Jahresrückblick: Alle Jahre wieder
Auch im Jahr 2007 haben Biologen und Mediziner Wissenslücken geschlossen - viel wichtiger bleibt aber wohl, dass lückenhaftes Wissen nicht davon abhält, abseitige Wege einzuschlagen und ausgetretene zu verlassen. Nicht nur in der Stammzellforschung wurde mit Fortschritten belohnt, wer auch Umwege ausprobiert hat, die für andere nur Sackgassen waren.
Die Suche nach dem medizinisch-biologischen Topthema des Jahres 2007 sollte man nicht zu pfiffig angehen – es ist das gleiche wie in den vergangenen zwei Jahren, die Stammzellforschung. Sie gleicht weiter einer atemlosen Achterbahnfahrt: Nach dem Looping der Jahre 2004 und 2005 – der sensationell hochfliegende "erste menschliche Klon" entpuppte sich als Fälschung und sorgte für einen jähen Absturz und flaue Gefühle im Magen – kämpfte der ganze Forschungszweig mitsamt der etablierten wissenschaftlichen Publikationspraxis und ihrer diskreditierten Kontrollmechanismen zunächst nur darum, nicht völlig zu entgleisen.
Erschwert wurde dies, weil traditionell von allen Seiten gesellschaftliche Kräfte auf den schlingernden Wagen einwirken, um ihn zu stoppen, anzuschieben oder umzuleiten. Genau das aber sorgt nun offenbar für den wohl eigentlichen Fortschritt des Jahres: Man begann noch ernsthafter und auch mit ersten Erfolgen alle Schieber, Bremser und Drängler unter einen Hut zu bekommen und nach gesamtgesellschaftlich und ethisch konsensfähigen Alternativen zur "verbrauchenden Embryonenforschung" zu suchen.
Alleskönnerzellen, selbstgebraut
Vielleicht aber, so die spannendste Erkenntnis, muss man zelluläre Alleskönner gar nicht mühsam im Gewebe suchen, finden und herausmanipulieren – sondern kann sie mit verblüffend simplen biochemischen Tricks aus ganz normalen Körperzellen passend und am Fließband herstellen. Dass dies mit der Hilfe von nur vier der Zelle zugesetzten Eiweiß-Signalgebern gelingt, war an Mäusen schon vor einiger Zeit gezeigt worden.
In den zurückliegenden Monaten belegten nun Forscher, dass solche "neugestarteten" Körperzellen zu gesunden Embryonen und schließlich gesunden Mäusen heranwachsen können. Zweifel, dass dieser "Königsweg zur ethischen Stammzelle" mit menschlichen Zellen nicht funktioniert, widerlegten dann schließlich im November gleich zwei Arbeitsgruppen, die zeitgleich erfolgreich so genannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) aus adulten menschlichen Zellen herstellen konnten.
Damit liegt also ein verhältnismäßig einfaches Rezept vor, um Körperzellen wieder in einen Embryonalzustand zurückzuversetzen. Und auch wenn "es noch Jahre dauert, bis wir diese Zellen wirklich so gut verstehen wie embryonale Stammzellen", so beteiligte Forscher – ein gangbarer Weg ist aufgezeigt.
Und die praktische Bedeutung von Stammzelltherapien für Patienten? Da sind Ärzte längst nicht dort, wo sie hinwollen, auch wenn immerhin klinische Erfolge zu verzeichnen waren: Verschiedene Stammzelltypen hemmten etwa in ersten Studien den Krankheitsverlauf bei Diabetikern, linderten bei Mäusen Sichelzellanämie und verbesserten die Gedächtnisleistung von dementen Nagern.
Allerdings ist 2007 auch deutlicher als zuvor belegt worden, dass Tierversuche nicht zwanglos auf den Menschen übertragen werden können. Schon Labormauslinien sind oft genetisch extrem unterschiedlich, zeigten Forscher Ende Juli – und an nur einer Zuchtlinie gewonnene Erkenntnisse womöglich schon bei einem anderen Maustyp nicht tragfähig.
