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Moderne Lebensmodelle: Wer keine Kinder möchte, wird kritisch beäugt

Freiwillige Kinderlosigkeit nimmt in Europa zu. Manche sehen das ungern – vor allem religiöse Menschen, Ältere und Männer.
Eine Person mit lockigem, rötlichem Haar steht vor einem blauen Hintergrund und schaut direkt in die Kamera. Ein Glaszylinder ist vor ihrem Gesicht platziert, wodurch die linke Gesichtshälfte verzerrt erscheint. Die Person trägt ein olivgrünes Oberteil und hat einen Nasenring.
»Wann ist es denn bei dir so weit?« Ab 30 bekommt man diese Frage oft zu hören.

Immer mehr Menschen wollen keine Kinder – und das wird zunehmend akzeptiert. Allerdings nicht von allen. Das zeigt eine Studie, die Mitte März 2025 in der Fachzeitschrift »PLOS ONE« erschien. Ein internationales Team um die Sozialwissenschaftlerin Ivett Szalma vom Center for Social Sciences in Budapest hat untersucht, von welchen Faktoren die Einstellung gegenüber bewusst kinderfreien Menschen abhängt.

Die Forscherinnen analysierten dafür Daten aus 27 Ländern Europas, die schon in früheren Umfragen erhoben worden waren. Dabei erwies es sich als sinnvoll, zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden: der grundsätzlichen Missbilligung der Entscheidung gegen Kinder (»prescriptive attitude«) und der Sorge um negative Folgen des Neins zum Kind (»proscriptive attitude«).

Die Ergebnisse zeigen: In Ländern mit fortgeschrittener Gleichstellung der Geschlechter wie Schweden oder Norwegen ist freiwillige Kinderlosigkeit in beiden Aspekten deutlich akzeptierter. Das könnte – so Szalma und ihre Kolleginnen – daran liegen, dass Frauen dort weniger auf die Mutterrolle reduziert werden.

Nordische Länder waren neben den Niederlanden die Spitzenreiter im europäischen Vergleich: Dort stimmten zum Beispiel rund 90 Prozent der Befragten der Aussage zu, eine Frau brauche kein Kind, um erfüllt zu sein. Am wenigsten Verständnis für die Entscheidung gegen Kinder, sowohl bei Frauen als auch Männern, hatten Menschen in Estland, Lettland, Bulgarien und Ungarn. Hier fanden entsprechende Aussagen nur um die 20 Prozent Zustimmung.

In Staaten mit höherer Kinderlosigkeitsquote, darunter mit etwa 20 Prozent auch Deutschland, waren Befragte zwar eher überzeugt, dass man auch ohne eigene Nachkommen ein erfülltes Leben führen kann (proscriptive attitude). Die Erwartung, dass Menschen Kinder bekommen sollen (prescriptive attitude), war jedoch nicht unterdurchschnittlich verbreitet.

Wie religiös geprägt ein Land ist, etwa gemessen am Anteil der Kirchgänger, hatte keinen Einfluss auf die allgemeine Haltung zur Kinderlosigkeit. Die Einwohner traditionell katholischer Länder wie Polen oder Italien waren in dieser Frage also nicht per se konservativer. Ein Grund dafür könnte sein, dass auch dort viele nichtreligiöse Menschen leben, die die gesellschaftlichen Normen mit beeinflussen.

Die persönliche Religiosität des Einzelnen machte aber sehr wohl einen Unterschied: Wer sich selbst als gläubig bezeichnete, hatte mit höherer Wahrscheinlichkeit in beiden Aspekten eine kritische Einstellung gegenüber freiwillig Kinderlosen, egal ob er zum Beispiel in Schweden oder in Italien lebte.

Auch soziodemografische Merkmale spielen offenbar eine Rolle: Höher gebildete Menschen befürworteten kinderfreie Lebensmodelle eher. Auch Frauen tendierten in der Befragung dazu – womöglich weil ihnen die emotionalen, physischen und finanziellen Kosten von Elternschaft bewusster sind als Männern.

Ein weiterer Befund: Während der Beschäftigungsstatus keine Rolle spielte, äußerten sich Rentnerinnen und Rentner besonders kritisch gegenüber der Entscheidung, keine Kinder zu bekommen. Jüngere Befragte zeigten insgesamt mehr Akzeptanz als ältere. Das deutet laut den Autorinnen auf einen Wertewandel der Generationen hin – weg von der Familienorientierung hin zu Selbstverwirklichung und Autonomie.

Eine 2021 erschienene Studie aus den USA hat ebenfalls ergeben, dass Eltern und ungewollt Kinderlose freiwillig Kinderlosen tendenziell kühler gegenüberstehen. Allerdings zeigte die Untersuchung auch, dass Menschen, die keinen Nachwuchs wollten, nicht mehr oder weniger zufrieden mit ihrem Leben waren als andere. Von der Entscheidung für oder gegen ein Kind hängt demnach nicht alles ab: Man kann mit und ohne glücklich werden.

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  • Quellen

Szalma, I. et al.: Measuring attitudes towards voluntary childlessness. Indicators in European comparative surveys. PLOS ONE 20, 2025

Watling Neal, J., Neal, Z. P.: Prevalence and characteristics of childfree adults in Michigan (USA). PLOS ONE 16, 2021

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