Artenschutz: Allee ins Verderben
Je seltener das Tier, desto größer die Gier: Denn Menschen hatten schon immer ein Faible für das Besondere, das Luxuriöse - und wenn es eine vom Aussterben bedrohte Art ist. Ihre Bedrohung macht den Erwerb erst recht reizvoll.
Die Geschichte des Riesenalks (Alca impennis) ist eine sehr traurige: Die Art war der größte flugunfähige Seevogel der Nordhalbkugel und brütete einst in wenigen großen Kolonien auf flachen Eilanden im Nordatlantik – etwa vor Schottland, Island und Norwegen, vielleicht sogar auch in der Nordsee. Wegen seines Verhaltens, des schwarzweißen Gefieders und weil er sich an Land zu Fuß fortbewegen musste, erinnerte er frühe Naturforscher an die Pinguine der Südhemisphäre, mit denen er jedoch nicht näher verwandt war.
Die Konzentration auf wenige Nistplätze, seine geringe Fortpflanzungsrate von nur maximal einem Ei pro Saison und die eingeschränkte Mobilität des Riesenalks an Land wurden ihm schließlich zum Verhängnis. Zu Hunderttausenden wurden die Tiere in ihren Kolonien abgeschlachtet, weil ihr Fleisch passabel schmeckte, das Fett sich als Brennstoff eignete und die Daunen ein wertvolles Material für Kissen und Decken waren. Schnell schwanden die Bestände, und schon 1785 warnte ein kanadischer Kapitän, die Spezies könne bald ausgerottet sein, sollte die Jagd nicht bald eingestellt werden.
Heute bezeugen nur rund achtzig Bälge – darunter auch die beiden unglückseligen Vögel von Eldey im Naturkundemuseum Kopenhagen – sowie diverse Skelette, Schädel und Eierkollektionen die einstige Existenz der Riesenalke. Posthum bestätigen sie jedoch die These von Franck Courchamp von der Universität Paris-Süd und seiner Kollegen vom so genannten anthropogenen Allee-Effekt. Benannt wurde er nach dem amerikanischen Ökologen Warder Clyde Allee, der den negativen Effekt von kleinen Populationen auf die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Individuen untersuchte.
Denn winzige Bestände sehen sich einem überproportional hohen Aussterberisiko gegenüber – beispielsweise weil ein Wirbelsturm ihren letzten Lebensraum zerstört, die Resistenz gegenüber Krankheiten wegen Inzucht sinkt oder einfach weil zufällig nur Männchen und keine Weibchen geboren und damit weitere zukünftige Generationen fraglich werden. Oder aber der Mensch tritt auf den Plan, denn Seltenheit bedeutet bei nachgefragten Papageien, Wildkatzen, Orchideen, Kakteen oder sogar Käfern steigende Preise, und je höher die Notierungen auf Reptilien-Börsen, dem illegalen Vogelmarkt oder im Pelzgeschäft nach oben schießen, desto größer könnte auch der Anreiz sein, auch noch die letzten Exemplare zu erwischen und zu Geld zu machen.
Damit kontrastieren Courchamps Überlegungen mit bisherigen ökonomischen Standarderklärungen, nach denen Tiere oder Pflanzen allein durch Übernutzung nicht ausgerottet werden können. Der Grund: Die eskalierenden Kosten, die jeweils letzten Vertreter aufzuspüren und zu fangen oder auszugraben, stünden dem zu erwartenden Gewinn in nichts nach. Der Aufwand lohnte sich also nicht. Mit dieser Argumentation begründen Wirtschaftswissenschaftler, warum trotz Überfischung bislang noch keine Meeresfischart wie Kabeljau oder Tunfisch tatsächlich ausgestorben ist.
Sie ziehen allerdings nicht in Betracht, welchen Wert viele Menschen Raritäten beimessen und auch willens sind zu bezahlen. Mit ihrer Finanzkraft heizen sie die Jagd nach seltenen Arten an, was diese noch rarer macht, was wiederum Preis und Nachfrage bestimmter Kreise steigert und letztlich in erhöhtem Verfolgungsdruck mündet, der die Pflanze oder das Tier in der Natur aussterben lässt.