Bruder Mensch
Auch Affen und Menschen unterscheiden sich übrigens – ein durchaus angebrachter Hinweis angesichts der vielen Untersuchungen, welche die Leistungen von Schimpanse und Co mit "typisch menschlichen" gleichsetzten. Kurz eine Auswahl der Erkenntnisse: Affen können Kopfrechnen – angeblich fast so gut wie US-amerikanische College-Studenten –, sind in der Gruppe mal altruistisch, mal eigensinnig sowie, als Männchen, brutal beim Unterdrücken unerwünschter weiblicher Promiskuität und spendabel beim Entlohnen weiblichen sexuellen Entgegenkommens. Schimpansen-Weibchen töten dafür fremde Jungtiere, um die eigenen Gene in der Gruppe durchzusetzen.
Kronen der Schöpfung
Zusammengenommen verraten die gesammelten Affen-Erkenntnisse 2007 wohl weniger über die untersuchten als über die untersuchenden Primaten: Homo sapiens ist offensichtlich ziemlich selbstverliebt von eigenen Leistungen berauscht. Dem könnten viele wahrlich unmenschliche Fähigkeiten entgegengesetzt werden, die in diesem Jahr Forschungsgegenstand waren.
Kleinere Tiere sind olfaktorisch indes kaum weniger findig: Hörnchen etwa knabbern an der Haut ihrer Klapperschlangen-Todfeinde, um sich in ihrem Duft zu maskieren. Ziesel machen es anders: Sie wedeln mit ihrem gesträubten, extra gewärmten Puschelschwanz, um in den Infrarotaugen ihrer Schlangen-Feinde groß und gefährlich zu erscheinen.
Genetische Sammelwut
Noch einmal kurz zurück zum Dickhäuter: Die indische Variante der Elefanten ist näher mit den ausgestorbenen Wollhaarmammuts als den afrikanischen Elefanten verwandt – ein Resultat einer der vielen Erbgut-Sequenzvergleiche des Jahres, in den auch das älteste bislang überhaupt isolierte Genmaterial aus Mitochondrien einging. Gewonnen wurde sie aus dem Zahn eines vor vielleicht 130 000 Jahren gestorbenen Mastodons.
Das Wissenschaftsmagazin Science krönt in diesem Zusammenhang als Jahres-Topthema des Fachgebietes die "individuellen Unterschiede menschlicher Gene". Auf diese hoben bahnbrechende Arbeiten zwar auch schon 2006 ab, aber vielleicht wollten die Science-Redakteure nicht schon wieder über Stammzellen-Durchbrüche berichten (nur Platz 2 ihrer Liste).
Genetiker identifizierten wie alle Jahre wieder außerdem die spezifischen Aufgaben vieler einzelner DNA-Sequenzen – etwa "das Gen für" die Körpergröße einzelner Menschen und verschiedener Hunderassen. Insgesamt ändert sich allerdings nichts an der Erkenntnis, dass an fast allem in der Biologie fast immer mehrere Faktoren beschäftigt sind.
Nieren und Viren
So waren medizinische Erfolge auch 2007 oft hart erkämpft – und manche dabei dennoch auch schon fast klinische Routine, wie die Transplantationsmedizin beweist. So stieß der nierenkranke Profi-Fußballer Ivan Klasnic im Januar eine Spenderniere ab, erhielt im März erfolgreich ein Ersatz-Ersatzorgan und schoss im Dezember wieder Tore in der Bundesliga. Der noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehaltene Heilungsverlauf macht auch weniger prominenten auf Spenderorgane wartende Patienten Hoffnung – und eine im April veröffentlichte Entscheidung des Deutschen Ethikrates umso nachvollziehbarer, die eine Organentnahme von bereitwilligen Spendern nach deren Tod bürokratisch erleichtern soll.
Das Thema Organspende blieb später wegen einer niederländischen Fernsehshow im Fokus der Öffentlichkeit, weil dort die öffentliche Versteigerung einer Spenderniere vor laufender Kamera angekündigt wurde – ein Bluff von TV-Machern. Drastische Öffentlichkeitsarbeit am Rande des Skandals ist eben letztes Mittel der Wahl, um ein wichtiges Thema als wahrgenommenes Thema zu behalten – je länger es diskutiert wird, desto mehr lässt die Aufmerksamkeit nach. Ein trauriges Paradebeispiel ist der Aids-Erreger: Selbst im aufgeklärten Deutschland hatten die HIV-Neuinfektionen einen neuen Höchststand erreicht – weit gehend unbemerkt.
Fragwürdig, schlampig, wirksam?
