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Datierungstechniken: Alte Schinken unter Druck

Vielen Menschen kann man das Alter im Gesicht ablesen. Ähnlich funktioniert es bei Büchern, die von antiken Druckmaschinen stammen und vom Leben gezeichnet sind.
Kupferplattendruck
Porcacchi | Zeitliche Veränderungen beim Druck mit ein und derselben Druckplatte aus Kupfer. Untersucht wurden zwei Werke des italienischen Renaissance-Künstlers Porcacchi. Aus dem Verblassen der Illustrationen kann auf das Herstellungsdatum geschlossen werden. Der Graf unten zeigt unterschiedliche Graustufen der beiden Zeichnungen der Inseln Kuba und Hispaniola.
Alles nutzt sich ab – seien es die Gelenke von Mensch und Tier oder die Ecken und Kanten von Möbelstücken. Das ist nun einmal der Lauf der Dinge. Selbst beim Kopieren des genetischen Materials während der Zellteilung läuft nicht immer alles glatt. Kopierfehler mehren sich, und Biologen können anhand der Veränderungen oft sagen, wer von wem abstammt. Zu diesen Experten zählt Blair Hedges von der amerikanischen Pennsylvania State Universität.

Und Hedges hat ein Hobby: historische Drucke und Landkarten. Als Liebhaber derartiger Papiere kennt er natürlich die Lücken in der Datierung vieler dieser alten Werke: Welches wurde wann hergestellt? Nun hat er sein Wissen, das er sich in seinem Beruf als Evolutionsbiologe erworben hat, kurzerhand auf sein Hobby übertragen: Er datiert alte Werke anhand der Qualität, mit der sie gedruckt wurden.

Alternde Druckvorlagen | Vergrößerung geschnitzter Holz- respektive gravierter Kupfer-Druckvorlagen sowie ihre sich mit der Zeit verändernden Abdrücke. Im Holz entstehen mit der Zeit Risse, die Lücken im Druckbild hinterlassen. Bei den Kupferplatten führt die Korrosion respektive die Reinigung der Platten mit der Zeit zu flacheren Konturen.
Denn auch Druckplatten verändern sich mit der Zeit – egal ob sie aus Holz oder beispielsweise Kupfer bestanden – beide nutzen sich ab. Während sich im Holz immer mehr feine Risse zeigen, flachen die zunächst scharfen Konturen der Metallplatten nach einer Weile mehr und mehr ab. Ursache ist hier weniger der wiederholte Druckvorgang als vielmehr die Tatsache, dass die Platten vor jedem neuen Gebrauch gereinigt und poliert wurden, um Korrosionsspuren zu beseitigen. Das hinterlässt Spuren. Und so erkennt Hedges bei Büchern oder Karten, die mit derselben Druckerpresse hergestellt wurden, das Alter der Erzeugnisse an der Häufigkeit der auftretenden Fehler oder am Verblassen der Konturen.

Jamaika | Holzdruck von Jamaika (Bordone 1528). Mit der Zeit stellen sich immer mehr Druckfehler ein (siehe schwarze Pfeile).
Die Idee ist also vergleichsweise simpel. Dass sich die Methode in der Praxis bewährt, zeigte Hedges nun an der Bestimmung verschiedener Werke aus der frühen Renaissance. So wurde ein Atlas von Benedetto Bordone über Island mehrfach mit ein und derselben Druckplatte aus Holz gefertigt, was aus einem Prägestempel auf der ersten Seite eines jeden Werkes hervorgeht: In den Jahren 1528, 1534 und 1547. Bei einer Auflage stritten die Gelehrten aber, ob sie nun zusätzlich um das Jahr 1537 oder erst um das Jahr 1570 entstand. Um seine Abschätzung abzugeben, untersuchte Hedges 23 Ausgaben der Atlanten mit jeweils 112 verschiedenen Drucken. Durch lineare Extrapolation kam er schlussendlich zur Erkenntnis, dass das umstrittene Werk im Februar 1565 entstanden sein muss, keine zwei Jahre früher oder später.

Reinigungseffekt bei Druckplatten | Vor jedem neuen Druckvorgang wurden die Kupferplatten gereinigt. Dadurch wurde die Oberfläche immer ein wenig abgetragen, was dazu führt, dass die eingeritzten Gravuren an Tiefe verlieren und sich das Druckbild mit der Zeit von Auflage zu Auflage ändert.
Ähnliche Datierungen gelangen Hedges für historische Karten der Westindischen Inseln Jamaika, Kuba und Hispaniola. Alle Drucke wurden gegen Ende des 16. ,Jahrhunderts mit derselben Kupferplatte hergestellt. "Es ist eine ganz einfache Methode", meint der amerikanische Wissenschaftler. "Jeder kann in eine Bibliothek gehen und sich Fotos von den Drucken machen, um deren Veränderungen zu untersuchen. Und das tut keinem Exemplar weh!"

Nach diesen Erfolgen juckt es dem Hobby-Historiker in den Fingern, sich über berühmtere Werke zu machen. Er denkt dabei an zwei undatierte Drucke von Shakespeares Hamlet sowie an Romeo und Julia und an Arbeiten von Rembrandt.

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