Batterieforschung: Kochsalz und Kalk statt Lithium
Eine Welt ohne Akkus ist kaum mehr vorstellbar. Sie stecken in Elektroautos, Smartphones, Laptops, Kameras und vielen anderen tragbaren elektronischen Geräten. Lithium-Ionen-Batterien sind das Rückgrat der Energiewende und der unangefochtene Platzhirsch unter den Speichertechnologien. Ihre Wurzeln reichen bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Da lassen Sätze wie diese aufhorchen: »Wir haben eine Kalzium-Sauerstoff-Batterie entwickelt, die bei Raumtemperatur 700 Ladezyklen übersteht«, schrieb im Februar 2024 eine chinesische Forschungsgruppe um Lei Ye von der Fudan University im Fachmagazin »Nature«. Wenn Lithium so gut funktioniert – warum beschäftigt sich die Batterieforschung überhaupt mit Alternativen?
Dass so viele Forschungsgruppen weltweit nach neuen Speichermaterialien suchen, hat vor allem geostrategische Gründe. Der Hauptrohstoff der Lithium-Ionen-Technologie, das Lithiumkarbonat, stammt fast ausschließlich aus chilenischen Salzwüsten oder australischen Tagebauen. Die Aufbereitung findet meist in China statt. Ganz ähnlich steht es um Kobalt. Das silbergraue Metall steckt bei vielen europäischen und amerikanischen Batterien zusammen mit Lithium, Nickel und Mangan in der Kathode der Batterie. Es stammt überwiegend aus dem Kongo. Und ein Großteil des für die Anode verwendeten Graphits stammt aus China.
Eine solche regionale Rohstoffkonzentration führt zu unerwünschten Abhängigkeiten. Dagegen helfen im Grunde nur zwei Ansätze: Entweder man findet eigene Quellen für diese Rohstoffe oder man verabschiedet sich vollständig von ihnen. Da die erste Option nicht überall Erfolg versprechend ist, verfolgen viele Staaten den zweiten Weg und fördern die Suche nach Materialien, die einerseits elektrische Energie ähnlich gut speichern wie Lithium und andererseits überall in großer Menge verfügbar und kostengünstig sind. Dazu gehört etwa Kalzium, wie es auch die chinesische Forschungsgruppe für ihre Experimente nutzt.
Für die Anode ihrer neuartigen Batterie beschichteten die Forschenden Nanoröhrchen aus Kohlenstoff mit dem Erdalkalimetall Kalzium. Sie umgaben diese Röhrchen mit einem Geflecht, das ebenfalls aus Kohlenstoffnanoröhrchen besteht und die Rolle der Kathode übernahm. Den Raum zwischen den beiden Elektroden füllten sie mit einem eigens entwickelten Elektrolyten auf der Basis einer ionischen Flüssigkeit und dem Salz Kalzium(II)-Bis(trifluormethan)sulfonimid, kurz Ca(TFSI)2. Dank des speziellen flüssigen Elektrolyten lief der Lade- und Entladeprozess auch bei Raumtemperatur zuverlässig ab. Bislang funktionierten derartige Batterien erst bei Temperaturen von mehr als 75 Grad Celsius.
Bergeweise Kalzium vor der Haustür
In Deutschland wird ebenfalls schon länger daran geforscht, Lithium durch Kalzium zu ersetzen. So entwickelte ein Team am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem dazugehörigen Helmholtz-Institut für Elektrochemische Energiespeicherung (HIU) in Ulm 2019 ein neues Anodenmaterial sowie einen Elektrolyten für diesen Batterietyp. Auch die deutschen Batteriezellen können stabil bei Raumtemperatur betrieben werden. Außerdem überstanden sie laut einer 2022 erschienenen Veröffentlichung mehr als 5000 Ladezyklen. Das klingt doch noch deutlich besser als die von der chinesischen Gruppe erreichten 700 Zyklen. Also doch kein Rekord?
Ganz so einfach ist es nicht. »Es handelt sich hier um zwei völlig verschiedene Systeme«, sagt Maximilian Fichtner, Professor für Festkörperchemie und geschäftsführender Direktor des HIU. »Außer dass sie beide Kalzium enthalten, haben sie wenig miteinander zu tun.« Beim chinesischen Ansatz handelt es sich um eine Kalzium-Luft-Batterie: Die Anode besteht aus Kalzium, an den Kohlenstoffnanoröhrchen der Kathodenstruktur wird Sauerstoff aus der Luft verwendet. Der Ansatz aus Ulm nutzt ebenfalls Kalzium als Anodenmaterial – und zwar in einer speziellen Legierung mit Zinn, was die Materialeigenschaften stark verbessert. Als Kathode setzt das System hingegen auf ein organisches Polymer.