Wieder wurde auch zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht nur die Wirkstoffe in einer Studie penibel unter die Lupe genommen werden müssen, sondern auch das Studiendesign und die statistische Auswertung, um Misserfolgen bei mit hoher Erwartung getesteten Medikamentenkandidaten vorzubeugen. Was selbstverständlich klingt, ist nicht immer gute wissenschaftliche Publikations-Praxis, wie zwei Studien schon zu Beginn des Jahres nahe legten: Oft seien etwa die Teststudien zu möglichen neuen Krebsmedikamenten unzureichend. Zudem öffne nicht selten die Wahl unpassender statistischer Methoden der Manipulation von Ergebnissen Tür und Tor.
Manchmal, das allerdings ist 2007 erneut unzweifelhaft und statistisch korrekt nachgewiesen, ist aber auch ein nachgewiesener Nicht-Wirkstoff nachweislich wirksam bei der Bekämpfung realer Leiden – der Placebo-Effekt macht's möglich. Seine biochemische Grundlage ist 2007 als vermehrte Neurotransmitter-Ausschüttung im Nucleus accumbens des Gehirns entlarvt worden.
In diesem Zusammenhang böte sich zum Ende noch etwas Trost aus dem diesjährigen Sommerloch an: Nicht real, sondern allein gefühlt ist angeblich die Sucht nach Schokolade. Wobei das vielleicht doch eher im Auge des Betrachters liegt. Welches im Übrigen ohnehin eine unterschätzt große Rolle spielt, wie die Lust-und-Liebe-Forschung vor ein paar Monaten enthüllt hat: Von Frauen angestrahlte Männer werden von neutralen Beobachtern als attraktiver wahrgenommen, während die Männer die Blicke als seelenstreichelnde Belohnung verbuchen.
Unser Vorschlag für 2008 geht also an die Damenwelt: Nie war es leichter, die hässliche Welt zu verschönern. Ein Lächeln genügt.
Erschwert wurde dies, weil traditionell von allen Seiten gesellschaftliche Kräfte auf den schlingernden Wagen einwirken, um ihn zu stoppen, anzuschieben oder umzuleiten. Genau das aber sorgt nun offenbar für den wohl eigentlichen Fortschritt des Jahres: Man begann noch ernsthafter und auch mit ersten Erfolgen alle Schieber, Bremser und Drängler unter einen Hut zu bekommen und nach gesamtgesellschaftlich und ethisch konsensfähigen Alternativen zur "verbrauchenden Embryonenforschung" zu suchen.
Und das schon lange vor dem zurückliegenden Januar, in dem die erste einer ganzen Reihe ähnlicher Meldungen die Öffentlichkeit erreichte. Berichtet wurde darin über einen neuen Typus vielseitiger pluripotenter Zellen im Fruchtwasser von Schwangeren. Die Zellen könnten einmal die Vorteile der embryonalen Stammzellen ohne deren Nachteile haben – also zu maßgeschneiderten Wunderwaffen gegen Alzheimer, Krebs und Co werden, ohne das für ihre Gewinnung zunächst menschliche Embryonen zerstört werden müssen. Ähnliche mal mehr, mal weniger viel versprechende und womöglich in Zukunft einmal therapeutisch nützliche Stammzelltypen entdeckten Wissenschaftler 2007 außer im Fruchtwasser auch in der Riechschleimhaut von Ratten oder den Sehnen der Muskeln von Menschen sowie im Hodengewebe.
Alleskönnerzellen, selbstgebraut
Vielleicht aber, so die spannendste Erkenntnis, muss man zelluläre Alleskönner gar nicht mühsam im Gewebe suchen, finden und herausmanipulieren – sondern kann sie mit verblüffend simplen biochemischen Tricks aus ganz normalen Körperzellen passend und am Fließband herstellen. Dass dies mit der Hilfe von nur vier der Zelle zugesetzten Eiweiß-Signalgebern gelingt, war an Mäusen schon vor einiger Zeit gezeigt worden.
In den zurückliegenden Monaten belegten nun Forscher, dass solche "neugestarteten" Körperzellen zu gesunden Embryonen und schließlich gesunden Mäusen heranwachsen können. Zweifel, dass dieser "Königsweg zur ethischen Stammzelle" mit menschlichen Zellen nicht funktioniert, widerlegten dann schließlich im November gleich zwei Arbeitsgruppen, die zeitgleich erfolgreich so genannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) aus adulten menschlichen Zellen herstellen konnten.
