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Spektroskopie: Alle Farben des Polarlichts

Polarlichter sind über Mitteleuropa nicht häufig zu sehen. Noch viel seltener gelingt es, ein Spektrum dieser flüchtigen Erscheinungen aufzunehmen. Doch in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2024 war es so weit: Amateurastronomen nutzten die Chance, das Leuchten in seine Spektralfarben zu zerlegen.
Polarlichter über dem Bergischen Land
Zu Zeiten hoher Sonnenaktivität können über Mitteleuropa Polarlichter sichtbar werden.

Im Mai 2024 zeigte sich die bisher größte Aktivitätsregion des aktuellen 25. Aktivitätszyklus auf der Sonne. In den Tagen um den 7. Mai befand sie sich beinahe zentral auf der Sonnenscheibe (siehe »Eine besonders aktive Region«). Sie produzierte eine Reihe intensiver Strahlungsausbrüche (englisch: flares) mit koronalen Massenauswürfen (englisch: coronal mass ejections, CMEs): Wolken aus energiereichen elektrisch geladenen Teilchen, die sich durch den interplanetaren Raum ausbreiteten und das Erdmagnetfeld in Unruhe versetzten. In der Folge dieser starken geomagnetischen Stürme traten Polarlichter auf, die sogar über Südeuropa sichtbar waren.

Eine besonders aktive Region | Das solare Aktivitätsgebiet AR 3664, von dem intensive Flares und koronale Materieauswürfe ausgingen, tritt in dieser Aufnahme vom 10. Mai 2024 deutlich hervor. Rainer Sparenberg fotografierte die Sonne um 09:55 Uhr MESZ im Licht der H-alpha-Linie mit einer Kamera vom Typ QHY 268MM und einem Luminanzfilter an einem Teleskop Coronado SolarMax II mit 90 Millimeter Öffnung und 800 Millimeter Brennweite. Die spektrale Bandbreite beträgt 0,7 Ångström (1 Å = 10–10 Meter = 1/10 Nanometer). Von 2000 Aufnahmen wurden die 200 besten zu diesem Bild kombiniert.

Am 10. Mai 2024 trat auf der Sonne ein Flare der intensivsten Kategorie X auf. Dieses als X 4 klassifizierte Ereignis war eine der heftigsten Eruptionen des gegenwärtigen Aktivitätszyklus. Die darauffolgenden CMEs breiteten sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in Richtung Erde aus, was zur Vorhersage eines geomagnetischen Sturms der höchsten Stufe (G 5) in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai führte. Amateurastronomen weltweit waren auf mögliche Polarlichterscheinungen vorbereitet – so auch wir.

Und tatsächlich ging es kurz vor Mitternacht los: Fast der gesamte Himmel begann zu leuchten. In Richtung Norden und über den Zenit hinaus, zum Teil bis in nur 30 Grad über den Südhorizont, zeigten sich veränderliche Steifen und Bänder in zartem Grün, Blauviolett und Rot. Zudem waren im Süden grüne Flecken sichtbar, sofern von einem dunklen Ort aus beobachtet wurde. Insbesondere auf dem Kameradisplay ließ sich das Farbenspiel intensiv verfolgen und legte kurze Belichtungszeiten bei hoher ISO-Zahl und offener Blende nahe, um die sich rasch ändernden Streifen möglichst scharf abbilden zu können (siehe »Farbiger Vorhang«).

Farbiger Vorhang | Sechs Aufnahmen im Hochkantformat waren erforderlich, um die Polarlichterscheinungen vom 11. Mai 2024 als Panorama darzustellen. Das mit Hilfe der Software PTGui zusammengesetzte Bild zeigt den Polarlichtvorhang in 180 Grad Breite um 00:36 Uhr MESZ am Heckberg in Much im Bergischen Land. Belichtet wurde 6 × 2,5 Sekunden mit einer Canon EOS R6 Mark II und einem Objektiv vom Typ Sigma 20mm bei Blende 4 und ISO 3200.

Besonders spannend ist aber der Blick auf das Polarlicht durch ein Spektroskop. Das visuelle Spektrum der Leuchterscheinung ist dabei, wie beschrieben, durch die Farben Violett, Blau, Grün und Rot bestimmt. Es handelt sich um ein Emissionslinienspektrum. Hierbei liegt also keine über alle Wellenlängen verteilte kontinuierliche Energieverteilung vor, wie etwa bei einem Sternspektrum; vielmehr wird das Licht bei bestimmten Wellenlängen in Linien ausgestrahlt, die für die beteiligten chemischen Elemente und Moleküle charakteristisch sind. Die Emissionslinien des Polarlichtspektrums entstehen durch die Anregung von atomarem Stickstoff (N), molekularem Stickstoff (N2) und atomarem Sauerstoff (O). Die hierfür benötigte Energie entstammt dem starken Sonnenwind und geht auf die koronalen Massenauswürfe zurück.

