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Neurodegeneration: "Alzheimer wird uns immer begleiten"

Konrad Beyreuther ist einer der weltweit führenden Alzheimerforscher. Ein persönlicher Schicksalsschlag brachte ihn einst auf die Spur von Eiweißablagerungen im Gehirn, die schwere Erkrankungen verursachen können. Im Gespräch mit Gehirn&Geist schildert der 70-Jährige, dass Altern zwar unausweichlich mit geistigen Abbauprozessen verbunden ist. Die Folgen lassen sich jedoch mildern.
Beta-Amyloid Plaques

Herr Professor Beyreuther, wie kamen Sie dazu, sich mit der Alzheimerdemenz zu beschäftigen?

Konrad Beyreuther: Bei jedem Wissenschaftler gibt es eine persönliche Komponente, die ihn in ein Forschungsgebiet bringt. Bei mir war es eine sehr tragische: Mein jüngster Bruder bekam einen Hirntumor. Ich war damals Eiweißchemiker und arbeitete über Proteine, die überhaupt nichts mit dem Gehirn zu tun hatten. Durch die Krankheit meines Bruders habe ich damit angefangen, mich mit dem Gehirn zu beschäftigen, und begann zunächst über die Prionenkrankheit Scrapie bei Schafen zu forschen. 1984 saß ich beim Abendessen auf einer Tagung in Schottland zufällig neben Colin Masters aus Melbourne. Er ermutigte mich, statt über so eine seltene Krankheit wie Scrapie besser über Alzheimer zu arbeiten. Schließlich bekäme jeder Alzheimer, wenn er nur alt genug würde. So ist an diesem Tisch mein ganzes späteres Leben entschieden worden.

1906 beschrieb Alois Alzheimer zum ersten Mal die heute nach ihm benannte Krankheit. Was war seitdem die wichtigste Erkenntnis der Alzheimerforschung?

Auf diesem Gebiet ging es ja immer hin und her. Schon Alois Alzheimer glaubte später nicht mehr, dass die von ihm entdeckten Ablagerungen die Krankheit wirklich verursachen. Als ich begann, über diese Krankheit zu arbeiten, hielten deutsche Neurologen "Alzheimer" für eine amerikanische Fehldiagnose. Ihrer Meinung nach war die Krankheit nichts anderes als eine vaskuläre Demenz, also eine Verkalkung. Heute wissen wir, dass vaskuläre Demenz sehr selten ist. Nahezu jeder, der darunter leidet, hat auch Alzheimer, und dieses Krankheitsbild löst die Demenz aus. Das ist sicherlich eine der bedeutendsten Erkenntnisse.

Konrad Beyreuther | Konrad Beyreuther wurde 1941 als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Leutersdorf in der Oberlausitz geboren. Er studierte in München Chemie, fertigte seine Doktor­arbeit beim Chemie-Nobelpreisträger Adolf Butenandt am Max-Planck-Institut für Biochemie an und wurde 1968 promoviert. Anschließend wechselte er zum Institut für Genetik der Universität zu Köln, wo er sich 1975 habilitierte. 1978 bis 1987 war er in Köln Professor für Genetik, 1987 bis 2007 Professor am Zentrum für Mole­kulare Biologie der Universität Heidelberg, das er von 1998 bis 2001 auch leitete. Zusammen mit britischen Forschern entdeckte er 1988 den BSE-Erreger und war entscheidend an der Analyse der chemischen Struktur der alzheimertypischen Amyloid-Ablagerungen sowie des krankheitsauslösenden Gens beteiligt. Als Staatsrat für Lebens- und Gesundheitsschutz war er 2001 bis 2006 Mitglied der baden-württem­bergischen Landesregierung. Nach seiner Emeritierung baute er 2006 das Netzwerk ­Alternsforschung der Universität Heidelberg auf, dessen Direktor er seitdem ist.

