News: Als Nordeuropa Kopf stand
Geologen, die sich mit der Frühgeschichte der Erde beschäftigen, brauchen viel Fantasie, denn die Gesteinsüberlieferungen sind so spärlich, dass neue Ideen und Erkenntnisse oft tiefgreifende Änderungen in der Geschichtsschreibung der Erde nach sich ziehen.
So schlagen Ebbe Hartz von der University of Oslo und Trond Torsvik vom Geological Survey of Norway nun vor, die Position des Kontinents Baltica - bestehend aus den präkambrischen Gesteinen Nordeuropas - in der Rekonstruktion des Superkontinents Rodinias vor einer Milliarde Jahre um 180 Grad zu drehen.
Nicht die heutige Westküste Norwegens soll vor einer Milliarde Jahre mit der Ostküste Grönlands verbunden gewesen sein, sondern die Gebiete, die heute westlich des Ural liegen.
Normalerweise verraten die Ozeanböden der benachbarten Meere, wie schnell sich ein Kontinent in welche Richtung bewegt hat. Doch jene vier Meere sind im Laufe der Erdgeschichte spurlos verschwunden. Und Fossilien, die viel über die Paläogeografie erzählen könnten, gibt es nicht, da das Leben damals kaum über den Status der Einzeller hinauskam.
Was bleibt, sind uralte Gesteine, die durch die Einregelung magnetischer Minerale die geografische Breite überliefern, in der sie sich einst bildeten. Doch da sich das Magnetfeld der Erde seit jeher in unregelmäßigen Abständen umpolt, kann anhand paläomagnetischer Untersuchungen nicht zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre unterschieden werden.
Frühere Rekonstruktionen hatten ergeben, dass vor 750 Millionen Jahren Baltica auf dem Äquator lag - und zwar ungefähr mit der heutigen Achse Oslo - Sankt Petersburg. Nordkapp und Kiew lagen auf dem zehnten Breitengrad, jedoch jeweils auf einer anderen Halbkugel. So wussten die Geologen zwar, wo Baltica zu jener Zeit lag, aber leider nicht eindeutig welcher Teil nun der nördliche war.
Später zeigten paläomagnetische, paläontologische und geologische Daten allerdings, dass Baltica vor 580 Millionen Jahren komplett auf der Südhalbkugel lag und zwar tatsächlich kopfüber, mit dem heutigen Nordkapp südlicher als das heutige Kiew.
Die Gelehrten hielten jedoch weiterhin an der traditionellen Rekonstruktion Rodinias fest. Da die Westküste Norwegens und die Ostküste Grönlands Spuren zweier zeitgleicher Gebirgsbildungsphasen - vor einer Milliarde Jahre und vor 420 Millionen Jahren - aufweisen, gingen sie davon aus, dass sich der Ozean zwischen den beiden Landmassen zyklisch geöffnet und geschlossen hatte.
Um diesen Zyklus also zu vollenden, musste sich der Kontinent nach den neuen Erkenntnissen erst um 180 Grad gedreht und dann wieder zurückgedreht haben.
Doch nun verdichteten sich Hinweise, dass die Gesteinsschichten vor einer Milliarde Jahre beiderseits des Atlantiks bis auf eine zeitgleiche Gebirgsbildungsphase gar nicht zusammen passen. So finden beispielsweise Gletscherablagerungen an der Ostküste Grönlands aus dieser Zeit, so genannte Tillite, keine Fortsetzung in Norwegen. Sie ähneln vielmehr den Tilliten im russischen Ural-Gebirge.
Hartz und Torsvik lösten sich daher von dem klassischen Modell. Sie passten ein bereits gedrehtes Baltica in ihre Rekonstruktion Rodinias ein und entwickelten ein leicht verändertes plattentektonisches Modell des auseinanderbrechenden Superkontinents.
Dabei stellten sie fest, dass sie die Kontinentbewegungen aus der neuen Ausgangskonstellation heraus viel stimmiger simulieren konnten - sicherlich nicht zuletzt, weil sich Baltica jetzt nur noch einmal um 180 Grad drehen musste.
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