Mit Hilfe eines Gitterspektrografen konnten wir ein Spektrum des Polarlichts mit einer spektralen Auflösung von 300 Linien pro Millimeter gewinnen (siehe »Der Regenbogen des Polarlichts«). Betrachtet wurde dabei der Himmelshintergrund, also gerade jenes Signal, das bei der herkömmlichen Spektroskopie eines bestimmten Objekts subtrahiert wird. Unser Teleskop zielte zur Zeit der Beobachtung in Richtung Süden. Trotz des kleinen Blickfelds ist das gewonnene Spektrum aber repräsentativ für das Polarlicht, weil sich dessen Leuchten nahezu über den gesamten Himmel erstreckte.

Der Regenbogen des Polarlichts | Zahlreiche Emissionslinien von neutralem Sauerstoff (O I), molekularem Stickstoff (N2) und ionisiertem molekularem Stickstoff (N2+) prägen das Polarlichtspektrum, das hier als Farbverlauf (oben) und als Profil (unten) dargestellt ist. Die Aufnahme erfolgte in Rimbach im Odenwald mit einer CMOS-Kamera vom Typ Touptek 533 in Verbindung mit einem LISA-Spektrografen an einem 14-Zoll-Reflektor. Belichtet wurde 60 Minuten über den Wechsel vom 10. zum 11. Mai 2024.

Der Spektralverlauf zeigt die Emissionslinien als scharfe Peaks, deren Wellenlängen sich wie folgt zuordnen lassen: N2+ emittiert bei den Wellenlängen 391,4, 423,6, 427,8, 465,2 und 470,9 Nanometer. N2 emittiert bei 399,7 und 405,8 Nanometern, N I bei 520,0 Nanometern und O I bei 557,7, 630,0 sowie bei 636,4 Nanometern. Die Sauerstofflinie bei 557,7 Nanometern ist auch ohne Polarlicht typischerweise in Spektren präsent. Beim Polarlichtspektrum wurde störendes Licht, das am Beobachtungsort auftritt, entfernt; man erkennt noch kleine restliche Peaks der Energiesparlampen der Nachbarschaft, etwa bei 546 und 611 Nanometern.

Schöner als diese nüchternen Zahlenangaben und der Profilverlauf ist aber der Farbverlauf, der sich aus der gemessenen Intensität pro Wellenlänge synthetisieren lässt. Die hellen Streifen im Farbverlauf markieren die hellen Emissionslinien. Die stärkste Emission liegt im orangeroten Spektralbereich; sie geht auf neutrale Sauerstoffatome zurück (O I).

Einfach ionisierte Sauerstoffatome (O II) liefern keinen Beitrag. In Modellrechnungen wird dies damit begründet, dass O II-Atome Elektronen einfangen und auf diese Weise zu O- I-Atomen kombinieren. Dem einfach ionisierten Stickstoff (N II) wird in Polarlichtern oft eine Emissionslinie bei 500,1 Nanometern zugeordnet. Diese zeigt sich im gemessenen Spektrum nicht.

Ganz am linken Rand, also im violetten und im blauen Spektralbereich, emittiert das Stickstoffmolekül – einmal neutral (N I) und einmal einfach ionisiert (N II). Die entsprechenden Linien erscheinen im Spektrum nicht scharf begrenzt, da durch die beiden Atome des N2-Moleküls energetisch dicht beieinanderliegende zusätzliche Übergänge mitwirken: Das Molekül kann um eine Achse rotieren und entlang der Verbindungslinie der beiden Atome schwingen. Zwischen unterschiedlichen Rotations- und Schwingungszuständen sind zahlreiche Übergänge möglich, wodurch im Spektrum statt einer einzigen Linie ein breiter Linienverbund entsteht: Rotations- und Schwingungsbanden. – So offenbart unser Polarlichtspektrum eine gänzlich eigene Ästhetik, die hoffentlich die Freude vermittelt, die jeder von uns in dieser außergewöhnlichen Mainacht empfand.

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  • Quellen

Literaturhinweise

Hunnekuhl, M.: Wie der Sonnenwind weht. Teil 1: Der solare Ursprung geomagnetischer Stürme. Sterne und Weltraum 2/2014, S. 72 – 82

Hunnekuhl, M.: Wie der Sonnenwind weht. Teil 2: Geomagnetische Stürme und Polarlichter. Sterne und Weltraum 3/2014, S. 70  – 79

Schröder, K.-P.: Die trügerische Ruhe der Sonne. Sterne und Weltraum 5/2020, S. 38 – 47

Schröder, K.-P.: Sonnenaktivität auf Höhenflug. Sterne und Weltraum 8/2024, S. 58 – 60

Seip, S.: Tipps vom Profi: Polarlicher richtig fotografieren. Sterne und Weltraum 3/2022, S. 68 – 79

Sparenberg, R.: Himmelspanoramen selbst fotografieren. Sterne und Weltraum 4/2017, S. 62 – 69

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