Der zweite Durchbruch ist, dass wir heute feststellen können, ob ein Mensch in drei bis vier Jahren an Alzheimerdemenz erkranken wird. Die Diagnostik ist mittlerweile sehr weit fortgeschritten. Auf der anderen Seite sind wir bei der Therapie gescheitert. Der erkrankte Patient hat schon so viele Nervenzellkontakte verloren, dass an eine Therapie nicht zu denken ist. Auch die Transplantation von Nervenzellen wird die Krankheit nicht heilen, weil diese Transplantate ebenfalls "infiziert" werden.

Ist die fehlende Therapie für Sie die größte Enttäuschung in der Alzheimerforschung?

Meine private größte Enttäuschung war, als meine Mutter Alzheimer bekam. Ich hatte damals schon nahezu 20 Jahre über diese Krankheit gearbeitet – und dann dieser Schlag! Das hat mein Leben bis heute stark beeinflusst und mich auch zur Alternsforschung geführt. Der Kopf sitzt eben auf einem Körper, der genauso alt wird, und ich habe mir lange Zeit nur den Kopf angeschaut. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum wir in den weit mehr als 100 Jahren seit der Erstbeschreibung der Krankheit keine wirksame Therapie entwickeln konnten. Von 130 000 Neurowissenschaftlern forschen weltweit 25 000 über Alzheimer; auf 1000 Alzheimerpatienten kommt ein Forscher – aber wir haben bis heute keine Therapie.

Wenn Sie heute eine Prognose wagen: Wann wird Alzheimerdemenz heilbar sein?

Alzheimer wird uns Menschen wahrscheinlich immer begleiten. Es sieht danach aus, als sei Alzheimer unvermeidbar, wenn wir alt werden. Selbst die berühmte Französin Jeanne Calment, die mit 122 Jahren starb, blieb zwar bis zum Schluss geistig gesund, zeigte aber bereits Alzheimeranzeichen. Wenn sie noch fünf oder zehn Jahre länger gelebt hätte, hätte sie die Krankheit vermutlich getroffen. Neueste Daten zeigen, dass ungefähr mit dem 75. Lebensjahr die kognitiven Ausfälle beginnen. Dabei fängt der Krankheitsprozess etwa 30 Jahre vor Ausbruch der Krankheit an. Dass er damit dann faktisch mit Mitte 40 einsetzt, hat uns Alzheimerforscher überrascht. Aber das Altern selbst kann man ja beeinflussen. Es ist für mich eine der größten Hoffnungen, Alzheimer so eindämmen zu können, dass uns die Krankheit nicht quält.

Das klingt jetzt sehr pessimistisch, aber wir werden Medikamente bekommen, die den Alzheimerprozess verlangsamen. Das heißt natürlich nicht, dass wir auch einen bereits erkrankten Menschen mit sehr viel Nervenzellverlusten wieder heilen können. Ähnlich wie beim Herzinfarkt wird die volle Funktion wohl nie wieder zurückkehren. Doch wir werden es schaffen, die Menschen zumindest vor dem Eintritt in die schwersten Stadien der Alzheimerkrankheit zu bewahren – es sei denn, die Lebenserwartung steigt auf 150 Jahre, was ich nicht glaube.

Ist es demnach normal, dass wir mit zunehmendem Alter dement werden?

Wir Alternsforscher sagen: Wenn man nicht altert, wird man nicht alt. Das Problem liegt wahrscheinlich in den Mitochondrien, den Energiefabriken unserer Zellen. Sie verwerten die Nahrung, und dabei entstehen aggressive Sauerstoffmoleküle, die zunächst die Mitochondrien selbst schädigen. Sie arbeiten somit immer ineffektiver. Das Gehirn wiederum benötigt sehr viel Energie – etwa ein Fünftel der Energie, wie wir täglich verbrennen, wird hier verbraucht. Denken macht also schlank!