Dass dies nicht nur ein mathematisches Modell ist, welches sie entworfen haben, belegen die Forscher an einer Reihe von Beispielen. Neben dem Riesenalk als frühem Fall dient ihnen unter anderem der Napoleon-Lippfisch (Cheilinus undulatus) als klassischer Beleg für den negativen Einfluss von Luxuslebensmitteln oder der traditionellen Medizin: Die Lippen dieses großen Riffbewohners Südostasiens gelten unter reichen Asiaten als besondere Delikatesse – sie kosten demnach pro Paar 250 Dollar. Mittlerweile ist der immer noch stark nachgefragte Fisch in vielen Regionen ausgestorben und leben in den restlichen Gebieten nur noch wenige ausgewachsene Exemplare. Ähnliche Wechselbeziehungen gelten auch für die verschiedenen Störe und ihren Kaviar oder Tigern und ihren Körperteilen für die chinesische Heilkunst.
Eine große Rolle spielt ebenso der Handel vor allem von bedrohten Papageien, Reptilien und Amphibien, Orchideen sowie Kakteen für den Haustier- oder Gartenmarkt. Das Verschwinden beispielsweise der McCords-Schlangenhalsschildkröte (Chelodina mccordi), des Spix-Aras (Cyanopsitta spixii), des China-Leopardgeckos (Goniurosaurus luii) oder der Steinkaktus Ariocarpus bravoanus aus der freien Natur steht im direkten Zusammenhang mit der – illegalen – Nachfrage aus "Liebhaberkreisen".
Selbst wohlmeinender Naturtourismus kann diesbezüglich von Nachteil sein, wollen doch interessierte Besucher gerne die seltenen Arten eines Schutzgebietes sehen. Damit verbunden sind allerdings mitunter größere Störungen der Tiere, die deren Gesundheit oder Fortpflanzungserfolg mindern und so die Bestände schrumpfen lassen. Derartige Zusammenhänge vermutet das Team um Courchamp etwa bei der abnehmenden Zahl von Schwertwalen (Orcinus orca) im östlichen Nordpazifik und zugleich zunehmenden Walbeobachtungstouren in der Region.
Was gegen diesen anthropogenen Allee-Effekt getan werden kann, sind altbekannte Mittel: mehr Aufklärung der handelnden Personengruppen, verschärfte Handelsbeschränkungen und -überwachung oder Stigmatisierung bestimmter Luxusgüter, die auf der Ausbeutung von Natur basieren. Doch die Wissenschaftler geben auch noch einen unkonventionellen Rat: Naturschützer sollten sich zukünftig vielleicht zweimal überlegen, ob sie eine gefragte Spezies öffentlich als bedroht einstufen – und sie damit erst recht zum Ziel der Begierde machen.
Die Konzentration auf wenige Nistplätze, seine geringe Fortpflanzungsrate von nur maximal einem Ei pro Saison und die eingeschränkte Mobilität des Riesenalks an Land wurden ihm schließlich zum Verhängnis. Zu Hunderttausenden wurden die Tiere in ihren Kolonien abgeschlachtet, weil ihr Fleisch passabel schmeckte, das Fett sich als Brennstoff eignete und die Daunen ein wertvolles Material für Kissen und Decken waren. Schnell schwanden die Bestände, und schon 1785 warnte ein kanadischer Kapitän, die Spezies könne bald ausgerottet sein, sollte die Jagd nicht bald eingestellt werden.
Die zunehmende Seltenheit des Riesenalks lohnte bald nicht mehr der kommerziellen Abschlachtung im großen Stil, doch lockte sie nun eine weitere Klientel an, die willens war, entsprechende Preise für die letzten Exemplare zu löhnen: private Eiersammler und professionelle Museumskuratoren. Wegen ihnen schieden schließlich die wohl letzten Vertreter ihrer Art dahin – ein Pärchen, das auf der isländischen Insel Eldey brütete und wohl dokumentiert durch einen Fachartikel in der britischen Ornithologenzeitschrift Ibis. Demnach wurden die beiden Alke auf Eldey von vier heimischen Seeleuten aufgestöbert, die sie im Auftrag eines dänischen Sammlers erschlugen. Danach ward der Riesenalk nie wieder gesehen.
Heute bezeugen nur rund achtzig Bälge – darunter auch die beiden unglückseligen Vögel von Eldey im Naturkundemuseum Kopenhagen – sowie diverse Skelette, Schädel und Eierkollektionen die einstige Existenz der Riesenalke. Posthum bestätigen sie jedoch die These von Franck Courchamp von der Universität Paris-Süd und seiner Kollegen vom so genannten anthropogenen Allee-Effekt. Benannt wurde er nach dem amerikanischen Ökologen Warder Clyde Allee, der den negativen Effekt von kleinen Populationen auf die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Individuen untersuchte.
