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News: Alle mal herhören!

Nicht nur das Lesen fällt legasthenischen Kindern schwer. Auch bei der Unterscheidung von ähnlich klingenden Silben wird es problematisch - und im Gehirn kommt es dabei an ungeahnter Stelle zu Aktivitätsstürmen.
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Kanne – Tanne
Nagel – Nadel
Düne – Bühne

Diese Wörter sind ja wohl nicht schwer zu unterscheiden, mag manch einer denken, man muss nur gut hinhören. Aber so einfach ist es nicht – zumindest dann, wenn es um legasthenische Kinder geht.

Schon in den achziger Jahren fanden Wissenschaftler heraus, dass Kinder mit einer Leseschwäche auch Probleme haben, gesprochene, ähnlich klingende Silben auseinander zu halten. Deren korrekte Erkennung und Verarbeitung im Gehirn ist aber eine wichtige Voraussetzung, um lesen zu lernen.

Was aber genau im Gehirn von leseschwachen Kindern schief geht bei der Spracherkennung, interessierte eine Forschergruppe von der University of Texas in Houston. Joshua Breier und seine Mitarbeiter führten deshalb sowohl mit legasthenischen als auch "normalen" Kindern Hörtests durch. Dabei sollten die Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren ähnlich klingende Silben wie zum Beispiel "ga" und "ka" unterscheiden. Schon eine solch geringe Tätigkeit des Gehirns führt zu kleinen Veränderungen von Magnetfeldern im Kopf; und eben diese Schwankungen zeichneten die Wissenschaftler mit Hilfe der so genannten Magnetoencephalographie auf.

Mit diesem sehr präzisen, nicht-invasiven Messverfahren nahmen sie diejenigen Bereiche des Gehirns ins Visier, die für die Verarbeitung von Sprache relevant sind – und dabei machten die Forscher sehr interessante Beobachtungen.

So wiesen die "normalen" Kinder wie erwartet eine verstärkte Aktivität in dem Sprachbereich der linken Hirnhälfte auf, verglichen mit der entsprechenden Region der rechten Hälfte, deren Funktion der Wissenschaft immer noch ein Rätsel ist. Ganz anders hingegen sah es bei den leseschwachen Kindern aus: Jeweils nach einer kurzen Verzögerung registrierte das Team in der rechten Hirnhälfte eine übermäßig ausgeprägte Aktivität; und je schlechter die Kinder dabei die Silben erkennen konnten, desto stärker waren die Signale.

Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit älteren Befunden, nach denen die Gehirne von legasthenischen Kindern auch beim Lesen ungewöhnlich reagierten. Offenbar werden sowohl beim Lesen als auch beim Hören die zuständigen Regionen der linken Hirnhälfte nicht ausreichend aktiviert. Möglicherweise stellt die kurze Zeit später auftretende Aktivität auf der rechten Seite eine Art Kompensationsversuch dar. Vielleicht liegt aber auch von vornherein eine Fehlsteuerung vor, bei der alternative Wahrnehmungsstrategien, die normalerweise von der rechten Hirnhälfte unterstützt werden, zum Tragen kommen. Jedenfalls könnte, so meinen die Forscher, die verminderte Aktivität in der linken und die verstärkte Aktivität in der rechten Hirnhälfte der Knackpunkt bei der Legasthenie sein, und nicht etwa nur eine Begleiterscheinung.

Nach Ansicht von Experten sind fünf Prozent der Kinder einer Alterspopulation starke Legastheniker, und bei weiteren fünf Prozent findet man leichte legasthenische Symptome. Das bedeutet, dass nach der Statistik in jeder Schulklasse ein Kind mit starker Legasthenie sitzen könnte, wobei die Störung bis zum Erwachsenenalter andauern kann. Mit mangelnder Intelligenz hat das Manko aber nichts zu tun. Breier betont: "Dieses neurologische Defizit scheint nur ganz begrenzte Bereiche des Gehirns zu betreffen und kann bei allen Kindern unabhängig von der Intelligenz auftreten."

Laut Breier können die Kinder ihre Lesefähigkeiten aber durchaus verbessern. Denn Studien belegen, dass sich durch entsprechende Förderung die Aktivitätsmuster im Gehirn verändern.

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