Einen besonders hohen Energieverbrauch hat nun das so genannte "Default Memory", eine Art Ruhegedächtnis, das immer dann arbeitet, wenn das Gehirn von außen keine Informationen erhält. Hier werden vor allem traumatische Erlebnisse und Ängste wie Zukunftssorgen verarbeitet. Auf Grund des hohen Energieverbrauchs häufen sich hier die Alzheimerschäden an. Wir können nicht steuern, was auf uns traumatisch wirkt und was nicht; das hängt von der eigenen Biografie ab. Aber wir können natürlich Risikofaktoren wie Stress oder mangelnde Bewegung steuern.

Wie lässt sich Alzheimerdemenz diagnostizieren?

Früher hieß es, eine sichere Diagnose sei erst nach dem Tod möglich, das ist jedoch längst überholt. Zusätzlich zur klinischen Diagnose gibt es heute im Wesentlichen zwei weitere Ebenen. Erstens die Analyse der Körperflüssigkeiten: Man kann im Hirnwasser, im Liquor, die alzheimertypischen Eiweißablagerungen nachweisen. Die Messung von sehr kleinen Eiweißmengen ist allerdings schwierig. Es kommt jedoch nicht auf die absolute Menge an β-Amyloid an, sondern auf das Verhältnis der beiden Peptide Aβ-40 und Aβ-42.

Zerstörerische Proteine | Das Amyloid-Vorläuferprotein (APP) sitzt in der Zellmembran des Neurons und kann an drei verschiedenen Stellen zerschnitten werden (siehe a). Wird es vom Enzym alpha-Sekretase gespalten, entstehen harmlose Fragmente. Schlagen jedoch beta- und gamma-Sekretase zu, bildet sich beta-Amyloid, das außerhalb der Nervenzellen zu Amyloid-Plaques verklumpt (b).
Das Eiweißmolekül Tau stabilisiert die Mikrotubuli im Axon des Neurons, die wiederum das ­Skelett sowie das Transport­wegenetz der Zelle bilden. Bei Alzheimer­patienten werden die Tau-Proteine durch Kinasen mit Phosphatgruppen überfrachtet (c). Solche Tau-Proteine lösen sich von den Mikrotubuli und verklumpen innerhalb der Nervenzellen zu Tau-Fibrillen. Die Mikrotubuli zerfallen – das Zellskelett bricht zusammen (d).

Vielleicht diagnostisch noch wichtiger als die Amyloid-Ablagerungen sind die intrazellulären Ablagerungen des Tau-Proteins. Diese Proteine sind im Prinzip die Bohlen der Schienen, die den Transport in den Sendearmen der Nervenzellen, den Axonen, ermöglichen. Wenn das Tau-Protein nicht aus dem Zellkörper heraustransportiert wird, verklumpt es zu den Neurofibrillenbündeln. Veränderungen dieser Tau-Proteine können wir etwa fünf Jahre vor Beginn der Krankheit in den Körperflüssigkeiten sehen.

Und die zweite Diagnosemöglichkeit?

Die zweite Möglichkeit bieten uns Bildgebungsverfahren, über die wir am besten erfassen können, wie weit der Krankheitsprozess insgesamt fortgeschritten ist. So können wir etwa bei der so genannten Positronenemissionstomografie durch radioaktive Substanzen die Amyloid-Ablagerungen sichtbar machen. Man kann sie heute 15 Jahre vor Beginn der Krankheit nachweisen. Und schließlich lässt sich auch noch das Hirnvolumen per Bildgebung messen. Mit den Körperflüssigkeitsanalysen und der Bildgebung sind Menschen identifizierbar, die in drei bis vier Jahren erkranken werden – bevor der Hausarzt mit klinischen Fragebögen die Krankheit feststellt. Allerdings lehnen wir es heute ab, die Erkenntnisse der Diagnoseforschung bei jedem Menschen anzuwenden. Das ist ethisch nicht vertretbar, denn nicht alle Menschen verkraften es zu wissen, was sie in Zukunft erwartet. Wenn wir Medikamente haben, die die Erkrankung wirksam hinauszögern können, dann werden wir natürlich früher diagnostizieren wollen, denn je früher wir mit der Behandlung beginnen, desto besser sind die Erfolgschancen.

