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Paläontologie: Alte Matratzen

Nur wenige Abdrücke zeugen von bizarren Organismen, die vor über 540 Millionen Jahre die Urmeere beherrschten. Ob diese rätselhafte Ediacara-Fauna zu den Vorläufern der heutigen Tierwelt zählt oder ob es sich eher um ein untergegangenes Experiment der Natur handelt, bleibt heftig umstritten. Neue, erstaunlich gut erhaltene Fossilien deuten auf Wesen, die eher an lebende Luftmatratzen erinnern.
Ediacara-Fossil
Zu den großen Rätseln der Geschichte des Lebens gehört die so genannte kambrische Explosion: Wie aus dem Nichts tauchte mit Beginn des Kambrium vor etwa 540 Millionen eine Vielzahl tierischer Lebensformen auf. Alle heutigen Stämme des Tierreichs – mit Ausnahme der Wirbeltiere – waren plötzlich da.

Ganz so aus dem Nichts können die Arten des Kambriums natürlich nicht entstanden sein. Bereits 1908 hatten deutsche Geologen in Namibia Fossilien vielzelliger Organismen entdeckt, die im Präkambrium – also vor dem Kambrium – gelebt hatten. Ihre Bedeutung wurde jedoch erst in den 1940er Jahren erkannt, als der australische Geologe Reg Sprigg bei den Ediacara-Hügeln in Südaustralien die Überreste von zum Teil recht bizarren Lebensformen fand. Inzwischen wurde diese Ediacara-Fauna auf fast allen Kontinenten nachgewiesen und zeigte damit, dass sich in den Meeren des Präkambriums bereits zahlreiche Spezies heimisch gefühlt haben müssen.

Doch gehören diese urtümlichen Wesen wirklich zu den unmittelbaren Vorfahren der heutigen Tierarten? Eine äußerst diffizile Frage, bestehen doch die wenigen Überreste der Ediacara-Fauna meist aus schwer zu deutendend Abdrücken, die keinem heutigen Tierstamm sicher zugeordnet werden können. Manche Forscher sehen in ihnen Vorläufer von Quallen und Würmern, andere deuten sie gar als Pflanzen oder Pilze.

"Die Morphologie der neuen Fossilien ähnelt keiner heute existierenden Lebensform"
(Shuhai Xiao)
Der Tübinger Paläontologe Adolf Seilacher äußerte daher bereits in den 1980er Jahren erhebliche Zweifel an der angeblich nahen Verwandtschaft zu heutigen Tierstämmen. Er deutete die fossilen Überreste als fremdartige Wesen, die aus gekammerten, mit Zytoplasma gefüllten Hohlräumen bestehen und damit eher an abgesteppte Luftmatratzen erinnern. Nach Seilachers Überzeugung handelte es sich um ein eigenes, völlig isoliert stehendes Organismenreich, das er "Vendobionta" nannte.

Nach zwanzig Jahren könnte Seilacher endlich Recht bekommen. Denn bei den Fossilien, welche die Forscher um Shuhai Xiao vom Virginia Polytechnic Institute jetzt präsentieren, handelt es sich um einen ausgesprochenen Glücksfall: Im Gegensatz zu anderen präkambrischen Fossilien, denen die Zeit arg zugesetzt hat, sind die auf 551 Millionen Jahre datierten Überreste aus der südchinesischen Dengying-Formation erstaunlich gut erhalten. Die urtümlichen Wesen besaßen zwar keine harten Skelettteile, die heutigen Paläontologen das Leben sehr erleichtert hätten. Sie hinterließen jedoch nach ihrem Tod Hohlräume im Kalkstein, die sich mit Kalzit-Kristallen füllten und damit eine dreidimensionale Rekonstruktion erlauben.

Heraus kamen flache, gekammerte Gebilde, die sich wie Palmwedel um eine zentrale Achse formieren. Seilingers "lebende Luftmatratzen" scheinen sich somit zu bestätigen. Im Gegensatz zu Seilinger glauben jedoch Xiao und seine Kollegen, dass die äußeren Kammern der Vendobionta offen waren und damit wohl nicht mit Zytoplasma gefüllt sein konnten.

Wie die alten Matratzen ihren Lebensunterhalt bestritten, bleibt rätselhaft. Vermutlich lagen sie auf dem Sediment präkambrischer Flachmeere, um sich von dem, was die Natur hier bietet, zu ernähren. "Auf jeden Fall ähnelt die Morphologie der neuen Fossilien keiner heute existierenden makroskopischen Lebensform", betont Xiao. "Und zurzeit ist immer noch unsicher, inwieweit die südchinesischen Ediacara-Fossilien mit anderen Ediacara-Organismen und mit heutigen Arten verwandt sind."

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