Verjüngungskur fürs Gehirn: Altersmüde Stammzellen wieder aktiv
Mit dem Alter werden Muskeln, Gelenke und Gefäßwände zunehmend steif. Das gilt auch für unsere Hirnmasse – und diese Alterserscheinung könnte entscheidend dazu beitragen, dass die Neurone im Alter an Leistungsfähigkeit einbüßen, stellte ein Team von der University of Cambridge jetzt in Experimenten an Mäusen fest. Wie es im Fachblatt »Nature« berichtet, verhalten sich alte Stammzellen im Gehirn der Nager wieder wie junge, wenn sie aus ihrer alten, »steif« gewordenen Mikroumgebung, der Stammzellnische, entfernt und in jüngeres Gewebe verpflanzt werden.
Die Gruppe um den Neurowissenschaftler Michael Segel wollte Vorläuferzellen von Oligodendrozyten wieder auf Trab bringen: einen Typ von Gliazellen, der als Lipidschicht die Nervenzellen umhüllt. Diese Myelinscheide sorgt für die Weiterleitung von Signalen im Gehirn. Um den altersbedingten Funktionsverlust umzukehren, siedelte das Team eine ältere Generation der Vorläuferzellen, die zu den multipotenten Stammzellen gehören, in das Gehirn junger Tiere um. Daraufhin »verjüngten« sich die Zellen, arbeiteten also wieder wie kräftigere, junge Zellen, schreiben die Forschenden in einer Pressemitteilung. Dasselbe beobachteten sie bei Stammzellen, die in eine jugendlich-weiche biologische oder künstliche Mikroumgebung verpflanzt wurden. Als sie hingegen junge Stammzellen in ein deutlich gealtertes Umfeld setzten, vergreisten diese und verloren ihre Regenerationskraft. Stammzellforscher hatten bereits seit Längerem vermutet, dass die Struktur und damit auch das Alter der Mikroumgebung von Stammzellen deren Leistungsfähigkeit bestimmen.
Als eine Art mechanischer Sensor diene der Zelle das Protein Piezo1 auf ihrer Oberfläche, so Segel und sein Team. Wurde es entfernt und die Zelle somit »blind« für die Umgebung, nahmen alte Stammzellen ihre Regenerationsarbeit wieder auf. Offenbar informiere Piezo1 die Zelle darüber, wie weich oder hart sich die Umgebung anfühlt.
Mit zunehmendem Alter kann sich das Hirngewebe nicht mehr so gut regenerieren, weil unter anderem die Leistung von multipotenten Stammzellen, hier der Oligodendrozyten-Vorläuferzellen, nachlässt. Auf der Suche nach möglichen Ursachen habe man ihre Umgebung, die zunehmend steife Mikroumwelt, bislang vernachlässigt. »Die mechanische Veränderung genügt, um die altersbedingten Funktionsverluste der Oligodendrozyten-Vorläuferzellen zu verursachen«, schreibt die britische Forschungsgruppe. Die Entdeckung könnte neue Wege eröffnen, Erkrankungen wie multiple Sklerose zu behandeln und nicht zuletzt das Altern selbst besser zu verstehen. Allerdings sind schon viele Versuche, das Alter oder bislang unheilbare Krankheiten zu besiegen, in der entscheidenden Phase gescheitert: wenn es darum ging, die Erfolge vom Tiermodell auf den Menschen zu übertragen.
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