Damit liegt also ein verhältnismäßig einfaches Rezept vor, um Körperzellen wieder in einen Embryonalzustand zurückzuversetzen. Und auch wenn "es noch Jahre dauert, bis wir diese Zellen wirklich so gut verstehen wie embryonale Stammzellen", so beteiligte Forscher – ein gangbarer Weg ist aufgezeigt.
Ohnehin scheinen einige frühe Rückschläge der Stammzellforscher mehr mit mangelnder Übung und fehlendem Knowhow zusammenzuhängen als mit prinzipiellen biologischen Grenzen, wie exemplarisch ein weiteres, ehemals für kaum erreichbar gehaltenes Resultat zeigte: der erste Klon eines Affen, aus dem eine individuelle embryonale Stammzelllinie des Spenders gewonnen werden konnte. Die Erfolgsquote war allerdings wenig beeindruckend: Nur zwei von 304 Versuchen gelangen. Nicht viel mehr als eine Machbarkeitsstudie also – die mit etwas Glück und weiteren Fortschritten bei der Reprogrammierung von Körperzellen aber vielleicht gar nicht mehr wiederholt oder perfektioniert werden muss.
Und die praktische Bedeutung von Stammzelltherapien für Patienten? Da sind Ärzte längst nicht dort, wo sie hinwollen, auch wenn immerhin klinische Erfolge zu verzeichnen waren: Verschiedene Stammzelltypen hemmten etwa in ersten Studien den Krankheitsverlauf bei Diabetikern, linderten bei Mäusen Sichelzellanämie und verbesserten die Gedächtnisleistung von dementen Nagern.
Allerdings ist 2007 auch deutlicher als zuvor belegt worden, dass Tierversuche nicht zwanglos auf den Menschen übertragen werden können. Schon Labormauslinien sind oft genetisch extrem unterschiedlich, zeigten Forscher Ende Juli – und an nur einer Zuchtlinie gewonnene Erkenntnisse womöglich schon bei einem anderen Maustyp nicht tragfähig.
Bruder Mensch
Auch Affen und Menschen unterscheiden sich übrigens – ein durchaus angebrachter Hinweis angesichts der vielen Untersuchungen, welche die Leistungen von Schimpanse und Co mit "typisch menschlichen" gleichsetzten. Kurz eine Auswahl der Erkenntnisse: Affen können Kopfrechnen – angeblich fast so gut wie US-amerikanische College-Studenten –, sind in der Gruppe mal altruistisch, mal eigensinnig sowie, als Männchen, brutal beim Unterdrücken unerwünschter weiblicher Promiskuität und spendabel beim Entlohnen weiblichen sexuellen Entgegenkommens. Schimpansen-Weibchen töten dafür fremde Jungtiere, um die eigenen Gene in der Gruppe durchzusetzen.
Ansonsten sind unsere nächsten Verwandten angeblich zwar rachsüchtig, aber nicht gehässig, bestreiken Gruppenaktivitäten wie auf Bahn- Gewerkschaftsbefehl nach einem guten Anlass zum Schmollen und kommunizieren in freier Wildbahn per Handzeichen. Ein Affe macht die wissenschaftlichen Exerzitien allerdings seit diesem Jahr nicht mehr mit – Washoe, die berühmteste aller Versuchsschimpansinnen, verstarb im September friedlich im Alter von geschätzt 42 Jahren. Sie galt als erstes nicht-menschliches Wesen, das mit einer menschlichen Sprache kommunizieren konnte, nachdem sie in den 1960er Jahren eine Gebärdensprache zu erlernen begann.
Kronen der Schöpfung
Zusammengenommen verraten die gesammelten Affen-Erkenntnisse 2007 wohl weniger über die untersuchten als über die untersuchenden Primaten: Homo sapiens ist offensichtlich ziemlich selbstverliebt von eigenen Leistungen berauscht. Dem könnten viele wahrlich unmenschliche Fähigkeiten entgegengesetzt werden, die in diesem Jahr Forschungsgegenstand waren.
