Verjüngungskur: Alte Mäuse können wieder sehen
Forscher haben die Sehfähigkeit von alten Mäusen sowie Nagern mit geschädigten Retinanerven wiederhergestellt. Dazu haben sie einige von jenen tausenden chemischen Markern verändert, welche mit der Zellalterung einhergehen. Die im Magazin »Nature« veröffentlichte Studie legt nahe, dass sich der altersbedingte Verfall auf diese Weise rückgängig machen lässt: Die Zellen werden in einen »jüngeren« Zustand zurückversetzt, in dem sie sich wieder selbst reparieren oder geschädigtes Gewebe ersetzen können.
»Ein großer Durchbruch«, sagt der Entwicklungsbiologe Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute for Biological Studies im kalifornischen La Jolla, der nicht an der Studie beteiligt war. »Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass sich die Regeneration des Gewebes in Säugetieren fördern lässt.« Allerdings ist die Prozedur bislang nur bei Mäusen gelungen. Es bleibe abzuwarten, ob sich die Methode auch auf den Menschen oder andere Gewebe und Organe übertragen lasse, sagt das Autorenteam.
Das Alter verändert den Körper in vielerlei Hinsicht, unter anderem, indem es Methylgruppen an die DNA anhängt, sie entfernt oder verändert. Diese »epigenetischen« Veränderungen reichern sich mit dem Alter an. Deshalb haben einige Forscher vorgeschlagen, die Veränderungen als epigenetische Uhr zur Messung des biologischen Alters zu verwenden, das vom chronologischen Alter abweichen kann.
»Wir starteten mit der Frage: Wenn epigenetische Veränderungen das Altern antreiben, kann man das Epigenom zurückstellen?«, sagt der Genetiker David Sinclair von der Harvard Medical School in Boston und Koautor der Studie. »Können wir die Uhr zurückdrehen?«
Es gab einige Hinweise, dass die Idee funktionieren könnte. 2016 hatten Belmonte und seine Kollegen von Effekten von Genexpressionen bei Mäusen berichtet. Die Tiere waren genetisch so verändert, dass sie schneller als üblich alterten. Gene lassen sich so triggern, dass Zellen ihre »Identität« verlieren – jene Merkmale etwa, die eine Zelle zu einer Hautzelle machen – und sich zu einer Stammzelle zurückentwickeln. Das war bekannt. Doch statt die Gene in diesem Zustand zu belassen, schaltete Belmontes Team sie nur für ein paar Tage an und dann wieder aus, in der Hoffnung, die Zellen lediglich in einen »jüngeren« Zustand versetzt zu haben.
Das Ergebnis: Die Mäuse hatten ein Muster von epigenetischen Markern, das dem jüngerer Tiere entsprach. Die Technik hatte allerdings auch Nachteile: Frühere Arbeiten hatten gezeigt, dass einige Mäuse Tumoren entwickeln, wenn Gene in weiteren Kopien vorlagen oder zu lange exprimiert wurden.
Ein Schalter für die Gene
In Sinclairs Labor suchte der Genetiker Yuancheng Lu nun nach einer sichereren Methode, um Zellen zu verjüngen. Er verzichtete bei den Genen, die Belmontes Team verwendet hatte, auf jenes der vier, das mit Krebs in Verbindung steht, und packte die übrigen drei in ein Virus, das sie in die Zellen tragen konnte. Um die Gene anschalten zu können, stattete er sie mit einem Schalter aus, der reagierte, wenn die Mäuse Wasser bekamen, das mit einem Medikament präpariert war. Ohne das Mittel schalteten sich die Gene wieder aus.
Weil Säugetiere früh die Fähigkeit verlieren, Teile des zentralen Nervensystems zu regenerieren, entschieden sich Lu und seine Kollegen, ihren Ansatz an den Nerven der Netzhaut von Mäusen auszutesten. Zuerst spritzten sie das Virus in das Auge, um zu prüfen, ob es mit der Expression der drei Gene gelingen würde, geschädigte Nerven zu regenerieren – etwas, was bislang mit keiner Therapie gelungen war.
Lu erinnert sich daran, wie er das erste Mal einen Nerv beim Regenerieren von der Verletzung beobachten konnte: »Es war wie eine Qualle, die aus der beschädigten Stelle herauswächst«, sagt er. »Es war atemberaubend.« Das Team setzte die Arbeit fort und zeigte, dass sich die Sehschärfe von Mäusen verbesserte, die altersbedingt schlecht sahen oder zu viel Druck im Auge hatten – ein Kennzeichen von Glaukomen, bekannt als grüner Star. Die Technik versetzte außerdem auch im Labor gezüchtete Mäusezellen und menschliche Zellen in einen jüngeren Zustand zurück. Es sei noch unklar, wie sich die Zellen an diesen Zustand erinnerten, sagt Sinclair. Er und seine Kollegen wollen das noch herausfinden.
Sprung in die Praxis
Inzwischen hat Harvard die Lizenz für die Technik an das Bostoner Unternehmen Life Biosciences vergeben. Laut Sinclair führt es vorklinische Sicherheitstests durch, mit dem Ziel, die Technik für die Anwendung am Menschen weiterzuentwickeln. Es wäre ein innovativer Ansatz, um das Sehvermögen wiederherzustellen, sagt Botond Roska, Direktor am Institut für molekulare und klinische Ophthalmologie in Basel. Aber es bedürfte wohl noch erheblicher Verbesserungen, bevor die Technik sicher genug sei für den Einsatz am Menschen.
In der Geschichte der Alternsforschung gab es schon viele, die glaubten, einen Jungbrunnen gefunden zu haben. Vor mehr als einem Jahrzehnt erregte Sinclair selbst mit der Behauptung Aufsehen, dass Substanzen wie im Rotwein, die so genannte Sirtuine aktivieren, das Leben verlängern könnten. Auch wenn er und andere weiterhin daran forschen: Die Idee, solche Substanzen lebensverlängernd einzusetzen, ist umstritten und nicht belegt.
Der entscheidende Test für die neue Technik ist laut Judith Campisi, Zellbiologin vom Buck Institute for Research on Aging in Novato, Kalifornien: wenn weitere Labore die Reprogrammierung durchführen und auch an anderen Organen ausprobieren, die im Alter nachlassen, wie Herz, Lunge und Nieren. Diese Daten sollten bald vorliegen, sagt sie. »Es gibt viele Labore, die mit dem Ansatz der Reprogrammierung arbeiten.«
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