Fliegengehirn: Alle Neurone in einem Bild
Eine extrem hochauflösende 3-D-Aufnahme gibt bislang unerreichte Einblicke in das zentrale Nervensystem einer Taufliege. Dazu hat ein Team um Davi Bock vom Janelia Research Campus in Ashburn, US-Bundesstaat Virginia, das komplette mohnkorngroße Gehirn des Insekts in 7062 Gewebeschnitte zerlegt und diese einzeln mit dem Elektronenmikroskop gescannt. Aus insgesamt 21 Millionen Einzelaufnahmen entstand schließlich die 3-D-Rekonstruktion des gesamten Nervensystems.
Mit Hilfe der Aufnahmen können Wissenschaftler nun im Rahmen künftiger Forschungsprojekte einzelne Nervenzellen verfolgen und deren Verbindungspartner identifizieren. In einem ersten Anlauf machten Davi Bock und seine Kollegen dies mit einem Typus von Neuronen vor, der das Riechsystem der Fliege mit den beiden so genannten Pilzkörpern verbindet, die als Sitz höherer Funktionen gelten. Bei der Analyse des Verknüpfungsmusters dieser Zellen und ihrer Verzweigungen entdeckten sie einen bislang unbekannten Verbindungspartner. Außerdem bemerkten sie, dass die von ihnen verfolgten Neurone zu relativ regelmäßigen Bündeln angeordnet waren, was man bisher übersehen habe, so Bock.
Langfristiges Ziel ihres Unterfangens ist es, eine komplette Karte des neuronalen Netzwerks zu erstellen, das bei der Taufliege Drosophila melanogaster aus ungefähr 100 000 Neuronen besteht. Mit ihr gelingt es vielleicht zu verstehen, wie im Fliegengehirn Informationen verarbeitet werden. Verglichen mit dem Denkorgan von Säugetieren haben Fliegen zwar nur ein sehr kleines, einfaches Nervensystem, dennoch erlaubt es ihnen komplexe Verhaltensweisen: Sie können beispielsweise lernen, bestimmte Gerüche oder Orte mit Gefahr oder Sicherheit in Verbindung zu bringen. Das Drosophila-Gehirn gilt als wichtiges Forschungsobjekt, um mehr über die Grundlagen der neuronalen Informationsverarbeitung in Erfahrung zu bringen.
Noch vor zehn Jahren sei ein solches Projekt angesichts des erforderlichen Zeitaufwands undurchführbar gewesen, erklärt Bock in einer Mitteilung seiner Forschungseinrichtung. Frühere 3-D-Scans beschränkten sich darum entweder auf eine geringere Auflösung oder auf kleinere Ausschnitte des Gesamtgehirns. Seinen Erfolg verdankt das Team um Bock nun der Entwicklung schneller Mikroskope und spezialisierter Manipulatoren, die die Gewebeschnitte platzieren und in mikrometergroßen Etappen am Mikroskop vorbeibewegen. Dank der Automatisierung dieses Vorgangs konnten die Wissenschaftler einen Gewebeschnitt binnen sieben Minuten scannen. Ihre Studie stellen sie nun im Fachjournal »Cell« vor. Auf die Daten ihres 3-D-Gehirns können andere Teams unter temca2data.org zugreifen.
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