Einschlagserie: Ring um die Erde ließ einst Meteoriten regnen
Die Erde hat eine bewegte Geschichte. Immer wieder trafen kosmische Brocken unseren Planeten, oft mit verheerenden Folgen. Weniger verheerend für das Leben, aber dennoch eine der seltsamsten Episoden der Erdgeschichte, war ein Zeitraum vor rund 450 Millionen Jahren, als viel mehr Brocken aus dem Weltall die Erde trafen. Ein Vielfaches der normalen Menge kosmischer Trümmer regnete auf die Erde herab, so viele, dass man in manchen Gesteinen sogar noch Bruchstücke von Asteroiden findet. Ein Team um Andrew G. Tomkins kommt nun anhand einer neuen Analyse zu dem Ergebnis, dass es keineswegs Prozesse im fernen Asteroidengürtel waren, die zu den häufigeren Einschlägen führten, sondern ein Vorgang direkt in unserer kosmischen Nachbarschaft. Wie die Arbeitsgruppe nun in der Fachzeitschrift »Earth and Planetary Science Letters« berichtet, zerfiel vermutlich vor 465 Millionen Jahren ein Ring um unseren Planeten.
Das Ordovizium, jene Ära nach dem Aufblühen vielzelliger Lebensformen in der Kambrischen Explosion, war eine aufregende Epoche. Geologische Spuren deuten auf kollidierende Erdplatten, Vulkane, eine Eiszeit und eben einen rätselhaften Trümmerregen aus dem Weltall hin. Neben rund zwei Dutzend Kratern zeugen chemische Spuren in rund 465 Millionen Jahre alten Kalksteinen davon, dass große Mengen Material von L-Chondriten, einer der häufigsten Klassen von Asteroiden in unserem Sonnensystem, auf die Erde fielen. Spuren von gigantischen Tsunamis und verheerenden Erdbeben sind aus jener Zeit ebenfalls erhalten. Man sollte meinen, dass das Leben in dieser bewegten Epoche einen schweren Stand hatte. Doch das Gegenteil ist wahr. Just zu jener Zeit erlebten irdische Lebensformen eine so auffällige Phase der Blüte, dass das Ereignis heute als Großes Ordovizisches Biodiversitäts-Ereignis (GOBE) bezeichnet wird.
Diese Millionen Jahre anhaltende Blütephase spielte sich, wie das Team um Tomkins nun erläutert, unter einem spektakulären Ringsystem ab, das den irdischen Himmel zu jener Zeit zierte. Die Arbeitsgruppe wertete die Orte von insgesamt 21 Einschlagkratern aus dieser Periode aus. Obwohl die Kontinente seither kreuz und quer über die Erdoberfläche wanderten, lässt sich bestimmen, wo der Krater ursprünglich ungefähr entstand. Das Ergebnis: Alle Einschläge geschahen in einer schmalen, weniger als 30 Breitengrade umfassenden Region rund um den Äquator. Dabei lagen rund 70 Prozent der heute erhaltenen Gesteine der Periode außerhalb dieses Gürtels, doch dort sind keine Treffer verzeichnet. Es sei außerordentlich unwahrscheinlich, dass eine so enge geografische Verteilung durch Bruchstücke aus dem fernen Asteroidengürtel zu Stande kam, schreibt die Arbeitsgruppe in ihrer Veröffentlichung.
Tatsächlich sei mutmaßlich vor etwa 466 Millionen Jahren ein großer Asteroid nah an die Erde herangekommen – so nah, dass er in ihrem Schwerefeld zerbrach und sich seine Trümmer in engen Umlaufbahnen um den Äquator sammelten. Wie dieser Einfang genau himmelsmechanisch passiert sein soll und warum der Ring in der Äquatorebene entstand, erläutern die Fachleute nicht genauer – dieser Aspekt der Hypothese bedarf weiterer Klärung. Danach jedoch bot sich den Kreaturen auf dem Planeten einige hunderttausend Jahre lang ein außergewöhnlicher Anblick: ein Ringsystem, das den gesamten Himmel überzog. Dann begannen die Trümmer herabzuregnen. Neben dutzenden Kratern von mehreren Kilometern Durchmessern zeugen von Tsunamis abgelagerte Trümmerschichten, so genannte Megabrekzien, von der Brutalität des Bombardements. Weltweit enthalten Ablagerungen aus jener Zeit ungewöhnlich viel Chromit, der nur aus dem Weltall gekommen sein kann. In schwedischen Kalksteinen sind sogar Stücke von Meteoriten erhalten, nahezu einzigartig in der Geschichte des Planeten.
Die Episode hatte auch klimatische Folgen. Die globale Temperatur fiel nach dem ersten Auftauchen der Megatsunami-Ablagerungen um etwa acht Grad ab – und das trotz anhaltend hoher Kohlendioxidkonzentrationen. Man bezeichnet diese rätselhafte, mehr als 25 Millionen Jahre dauernde Frostperiode als »Eishaus des Ordoviziums«. Nach Ansicht von Tomkins und seiner Arbeitsgruppe war es eine direkte Folge des Staubs, den die Einschläge aufwirbelten. Schon vor der extremen Abkühlung hätten die Einschläge zu starken Schwankungen in Klima und Umweltbedingungen geführt, schreiben sie weiter. Das könne den Impuls zur schnelleren Evolution und größeren Vielfalt des Lebens gegeben haben, die man in dieser Zeit beobachtet. Zwar starben viele Arten aus, als die Vereisung ihren Höhepunkt erreichte, doch zuvor entstanden jene Tiergruppen, die das Leben auf der Erde für viele Millionen Jahre in die Zukunft dominieren sollten. Bis vor 252 Millionen Jahren … aber das ist eine andere Apokalypse.
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