Was Kalzium für die Batterieforschung so interessant macht, ist zum einen sein elektrochemisches Potenzial. Das liegt nah am Lithium, so dass eine Kalziumbatterie in einem ähnlichen Spannungsbereich arbeiten könnte. Die Spannung ist neben der Speicherkapazität ausschlaggebend für den Energiegehalt einer Batterie. Zum anderen stünde der dafür nötige Rohstoff nahezu unbegrenzt zur Verfügung. Kalzium lagert in Form von Kalkstein in riesigen Mengen im mittleren und südlichen Teil Deutschlands.
Platzhirsch mit weiterem Verbesserungspotenzial
Sind die Tage des Lithiums also gezählt? »Da bin ich sehr skeptisch«, sagt Kai-Christian Möller. Der Elektrochemiker ist stellvertretender Sprecher der Fraunhofer-Allianz Batterien und forscht seit 1992 auf dem Gebiet der Lithium-Ionen-Batterien. »Man muss immer zwischen Laborergebnissen und einem wirklich praktikablen, großformatigen Endprodukt unterscheiden.« Im Labor schaffen sich die Forscherinnen und Forscher ideale Bedingungen, um zum Beispiel weltrekordverdächtige Ladezyklen zu demonstrieren. Doch einerseits sind Ladezyklen nicht der einzige Parameter, der zählt – Speicherkapazität, Energiedichte, Spannung, Masse und Volumen sind ebenso relevant. Und andererseits muss sich für das System aus dem Labor auch ein passender Industrieprozess finden. So werden für die Versuche nur wenige Gramm eines neuen Materials benötigt; bei einer Massenproduktion liegt der Bedarf dagegen im Tonnenmaßstab. Lässt sich das mit vertretbarem Aufwand umsetzen? Oder muss man auf ein Derivat zurückgreifen und büßt damit Leistungsfähigkeit ein? Und wo liegen die Kosten für ein fertiges System? Können sie mit etablierten Batterien auf lange Sicht konkurrieren?
Batterieforschung auf der Kippe
Viele Jahre lang hat Deutschland stark in die Batterieforschung investiert und sich damit international auf den vorderen Rängen behauptet. Doch Anfang 2024 wurde die Forschungsförderung im Batteriebereich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stark zurückgeschraubt. Die Bundesregierung muss sparen. Grund war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Umwidmung der Corona-Mittel in den Klimafonds für unrechtmäßig erklärt hatte. Deshalb sollen von den 750 Millionen Euro, die bis 2028 für den Bereich der Batterieforschung veranschlagt wurden, lediglich noch 70 Millionen Euro fließen.
Viele Experten aus diesem Bereich fürchten nun, dass Deutschland den Anschluss verlieren könnte. Besonders kritisch wird gesehen, dass es sich bei den aktuellen Projekten nicht mehr um Grundlagenforschung handle, sondern dass diese an der Schnittstelle zwischen Forschung und Industrie angesiedelt seien. Gerade dieser Punkt in der Entwicklung sei aber wichtig, um bei einer Schlüsseltechnologie auch in Zukunft mitreden zu können.
All diese Fragen zufrieden stellend zu beantworten, ist ein langer und oftmals steiniger Weg. Den hat auch die Lithium-Technologie zurückgelegt – bis zu den kompakten und leistungsfähigen Akkus, die wir heute kennen. Als Leichtmetall hat Lithium eine sehr hohe spezifische Ladung. Das heißt, es kann sehr viele elektrische Ladungsträger pro Masse speichern. Und es liegt auf der elektrochemischen Spannungsreihe sehr weit links. Das bedeutet, es kann Elektronen besonders leicht abgeben. Das macht es zum idealen Anodenmaterial. Darauf basierend gab es in den 1980er Jahren bereits Versuche, Lithium-Metall-Batterien wiederaufladbar zu machen – ohne großen Erfolg. Doch intensive und ausdauernde Forschungsbemühungen führten schließlich zu den heute gängigen Einlagerungsverbindungen: zur Lithium-Ionen-Technologie. Dabei wird ein Wirts- oder Trägermaterial gewählt, das Lithiumionen aufnehmen und wieder abgeben kann. Da Lithium an dritter Stelle im Periodensystem nach Wasserstoff und Helium kommt und entsprechend ein sehr kleines Element ist, ist die Auswahl an möglichen Materialien groß.
