Spektroskopie: Alle Farben des Polarlichts
Im Mai 2024 zeigte sich die bisher größte Aktivitätsregion des aktuellen 25. Aktivitätszyklus auf der Sonne. In den Tagen um den 7. Mai befand sie sich beinahe zentral auf der Sonnenscheibe (siehe »Eine besonders aktive Region«). Sie produzierte eine Reihe intensiver Strahlungsausbrüche (englisch: flares) mit koronalen Massenauswürfen (englisch: coronal mass ejections, CMEs): Wolken aus energiereichen elektrisch geladenen Teilchen, die sich durch den interplanetaren Raum ausbreiteten und das Erdmagnetfeld in Unruhe versetzten. In der Folge dieser starken geomagnetischen Stürme traten Polarlichter auf, die sogar über Südeuropa sichtbar waren.
Am 10. Mai 2024 trat auf der Sonne ein Flare der intensivsten Kategorie X auf. Dieses als X 4 klassifizierte Ereignis war eine der heftigsten Eruptionen des gegenwärtigen Aktivitätszyklus. Die darauffolgenden CMEs breiteten sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in Richtung Erde aus, was zur Vorhersage eines geomagnetischen Sturms der höchsten Stufe (G 5) in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai führte. Amateurastronomen weltweit waren auf mögliche Polarlichterscheinungen vorbereitet – so auch wir.
Und tatsächlich ging es kurz vor Mitternacht los: Fast der gesamte Himmel begann zu leuchten. In Richtung Norden und über den Zenit hinaus, zum Teil bis in nur 30 Grad über den Südhorizont, zeigten sich veränderliche Steifen und Bänder in zartem Grün, Blauviolett und Rot. Zudem waren im Süden grüne Flecken sichtbar, sofern von einem dunklen Ort aus beobachtet wurde. Insbesondere auf dem Kameradisplay ließ sich das Farbenspiel intensiv verfolgen und legte kurze Belichtungszeiten bei hoher ISO-Zahl und offener Blende nahe, um die sich rasch ändernden Streifen möglichst scharf abbilden zu können (siehe »Farbiger Vorhang«).
Besonders spannend ist aber der Blick auf das Polarlicht durch ein Spektroskop. Das visuelle Spektrum der Leuchterscheinung ist dabei, wie beschrieben, durch die Farben Violett, Blau, Grün und Rot bestimmt. Es handelt sich um ein Emissionslinienspektrum. Hierbei liegt also keine über alle Wellenlängen verteilte kontinuierliche Energieverteilung vor, wie etwa bei einem Sternspektrum; vielmehr wird das Licht bei bestimmten Wellenlängen in Linien ausgestrahlt, die für die beteiligten chemischen Elemente und Moleküle charakteristisch sind. Die Emissionslinien des Polarlichtspektrums entstehen durch die Anregung von atomarem Stickstoff (N), molekularem Stickstoff (N2) und atomarem Sauerstoff (O). Die hierfür benötigte Energie entstammt dem starken Sonnenwind und geht auf die koronalen Massenauswürfe zurück.
Mit Hilfe eines Gitterspektrografen konnten wir ein Spektrum des Polarlichts mit einer spektralen Auflösung von 300 Linien pro Millimeter gewinnen (siehe »Der Regenbogen des Polarlichts«). Betrachtet wurde dabei der Himmelshintergrund, also gerade jenes Signal, das bei der herkömmlichen Spektroskopie eines bestimmten Objekts subtrahiert wird. Unser Teleskop zielte zur Zeit der Beobachtung in Richtung Süden. Trotz des kleinen Blickfelds ist das gewonnene Spektrum aber repräsentativ für das Polarlicht, weil sich dessen Leuchten nahezu über den gesamten Himmel erstreckte.
Der Spektralverlauf zeigt die Emissionslinien als scharfe Peaks, deren Wellenlängen sich wie folgt zuordnen lassen: N2+ emittiert bei den Wellenlängen 391,4, 423,6, 427,8, 465,2 und 470,9 Nanometer. N2 emittiert bei 399,7 und 405,8 Nanometern, N I bei 520,0 Nanometern und O I bei 557,7, 630,0 sowie bei 636,4 Nanometern. Die Sauerstofflinie bei 557,7 Nanometern ist auch ohne Polarlicht typischerweise in Spektren präsent. Beim Polarlichtspektrum wurde störendes Licht, das am Beobachtungsort auftritt, entfernt; man erkennt noch kleine restliche Peaks der Energiesparlampen der Nachbarschaft, etwa bei 546 und 611 Nanometern.
Schöner als diese nüchternen Zahlenangaben und der Profilverlauf ist aber der Farbverlauf, der sich aus der gemessenen Intensität pro Wellenlänge synthetisieren lässt. Die hellen Streifen im Farbverlauf markieren die hellen Emissionslinien. Die stärkste Emission liegt im orangeroten Spektralbereich; sie geht auf neutrale Sauerstoffatome zurück (O I).
Einfach ionisierte Sauerstoffatome (O II) liefern keinen Beitrag. In Modellrechnungen wird dies damit begründet, dass O II-Atome Elektronen einfangen und auf diese Weise zu O- I-Atomen kombinieren. Dem einfach ionisierten Stickstoff (N II) wird in Polarlichtern oft eine Emissionslinie bei 500,1 Nanometern zugeordnet. Diese zeigt sich im gemessenen Spektrum nicht.
Ganz am linken Rand, also im violetten und im blauen Spektralbereich, emittiert das Stickstoffmolekül – einmal neutral (N I) und einmal einfach ionisiert (N II). Die entsprechenden Linien erscheinen im Spektrum nicht scharf begrenzt, da durch die beiden Atome des N2-Moleküls energetisch dicht beieinanderliegende zusätzliche Übergänge mitwirken: Das Molekül kann um eine Achse rotieren und entlang der Verbindungslinie der beiden Atome schwingen. Zwischen unterschiedlichen Rotations- und Schwingungszuständen sind zahlreiche Übergänge möglich, wodurch im Spektrum statt einer einzigen Linie ein breiter Linienverbund entsteht: Rotations- und Schwingungsbanden. – So offenbart unser Polarlichtspektrum eine gänzlich eigene Ästhetik, die hoffentlich die Freude vermittelt, die jeder von uns in dieser außergewöhnlichen Mainacht empfand.
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