Denn winzige Bestände sehen sich einem überproportional hohen Aussterberisiko gegenüber – beispielsweise weil ein Wirbelsturm ihren letzten Lebensraum zerstört, die Resistenz gegenüber Krankheiten wegen Inzucht sinkt oder einfach weil zufällig nur Männchen und keine Weibchen geboren und damit weitere zukünftige Generationen fraglich werden. Oder aber der Mensch tritt auf den Plan, denn Seltenheit bedeutet bei nachgefragten Papageien, Wildkatzen, Orchideen, Kakteen oder sogar Käfern steigende Preise, und je höher die Notierungen auf Reptilien-Börsen, dem illegalen Vogelmarkt oder im Pelzgeschäft nach oben schießen, desto größer könnte auch der Anreiz sein, auch noch die letzten Exemplare zu erwischen und zu Geld zu machen.
Damit kontrastieren Courchamps Überlegungen mit bisherigen ökonomischen Standarderklärungen, nach denen Tiere oder Pflanzen allein durch Übernutzung nicht ausgerottet werden können. Der Grund: Die eskalierenden Kosten, die jeweils letzten Vertreter aufzuspüren und zu fangen oder auszugraben, stünden dem zu erwartenden Gewinn in nichts nach. Der Aufwand lohnte sich also nicht. Mit dieser Argumentation begründen Wirtschaftswissenschaftler, warum trotz Überfischung bislang noch keine Meeresfischart wie Kabeljau oder Tunfisch tatsächlich ausgestorben ist.
Sie ziehen allerdings nicht in Betracht, welchen Wert viele Menschen Raritäten beimessen und auch willens sind zu bezahlen. Mit ihrer Finanzkraft heizen sie die Jagd nach seltenen Arten an, was diese noch rarer macht, was wiederum Preis und Nachfrage bestimmter Kreise steigert und letztlich in erhöhtem Verfolgungsdruck mündet, der die Pflanze oder das Tier in der Natur aussterben lässt.
Dass dies nicht nur ein mathematisches Modell ist, welches sie entworfen haben, belegen die Forscher an einer Reihe von Beispielen. Neben dem Riesenalk als frühem Fall dient ihnen unter anderem der Napoleon-Lippfisch (Cheilinus undulatus) als klassischer Beleg für den negativen Einfluss von Luxuslebensmitteln oder der traditionellen Medizin: Die Lippen dieses großen Riffbewohners Südostasiens gelten unter reichen Asiaten als besondere Delikatesse – sie kosten demnach pro Paar 250 Dollar. Mittlerweile ist der immer noch stark nachgefragte Fisch in vielen Regionen ausgestorben und leben in den restlichen Gebieten nur noch wenige ausgewachsene Exemplare. Ähnliche Wechselbeziehungen gelten auch für die verschiedenen Störe und ihren Kaviar oder Tigern und ihren Körperteilen für die chinesische Heilkunst.
Eine große Rolle spielt ebenso der Handel vor allem von bedrohten Papageien, Reptilien und Amphibien, Orchideen sowie Kakteen für den Haustier- oder Gartenmarkt. Das Verschwinden beispielsweise der McCords-Schlangenhalsschildkröte (Chelodina mccordi), des Spix-Aras (Cyanopsitta spixii), des China-Leopardgeckos (Goniurosaurus luii) oder der Steinkaktus Ariocarpus bravoanus aus der freien Natur steht im direkten Zusammenhang mit der – illegalen – Nachfrage aus "Liebhaberkreisen".
Selbst wohlmeinender Naturtourismus kann diesbezüglich von Nachteil sein, wollen doch interessierte Besucher gerne die seltenen Arten eines Schutzgebietes sehen. Damit verbunden sind allerdings mitunter größere Störungen der Tiere, die deren Gesundheit oder Fortpflanzungserfolg mindern und so die Bestände schrumpfen lassen. Derartige Zusammenhänge vermutet das Team um Courchamp etwa bei der abnehmenden Zahl von Schwertwalen (Orcinus orca) im östlichen Nordpazifik und zugleich zunehmenden Walbeobachtungstouren in der Region.
Was gegen diesen anthropogenen Allee-Effekt getan werden kann, sind altbekannte Mittel: mehr Aufklärung der handelnden Personengruppen, verschärfte Handelsbeschränkungen und -überwachung oder Stigmatisierung bestimmter Luxusgüter, die auf der Ausbeutung von Natur basieren. Doch die Wissenschaftler geben auch noch einen unkonventionellen Rat: Naturschützer sollten sich zukünftig vielleicht zweimal überlegen, ob sie eine gefragte Spezies öffentlich als bedroht einstufen – und sie damit erst recht zum Ziel der Begierde machen.
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