Direkt zum Inhalt

Aktuelles Stichwort: Angst vor der Kernschmelze

Das schwere Erdbeben in Japan hat nicht nur unmittelbare Zerstörungen angerichtet und einen verheerenden Tsunami ausgelöst. Erstmals in der Geschichte sah sich die japanische Regierung genötigt, einen nuklearen Notstand auszulösen. Nach dem Ausfall von Kühlsystemen im Kernkraftwerk Fukushima I bleibt unklar, ob es zu einer Kernschmelze kam.
Fukushima I
In der Nähe der Stadt Fukushima im Nordosten der japanischen Hauptinsel Honshu befindet sich der größte Kernkraftwerkskomplex der Welt mit einer Gesamtleistung von 8800 Megawatt. Im Kernkraftwerk Fukushima I sind sechs Siedewasserreaktoren in Betrieb, in der zwölf Kilometer entfernten Anlage Fukushima II laufen vier weitere Reaktorblöcke dieser Bauart. Die Reaktoren befinden sich unmittelbar am Meer, aus dem sie ihr Kühlwasser beziehen.

Als das schwere Beben der Stärke 9,0 am 11. März die japanischen Inseln erschütterte, waren in Fukushima I drei Reaktorblöcke in Betrieb, wie japanische Behörden der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA mitteilten. Auf die Erdstöße reagierte das Sicherheitssystem mit dem sofortigen Abschalten der Reaktoren. Auch in Fukushima II und in anderen Kernkraftwerken des Landes schalteten sich die Reaktoren automatisch ab. Ein solches Schnellabschaltesystem gehört zu den grundlegenden Maßnahmen, die verhindern, dass ein Reaktor in einen gefährlichen Betriebszustand gerät. Es greift automatisch ein, unabhängig von den übrigen Mess-, Steuer- und Regelanlagen eines Reaktors.

Fukushima I | Luftaufnahme der Anlage aus dem Jahr 1975: Die Blöcke des Kernkraftwerks liegen direkt am Pazifik und beziehen von dort ihr Kühlwasser. Das schwere Erdbeben vom 11. März löste Tsunamis aus, die offensichtlich Teile des Kraftwerks fluteten und dadurch die Stromversorgung lahmlegten.
Nach einer Schnellabschaltung muss das Sicherheitssystem zudem dafür sorgen, dass die Nachwärme, die in den Kernbrennstäben durch den radioaktiven Zerfall weiterhin entsteht, zuverlässig abgeführt und ein eventuell entstandener Kühlwasserverlust ausgeglichen wird. Diese Nachwärme sinkt innerhalb von Sekunden auf etwa 10 Prozent der Gesamtleistung des Reaktorkerns und fällt nach einigen Stunden auf etwa 1 Prozent ab. Die Nachkühlsysteme müssen also langfristig in Betrieb bleiben, um eine Überhitzung zu vermeiden. Deshalb sind sie redundant ausgelegt, um auch bei Ausfall einer Pumpe, eines Stromaggregats oder einer anderen Komponente zuverlässig funktionieren zu können.

Das heftige Erdbeben führte jedoch dazu, dass das Kernkraftwerk Fukushima I von der Stromzufuhr von außen abgeschnitten wurde. In solchen Störfällen greift üblicherweise ein Notstromsystem aus Dieselgeneratoren ein. Doch der Tsunami, der kurz nach dem Beben mit bis zu zehn Meter hohen Wellen die Ostküste Japans erreichte, überspülte auch Teile des direkt am Meer gelegenen Kernkraftwerks und legte die Dieselgeneratoren lahm. In der Folge mussten allein Batterien den Betrieb des Nachkühlsystems aufrechterhalten. Betroffen von dieser Notfallsituation waren nach Angaben der IAEA die Reaktorblöcke 1 und 2 des Kernkraftwerks, die im Normalbetrieb eine Nettoleistung von 439 beziehungsweise 760 Megawatt haben.

Die Bedienungsmannschaften brachten zwar unverzüglich mobile Stromversorgungsgeräte an das betroffene Kernkraftwerk, doch fehlten offenbar die richtigen Kabel für ihren Anschluss. Durch die mangelnde Stromversorgung und den dadurch drohenden Ausfall der Kühlsysteme ist ein ernster Störfall eingetreten. Selbst eine Kernschmelze kann nicht ausgeschlossen werden. Steigt nämlich die Temperatur der Brennstäbe zu sehr an, kann das sie umhüllende Material mit Wasserdampf reagieren und zu einer exothermen Reaktion führen, welche die Temperatur weiter ansteigen lässt. Wird der Schmelzpunkt des Hüllenmaterials erreicht, reagiert dieses verstärkt mit dem Kernbrennstoff. Die stützende Wirkung der Brennstabhülle ist nun nicht mehr gegeben, der Kernbrennstoff zerbröselt und fällt nach unten in den Reaktorbehälter. Welche Auswirkungen dies auf den Zustand des Reaktors hat und wie stark das Risiko für eine Freisetzung radioaktiven Materials ist, lässt sich nicht absehen. Nun soll auch Meerwasser zu Kühlzwecken genutzt werden.

Nachdem der Druck im Innern des Reaktorblocks 1 auf das anderthalbfache des normalen Wertes angestiegen war, wurde ein Teil des Überdrucks durch Ventile abgelassen. Am Sonntag wurde dies auch bei Reaktorblock 3 notwendig. Dabei entweicht radioaktiver Dampf in die Umwelt. In der Umgebung des Kernkraftwerks maßen die Behörden bereits erhöhte Werte von radioaktivem Zäsium: Sie liege um das Achtfache über dem Normalwert, teilte der japanische Premierminister Naoto Kan der Presse mit. In einem Kontrollraum des Kernkraftwerks soll er sogar schon das Tausendfache des Normalwerts überschritten haben, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo mit Hinweis auf offizielle Angaben. Zwischenzeitlich waren die Messwerte aber nach Regierungsangaben wieder gesunken.

Bei einer Explosion nahe des Kernkraftwerks Fukushima I sind offenbar Teile der Gebäudehülle des Reaktors 1 weggebrochen, wie Aufnahmen im Fernsehen zeigen. Es wurde offensichtlich die Außenhülle des Reaktors abgesprengt. Die japanische Atomenergiebehörde erklärte jedoch, die Explosion habe sich nicht im Kernkraftwerk selbst ereignet und die innere Reaktorhülle mit den Brennstäben sei intakt.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.