Alzheimer: Kein Alzheimer trotz Disposition

Ein Mann, der genetisch dazu bestimmt schien, in jungen Jahren an Alzheimer zu erkranken, hat die Mitte 70 erreicht, ohne dass seine kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt wurden – dies ist erst der dritte bekannte Fall einer solchen Resistenz gegen die Krankheit. Die in Nature Medicine veröffentlichten Ergebnisse werfen Fragen zur Rolle der Proteine auf, die das Gehirn während der Krankheit verwüsten, und zu den auf diese abzielenden Medikamente.
Seit 2011 verfolgt eine Studie mit der Bezeichnung Dominantly Inherited Alzheimer Network (DIAN) eine Familie, in der viele Mitglieder eine Mutation in einem Gen namens PSEN2 aufweisen. Die Mutation bewirkt, dass das Gehirn Versionen des Proteins Amyloid produziert. Diese neigen dazu, sich zu den klebrigen Plaques zu verklumpen, von denen man annimmt, dass sie die nervliche Degeneration vorantreiben. Familienmitglieder mit dieser Mutation entwickeln Alzheimer um das fünfzigste Lebensjahr – und zwar ausnahmslos.
Als dann ein 61-jähriger Mann aus dieser Familie mit intakten kognitiven Fähigkeiten in die Klinik der DIAN-Studie trat, waren die Forschenden schockiert, als sie feststellten, dass er tatsächlich die verhängnisvolle PSEN2-Mutation besaß. Die Mutter des Mannes hatte dieselbe Mutation, ebenso wie elf ihrer 13 Geschwister. Und alle hatten im Alter von etwa 50 Jahren eine Demenz entwickelt.
Noch schockierter waren die Forschenden, als Scans ergaben, dass sein Gehirn wie das eines Alzheimer-Patienten aussah. »Sein Gehirn war voller Amyloid«, sagt der Verhaltensneurologe und Mitautor der Studie Jorge Llibre-Guerra von der Washington University in St. Louis, Missouri.
Was das Gehirn des Mannes jedoch nicht enthielt, waren Anhäufungen von Tau – einem anderen Protein, das verknotete Fäden in den Nervenzellen bildet. Positronen-Emissions-Tomographie-Scans (PET) zeigten, dass er eine geringe Menge anormalen Taus aufwies, und zwar nur im Okzipitallappen, einer Hirnregion, die an der visuellen Wahrnehmung beteiligt ist und bei der Alzheimer-Krankheit normalerweise nicht betroffen ist.
Kognitive Widerstandsfähigkeit
Im Laufe von zehn Jahren führten Llibre-Guerra und sein Team Gedächtnistests und andere kognitive Untersuchungen durch, um festzustellen, ob der Mann wirklich resistent gegen Alzheimer war. Insgesamt waren seine Testergebnisse normal und blieben über die Jahre hinweg konstant. Einige Werte stiegen sogar aufgrund der regelmäßigen Übung.
Als nächstes suchten die Forscher nach genetischen Erklärungen für die Widerstandsfähigkeit des Mannes. Frühere Forschungen haben bereits bei zwei Personen, die ebenfalls ein Gen haben, das zu einer früh auftretenden Alzheimer-Krankheit führt, schützende Mutationen gefunden. Der Mann in der DIAN-Studie trug jedoch keine dieser beiden Mutationen.
Die Forschenden fanden jedoch heraus, dass der Mann neun genetische Varianten besitzt, die allerdings bei seinen Verwandten, die die PSEN2-Mutation und eine früh einsetzende Demenz hatten, nicht vorhanden waren. Sechs der Varianten wurden noch nie mit Alzheimer in Verbindung gebracht, sind aber an Funktionen beteiligt, die mit der Krankheit zusammenhängen, wie zum Beispiel an der Entzündung von Nervengeweben und an der Proteinfaltung.
Kaum entzündet
Llibre-Guerra vermutet, dass eine Kombination dieser Varianten zusammen mit Lebensstil und Umweltfaktoren erklären könnte, warum er inzwischen mindestens 21 Jahre länger als zu erwarten war nicht an Demenz erkrankt ist. Der Mann hatte auch weniger Entzündungen in seinem Gehirn als die meisten Menschen mit Alzheimer, was darauf hindeutet, dass sein Immunsystem nicht so stark auf Amyloid-Plaques reagiert.
Die klinische Neuropsychologin Yakeel Quiroz von der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, deren Forschung die beiden anderen Personen mit schützenden Mutationen aufdeckte, zeigte sich beeindruckt vom Umfang der Experimente des Teams, obwohl die Forscher noch herausfinden müssen, welche Varianten für die Resistenz verantwortlich sind und wie genau sie funktionieren. Sie sagt, die Ergebnisse stünden im Widerspruch zu der vorherrschenden Theorie, dass Amyloid die Hauptursache der Alzheimer-Krankheit ist. »Was dieser Fall zeigt, ist, dass diese Feststellung nicht unbedingt für alle gilt«, sagt sie. Quiroz' Team arbeitet nun mit dem von Llibre-Guerra zusammen, um die Gemeinsamkeiten zwischen den drei Personen zu untersuchen, die gegen die genetisch bedingte Alzheimer-Krankheit resistent sind.
Laut Llibre-Guerra deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es ausreichen könnte, die Ausbreitung von Tau im Gehirn einzuschränken, um die Entwicklung von Demenz zu verzögern oder sogar zu stoppen. Klinische Studien an Menschen mit früh einsetzender Alzheimer-Krankheit könnten schon bald zeigen, ob dies zutrifft: In der DIAN-Studie wird derzeit die Wirkung von Lecanemab – einem Antikörper, der Amyloid angreift und 2023 von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde zugelassen wurde – in Kombination mit neueren Antikörpern, die Tau angreifen, getestet.

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.