Rangun: "Alles Alte muss einfach weg"
Aus dem verglasten Frühstücksraum im siebenten Stock des Clover Hotel genießt man eine grandiose Aussicht auf Rangun. Klar hebt sich die goldene Shwedagon-Pagode vor dem blauen Himmel ab. Zwischen sattgrünen Bäumen kann man in leicht angegrautem Weiß gehaltene Kolonialvillen ausmachen, daneben nicht ganz so alte Mietshäuser in Pastellgelb und unzählige grün-goldene Dächer von buddhistischen Tempeln.
Rangun – die größte Stadt Myanmars und dessen ehemaliger Regierungssitz – ist bunt, lebendig, eine Stadt wie in einen tropischen Park gebaut. Zahllose Märkte, Garküchen und Straßencafés, aber auch Pagoden, Kirchen, Moscheen und eine kleine Synagoge künden davon, dass das Land die Heimat von 130 ethnischen Gruppen ist. "Myanmar ist die Kreuzung Asiens. Es liegt zwischen China, Indien und Südostasien", sagt Thant Myint U, Gründer des Yangon Heritage Trust. Und Rangun, fügt er hinzu, "ist das Symbol dieser Kreuzung".
Die Stadt ist moderner, als man erwarten würde. Gleichzeitig hat sie sich den Charme der alten, durch Romane und Filme verklärten Metropolen des Fernen Ostens mit ihrem verwirrenden Gemisch aus kolonialen und einheimischen Kulturen bewahrt. Die jahrzehntelange Herrschaft und Misswirtschaft der Militärjunta hat wie ein unfreiwilliges Konservierungsprogramm gewirkt, auch wenn Moos, Schimmel und Zerfall den Kolonialbauten arg zusetzen.
Rangun habe die größte Ansammlung kolonialer Gebäude in Asien, sagt Alfred Birnbaum. Der Architekturexperte hat lange in Rangun gelebt und die Bauten der ehemaligen birmanischen Hauptstadt fotografisch dokumentiert: "Durch die Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Geschäften sind die Viertel noch intakt und lebendig. Das ist sehr kostbar."
Begehrt sind nur die Grundstücke
Diese Kostbarkeit ist jedoch in Gefahr, für immer zu verschwinden. Seit die birmesische Regierung einen politischen und wirtschaftlichen Reformkurs steuert, gieren internationale Konzerne nach Büroräumen in Rangun, Hotelketten konkurrieren mit UN-Organisationen und ausländischen Botschaften um die besten Grundstücke und repräsentative historische Gebäude.
Ein Kapitalismustsunami, der Rangun völlig unvorbereitet trifft. Lediglich 198 historische Gebäude stehen unter Schutz. Darunter ist das Sekretariat, der einstmals prachtvolle, aber heute verlassene Sitz der britischen Kolonialverwaltung, in dem am 19. Juli 1947 Birmas Unabhängigkeitsheld General Aung San, Vater der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, von Nationalisten ermordet wurde.
"Das britische Rangun ist ein frühes Beispiel für moderne Stadtplanung"Ian Morley
Ungeschützt sind hingegen die Häuser in Privatbesitz. Die kolonialen Villen zum Beispiel stehen meist auf großen Grundstücken in bester Lage – sie werden einfach abgerissen. Denn es sind die Bauplätze, auf die Investoren scharf sind. Die Grundstückspreise liegen schon auf dem Niveau amerikanischer Großstädte.
Kaum ein Gesetz regelt den Umgang mit dem historischen Erbe. Das vielleicht größte Problem ist jedoch das Desinteresse der Bewohner. "Die Bürger sehen Rangun nicht als schöne Stadt", sagt Thant Myint U. "Sie glauben, alles Alte muss einfach weg." Das Alte, das ist das abgewirtschaftete Militärregime, das Birma fast 60 Jahre unter seiner Knute hatte, wie schon die britische Kolonialherrschaft davor.
Mit dem Yangon Heritage Trust will Thant Myint U die Grundlagen für ein Umdenken schaffen. Der 46 Jahre alte Historiker weiß dabei nur zu gut, dass ihm die Zeit davonläuft. Auf der Haben-Seite kann der Autor exzellenter Bücher über Birma allerdings seine Prominenz verbuchen. Als Enkel des ersten asiatischen UN-Generalsekretärs U Thant (einem engen Mitstreiter von General Aung San) stehen ihm die Türen zur Macht offen. Mit Aung San Suu Kyi hat der in New York aufgewachsene und in Harvard ausgebildete Historiker über Möglichkeiten zum Erhalt des historischen Rangun gesprochen, wie auch mit Präsident Thein Sein und Ministern der Regierung. "Sie stehen dem Anliegen aufgeschlossen gegenüber."