Willkürlich dazu zwei Beispiele aus dem Feld der Aeronautik: Eine Pfuhlschnepfe namens "E7" pulverisierte alle bisher bekannten Rekorde im Nonstop-Flug mit einem per Senderüberwachung dokumentierten 11 500-Kilometer-Trip von Alaska nach Neuseeland. Ganz andere Anstrengungen musste dagegen einst Argentavis magnificens schon erbringen, um magere 500 Meter weit zu kommen: Siebzig Kilogramm wog der argentinische Koloss eines Vogels bei einer Flügelspannweite von sieben Metern. Computersimulationen erbrachten, dass der gigantische ausgestorbene Riesengeier nach einem Sprung von natürlichen Startrampen wohl kaum mehr als etwas kondoresque herumgleiten konnte – das allerdings bestimmt recht eindrucksvoll.
Das Tier mit der äußerlich imposantesten Nase, der Elefant, bewies indes interessierten Wissenschaftlern seine ungemein leistungsfähige Riechkompetenz. So erschnuppern auch völlig unerfahrene Tiere die subtilen Unterschiede im Geruch verschiedener Eingeborenenstämme an deren Kleidung – und reagieren auf den Duft der gewöhnlich jagenden Massai mit Flucht, während jener von ungefährlichen Viehzüchterstämmen sie eher kalt ließ. Kaum überraschend, dass die Dickhäuter ihren Geruchssinn auch dazu nutzen, einzelne Mitglieder ihrer Sippe und sogar ihren derzeitigen Aufenthaltsort laufend aktualisiert zu erschnuppern, um die Herde beisammen halten zu können.
Kleinere Tiere sind olfaktorisch indes kaum weniger findig: Hörnchen etwa knabbern an der Haut ihrer Klapperschlangen-Todfeinde, um sich in ihrem Duft zu maskieren. Ziesel machen es anders: Sie wedeln mit ihrem gesträubten, extra gewärmten Puschelschwanz, um in den Infrarotaugen ihrer Schlangen-Feinde groß und gefährlich zu erscheinen.
Genetische Sammelwut
Noch einmal kurz zurück zum Dickhäuter: Die indische Variante der Elefanten ist näher mit den ausgestorbenen Wollhaarmammuts als den afrikanischen Elefanten verwandt – ein Resultat einer der vielen Erbgut-Sequenzvergleiche des Jahres, in den auch das älteste bislang überhaupt isolierte Genmaterial aus Mitochondrien einging. Gewonnen wurde sie aus dem Zahn eines vor vielleicht 130 000 Jahren gestorbenen Mastodons.
Eine ganze Reihe von vollständig sequenzierten Genomen lebender Wesen vervollständigten 2007 die DNA-Bibliotheken der Genforscher. Sequenziert worden sind in diesem Jahr zum Beispiel die Katze, das erste Beuteltier, die zweite Stechmücke, alle zwölf Taufliegenspezies, ein Moos, die Gaumenfreude Wein, der Krankheitserreger Wuchereria und der Homo sapiens Craig Venter. Der bekannte Sequenzierungs-Pionier veröffentlichte seine eigenen Genabfolgen als "erstes individuelles Genom", an dem nun in Zukunft zwischenmenschliche Unterschiede festgemacht werden sollen.
Das Wissenschaftsmagazin Science krönt in diesem Zusammenhang als Jahres-Topthema des Fachgebietes die "individuellen Unterschiede menschlicher Gene". Auf diese hoben bahnbrechende Arbeiten zwar auch schon 2006 ab, aber vielleicht wollten die Science-Redakteure nicht schon wieder über Stammzellen-Durchbrüche berichten (nur Platz 2 ihrer Liste).
Genetiker identifizierten wie alle Jahre wieder außerdem die spezifischen Aufgaben vieler einzelner DNA-Sequenzen – etwa "das Gen für" die Körpergröße einzelner Menschen und verschiedener Hunderassen. Insgesamt ändert sich allerdings nichts an der Erkenntnis, dass an fast allem in der Biologie fast immer mehrere Faktoren beschäftigt sind.
Nieren und Viren
So waren medizinische Erfolge auch 2007 oft hart erkämpft – und manche dabei dennoch auch schon fast klinische Routine, wie die Transplantationsmedizin beweist. So stieß der nierenkranke Profi-Fußballer Ivan Klasnic im Januar eine Spenderniere ab, erhielt im März erfolgreich ein Ersatz-Ersatzorgan und schoss im Dezember wieder Tore in der Bundesliga. Der noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehaltene Heilungsverlauf macht auch weniger prominenten auf Spenderorgane wartende Patienten Hoffnung – und eine im April veröffentlichte Entscheidung des Deutschen Ethikrates umso nachvollziehbarer, die eine Organentnahme von bereitwilligen Spendern nach deren Tod bürokratisch erleichtern soll.