Kann ich mich selbst auf eine beginnende Demenz testen?

Es ist sehr schwer, eine Selbstdiagnose zu machen. Am frühsten erkennen das noch die Angehörigen. Wenn ein Mensch nicht mehr zwei Dinge auf einmal tun kann, dann ist das häufig ein Anzeichen für Alzheimer. Wenn Sie also spazieren gehen und sich unterhalten, und ihr Partner bleibt neuerdings permanent stehen, wenn er antwortet, dann hat er ein Problem. Mein Kollege Klaus Hauer von der Arbeitsgruppe "Bewegung bei Demenz" am Bethanien-Krankenhaus Heidelberg schickt seine Patienten über einen Teppich mit tausenden Elektroden und misst dabei Schrittgeschwindigkeit und Schrittbreite. Dabei lässt er sie von 100 rückwärtszählen. Wenn die Leute plötzlich wie Parkinsonpatienten trippeln und die Schritte immer breiter und kürzer werden, dann steckt in neun von zehn Fällen eine Demenz dahinter.

Was nützt eine Diagnose, wenn es – wie Sie ja schon betonten – keine Heilung gibt?

In dem Moment, in dem erste Defizite auftreten, ist eine Diagnose für die weitere Lebensplanung essenziell. Wenn noch keine Defizite aufgetreten sind, ist eine Diagnose für Patienten sinnvoll, die familiär vorbelastet sind. Es gibt zum Beispiel eine Variante des Gens ApoE, das bei 50 Prozent der Alzheimerpatienten, aber nur bei 15 Prozent der nicht erkrankten Bürger auftritt. Das Alzheimerrisiko ist also dreimal höher. Für das Leben bedeutet das: Wenn Sie diese Genversion von einem Elternteil geerbt haben bricht die Krankheit im Schnitt zehn Jahre früher aus. Wenn beide Eltern Ihnen die ApoE-Version mitgegeben haben, beginnt die Krankheit 20 Jahre früher. Die gute Nachricht für Menschen mit dieser erblichen Belastung ist: Wenn Sie sich eine bestimmte Ernährung angewöhnen, wenn Sie sich bewegen und neugierig, also geistig aktiv sind, dann sinkt das Alzheimerrisiko drastisch.

Wie gehe ich als Angehöriger mit Demenzkranken um?

Aus Gehirn&Geist 5/2012
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Als Angehöriger sollte man sich über die Konsequenzen der Erkrankung im Klaren sein. Man muss damit leben, dass die geistigen Fähigkeiten des Betroffenen abnehmen, wie sie bei einem Kind zugenommen haben. Der normale Krankheitsverlauf umfasst neun Jahre: drei Jahre mild, drei Jahre mittelschwer, drei Jahre schwer. In den ersten sechs Jahren kann der Patient noch eine hohe Lebensqualität haben. Am Anfang braucht er eigentlich nur Spickzettel und ein bisschen Hilfe. Er sollte sich nicht auf die nächsten zehn Jahre konzentrieren, sondern auf das, was morgen passiert. Dazu gehört auch die Gelassenheit zu erkennen, dass man in der ersten Phase mit ein paar Tricks noch ganz gut zurechtkommen kann. In der zweiten Phase braucht man schon ab und zu jemanden, der für einen mitdenkt oder spricht, der die Kleidung bereitlegt und auch dafür sorgt, dass man im Winter nicht Sommerkleidung trägt. In den letzten drei Jahren wird es dann schwierig. Hier hilft es, wenn man den Patienten mit einer warmen Stimme anspricht oder sanft berührt. Man sollte sich auch nicht davor scheuen, auf Hilfsmittel zurückzugreifen, die einen entlasten. Es gibt beispielsweise die Robbe "Paro", ein künstliches Kuscheltier, das schnurrt, wenn man es streichelt, oder knurrt, wenn man es kneift.