Konferenz zum Erhalt der Bausubstanz
Im Juni hatte der Yangon Heritage Trust zu einer Konferenz im schicken Strand Hotel geladen, das selbst eines der architektonischen Prunkstücke Ranguns ist. Gekommen waren Politiker, Ranguns Bürgermeister, Unternehmer, Stadtplaner aus aller Welt, Experten von UNESCO und UN Habitat sowie Vertreter der Tourismusbranche. Unter den Teilnehmern waren auch Aktivisten aus anderen asiatischen Städten mit reichem kulturell-kolonialem Erbe wie George Town in Malaysia, die über viel Erfahrung im Kampf für den Erhalt historischer Stadtviertel verfügen.
Es gehe eben nicht nur darum, ein paar großartige öffentliche Gebäude "wie Museumsstücke" zu erhalten, meint Thant Myint U. "Rangun besteht nicht nur aus Gebäuden. Rangun – das sind die Menschen und seine bunte Vergangenheit und die Rolle, die es nicht nur für dieses Land, sondern die Region und darüber hinaus gespielt hat."
"Wer in zerfallenden Häusern lebt, will einfach eine neue, moderne Wohnung"Moe Moe Lwin
Ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts machten sich die Briten im Land breit und bauten Rangun ab etwa 1855 zu einer imperialen Metropole aus. "Das britische Rangun ist ein frühes Beispiel für moderne Stadtplanung infolge des Aufkommens der modernen Großstädte. Straßen und Gebäude bezogen sich aufeinander", weiß Ian Morley, Professor für Urbane Geschichte an der Chinesischen Universität in Hongkong, und fügt hinzu: "Aber die britische Stadtplanung folgte nicht nur funktionalen Kriterien, sondern auch ästhetischen. Die Einbeziehung von Kunst in Architektur und Stadtbild war Ausdrucks eines Konzepts von Schönheit." Rangun, so Morley, sei also in Wirklichkeit keine alte, sondern eine ganz moderne Stadt.
Bis zu Machtübernahme des Militärs im März 1962 und der Einführung des Sozialismus war Rangun die Metropole Südostasiens, spielte die Rolle, die dann von Singapur und Bangkok übernommen wurde. Internationale Konzerne hatten hier ihre asiatischen Zentralen, es beherbergte einen der wichtigsten Seehäfen der Welt und diente nach dem Aufkommen der Fliegerei als Luftverkehrskreuz Süd- und Südostasiens. "Rangun war durch Fluglinien mit London und Sydney verbunden; es hatte die besten Schulen und die beste Universität Asiens. Rangun war einmal eine internationale Stadt, und es kann wieder eine internationale Stadt werden", schwärmt Thant Myint U vom Rangun seines Großvaters.
Seelenlose Stadt aus Stahl und Glas
Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Wird Rangun eine seelenlose asiatische Großstadt mit Hochhäusern aus Glas und Stahl, in denen sich ein paar restaurierte Bauwerke verloren spiegeln? Oder gelingt es Rangun, Entwicklung und Fortschritt mit Erhalt und Geschichtsbewusstsein zu verbinden? Moe Moe Lwin, Generalsekretärin der dem Yangon Heritage Trust eng verbundenen Association of Myanmar Architects, sagt nüchtern: "Birma hat viele Probleme, und der Erhalt des kulturellen Erbes ist eines davon, aber sicher nicht das mit der höchsten Priorität. Wer in zerfallenden Häusern lebt, will einfach eine neue, moderne Wohnung."
Deshalb sei jetzt "politische Führung" gefragt. Eine Gesetzgebung mit Standards und Kriterien für den Erhalt des historischen Kerns von Rangun brauche Zeit. Regierung und Stadtverwaltung müssten zunächst für einen gewissen rechtlichen Rahmen sorgen.
Magnus Bartlett hat in seiner Wahlheimat Hongkong erlebt, wie historische Bausubstanz im Namen des Fortschritts rigoros abgerissen wurde. Im Fall von Rangun ist der Verleger von Reisebüchern seit der von Thant Myint U einberufenen Konferenz nicht so ganz ohne Hoffnung. "Die Offiziellen scheinen den inhärenten Wert des kulturellen Erbes zu erkennen", sagt Bartlett und fügt hinzu: "Der Bürgermeister blieb den ganzen Tag und der Minister den ganzen Morgen. In Hongkong und China wären sie schnell ihre Grußworte losgeworden und dann sofort wieder verschwunden."
Gleichwohl macht sich Bartlett keine Illusionen über das Interesse vieler Asiaten an kulturellem Erbe. Geld und gute Geschäfte hätten einen viel höheren Stellenwert, deshalb müsse man da ansetzen: "Der einzige Weg zur Herstellung eines breiteren Konsens wäre ein 'Business Plan', der den ökonomischen Nutzen des Erhalts des alten Rangun deutlich macht."
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