.
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