Wie stark sind die Angehörigen belastet?

Sehr. Weit über die Hälfte aller Alzheimerpatienten werden zu Hause gepflegt, und wir wissen, dass die Pflegenden deutlich höhere Depressionsraten haben. Die Gewissheit, dass man den Krankheitsverlauf nicht brechen kann und in den letzten Jahren kein Wort des Dankes mehr bekommt, ist schon sehr belastend. Man kann ja nicht einmal mehr auf die Toilette gehen, weil der Patient sich mit Ihnen identifiziert und Sie nicht aus den Augen lassen will.

Wir müssen den Patienten und Angehörigen auch erklären, dass kein Wissenschaftler und kein Arzt ihnen sagen kann, wann der Betroffene sterben wird. Ich habe manche Alzheimerpatienten 20 Jahre lang begleiten dürfen, andere sind nach einem halben Jahr gestorben. Der Krankheitsverlauf ist nicht vorhersehbar.

Als Hauptschuldige für die Krankheit gelten das β-Amyloid-Peptid, das Sie mit entdeckt haben, sowie das Tau-Protein. Welche dieser Substanzen spielt für das Krankheitsgeschehen die wichtigere Rolle?

Das ist die Frage nach der Henne oder dem Ei. Es gibt zwei Glaubensrichtungen: die Baptisten, die wie ich das β-Amyloid-Peptid als Hauptschuldigen sehen, und die Tauisten. Beide Fraktionen haben noch keinen Frieden geschlossen. Die vernünftigste Symbiose aus beiden Theorien stellt die Energiehypothese dar. Demnach führen die Amyloid-Ablagerungen und das Altern des Gehirns zu mitochondrialen Schädigungen und beeinflussen den axonalen Transport. Die Tau-Ablagerungen entstehen als Folge dieses Amyloid- Stresses und führen dann dazu, dass die Nervenzelle nicht mehr funktioniert. Wir sind uns heute nicht einig, ob das Amyloid das Tau zur Aggregation zwingt. Aber ich glaube schon, dass beide zusammenwirken.

Trotz 28 Jahre Amyloid-Forschung haben wir bisher auch noch nicht entdeckt, auf welche Weise Amyloid toxisch wirkt. Es wird inzwischen sogar diskutiert, ob das Amyloid ansteckend ist. Nun wird kein Mensch das Gehirn von Alzheimerpatienten essen, aber es ist schon beunruhigend, dass die Pflege von Alzheimerpatienten das eigene Risiko um das Sechsfache erhöht.

Inzwischen werden auch Prionen verdächtigt, über die Sie selbst geforscht haben. Heißt das, dass Alzheimerdemenz über Bluttransfusionen übertragen werden könnte?

Stanley Prusiner, der Entdecker der Prionen, ist der Meinung, dass alle Amyloidosen auf Prionen zurückgehen. Und es sieht danach aus, als ob eine Übertragung vom Alzheimer-Amyloid bei Bluttransfusionen tatsächlich möglich wäre. Es gibt aber eine ganz einfache Lösung: Blut sollte altersabhängig gespendet werden. Blut von 60-Jährigen bekommen nur 60-Jährige, Blut von 40-Jährigen nur 40-Jährige und so weiter. Man muss also keinen 60-Jährigen vom Blutspenden abhalten. Bei einem Altersgenossen, der sein Blut erhält, läuft der Prozess vermutlich eh schon ab. Und wenn die Krankheit durch die Blutspende 30 Jahre später ausbricht, liegt er vermutlich längst im Sarg. Außerdem haben Tierversuche gezeigt, dass auch eine Blutwäsche möglich ist. Falls also eine Blutprobe verwechselt worden sein sollte, so dass ein 30-Jähriger das Blut eines 60-Jährigen bekommen hat, lässt sich das Blut austauschen.