Als Trägermaterial ist heute Graphit gängig, mit welchem Lithium eine goldbronzefarbige chemische Verbindung eingeht. Die Kathode besteht üblicherweise aus Metalloxiden. In den Anfangstagen war das meist Lithium-Kobaltoxid. Über die Jahre wurde das Kobalt dann immer mehr durch Mangan und Nickel ersetzt. Neue Konzepte wie die Lithium-Eisenphosphat-Technologie kommen bereits ganz ohne die »strategischen Metalle« aus. So nennt man all jene Elemente wie zum Beispiel Kobalt, Wolfram oder Tantal, die für große Industriezweige essenziell sind. Und auch auf der Anodenseite tut sich einiges. Hier wird zum Beispiel daran geforscht, das Graphit gegen Silizium zu tauschen, welches deutlich höhere Speicherkapazitäten aufweist. Das Optimierungspotenzial ist also selbst beim bislang unangefochtenen Spitzenreiter noch längst nicht ausgeschöpft. Zudem haben die vielfältigen Weiterentwicklungen dazu geführt, dass gar nicht mehr von »der« Lithium-Ionen-Batterie gesprochen werden kann. Die Batterietechnologien, die im Smartphone, im Powertool oder im Elektrofahrzeug zum Einsatz kommen, unterscheiden sich mittlerweile stark voneinander.
Im Meerwasser gelöst
Während sich Kalziumbatterien noch im Labortest-Status befinden, ist eine andere Alternative schon einen ordentlichen Schritt weiter: die Natrium-Ionen-Technologie. Das Alkalimetall gehört zu den zehn häufigsten chemischen Elementen auf der Erde; es ist rund 1000-mal häufiger als Lithium. Natrium kommt in Sodalagerstätten rund um den Globus vor und ist in unvorstellbaren Mengen im Meerwasser gelöst. Ebenso sind die anderen Elemente, die auf der Rezeptliste für Natrium-Ionen-Batterien stehen, weltweit gut verteilt. Hartkohlenstoff für die Anode lässt sich aus Abfallbiomasse herstellen. Magnesium steckt in Dolomit, einem Karbonatgestein, aus dem zum Beispiel die Schwäbische Alb besteht. Mangan liegt zu unseren Füßen. Denn als Braunstein färbt das Oxid des Metalls die Äcker braun. Zu guter Letzt benötigt man noch Eisen – einen Rohstoff, der an vielen Orten der Welt gefördert wird.
Da verwundert es kaum, dass die Natrium-Ionen-Batterie aktuell die vielversprechendste Alternative zum Lithium-Ionen-Akku ist. Denn neben der Rohstoff-Karte kann das Material weitere Trümpfe ausspielen. Als Element der ersten Hauptgruppe mit nur einem Valenzelektron ist Natrium dem Lithium relativ ähnlich. Zudem lässt sich für die Natrium-Ionen-Batterie die gleiche Fertigungstechnologie verwenden wie für die Lithium-Pendants.
»Grundlagenforschung ist einfach nötig, auch wenn entsprechende Produkte erst 10 oder 20 Jahre später ihre Anwendung finden. Wenn man sich nicht jetzt damit beschäftigt, lässt man die Chancen liegen, die es womöglich gibt«Kai-Christian Möller, Elektrochemiker
Allerdings kämpfen die Natrium-Ionen-Batterien noch mit einem großen Manko. Ihre Größe und ihr Gewicht machen sie zurzeit eher für stationäre Anwendungen praktikabel und sinnvoll. Doch auch daran wird bereits gearbeitet. Neue Batteriedesigns sollen die Lithium-Alternative fit für mobile Anwendungen machen. Dass das funktionieren könnte, zeigt erneut ein Blick nach China. Dort rollen die ersten Autos mit dieser Technologie über die Straßen.
»Während bei Batteriesystemen auf Kalzium-, Magnesium- oder Aluminiumbasis noch grundlegende Fragen zu klären sind, hat sich die Natrium-Ionen-Technologie bereits zu einer echten Alternative entwickelt«, fasst Maximilian Fichtner vom HIU den gegenwärtigen Stand zusammen. Dass Natrium das Lithium völlig ersetzt, glaubt er aber nicht. Es sei viel wahrscheinlicher, dass sich die unterschiedlichen Ansätze je nach Einsatzgebiet und Preissegment ergänzen. Ähnlich sieht es Kai-Christian Möller: »Grundlagenforschung ist einfach nötig, auch wenn entsprechende Produkte erst 10 oder 20 Jahre später ihre Anwendung finden. Wenn man sich nicht jetzt damit beschäftigt, lässt man die Chancen liegen, die es womöglich gibt.«
Die Alternativen zur Lithium-Ionen-Technologie holen also mit großen Schritten auf. Und so könnte ein entscheidendes Puzzleteil für die Energiewende tatsächlich im Meer oder in den Felsen der deutschen Mittelgebirge stecken.
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