Das Thema Organspende blieb später wegen einer niederländischen Fernsehshow im Fokus der Öffentlichkeit, weil dort die öffentliche Versteigerung einer Spenderniere vor laufender Kamera angekündigt wurde – ein Bluff von TV-Machern. Drastische Öffentlichkeitsarbeit am Rande des Skandals ist eben letztes Mittel der Wahl, um ein wichtiges Thema als wahrgenommenes Thema zu behalten – je länger es diskutiert wird, desto mehr lässt die Aufmerksamkeit nach. Ein trauriges Paradebeispiel ist der Aids-Erreger: Selbst im aufgeklärten Deutschland hatten die HIV-Neuinfektionen einen neuen Höchststand erreicht – weit gehend unbemerkt.
Geforscht wird am HI-Virus indes weiterhin. Dabei enthüllten die Forscher etwa Neuigkeiten über die Infektionsbiologie des Virus, die Abwehrwaffen des Körpers und die Herkunft des Erregers. Bislang unbekannt war zum Beispiel, wie die Inhaltsstoffe der Samenflüssigkeit die Infektionsrate erhöhen, wie bestimmte Immunzellen und Enzyme HIV bekämpfen oder wie genau das Virus seinen Weg aus Afrika über die Karibik in die Industrieländer fand. Auch Hoffnungen mussten vorerst begraben werden – ein Erfolg versprechender Impfstoff versagte in klinischen Tests. Einige weitere Bekämpfungsansätze warten allerdings seit diesem Jahr auf ihre Chance, das Virus in die Schranken zu weisen.
Fragwürdig, schlampig, wirksam?
Wieder wurde auch zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht nur die Wirkstoffe in einer Studie penibel unter die Lupe genommen werden müssen, sondern auch das Studiendesign und die statistische Auswertung, um Misserfolgen bei mit hoher Erwartung getesteten Medikamentenkandidaten vorzubeugen. Was selbstverständlich klingt, ist nicht immer gute wissenschaftliche Publikations-Praxis, wie zwei Studien schon zu Beginn des Jahres nahe legten: Oft seien etwa die Teststudien zu möglichen neuen Krebsmedikamenten unzureichend. Zudem öffne nicht selten die Wahl unpassender statistischer Methoden der Manipulation von Ergebnissen Tür und Tor.
Manchmal, das allerdings ist 2007 erneut unzweifelhaft und statistisch korrekt nachgewiesen, ist aber auch ein nachgewiesener Nicht-Wirkstoff nachweislich wirksam bei der Bekämpfung realer Leiden – der Placebo-Effekt macht's möglich. Seine biochemische Grundlage ist 2007 als vermehrte Neurotransmitter-Ausschüttung im Nucleus accumbens des Gehirns entlarvt worden.
Viel Glück also allen Ärzten beim Suchen und Finden der manchmal bizarren Trigger-Reize, die eben diese Transmitter-Ausschüttung nach sich ziehen – eine reale wie gefühlte Besserung der Patienten wartet als Lohn. Manche Untersuchungen verzichten vielleicht deshalb gleich ganz darauf zu erklären, warum etwas wirkt, wenn es denn wirkt. Prominente Beispiele dafür sind in diesem Jahr die Akupunktur und der Schnupfenzeit-Apothekenrenner Echinacea.
In diesem Zusammenhang böte sich zum Ende noch etwas Trost aus dem diesjährigen Sommerloch an: Nicht real, sondern allein gefühlt ist angeblich die Sucht nach Schokolade. Wobei das vielleicht doch eher im Auge des Betrachters liegt. Welches im Übrigen ohnehin eine unterschätzt große Rolle spielt, wie die Lust-und-Liebe-Forschung vor ein paar Monaten enthüllt hat: Von Frauen angestrahlte Männer werden von neutralen Beobachtern als attraktiver wahrgenommen, während die Männer die Blicke als seelenstreichelnde Belohnung verbuchen.
Unser Vorschlag für 2008 geht also an die Damenwelt: Nie war es leichter, die hässliche Welt zu verschönern. Ein Lächeln genügt.
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