"Hirnjogging" als Prävention ist sehr beliebt. Kann man sich tatsächlich mit regelmäßigem Sudokulösen vor Demenz schützen?

Es gibt sehr viele Studien, die zeigen, dass anregende geistige Tätigkeiten einen gewissen Schutzeffekt haben. So sind etwa Zeitungsleser und neugierige Menschen am wenigsten von Alzheimer betroffen. Sogar bei Mäusen zeigt sich, dass geistige Regsamkeit die Alzheimerpathologie hinauszögert: Eine Maus, die in einem Käfig mit einem Laufrad und einem kleinen Häuschen zum Klettern lebt, hat sechsmal weniger Amyloid-Ablagerungen als eine Maus in einem einfachen Plastikkäfig. Auch Musik hat sich als hilfreich erwiesen denn sie sorgt dafür, dass statt dem Default Memory andere Hirnregionen hochgefahren werden. So erkranken Musiker erst relativ spät an Alzheimer, und Dirigenten, die sich permanent bewegen, scheinen gar nicht zu erkranken.

Zu Sudokus gibt es bisher keine guten Untersuchungen, aber Jonglieren hat sich beispielsweise als hilfreich gegen Alzheimer erwiesen. Ich kann nur empfehlen, neugierig zu bleiben und sich immer wieder auf neue Dinge einzulassen. Wenn man nicht mehr ins Theater geht, weil man meint, das ist immer dasselbe, ist das schon der Anfang vom Ende. Unser Gehirn ist permanent auf Wachstum und Umbau eingestellt und produziert ständig neues Cholesterin. Wenn wir das nicht in Synapsen einbauen, dann entsteht mehr Amyloid.

Sie sind 70 Jahre alt. Wie schützen Sie sich vor Demenz?

Mit Gymnastik und geistigen Übungen: Ich mache jeden Morgen angedeutete Kniebeugen auf jedem Bein einzeln 100-mal und zähle dabei rückwärts oder nenne mir Pflanzen- oder Tiernamen. Beim Zähneputzen versuche ich das mit geschlossenen Augen, schaffe es aber nicht ganz. Wer sich nicht bewegt, hat ein doppelt so hohes Alzheimerrisiko. Dreimal 30 Minuten pro Woche sollte man sich bewegen – egal was es ist. Außerdem habe ich meine Ernährung völlig umgestellt. Unser Gehirn benötigt vor allem Docosahexaensäure, eine sechsfach ungesättigte Omega-3-Fettsäure, die der Mensch nur sehr ineffizient selbst herstellen kann. Am meisten ist es in Leinöl oder Fisch enthalten, Olivenöl enthält dagegen Omega-6- und nicht Omega-3-Fettsäuren.

Bei uns zu Hause gibt es sehr viel Obst; ich esse jeden Tag einen Apfel, wir frühstücken Müsli mit vielen Ballaststoffen. Ich trinke regelmäßig meinen Wein, wobei ich einmal die Woche verzichte. Fleisch gibt es allerdings nur sehr wenig. Dasselbe empfehlen auch Kardiologen. Eine neue und für mich spannende Erkenntnis war, dass sich die Risikofaktoren für Herzinfarkt und Hirnschlag sowie Alzheimerdemenz zu nahezu 100 Prozent überlappen. Wenn wir etwas gegen Alzheimer tun, dann tun wir auch gleichzeitig etwas für unser Herz und schützen uns vor Diabetes. Also: richtige Ernährung, Bewegung und immer wieder neue geistige Aufgaben. Das Leben wird langweilig, wenn wir keine neuen Informationen mehr bekommen.

Herr Beyreuther, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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